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Seine Haare reichen über seine Augenbrauen, verdecken seine hellen Augen, die ständig unruhig umherwandern. Er kann nicht still sitzen, muss immer seinen Fuß auf und ab bewegen, als könnte er so seine Untätigkeit überspielen. Ein hasserfüllter Blick versteckt sich hinter seinen schwarzen Haaren, der seine, hinter List und Bösartigkeit, hausende Seele widerspiegelt. Immer wieder denkt er an Hazel, denkt an ihre Stimme, die so angenehm uninteressant erscheint, die sich nicht so nervig in sein Trommelfell brennt und kein Piepsen hinterlässt, die fast schon angenehm klingt. Das Licht der Lampe ist grell, viel zu blautönig und zu kalt um den Raum lebbar zu machen. Das Ticken der Uhr ist zu hören, an das sich sein Herz anzupassen scheint, in dem es immer langsamer schlägt bis Beiden im Einklang ticken und zu einer eintönigen, mechanischen Melodie werden.
Im schwachen Licht kann man die einzelnen Staubpartikel sehen, sehen wie sie durch die Luft gleiten, zusammen stoßen und eine feine, graue Schicht auf den Boden hinterlassen. Er trommelt mit seinen Fingern auf seiner Bettkante, den Blick gerade aus gerichtet, auf die graue Wand die mit jeder Sekunde näherzukommen scheint. Immer schneller bewegen sich seine Hände, erzeugen einen Rhythmus der seine Gedanken vertreibt, keinen Raum mehr für Zweifel oder Bedenken lässt.
Alles wird nach Plan laufen, kein Stück seiner Uhr wird aus dem Takt fallen oder seinen Rhythmus verlieren.
Schritte sind im Gang zu hören und lassen Harvey aufhorchen. Der Schlüssel wird in das Schloss gesteckt, in dessen inneren, er sich zweimal dreht bevor die Tür auffällt. Die Handschellen bohren sich in seine raue Haut, als er durch den langen Gang geführt wird, die Arme leicht angewinkelt und angespannt.
Hazel zieht die Träger ihrer Tasche höher, als sie durch die Tür tritt und Harvey sieht. Ihre Hände fangen jedes Mal an schwitzig zu werden, sobald die Tür hinter ihr geschlossen wird.
„Wie geht es Ihnen?″, fragt sie, während sie ihren Stift in die Hand nimmt und das Datum auf das leere Blatt schreibt.
„Ausgezeichnet, ich habe heute erfahren, dass ich sehr wahrscheinlich in ein paar Tagen wieder freigelassen werde.″
Sie nickt, schreibt seine Worte mit, obwohl sie in Gedanken noch immer bei der Frau ist, dessen Tod gestern in den Nachrichten bekannt gegeben wurde. Harveys Gesicht erinnert sie nur noch mehr daran.

Es ist schon spät, als sie durch die engen Gassen, nahe der kleinen Mall direkt gegenüber der Golden Gate Bridge, geht und immer wieder ihre Augen schließt. Nicht aus Müdigkeit, sondern aus Missmut weiter die vielen, stechenden Lichter sehen zu müssen. Immer wieder bleibt sie stehen, schaut um die Ecke um zu verhindern sich zu verlaufen oder gegen Jemanden zu stoßen. Vor ein paar Tagen war der Weg noch voll von roten, gelben und braunen Blättern, die einen eigenes Muster gebildet haben. Jetzt ist alles grau und trist. Ihre Augen fokussieren den staubigen Boden, der ihrer Augenfarbe ähnelt, nur viel lebloser und glanzloser scheint.
Sie beschleunigt ihre Schritte, als sie hört, wie jemand anfängt hinter ihr zu laufen. Nicht aus Angst oder Panik, sondern aus Gewohnheit. Trotz ihres lauten Atems, hört sich das Geräusch ihrer Schritte atemberaubend laut an, als sie auf den leeren Fußgängerweg trifft. Ein Blick über ihre Schulter lässt sie einen Blick auf die Kapuzengestalt erhaschen, die perfekt mit der Schwärze der Nacht zu verschmilzen scheint. Ihre Arme schwingen vor und zurück als sie nach rechts abbiegt und direkt auf die Ampel zuläuft, die nur noch in Orange leuchtet. Sie spürt die Röte in ihr Gesicht steigen, als sie über die Ampel leuchtet und hört wie die Gestalt hinter ihr dieselbe Richtung einschlägt.
„Hey, warte!″
Leicht panisch dreht Hazel sich um, um zu sehen, wer nach ihr ruft.
„Josephine?″, fragt sie ungläubig als die fremd gedachte Frau vor ihr stehen bleibt. „Ich war nicht sicher, ob es wirklich du bist, aber ich kenn nur eine Person die so läuft. Was machst du wieder in San Francisco? Du siehst gut aus, viel reifer.″
Auf ihren Gesichtern bildet sich ein Lächeln, während sich gegenseitig ansehen und ihre Erinnerungen mit dem hier und jetzt vergleichen.
„Ich bin beruflich hier, war ziemlich spontan deshalb hab ich mich auch nicht bei dir gemeldet. Wie geht es dir?″, fragt Hazel als Josephine ihr einen Arm über die Schulter legt und sie drückt. „Kann mich nicht beschweren, ich bin aus der alten Bruchbude ausgezogen und wohn jetzt weiter draußen. Gar nicht weit von hier, wenn du willst, können wir zu mir gehen, ein bisschen reden.″
Ungewaschene Teller stapeln sich in ihrer kleinen Wohnung, die trotzdem größer als Deans und Hazels ist. Das Mondlicht fällt durch die großen, staubbedeckten Fenster als sie durch die Tür treten und ihre Schuhe ausziehen. Alles ist voll mit Blättern und Skizzen, ein reinstes Chaos das jede noch so kleine Ecke der Räume einzunehmen scheint. Hazel fühlt sich so wohl bei dem Anblick wie schon lange nicht mehr. Josephine hat etwas Animalisches an sich, etwas das jeden dazu bringt seinen Kopf ein wenig einzuziehen und sie nur aus dem Augenwinkel zu beobachten. Diese Ausstrahlung hatte sie schon immer, ihr Herkunftsort hat das Ganze nur verstärkt, ihren Blick noch einschüchternder werden lassen und ihre Haltung noch selbstbewusster. Sie trifft sich mit den falschen Leuten, aber das ohne jemals wirklich in Schwierigkeiten zu kommen.

