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Er sieht aus wie früher, hat noch immer eine etwas steife und gerade Haltung und die Angewohnheit die Wörter, die er verwendet in die Länge zu ziehen. Die leichte Schüchternheit, die sein Lächeln noch wärmer und herzlicher wirken lässt.
„Hi, ich wollte dich beim Telefonieren nicht stören, deshalb hab ich nichts gesagt.″
Hazel beißt sich auf ihre Lippen, die Nähe zu Dean ist ihr unangenehm, seine Augen scheinen sich fast schon in ihre Netzhaut zu brennen, so aufmerksam und behutsam sieht er sie an.„Komm wir setzten uns auf die Couch, dann kannst du mir von deiner Arbeit erzählen.″
Selbst dasselbe Parfum trägt er noch, eine Mischung aus Bitter und süß, dass ihr bei jedem seiner Schritte in die Nase weht.Das Sofa knirscht als sie sich auf die linke Seite fallen lässt und ihre schlanken Beine überkreuzt, während Dean ihr etwas zu Trinken einschenkt.„Also, woran arbeitest du genau?"„Ich arbeite in San Quentin und therapiere einen Insassen.″″Interessant, das ist das erste Mal, das du mit Verbrechern arbeitest, oder?″„Ja, ich war deshalb heute auch wirklich aufgeregt.Wie lief deine Arbeit? An was für einem Fall arbeitest du gerade?"
„Der Fall ist ziemlich kompliziert, grob gesagt geht es um einen Journalisten aus dem Norden des Sudans, der rechtswidrig festgehalten wird.″
Deans Arbeit war eine der Gründe wieso sie sich in ihn verliebt hat und gleichzeitig einer der Gründe wieso sie sich getrennt haben. Der Anfang und das Ende ihrer Beziehung.
„Okay.″ Hazel sieht auf den Boden, es ist unfair, dass er noch immer so unverschämt gut aussieht, sie an ihr jugendliches, starkes Ich erinnert.
„Ich wollte mich nochmal wegen damals entschuldigen, ich bin nie wirklich dazu gekommen dir das persönlich zu sagen. Es war nie meine Absicht dich zu verletzten oder zu hintergehen, ich hoffe das weißt du.″ Deans Stimme ist leiser geworden als er diese Worte sagt und ihr fest in die Augen sieht. Schluckend erwidert sie seinen Blick und zwingt sich zu einem schmalen Lächeln. Der Pfad zwischen ihrem Hass und ihrer Zuneigung zu ihm scheint immer schmaler zu werden.
„Ich bin nicht mehr wütend auf dich anfangs war ich es, aber ich habe dir verziehen als ich gemerkt hab wie leid es dir tut und das es keine regelmäßige oder geplante Sache war.″ „Danke, das weiß ich zu schätzen.″
Erleichtert lässt er die angehalte Luft aus und lächelt ihr dankbar zu, was Hazel erwidert.
„Wie gefällt es dir eigentlich in Kanada? Wohin bist du nochmal genau gezogen?"
„Nach Saint Paul. Es gefällt mir richtig gut, bis auf das kältere Klima. Die Psychiatrie, in der ich jetzt arbeite ist zwar überlaufen, aber trotzdem ein super Arbeitsplatz und die Außenanlange ist wirklich schön.″

„Freut mich zu hören. Hast du auch Jemand neuen kennengelernt?″
Dean beißt sich auf seine Unterlippe, nachdem er die Frage laut ausgesprochen hat, unsicher, ob er auf ein ja oder nein hoffen soll.
„Nein, ich war insgesamt auf zwei Dates, beide waren eine absolute Katastrophe. Vielleicht versuche ich es nochmal, wenn ich mehr Zeit habe, wie sieht es bei dir aus?″
Ein verlegener, fast schon beschämter Ausdruck nimmt sein Gesicht ein, als er anfängt zu sprechen. ″Ich bin, nachdem Vorfall mit Lexa zusammen kommen, wir sind ein Paar.″ Seine Antwort fühlt sich für Hazel an wie ein Schlag in die Magengrube, der ihr alle Luft aus der Lunge zieht und ihre Organe schmerzhaft zusammen drückt. „Oh", ist das einzige Geräusch, dass ihr Mund imstande ist zu bilden. Der Pfad verschwindet, die Gegensätze vermischen sich, lassen nichts als ein widerliches, schmerzendes Gefühl in ihrer Brust zurück. Hazel fühlt sich kein bisschen erholt, als sie aufwacht. Mit einem steifen Nacken von dem zu weichen Kissen und tiefen Augenringen trinkt sie den zu heißen Tee, der bei jedem Schluck ein Brennen auf ihrer Zunge hinterlässt. Seit gestern kann es sie nicht mehr abwarten bis sie ihr eigenes Apartment, vielleicht so gar ihr eigenes kleines Häuschen. Die Sonne geht gerade erst auf als sie losfährt, denselben Weg wie gestern, nur heute mit einem neuen Plan im Kopf. Dieses Mal ist sie nicht zu früh, als sie durch das Tor gelassen wird, ihre Tasche über ihrer Schulter tragend. Zu gerne würde sie eine Führung durch das ganze Gefängnis haben, einfach nur um einen Überblick über das riesige Gebäude zu bekommen, aber da eine Führung mehr als unwahrscheinlich ist verwirft sie den Gedanken wieder.

