Kapitel 18 - Fire and Snow
Olympe Maxime und Hagrid schlenderten an Daphne und mir auf den Korridoren vorbei. Sie waren gerade völlig in einem Gespräch vertieft, sodass ihnen Daphne in letzter Sekunde noch ausweichen musste, um von den Halbriesen nicht umgerannt zu werden. Ich musste bei Daphnes verrenkter und chaotisch aussehender Bewegung, sich vor Olympe und Hagrid in Sicherheit zu bringen, auflachen und sie tat mir gleich, als wir um eine Ecke gebogen waren.
„Willst du einen?" fragte ich sie, während ich ihr eine kleine Keksdose vor die Nase hielt und damit auffordernd herumwachelte.
„Von wem hast du die denn?"
„Die habe ich heute früh von meiner Tante Margret geschickt bekommen."
„Sind ihre Kekse denn gut?"
„Ich ähm..." Sogleich hatte es mir die Sprache verschlagen. Eigentlich wollte ich bejahen, doch so plötzlich, als ich an die Zeit mit Margret zurückdachte, konnte ich keine Erinnerung finden, in der sie jemals Weihnachtskekse gebacken hätte. „Keine Ahnung." zuckte ich deshalb einfach mit den Schultern.
Daphne sah mich fragend an, verneinte dann aber. „Behalt sie ruhig, ich hab eh keinen sonderlichen Appetit. Meine Eltern haben mir so viele Weihnachtskekse geschickt, dass ich die Nase bereits gründlich von Keksen voll habe."
Grinsend gab ich die Keksdose in meinen Umhang, ohne mir selbst einen rausgenommen zu haben. Irgendwie hatte ich ebenso wenig Hunger und so konnte ich sie mir für heute Abend aufsparen.
Wir setzten uns auf eine der umliegenden Mauern, als wir auf dem Schulhof angelangt waren. Es war ziemlich kalt und die fallenden Schneeflocken verfingen sich in meinen blonden Haaren, zerschmolzen innerhalb sekundenschnelle zu Wasser. Der grüne Slytherinschal, den ich um meinen Hals gebunden hatte, tat sein Bestes, um mich nicht frösteln zu lassen, doch die eisigen Temperaturen waren haushoch überlegen.
„Ich kann es kaum erwarten, endlich meine Eltern wiederzusehen." sagte Daphne und starrte hoch in den weißen Himmel.
Sanft rieb ich meine Handflächen aneinander. „Mir geht es genauso. Schon seltsam, wenn man bedenkt, dass wir dieses Weihnachten in Hogwarts sein werden."
Da der Weihnachtsball an Heilig Abend stattfand, fiel heuer wohl das jährliche Festtagsessen zu Hause mit meiner Familie aus. Es war komisch, daran zu denken, dass ich nicht wie üblich am Tisch sitzen, später meine Geschenke unterm Weihnachtsbaum auspacken würde, um daraufhin meinen Eltern um den Hals zu fallen, weil sie sich wie jedes Jahr große Mühe gaben, mir tolle Geschenke zu kaufen und uns einen schönen Weihnachtsabend zu bereiten. Ich war von so viel Zauberei umgeben, sodass es mir manchmal vorkam, als würde sie mich förmlich erdrücken. Schließlich hatte ich 14 Jahre lang ganz normal unter Muggel gelebt. Es hatte sich vieles geändert. Ursprünglich war ich es gewohnt gewesen, jeden Tag nach der Schule nach Hause zu kommen, nach dem ersten Schritt durch unsere Haustür den herrlichen Duft des selbstgemachten Essens meiner Mutter einzuatmen und daraufhin tun und lassen zu können, was ich wollte, sobald die schulischen Verpflichtungen erfüllt waren. Einfach rausgehen, durch die Nachbarschaft streifen, ohne mit der Gefahr rechnen zu müssen, dass irgendein Baum die Absicht besaß, mich zu Brei zu verarbeiten. Es waren ganz schlicht und einfach zwei ganz und gar unterschiedliche Welten. Außerdem fehlten mir meine Eltern unheimlich.
„Meine Großmutter war deshalb so beleidigt, als sie von meinen Eltern davon erfahren hat, dass sie meinte, dass es für mich dieses Jahr kein Geschenk geben würde." Daphne zog ihren Mantel grinsend etwas fester an sich. „Aber sie liebt mich. Vermutlich krieg ich sogar zwei in doppelter Größe."
Schmunzelnd starrte ich auf den weißen Untergrund zu meinen Füßen.