„Ich hab viele Kontakte, deshalb konnte ich mir die Wohnung leisten. Wenn du willst besorgt ich dir auch so eine, allerdings kann das dauern. Zurzeit spielt alles hier verrückt", erwähnt sie beiläufig, während sie zwei Gläser auf den Tisch stellt und einen Flaschenöffner anhebt.
„Nein, nein danke. Ich bleibe wahrscheinlich nicht mehr lange in San Francisco", antwortet Hazel während sie an ihrem Getränk nippt.
„Außerdem würde ich sowas nie annehmen. Was machst du jetzt beruflich?″, fragt sie Josephine nach einem weiteren Schluck. „Nicht viel, um ehrlich zu sein gar nichts."
„Wie kannst du dir dann so eine Wohnung leisten?″
„Kontakte.″

Hazel nickt, nicht begeistert von dem, was sie hört oder von dem Gesichtsausdruck der sich langsam auf Josephines Gesicht verhärtet. Hazel ist sich nicht mehr sicher, ob es die richtige Entscheidung war hier hinzukommen, in eine Welt in die sie eigentlich gar nicht passt. Noch nie gepasst hat. Ihr Gegenüber passt perfekt in die schiefe Welt, kann sich in den gefährlichsten Slums und Ghettos frei bewegen. Hazel kann das nicht, statt Konfrontation wählt sie die Defensive. Statt Streit den Rückzug. Etwas was sie grundlegend voneinander unterscheidet und gleichzeitig ihre Freundschaft überhaupt möglich gemacht hat. Vielleicht wäre Hazel auch wie Josephine geworden, wenn sie unter anderen Umständen aufgewachsen wäre, keine sorglose Kindheit gehabt hätte. Sie schüttelt den Kopf, bevor sie das Glas mit einem letzten Schluck leert. Genau wie ihren Kopf von den Sorgen, die bei dem Anblick ihres Gegenübers in ihr hochkommen.
Es vergehen fünf Wochen bis Harvey Bunds Freilassung bekannt wird, eine weitere bis Hazel von der Wohnung in ein Hotel zieht. Unschlüssig was sie tun soll, da ihre Abreise erst um einiges später geplant war. Ihre ganzen Notizen musste sie abgeben, nur der Zettel, der ihr in die Tasche gesteckt wurde, ist geblieben. Hazel friert in ihrem kleinen Zimmer, was an der kaputten Klimaanlage liegt, die sich nicht mehr ausstellen lässt. Das ständige Summen und Knacken fällt ihr schon gar nicht mehr richtig auf, nach den ersten zwei Nächten, die sie hier verbracht hat. Es ist fast schon angenehm geworden, wie das Ticken der Uhr, welche direkt über dem Sessel hängt. Sie hat am Tag seiner Freilassung gemischte Gefühle, ob es sich bei ihm wirklich um einen Unschuldigen oder doch um einen Täter handelt, aber jetzt ist es nicht mehr ihre Aufgabe das herauszufinden.
Den Zettel hat sie am selben Tag weggeworfen, um vollständig mit dem Fall und ihrer geplatzten Chance abzuschließen. Glatte Brüche heilen schneller und besser. Trotzdem konnte sie nicht anders, als die Berichte über die Mordserie nochmal genauer unter die Lupe zu nehmen, nochmal alle Fernsehberichte und Zeitungsartikel zu studieren, um ihr Gewissen vollständig zu beruhigen. Ohne Erfolg. Sein Gesicht verfolgt sie, so gar im Schlaf. Es lässt sie nicht los, scheint sich in ihren Schädel eingebrannt zu haben und sie zu verfolgen. Ihr Flug nach Kanada geht übermorgen. Sie zuckt zusammen als es jemand an der Tür klopft, laut und fordernd. Der Unmut verschwindet als sie Josephines Gesicht und die Schokolade in ihrer Hand sieht, ihr Lächeln wie immer schmal, genau wie ihre zusammengekniffenen Augen.