Es ist derselbe Sicherheitsmann, der direkt hinter dem Eingang auf sie wartet, die Hände in seine Hosentaschen gesteckt und ein freundliches Lächeln auf den Lippen.
Ihre Schritte hallen im leeren Flur wieder und übertönen Hazels schweren Atem.
Bund sieht unverändert, nur sitzt er dieses Mal aufrecht als sie das große Zimmer betreten, in seinen Augen liegt ein neues Glitzern, die Lustlosigkeit und Müdigkeit ist aus ihnen verschwunden. Seine Haltung erinnert sie an ein Raubtier, ruhig aber gleichzeitig angespannt und bereit zum Angriff. Das Tier in Ihm wurde wieder zum Leben erweckt.

„Guten Morgen."
Hazel ist nicht überrascht als sie keine Antwort erhält, erst nach dem sie ihren Notizblock aufgeschlagen hat hebt sie ihren Blick.
„Ich möchte, dass sie die heutige Therapiestunde leiten.″
Es hat nicht viel Recherche benötigt um Hazel zu dem Wissen kommen zu lassen, dass Harvey Bund nichts lieber ist als die Kontrolle zu haben, sei es in seinem sozialen Umfeld oder während seiner Taten. Der einzige Weg ihn aus der Reserve zu locken ist ihm die Entscheidung, was er zeigen will, zu überlassen, auch wenn das eine unkonventionelle Art der Therapie ist. Langsam verziehen sich seine Lippe zu einem unnatürlichen Lächeln. Er lehnt sich weiter vor, so weit, dass die obere Hälfte seiner Augen von einem Vorhang von dunkelbraunem Haar verdeckt wird.

„Gib mir den Notizblock.″
Hazel zögert einige Sekunden, bevor sie den Block mit einem kräftigen Schubser Richtung Bund befördert, der ihn kurz vor der Kante abfängt.
Seine langen Fingern streichen über das raue Papier, die leeren Seiten und den schwarzen Buchumschlag. Fast schon zärtlich, als würde er etwas Kostbares in den Händen halten, dass er nicht mehr hergeben kann und will.
„Was schreibst du normalerweise in das Notizbuch?″
„Eigentlich alles, jedes Detail, das mir zu wichtig vorkommt, um es vergessen zu können", sagt sie.

Er nickt, eher notierend als wirklich verstehend, bevor es zuklappt und seine ganze Aufmerksamkeit auf Hazel richtet. Seine Haut ist Porzellan-weiß, fast schon leuchtend, gegensätzlich zu dem Hass und Wahnsinn, den er ausstrahlt. Kein einziges Muttermal oder eine Narbe, die ihn zeichnet, ist zu sehen, als wäre das Leben ohne Spuren an ihn vorbeigezogen, hätte ihn verschont, als wäre er im Auge des Sturms gestanden und hätte als nur ansehen müssen, statt es zu spüren. Vielleicht ist es das, was Hazel Angst macht, wenn sie ansieht, dass sie einen kleinen Jungen sieht, der ängstlich und verzweifelt ist, Angst hat vor dem Monster das langsam in seinem Herzen heranwächst. Die Brutalität scheint in all dem unterzugehen, wird nur noch zu einem Hintergrundrauschen im Zusammenspiel all seiner Wut und Stumpfheit, immun gegen jegliche Art der Empathie, die er nie erfahren durfte.
„Stell mir einfach eine Frage, die Schweigerei wird anstrengt.″
Er lehnt sich zurück als die Worte seine Lippen verlassen.
„Hast du bereits Briefe an Freunde oder Verwandte geschrieben?″, fragt Hazel, während sie unter dem Tisch auf ihre Oberschenkel klopft, im selben Takt in den ihr aufgeregtes Herz schlägt. Das ist das erste Mal, dass sie du anstatt Sie sagt, versucht aus dem professionellen Gespräch etwas Vertrautes zu machen.
„Natürlich.″
„Und was steht in den Briefen?″
„Das ich bald wieder rauskomme, schließlich bin ich unschuldig.″
„Du hast mir in der letzten Sitzung erzählt, dass du keine deiner Taten bereust, sie also indirekt zugegeben, wie kannst du dann unschuldig sein?″
„Es war gelogen. Hätte ich gesagt ich wäre unschuldig, hätte man mir eh nicht geglaubt, also habe ich improvisiert, damit man mich in Ruhe lässt. Kein echter Mörder würde so etwas Dummes antworten, um sich selbst noch weiter zu belasten, aber da ich unschuldig bin kann es mir egal sein, folglich erzähl ich nur Stuss. Wenn ich frei bin, wird sich eh niemand mehr für diese Gespräche interessieren.„