„Wie geht es dir? Also wegen der Sache mit Cedric und dem Ball meine ich." Ich konnte Daphnes Blick auf mir ruhen spüren.
„Gut. Ehrlich."
Sie nickte zaghaft. Sie schien mir nicht recht zu glauben, immerhin kannte sie mich. Die Wahrheit war, dass es mir noch immer ziemlich im Magen lag. Es war bloß, dass ich ihn wirklich so unglaublich gerne hatte und nun hatte er eine andere gefragt. Das tat weh. Wirklich. Gestern Abend war ich noch lange wach gelegen, doch irgendwann hatte ich mich dazu gezwungen, nicht mehr daran zu denken.
Daphne war eine wirklich gute Freundin. Sie stand zu mir und gab mir Halt. Heute Früh war mir noch in den Sinn gekommen, vielleicht mit einem der Weasley Zwillinge hingehen zu können, doch als ich mich umgehört hatte, war schnell festgestanden, dass die beiden ebenfalls bereits eine Begleitung hatten. Inzwischen konnte ich nicht einmal mehr mit Sicherheit behaupten, dass ich dort überhaupt hingehen wollte. Irgendwie hatte ich absolut keine Lust mehr. Ich fühlte mich wieder ein zurückversetzt in alte Zeiten: Einmal mehr war ich die „Seltsame". Die, mit der irgendwas nicht stimmte. Außerdem schien sich niemand, zumindest kein Junge, ausreichend für mich zu interessieren, um mit mir Zeit auf diesem dämlichen Ball verbringen zu wollen.
„Versteh mich nicht falsch, ich konnte Cho Chang noch nie wirklich leiden und auch nicht die restlichen Ravenclaws, die jedes Mal vorbeistolzieren, als wären sie etwas Besseres und sogar ihre eigenen Leute verpfeifen." fuhr Daphne fort und riss mich zum Glück aus meinen Gedanken. „Aber nun Mal ganz ehrlich: Sie ist hübsch, sie ist klug und auch ziemlich angesagt. So unwahrscheinlich war es nicht, dass sie ein trimagischer Champion fragen würden."
Ich wusste, dass ihre Worte ernst gemeint waren und sie nicht die Absicht besaß, mich damit zu verletzen, weshalb ich ihr mit einem Nicken zustimmte und anschließend in die Ferne, in Richtung des verbotenen Waldes starrte. „Aber gleich zwei? Und ausgerechnet er?" murmelte ich und Daphne zuckte mit den Schultern.
Einen tiefen Atemzug nehmend, konnte ich spüren, wie sich die Kälte ein klein wenig einen Weg in mich hineinbahnte. So schlecht sah ich wohl auch nicht aus und dumm war ich auch nicht. Nur blond, OKAY? War ich doch, oder etwa nicht? Jedenfalls sah ich besser als Pansy Parkinson und Millicent Buldstrode zusammen aus und das Gegenteil würde ich mir von absolut niemandem einreden lassen.
„Dich wird bestimmt noch jemand fragen. Ich denke bloß..." begann Daphne zögerlich. „Vielen bist du wegen dieser Briefgeschichte, nun ja... unheimlich." Ich konnte wahrnehmen, wie sie meinem Blick in die Ferne, Richtung verbotenen Wald folgte. „Es ist eben nicht normal, dass ein Brief aus heiterem Himmel drei Jahre später auftaucht. Das ist einfach..." sie suchte nach dem richtigen Wort, schüttelte dann aber schlicht den Kopf. „Das Ministerium und Hogwarts mögen zwar so einige und ziemlich blöde Fehler machen, wenn du mich fragst. Aber so etwas ist bis jetzt noch nie vorgekommen."
„Was willst du damit sagen?"
„Dass ein Brief nicht einfach so verschwindet, Alicia. Jemand muss seine Finger im Spiel haben. Und jemand, der so etwas bewerkstelligen kann, muss entweder Einfluss oder Köpfchen haben. Oder beides. Und dann auch noch diese Geschichte in Moodys Klassenzimmer und der alten Weide. Du ziehst das Chaos beinahe magisch an."
