25
Fenster hat das Apartment keine, selbst in den Schlafzimmern nicht, die durch eine unscheinbare Tür abgetrennt sind. Wahrscheinlich aus Sicherheitsmaßnahmen. Die Leute, die sonst hier beherbergt wurden, müssen um einiges wichtiger sein, als Hazel und Runa es sind. Sie fühlt sich erdrückt, obwohl das Wohnzimmer und die angeschlossene Küche zusammen größer sind, als all ihre bisherigen Wohnungen. Runa hat sich hingesetzt, genau auf die Mitte des langen, grauen Sofas und starrt auf die schwarze Küchenzeile. "Was ist da vorhin passiert? Als wir rüber gelaufen sind?" Ihre Stimme bricht während sie spricht, der Blick ist glasig und ihre sonnenverbrannten Finger krallen sich in ihre noch röteren Unterarme. Sie schafft es nicht den Blick auf Hazel zu richten, selbst das Reden fällt ihr schwer. "Es war das Virus, dass selbe das für die Mordreihe verantwortlich war. Harvey hat darauf gesetzt, dass wir versuchen würden zu fliehen."
Hazel Finger fahren über das dunkle Holz der Arbeitsplatte, was sie an Harveys unruhiges Trommeln mit seinen Händen oder Beinen erinnert, weshalb sie ihre Hand zum Stopp zwingt und sich wieder voll auf Runa konzentriert. "Sie sind tot, wegen uns. Wir haben Mitschuld." Ihr schmaler Körper hat angefangen zu beben, die trockenen Lippen zu zittern und ihre Fußsohlen hat sie so stark in den Boden gedrückt, dass es zu schmerzen anfängt. Hazel will sie trösten, ihr die Hand auf die Schulter legen, aber sie kann es nicht. "So darfst du nicht denken. Wir müssen nur bedachter vorgehen, aufhören uns aus allem rauszuhalten und dann werden wir es schaffen wieder aus all dem rauszukommen." Das Beben wird nicht schwächer und Runas Stimme zittert so stark, dass Hazel kaum die Worte versteht, die ihre Lippen verlassen.
"Du meinst wir müssen sie austricksen, Harvey und Nathan? Ich will nichts mit alldem zu tun haben, außerdem habe ich Angst um Josephine. Ich würde sie im Stich lassen. Das kann ich nicht, allein das heute war schrecklich für mich." Hazel versteht ihre Worte, hat Verständnis und Emphatie für ihre Sichtweise, aber sie kann nicht verhindern wütend zu werden. Runa hat keinen Grund so zu fühlen, besonders nicht nach den Geschehnissen heute. "Sie hat riskiert, dass wir sterben. Josephine wusste von Harveys Vorhaben, sie hat das Risiko in Kauf genommen. Wir wurden im Stich gelassen, nicht andersrum." Die Worte kann Runa nicht akzeptieren, zwar weiß sie tief in ihren Inneren, dass Hazel Recht hat, aber sie kann sich das selbst nicht eingestehen. Wenn sie das tut, verliert sie nicht nur Josephine, sondern auch sich selbst. "Runa, ich weiß, dass es schwer ist. Josephine bedeut mir doch auch viel, aber wenn wir hier heil rauskommen wollen, müssen wir anfangen geplanter vorzugehen und zu verstehen um was es eigentlich geht. Wir wissen noch immer fast nichts, nur dass Harvey und Nathan Tick leiten. Tick wiederum sich an einen Virus, entstanden aus Soliun und meiner DNA bedient und Kontakt zu einer Sekte hat, die ihre Interesse vertritt. Wir wissen aber nicht wie viele Mitglieder Tick hat, was genau Harveys und Nathans Vorhaben ist und was unsere eigentliche Rolle in ihrem Spiel ist.
Wir sind ihnen anscheinend nützlich, für den Moment brauchen sie uns, planen etwas für dass wir notwendig sind, aber sie planen nicht uns einen festen Teil von Tick sein zu lassen. Sonst hätten sie wenigstens versucht uns auf ihre Seite zu bringen, statt mit Lügen unser Verhalten und unsere Gedanken zu lenken und zu manipulieren. Das heute, der Kuss auf den Balkon, war nur dazu da um uns ein Flucht unmöglich zu machen, weil unsere Vertrauenswürdigkeit zerstört ist. Josephine ist unsere Chance an Informationen zu kommen, wenn wir Tick verstehen, wissen wie die eigentliche Situation ist, dann könnten wir einen Übergang vielleicht doch noch schaffen."