„Oh du hast ja so gar schon gepackt", sagt sie als Begrüßung während sie sich an Hazel vorbeidrückt und sich auf das Bett wirft, das kurz knarzenden unter ihr nachgibt. Ihre Füße wackeln in ihren Schuhen hin und her, als sie die Verpackung öffnet und anfängt die Schokolade zu öffnen.
„Ja, lieber jetzt als später. Ich hasse nichts mehr als Hektik.″
„Das stimmt. Im Stress zu sein ist anstrengend, zum Glück passiert mir nicht all zu oft. Allerdings muss ich dich daran erinnern, dass du mir versprochen hast mir noch deine Adresse zu geben. Falls ich mal in Kanada bin, muss ich dich schließlich besuchen kommen.″
Während Josephine das sagt, schnipst sie die Verpackungsreste von der Couch und zieht ihr Handy aus ihrer Jackentasche, um es Hazel zu reichen.
Kopfschüttelnd nimmt sie es an und fängt an ihre Adresse einzutippen.
„Nur weil du es bist.″
Sie reden, über nichts Genaues, sondern um alles Wichtiges herum, über alles über das man lachen kann. Es ist schon nach eins als Josephine geht und die Tür hinter sich schließt, die schon seit dem ersten Tag einen langen Kratzer über den Türknopf trägt. Den Abwasch erledigt sie ohne Musik, genießt die Stille die nicht von Autohupen oder Rufen zerstört wird und atmet den Seifengeruch ein, der angenehm in ihrer Nase kitzelt und sie an ihre eigene Wohnung in Kanada erinnert.
Man kann es nicht Lächeln oder Grinsen nennen, es ist eher eine Andeutung eines Gefühls das sich auf Harveys Gesicht bildet, als er die Nachricht von Josephine erhält, die auf seinem Display erscheint und in dem dämmerigen Licht hell leuchtet. Er ist gleich traurig und glücklich bei dem Gedanken an seinen ersten Schritt Richtung Erlösung, der Schritt weshalb sich all die verschwendeten Stunden und die ganze Mühe gelohnt hat und sein Leben unbezahlbar machen wird. Trotzdem lässt er sich von dem Gefühl nicht leiten, er bleibt ruhig und konzentriert als er die Straße überquert und einem Fußgänger begegnet. Er fragt sich, ob er genau so gelassen an ihm vorbeigehen würde, wenn er wüsste er wer er ist und was er denkt, geschweige denn was er vorhat.

Aber er sieht ihn nicht an, den Blick stur gerade aus gerichtet und nichts Weiteres im Kopf als sein Abendessen und den langweiligen Film, den er sich anschauen wird, zusammen mit seiner Frau die genauso blind durch ihr Leben läuft. Mitleid trifft es am besten was er für den Mann empfindet, der langsam aus seinem Sichtfeld läuft, genauso grau im Kopf wie die Straße auf der er läuft. Seine Gedanken schwirren in seinem Kopf herum, stoßen zusammen und ergeben ein buntes, nutzloses Knäuel, in dem nur Hazels Gesicht heraussticht, als läge es im Auge seines inneren Sturms. Zweifel an seinem Vorhaben hat er keine, schließlich hat er lang genug an jedem noch so kleinen Detail gearbeitet, um jeden erdenklichen Fehler zu vermeiden.
Ein Auto hält vor ihm, so schwarz und glänzend, dass er sich selbst im Lack sehen kann. Er steigt ein, nickt dem Fahrer zu der ihn begrüßt und sieht wieder auf sein Handy. Die nächste Todesmeldung wurde bekannt gegeben, ein kleines Lächeln bildet sich auf sein Gesicht als er die Zeilen liest und der Wagen durch die Schwärze raßt, an all den künstlichen Lichtern und Autos vorbei.
In seiner rechten Hand hält er einen Notizblock, einen mit Dunkelbrauen Rand und einem goldenen Band, dass sich in den Block stecken lässt. Er wirft es von seiner eine Hand in die Andere, während er überlegt was er schreiben soll. Der Füller gibt ein Kratzen von sich als er über das raue, weiße Papier streicht. Der Wagen hält. Die Landebahn kommt in sein Lichtfeld, auf der vereinzelt die metallischen Giganten starten und landen. Der Fahrer dreht sich zu ihm um, nimmt den jetzt gefalteten Zettel, den Harvey aus dem Notizblock herausgerissen hat und steckt ihn sich in die Jackentasche. Bund schaut nicht zurück oder winkt dem Auto und seinem Fahrer, als er auf den Eingang zuläuft und sein Flugticket in seine Jackentasche steckt.
Kanada, steht auf dem kleinen Stück Papier.


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