Eine Windböe fegte an uns vorüber und wirbelte mein Haar durcheinander. War dem wirklich so? Doch wer sollte an mir Interesse haben? Was war an mir besonders? Grübelnd beobachtete ich, wie einige Erstklässler weiter unten auf dem Hogwartsgelände einen Schneemann bauten als plötzlich eine Gruppe von drei Leuten auf sie zukam und einer mit einem Zauberstabschwung den Schneemann zum Leben erweckte. Der Schneemann schüttelte sich. Einige seiner angebrachten Knöpfe in Form von Steinen schossen in allen Richtungen davon und dann sauste er den Erstklässlern hinterher, während er komische Geräusche von sich gab. Sie schrien und rannten davon. Die drei Jungs, Draco, Crabbe und Goyle, wie ich erkennen musste, kugelten sich fast vor Lachen am Boden und suchten anschließend schnell das Weite. Bei dem Anblick musste selbst ich ein klein wenig lachen, doch nichts im Vergleich zu Daphne, die es fast von der Mauer geschmissen hätte.
Im nächsten Moment sprang ich hoch, nahm etwas von dem Schnee am Boden und formte ihn zu einem Ball und warf ihn in meiner Hand auf und ab.
Daphne hob drohend ihren Zeigefinger, als sie bemerkte, was ich vorhatte. „Wage es nicht, Hastings!"
Doch da hatte sie bereits den Schneeball aus nächster Nähe mitten ins Gesicht bekommen. Ihr entfuhr ein erschrockener Laut.
„Na warte!" rief sie und formte sich ihren eigenen Schneeball. Ich konnte mich gar nicht mehr einkriegen und lief lachend und kichernd zugleich vor ihr davon, ehe eine hitzige Schneeballschlacht zwischen uns ausbrach.
*****
Völlig außer Puste und noch immer halb brüllend vor Lachen, kehrten Daphne und ich nach der zu Ende gegangenen Schneeballschlacht in den Slytherinsgemeinschaftsraum zurück. Ich konnte mich nicht daran erinnern, wann ich das letzte Mal so viel gelacht hatte. Meine Bauchmuskeln schmerzten wohltuend.
Erschöpft ließen wir uns auf das Sofa inmitten des Raumes fallen und ich kniff leicht die Augen zusammen, da mich das grün schimmernde Licht blendete. Vor der Couch stand ein Kamin, in dem helles Feuer loderte und angenehme Wärme spendete.
„Irgendwann.... Gibt es... eine.... Revanche." atmete Daphne schwer.
„Wenn du wieder verlieren möchtest."
„Wieder?" meinte sie herausfordernd, aber lachend und stand auf. „Ich gehe mich mal umziehen. Meine ganzen Klamotten sind pitschenass." Erst jetzt bemerkte ich, dass Wasser von ihrem Mantel tropfte und wir eine schöne Spur vom Eingang bis hier her zum Sofa hinterlassen hatten. Auch mein Mantel fühlte sich völlig durchnässt an. Ich musste bei dem Anblick grinsen. Das erste Mal seit diesen Neuigkeiten über Cedric und Cho fühlte ich mich wieder glücklich und zufrieden.
Nachdem Daphne im Mädchenschlafsaal verschwunden war, zog auch ich meinen Mantel aus und hing ihn vor dem Kamin auf. Anschließend machte ich es mir auf dem weichen Sofa vor dem wärmenden Feuer gemütlich und schloss die Augen. Meine Sorgen waren wie weggeschwemmt und ich versuchte ganz einfach diese herrliche Ruhe zu genießen. Während ich ein wenig vor mich hindöste, dachte ich daran, dass ich nun bald wieder meine Eltern sehen und wir gemeinsam die Weihnachtsferien verbringen würden. Da gab es so vieles, das ich ihnen erzählen wollte und ich sehnte mich bereits nach den köstlichen Keksen meiner Mutter, die dieses Jahr wohl um einiges besser sein würden als letzte Weihnachten. Schuld daran war ich gewesen, da ich Mehl und Zucker verwechselt und somit die gesamten Kekse verdorben hatte. Backen war etwas, das mir nicht lag. Es war für mich ganz einfach nicht logisch, wenn man mir sagte, dass die Kekse solange im Backrohr bleiben müssten, bis sie goldbraun waren. Hellgoldbraun, dunkelgoldbraun? Wann waren sie wirklich goldbraun und nicht nur mehr golden? Viel zu kompliziert. Bei dem Gedanken an meine Mutter und ihren verzweifelten Gesichtsausdruck, als sie damals meine Kekse begutachtet hatte, legte sich ein Lächeln um meine Lippen und weitere schöne Erinnerungen huschten vor meinem inneren Auge vorbei. Dann war es plötzlich schwarz.