Sie ist an Runa herangetreten, blickt auf ihre roten Locken wieder, die wirr von ihrem Kopf abstehen und den gestressten und hilflosen Blick in ihren Augen wiederspiegeln. "Du meinst wir sollen ausfragen, bis wir so viel Wissen, dass wir Harvey und Nathan in Bedrängnis bringen können?" Sie hört sich nicht begeistert von der Idee an und auch die verkrampfte Haltung hat sich nicht gelöst. "Ja, wir können nicht riskieren, Harvey und Nathan vollständig das Ruder zu überlassen." Ihren eigentlichen Gedanken spricht Hazel nicht aus, höchstwahrscheinlich weil er ihr selbst zu viel Sorgen bereitet um ihn laut aussprechen zu können. Wenn es stimmt, dass Harvey und Nathan sie einzig und allein bei sich behalten, weil sie ihnen noch von Nutzen sind, ist die Frage was passiert, wenn sie ihren Zweck erfüllt haben. Der Tod der Sicherheutsleute hat bewiesen, dass sie bei Harvey nicht auf Gnade oder ein Gewissen hoffen kann. Es geht seit Heute viel mehr um den Weg zurück in ihr altes Leben. Stattdessen werden sie dafür kämpfen müssen, überhaupt noch eine Zukunft zu haben.
"Weißt du was über die Fotos und Videos, die Josephine von den Protesten aufgenommen hat?" Die Antwort auf diese Frage könnte sie weiterbringen, ihr wenigstens eine Richtung vorgeben oder einen ersten Impuls. "Nein, ich hab mit Josephine nie darüber geredet. Wenn ich mit ihr gesprochen habe, habe ich versucht über was anderes zu sprechen als unsere aktuelle Situation. Ich weiß wirklich nicht mehr als du, wüsste ich mehr, würde ich es dir sagen." Hazel setzt sich neben sie, dabei fliegt Staub auf, feine, kleine Körner die in der Luft tanzen und nur langsam auf den Teppichboden sinken und zur Ruhe kommen. "Okay, dann bleibt uns nichts anderes übrig als auf die anderen zu warten und zu hoffen von Josephine mehr Informationen zu erhalten." Dass das nicht einfach werden wird - gerade weil Josephine offensichtlich unter den Einfluss von Harvey und Nathan steht - ist Hazel bewusst, aber sie weiß, dass sie es schaffen kann. Sie wird ihr altes Leben zurückgewinnen können. "Über die Sekte weißt du auch nicht mehr, oder?" Runa hat die Beine angezogen, nur ihre Fußspitzen hängen in der Luft. "Ich weiß nicht ob es stimmt, aber so wie ich Josephine verstanden habe - sie hat es nur flüchtig erwähnt, nicht wirklich erklärt - halten sie sich für die Elite. Die Mitglieder, diese buntangezognen Freaks, sind wohlhabend und einflussreich, aber sind anscheinend so Machtbessessen, dass ihnen das nicht reicht."
Das klingt ganz danach als wären auch sie am regieren oder wenigstens eine Form von tegislativer Macht interessiert, aber wenn sie mit der jetzigen Situation nicht zufrieden sind, wären sie es doch auch nicht, wenn Harvey und Nathan statt ihnen herrschen würden. Es sei denn, sie bieten ihnen etwas, was die Regierung nicht kann, aber was könnte das sein. Oder hat Harvey ihnen die mit Regierung versprochen? Hazel sieht zwar das Wollknäul, in all seiner chaotischen Pracht, aber erkennt nicht die einzelnen Fäden. Der Drang das Rätsel zu lösen wird so immens, dass sie wieder aufstehen muss, weil sie es nicht mehr ertragen kann still sitzen zu bleiben. Wenn sie doch nur genügend wüsste, um sich die fehlenden Puzzelteile selbst zusammenreimen zu können. "Ja, sowas habe ich mir schon fast gedacht." Zwar antwortet Hazel Runa, aber ihre Gedanken sind schon ganz woanders. Harvey hat in seiner Rede heute das erste Mal klare Ziele und Taten angesprochen. Mit den Maßnahmen fast alle Insassen aus zu rotten, Regierungsmitglieder und Anhänger zur Rechenschaft zu ziehen und weite Landteile und einen großen Teil an Wohngegenden zu enteignen, wären ganz klar ein Schritt in das so wunderbare Paradies das Harvey verspricht, aber es würde niemals reichen.
Die Toten die daraus resultieren wären, wären bei weitem zu gering, um wirklich ersichtlich die Überbevölkerung zu stoppen. Sein Versprechen, allen möglich zu machen Kinder zu bekommen, würde höchstwahrscheinlich, wenn nicht unausgeschlossen, einen Anstieg der Zahlen auslösen. Seine Anhänger und die, die auf den Weg sind es zu werden, wären damit nicht zufrieden. Er muss noch etwas anderes vorhaben, etwas was er der Bevölkerung vorenthalten muss, um sie nicht abzuschrecken. Seine versprochenen Taten wären nur die Ablenkung, würden Freude und Euphorie in seinen Unterstützern auslösen, die sie von den größeren Geschehen blendet.
