Oneshot
Angespannt ging Thomas durch einen spärlich beleuchteten Gang. Seine zügigen, gleichmäßigen Schritte hallten von den kahlen, schmutzig weißen Wänden ab und sein Blick war unergründlich. Äußerlich konnte man ihm kaum Emotionen oder Gefühlsregungen ansehen.
Thomas hielt eine weiße Akte so fest umklammert, dass seine Fingerknöchel hervortraten. Auf die Akte waren vier Buchstaben gedruckt worden. W, c, k und d. W.C.K.D. Für diese Organisation arbeitete Thomas und manchmal, so wie jetzt, wünschte er sich einfach nur, er wäre ganz weit weg. Aber er wusste, es würde nichts ändern. Wenn er nicht hier wäre, wäre die Welt immer noch genauso schrecklich und nur hier konnte er etwas dagegen unternehmen. W.C.K.D. war gut. Diese Überzeugung vertrat Thomas, und eigentlich war er auch dieser Überzeugung. Nur manchmal kamen ihm Zweifel. So wie jetzt.
Er hielt an einer unscheinbaren Tür an der linken Seite des Ganges. Er schaute nach rechts und nach links und drehte sich einmal um sich selbst, doch er war allein. Mit einer fließenden Bewegung öffnete er die Tür und verschwand dahinter. Nun war der Gang wieder leer. Auf der anderen Seite der Tür lehnte Thomas sich, erleichtert aufatmend, gegen eben diese. Er hatte immer ein bisschen Angst davor, irgendwann erwischt zu werden. Dabei war er in den letzten zwei Jahren auch nie erwischt worden.
Er ließ seinen Blick durch die kleine Kammer wandern, in der er sich jetzt befand. Metallene Rohre bedeckten die hintere und die linke Wand, sowie die Decke. Die Ecke rechts des Raumes war leer, wenn man von der dünnen Stoffdecke absah, die Thomas vor Monaten dort platziert hatte. Auf der Decke saß ein blonder Junge. Newt. Sofort fiel ein Teil seiner Anspannung von Thomas ab. Newt war der Grund, warum Thomas wöchentlich das Risiko auf sich nahm, erwischt zu werden.
Die Momente mit Newt gehörten zu den wenigen wirklich glücklichen in Thomas Leben. Seit sie sich vor zwei Jahren zufällig in dieser Kammer begegnet waren, trafen sie sich regelmäßig hier. Eigentlich war es nur Pech gewesen, dass sie gleichzeitig an demselben, verbotenen Ort gewesen waren. Oder Glück, wie Thomas inzwischen fand. Er war schon damals regelmäßig für einige Minuten in der Kammer verschwunden, um sich abzuregen. Damals. Er war 11 gewesen und es war seitdem noch so viel schlimmer geworden. Aber er tat dies alles schließlich für das Wohl der Menschheit. Warum Newt sich damals hier versteckt hatte, wusste Thomas bis heute nicht wirklich, der blonde Junge hatte behauptet, er wolle nur ein bisschen erkunden.
„Hey" sagte Thomas und lächelte schwach. Dann setzte er sich neben Newt, der zurück lächelte. Thomas wandte den Kopf ab. Wie oft hatte er dieses Lächeln jetzt schon gesehen? Wie oft hatten sie schon zusammen gelacht? Und das sollte vorbei sein? Thomas stellte sich dieselbe Frage, die er sich schon auf dem ganzen Weg hierher gestellt hatte. Sollte er Newt davon erzählen? Es wäre nur fair. Newt war irgendwie sein bester Freund und hatte das gleiche Recht, es zu wissen, wie Thomas. Auch wenn seine Vorgesetzten da anderer Meinung waren.
Thomas holte tief Luft. „Du, ich war grad bei Ava Page. Sie hat..." Thomas sprach nicht weiter. „Sie hat was?" fragte Newt ruhig nach. Thomas schwieg eine Weile, bevor er wieder begann zu reden. „Du hast mir doch von den Jungen erzählt, die in den letzten Monaten bei euch verschwunden sind." Newt nickte. „Ich weiß wo sie sind. Und du musst auch dorthin." Thomas konnte Newt nicht in die Augen sehen, obwohl er spürte das dieser ihn ansah. „Du musst auch dorthin und zwar nicht nächsten Monat oder übernächsten." Thomas sprach immer schneller und hatte fast das Gefühl, keine Luft mehr zu bekommen. Newt nickte erneut. „Wann?" fragte er, ohne den Hauch eines Vorwurfes in der Stimme. „Morgen", sagte Thomas leise und konnte nicht verhindern, dass seine Augen feucht wurden. Newt wusste nicht, wo er hinmusste. Thomas schon. Und das machte einen gewaltigen Unterschied. Das Labyrinth war ein grauenvoller Ort. Thomas hatte Angst, dass Newt dort kaputtgehen würde. Große Angst.
Jetzt rollte eine einzelne Träne Thomas Wange hinunter. Newt sah es und legte einen Arm um Thomas Schultern. Thomas legte seinen Kopf auf Newts Schulter ab und rutschte noch ein bisschen näher an ihn heran. Eigentlich waren sie beide nicht der Typ, der mit seinem besten Freund kuschelte, aber in diesem Moment brauchten sie es. Beide, auch wenn Newt es besser zu verstecken wusste. So saßen sie einige Zeit in der Kammer. Keiner sprach, aber es musste auch nichts gesagt werden. Es reichte, dass der jeweils andere da war.
Irgendwann stand Thomas widerwillig auf. „Ich muss gehen. Teresa wartet auf mich", sagte er leise und hielt Newt seine Hand hin, um ihm aufzuhelfen. Newt ergriff sie und stand auch auf. Thomas Hand ließ er danach nicht gleich los. Sie standen sich gegenüber, in einer kleinen Kammer und hielten die Hand des anderen. Thomas wollte nicht, dass dieser Moment je verging. Aber er musste wirklich gehen. Er trat noch einen Schritt näher an Newt heran und umarmte ihn. Auch Newt legte seine Arme um Thomas und drückte ihn an sich. So blieben sie nochmal einige Minuten stehen. Thomas atmete einmal tief durch, damit er nicht wieder anfing zu weinen, dann löste er sich von Newt. „Tschüss" sagte er und Newt zuckte hilflos mit den Schultern. „Ja. Tschüss." Er sprach so leise, dass Thomas ihn fast nicht verstanden hätte.
Thomas wollte sich gerade umdrehen und durch die Tür hinausspähen, doch Newt hielt ihn am Arm fest. Er beugte sich vor und legte vorsichtig seine Lippen auf die von Thomas. In diesem Moment war es, als würde Thomas einfach aufhören zu denken. Seine Augen fielen zu und alles was er noch wusste war, dass sich das hier gut und richtig anfühlte und er nicht wollte, dass Newt jemals wegging. Nach einigen Sekunden löste Newt sich wieder von ihm. Thomas behielt die Augen geschlossen, doch er spürte, wie Newt an ihm vorbeiging und durch die Tür nach draußen verschwand.
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