Hazel ist ungläubig als sie seine Worte hört, fast schon entsetzt und schockiert. Was ist sein Ziel? Sie nur zu verwirren oder sie wirklich dazu bringen zu glauben, dass er unschuldig sei und nie einen Menschen getötet hat und zu Unrecht hier sitzt? Sie achtet genau auf seine Haltung, darauf wie seine Hände positioniert sind, ob er sie oder das Notizbuch vor sich, also zwischen ihr und ihm schiebt, was ein Zeichen des Lügens ist. Oder ob Stressflecken in seinem Gesicht sichtbar werden, wie die Pinocchio Nase der normal Sterblichen. Von Beidem sieht sie nichts, was das Chaos, das in ihrem Kopf ausgelöst wurde, noch schlimmer macht.
„Du glaubst mir nicht, oder?″
Hazel weiß nicht was sie darauf antworten soll, schließlich weiß sie nicht genau wie viel Beweise gegen Bund vorliegen, wie viel Zeugen gegen ihn ausgesagt haben oder ob er für die Taten ein Alibi hat, sie weiß nur das es genügend Beweise sein müssen, um ihn hier festzuhalten zu können. Über seine Persönlichkeit besitzt sie zwar ein schärferes Bild, aber das scheint mit Sekunde von Sekunde unschärfer zu werden und ihr aus den Fingern zu gleiten.
„Wieso bleibst du dann so ruhig, wenn du hier zu Unrecht sitzt?″, fragt sie statt seine Frage zu beantworten, dabei sieht sie Harvey fest in seine grauen Augen, die sie auf eine komische Art und Weise zu beruhigen scheinen, als würde sie in einen Sturm blicken, der langsam abflacht und nichts als den Geruch nach nassem Grass und Stille hinterlässt.
„Weil ich weiß, dass ich nichts zu befürchten hab. Mir wird zwar Lebenszeit geraubt, was wirklich ärgerlich ist, aber diese will ich dann wenigstens so angenehm wie möglich verbringen.″
„Du hast also noch nie einen Menschen getötet?″
„Natürlich nicht."
„Auch noch nie einen Menschen schwerwiegend verletzt?"
„Nicht schwerwiegend, nein. Ich hatte mehrere körperliche Auseinandersetzung, allerdings wurde bei keiner jemand ernsthaft verletzt."
Er klingt so aufrichtig und anders als gestern, dass Hazel gar nicht weiß wie sie reagieren oder allgemein mit ihm umgehen soll. Sein Blick liegt währenddessen auf ihr, fährt über ihr leicht rundliches Gesicht, ihr Schlüsselbein bis runter zu ihrer Taille. Er mag ihre Bewegungen, die so leicht und graziös wirken, dass sie fast schon tänzerisch aussehen. Den Klang ihrer Stimme, das melodische und sanfte in ihren Worten, das so viel wichtiger als der Sinn ihrer Sätze sind, aber er mag sie nicht. Sie ist anstrengend für ihn, die ständige Fragerei und die scheinbar nicht still bare Neugierde treiben ihn zur Weißglut.
„Lassen wir es gut sein für heute, bis Morgen.", spricht Hazel, bevor sie ihr Notizbuch in ihre Tasche steckt, mit Harveys durchdringen Blick auf ihre Hand, der bei der Beobachtung die Bildung eines süffisanten Lächelns auf seinen Lippen nicht verhindern kann.

Die Haustür ist abgeschlossen als sie Nachhause kommt, was sie erleichtert aufatmen lässt, so sehr das ihr fast die Tasche von ihrer Schulter rutscht. Noch immer denkt sie über das Gespräch nach und darüber wie sie weiter vorgehen soll, ob das heute ein geglückter oder verunglückter Versuch war Harvey Bund auf seiner Reserve zu locken. Das Radio fängt an zu rauschen als sie ihren Teller auf den Holztisch abstellt, ihren Blick Richtung Fenster und der belebten Straßen. Seufzend steht sie auf, beendet das Rauschen und macht stattdessen den Fernseher an, schaltet auf den Nachrichtensender um und setzt sich wieder auf den schwarzen Stuhl.
„In Los Angeles wurde vor zwei Stunden die Leiche der als vermisst geltende Emma Buk gefunden. Ihre Eltern haben vergangenen Abend eine Vermisstenanzeige aufgegeben, da ihre Tochter nicht nach Hause gekommen ist. Um siebzehn Uhr wurden der Körper der Studentin gefunden, die Tatortspuren ähneln den Morden der Mordreihe in Kalifornien, allerdings wurde für diese der Verdächtige Harvey Bund festgenommen. Die Polizei hat sich noch nicht zur Tat geäußert, ob der Serienmörder noch frei herumläuft oder hinter Gittern sitzt und einen Nachahmer hat, ist abzuwarten...″


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