Benommen blinzelte ich, wusste im ersten Moment nicht so recht, wo ich mich befand oder was geschehen war. Aber dann erinnerte ich mich... ich musste eingeschlafen sein. Im Schneckentempo streckte ich mich, als ich mit meinem Fuß gegen etwas stieß, oder besser gesagt gegen jemanden. Erschrocken zuckte ich zusammen, hatte mich innerhalb eines Sekundenbruchteils in eine aufrechte Position gebracht und war soweit zurückgerobbt, dass ich schmerzhaft mit dem Rücken gegen die Couchlehne krachte. Irgendetwas fiel scheppernd zu Boden. Am anderen Ende saß Draco und blickte mich mit einem süffisanten Grinsen an.
„WAS ZUR HÖLLE?" entfuhr es mir „Hast du mich etwa beobachtet? DAS IST KRANK!" fauchte ich ihn an.
„Schlecht geschlafen, Hastings?" meinte er gelassen und lächelte wichtigtuerisch.
Innerlich bebte ich, doch je länger ich in sein überlegenes Grinsen starrte, umso weniger wollte ich ihm den Gefallen machen, mich über ihn zu ärgern. Einige Male atmete ich tief ein und aus, um mich etwas zu beruhigen, doch meine Stimme klang nach wie vor boshaft und spitz, als ich antwortete. „Nein, nur ein böses Erwachen."
Dracos Grinsen wurde nur noch breiter, was mich wiederum rasend machte. Vollkommen überrumpelt von dieser Situation, fuhr ich mir mit einer Hand durch Gesicht, rieb meine Augen und nahm anschließend wieder eine halbwegs normale Position auf der Couch ein. Die Keksdose von meiner Tante Margret lag am Boden, war mir vorhin wohl aus meiner Umhangtasche gefallen. Verärgert funkelte ich in Dracos Richtung, fragte mich, warum er eigentlich nicht die Fliege machte, hob die Dose auf und nahm mir einen Keks daraus.
„Muggelkekse? Niedlich."
„Keine Sorge, ich wollte dir sowieso keine anbieten." murmelte ich, als er plötzlich einen kleinen Beutel aus seiner Umhangtasche hervorholte und einen Keks, oder besser gesagt einen Lebkuchenmann daraus nahm. Dieser sah ganz anders aus als der von meiner Tante. Einfach magischer... und malfoy'scher. Seine Zuckergussknöpfe funkelten sonderbar und ich bildete mir ein, dass er mir zuzwinkerte. Gruselig. Doch er hatte dasselbe arrogante Grinsen wie Draco. Er war also tatsächlich von den Malfoys.
„Du solltest besser etwas Anständiges essen." sagte er und hielt mir den Lebkuchen vor die Nase.
„Nein, danke." antwortete ich plump. Eilig packte ich die Dose zurück in meinen Umhang.
Malfoy zuckte mit den Schultern und legte ihn vor mir auf dem Tisch ab.
„Enttäuscht, Hastings?"
„Worüber?" fragte ich grimmig.
„Dein Ceddy Teddy hat eine andere gefragt."
Mein Blick legte sich auf ihn, seine Worte versetzten mir einen leichten Stich. „Nenn ihn nicht so, Malfoy."
„Dein Schwarm fragt im erstbesten Moment eine andere." fuhr er unbeirrt fort. „Ich kann mir gut vorstellen, dass das sehr verbitternd für dich sein muss."
„Halt deine Klappe."
„Du leugnest es ja nicht einmal."
„Ich sehe bloß keinen Grund, mich vor dir auf irgendeine Art und Weise rechtfertigen zu müssen."
„Sieh es doch ein. Diggory steht einfach nicht auf dich."
„Könntest du jetzt bitte endlich mal deine Klappe halten?"
„Ich weiß, dass du es ebenso weißt."
„Schön, dass du so viel weißt. Bei deinem Wissensstand kannst du glatt bei einer dieser verblödenden Reality-Shows teilnehmen."
„Einer was?"
„Vergiss es einfach." meinte ich und verdrehte dabei die Augen. Einige Sekunden lang war es plötzlich still um uns geworden. Im Gemeinschaftsraum waren kaum mehr Leute. Insgeheim fragte ich mich, wie spät es wohl war. Das grüne Licht brannte leicht in meinen Augen eine unangenehme Hitze stieg in mir hoch, als hätte ich Fieber. Vermutlich lag das am Kamin, wahrscheinlich hatte ich Stunden vor dieser sengenden Hitze geschlafen.
Langsam drehte sich mein Kopf in seine Richtung, meine Arme hatte ich vor meiner Brust verschränkt und sein Blick legte sich in den meinen.
„Das heißt dann wohl, dass du allein auf dem Weihnachtsball bist." Die züngelnden Flammen des Kamins spiegelten sich in seinem Grau.