Es besteht eine Chance, dass sie sich irrt, schließlich fehlen ihrer Theorie handfeste Beweise, aber so mehr sie darüber nachdenkt, wird Hazel klar, dass Harvey und Nathan etwas verschweigen. Etwas was ihrer Wählerschaft nicht gefallen würde. Nur was es ist, weiß sie nicht und das macht sie verrückt, lässt ihre Haut kratzen und ihre Schritte schnell und hektisch werden. Eigentlich müsste sie was essen und etwas trinken, vielleicht würde sie dann schneller und effizienter denken können, aber alleine der Gedanke an eine Mahlzeit löst ein Übelkeitsgefühl aus. Luna ist schon vor einer ganzen Weile verschwunden, was immer sie noch zu bereden haben, dauert anscheinend länger als geplant. Wenn sie doch nur wüsste, über was sie sprechen, aber der Versuch sie zu finden und zu belauschen wäre naiv und dumm.
Es ist kühl in dem Apartment, die Klimaanlage läuft und die hohen Wände sorgen dafür, dass die Luft frisch und unverbraucht bleibt. Trotzdem kommt sie sich wie in einem Käfig vor, wie ein dummer Vogel, der durch die Gitterstäbe starrt, die ihn gefangen halten. Runa ist im Bad verschwunden, nur das Geräusch des Wasserhahns schallt noch zu Hazel herüber und erinnert sie daran, dass sie nicht alleine ist. Am Liebsten hätte sie ihre Gedanken aufgeschrieben, sie geordnet und sortiert, aber das ist ihr zu unsicher und riskant. Harvey und Nathan sollten nichts davon mitbekommen. Der große, hölzerner Schrank, der gegenüber eines der Betten im Schlafzimmer steht, ist gefüllt mit einfacher Kleidung. Einfache Jeans-und Stoffhosen, simple Tshirt und Langarmshirts, Socken, Unterwäsche und selbst Hemdjacken, die noch so neu sind, dass sie sich steif anfühlen. Die Tür die zum Bad führt hat Runa für sie angelehnt und die warme Luft noch nicht verflogen, als Hazel die Tuschkabine betritt. Ihre alte Kleidung wirft sie auf den Boden, jetzt wo sie ohnehin nicht mehr zu gebrauchen ist.
Das Wasser schmerzt auf der geröteten Haut und ihre Haare fühlen sich so stränig und fettig an, dass Hazel sie gleich zweimal einschäumt. Die Haut an ihren Beinen ist rau, als sie die Hose anzieht, die sie gerade noch aus dem Schrank genommen hat. Nur einen Kamm oder eine Bürste kann Hazel nicht finden, weshalb sie mit den Fingern durch ihre Haare fährt, bis die größten Knoten aufgelöst sind. Das Handtuch legt sie über ihre Schultern, bevor sie das Bad verlässt und sich erneut neben Runa fallen lässt, die den noch feuchten Kopf auf eines der Kissen gestützt hat. Auch sie trägt neue Kleidung. "Glaubst du die anderen kommen bald?" Sie drückt mich einmal ihre Haare aus, um zu verhindern, dass sie auf das neue Tshirt tropfen. "Ich denke schon, hoffentlich können wir dann etwas essen", antwortet Runa und hebt den Kopf wieder etwas an, um nicht ganz das Gleichgewicht zu verlieren.
Noch immer hat kein Hungergefühl bei Hazel eingesetzt, aber sie widerspricht Runa nicht. Wenn sie nicht bald was essen und trinken würde, würde wohl oder übel ihr Kreislauf nicht mehr mitspielen. Sie fühlt sich schon schummrig, die Bewegungen fallen ihrer schwerer als sonst und zu denken fühlt sich zäh an. Zuerst sind Absätze zu hören, dann der schrille Ton, der durch das Scannen einer Karte ausgelöst wird, bis zu letzt die schwere Tür auffällt. Nur kurz erhascht Hazel einen Blick auf den Flur und das grelle, kalte Licht, dann versperren ihr vier Personen die Sicht. Sie sind wieder da, Harvey, Nathan, Josephine und Luna. Nathan und Harvey halten weiße, dünne Plastitüten in der Hand. "Wir haben was zu Essen mitgebracht. Es hat leider länger gedauert, wir mussten noch einiges besprechen.", sagt Nathan und streicht sich seine blonden Haare aus dem Gesicht. "Dürfen wir wissen um was es geht?", antwortet und fragt ihn Hazel gleichzeitig, während Nathan schon die Plastikschalen auf den Esstisch stellt.
Luna holt die Gläser aus einem der hohen Regale, das gegenüber von der Küchenzeile steht und öffnet eine der großen Wasserflaschen. Es zischt als die Kohlensäure in die Luft entweicht und das Plastik des Verschluss, dem Druck nachgibt. "Es wird allgmein Zeit über einiges mit dir und Runa zu reden. Gerade noch heute gibt es bestimmt einiges an Redebedarf." Hazel muss sich umdrehen um ihn anzusehen zu können, die große Statur und die braunen, langen Braunen Haare ausfindig zu machen. Harvey hat ihr statt Nathan geantwortet und sich schon auf einen der schwarzen, glatten und spiegelnden Stühle niedergelassen.
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