Mein Brustkorb schwellte unaufhörlich an. „Und wenn schon. Viele Schüler werden ohne Begleitung dort sein."
Konnte man mich nicht endlich einmal mit diesem dämlichen Ball verschonen? Vor allem Malfoy? Ganz besonders Malfoy. „Hast du etwa schon eine Begleitung gefunden?" Meine Frage klang weniger höhnisch als beabsichtigt.
„Natürlich habe ich das, Hastings." sagte er und stand auf. Einige Sekunden lang stand er mit dem Rücken zu mir gewandt, betrachtete das helle, lodernde Feuer. Dann ging er davon. Das Geräusch seiner Schritte hallte von den Kellerwänden wider. Stumm sah ich ihm nach. Lange, nachdem er bereits um die die Ecke gebogen und aus meinem Sichtfeld verschwunden war, starrte ich noch an Ort und Stelle, fühlte plötzlich eine seltsame Kälte, die sich wie eine Nebelschwade über mich legte.
Als ich aufstand und gehen wollte, bemerkte ich den Lebkuchenmann, den mir Malfoy auf dem Tisch hinterlassen hatte. Zögerlich nahm ihn die die Hand und mein Blick schwankte nochmal zurück an die Stelle, an die Malfoy verschwunden war.
Das Feuer im Kamin war erloschen.
*****
In London schien erstmals wieder die Sonne. In den letzten Tagen hatte dichter Schneefall geherrscht, die Straßen waren teilweise lahmgelegt worden und doch sammelten sich die Leute in allen Gassen, trugen schwere Einkaufstüten, gefüllt mit Weihnachtsgeschenken, und bewunderten die schöne Dekoration, die London einmal mehr zu einer wahrhaftig schönen Stadt kürten.
Leroy Hastings saß in seiner Kanzlei, getauft mit dem Namen „Hastings Chambers". Vor ihm lag ein geöffneter Ordner. Ein Fall, mit dem er sich schon mehrere Wochen intensiv befasste und doch auf keinen grünen Zweig kam. Er war so unkonzentriert in letzter Zeit und je näher die Weihnachtsferien rückten, umso schlimmer wurde es.
Weiter links, hinter seiner siebten und halbleeren Kaffeetasse, standen drei eingerahmte Fotos. Auf einem davon war sein altes Elternhaus in der südwest-englischen Grafschaft Wiltshire abgebildet. Es war ein schönes Haus, nicht zu auffällig, bescheiden, aber dennoch war nicht zu übersehen gewesen, dass dieses Haus mit Liebe gepflegt worden war. Daneben, im nächsten Rahmen, konnte man ein abgelichtetes Portrait von ihm und seiner Frau Elizabeth erkennen. Es war wenige Tage nach ihrem Hochzeitstag geschossen worden. Die beiden strahlten darauf eine junge, aufrichtige Liebe aus, die sie sich bis heute bewahrt hatten. Damals hatten sie noch nicht gewusst, dass Elizabeth einmal schwer erkranken würde, oder dass sie gezwungen wären, ihr Haus zurückzulassen, alles aufzugeben und sich hier in London ein neues Leben aufbauen würde. Für den Großteil davon war die Person auf dem dritten Bild verantwortlich und auch gleichzeitig der Grund, weshalb ersteres für Leroy nur mehr einen unangenehmen Schatten der Vergangenheit ausmachte. Alicia. Das Foto zeigte ihren neunten Geburtstag. Es war dasselbe Foto, das auch Alicia in ihrem Zimmer stehen hatte. Leroy und Elizabeth hatten eine Kinderparty gegeben, hatten beinahe jegliche Kinder der Nachbarschaft eingeladen, damals selbst noch fremd in dieser neuen Gegend mit neuen Leuten und einem neuen Leben. Alicia sah glücklich aus, sie lächelte. Ihr vorderer Schneidezahn fehlte, doch das verlieh ihrem Lachen eine sonnige, wohlige Ausstrahlung.
Einige Minuten lang starrte er es an, den Kugelschreiber dabei zwischen Daumen und Zeigefinger nachdenklich hin und her rollend. Er starrte und starrte und starrte. Und dann, kurz bevor seine Sekretärin sein Büro betrat, um ihm mitzuteilen, dass ein wichtiger Mandant soeben eingetroffen war, legte das Bild nieder, die Bildfläche nach unten gerichtet, ließ den fröhlichen Geburtstag und die traurigen damit verbundenen Gefühle verstummen. Vielleicht würde er sich dann besser fühlen.
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