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[ Es würde mich sehr freuen, wenn ihr eure Meinung bis zum bisherigen Ablauf der Geschichte und/oder Verbesserungsvorschläge äußern würdet. Auch über Unterstützung jeglicher Art (Voten, Leseliste) würde ich mich freuen :) ]

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Tick, steht in großen und hellen Buchstaben auf dem dunkeln Stoff, der das Licht um sich herum aufzusaugen scheint. Der letzte Buchstabe, das K, leuchtet anders als die anderen Buchstaben in dunkelrot und kursiv. Dass das K für Kurt steht, weiß dabei niemand außer Harvey, der wie alle anderen auf dem Platz steht und die im Wind wehenden Tücher anstarrt.

Unter den  Buchstaben prangt ein maskenverdecktes Gesicht, dessen Züge und Augen kaum zu erkennen sind. Josephine neben ihn filmt das Ganze. Harveys Gedanken kreisen um Hazel und seine Entscheidung die Rede zu halten, statt sie selbst zu suchen. Die Zweifel, ob er die richtige Entscheidung gefällt hat, haben schon längst ihre Samen gesät und ihre Wurzeln ausgebreitet. Ein Gedanke der ihm zusätzlich zu der schwülen Abendluft den Schweiß auf die Stirn treibt. „Ich suche Hazel, bleib mit Josephine und den anderen hier.″ Nathan nickt ihm zu, bevor Harvey zwei der maskierten Männern deutet ihm zu folgen. Auch wenn er unruhig ist, darf er sich keine Fehler oder voreiligen Entscheidungen erlauben. Die Menschenmenge ist noch zu sehr von den Fahnen abgelenkt, um sein Verschwinden zu bemerken. Nur langsam kommen sie voran, müssen sich ihren Weg durch die verteilten Gruppen suchen, die auf dem Platz stehen. Hoffentlich kommt er nicht zu spät.

Runas Augen sind vor Schock geweitet, als sie den Kampf vor sich sieht, der sich um die große, schlanke Frau in seiner Mitte dreht, Hazel. Sie scheint nicht viel von dem Schlagaustausch um sich herum mitzubekommen als sie benommen nach vorne torkelt und auf die Knie fällt. Geschossen wird nicht, was Runa wundert, da es bei dem Kampf und mehr als Hazel zu gehen scheint. Die zwei Männer, die Runa begleitet haben, zücken dafür ihre Waffe und zielen auf die Angreifer. Sechs der Männer sind auf ihrer Seite, zumindest sagt, dass die Maske, die sie tragen, die anderen Vier sind unmaskiert. Das Feuer geht los bevor Runa oder Hazel, die sich seit dem Fall auf dem Boden nicht mehr gerührt hat, etwas sagen können. Dass es keine tödlichen Patronen sind, hört Runa an dem Pfeifen, das sie ausstoßen. Die vier Männer gehen bewusstlos statt tot zu Boden und werden sich bei ihrem Erwachen, weder an den Ort noch an die Geschehnisse erinnern können. Runa ist als Erste bei Hazel, greift um ihre Hüfte und zieht sie nach oben, als sie versucht sich mit wackligen Beinen aufzurichten. Erst als Hazel ihr Gesicht sieht, weicht die Panik aus ihrem Blick. „Bist du verletzt?″, fragt Runa, während sie Hazel stützt. „Am Kopf, aber es ist nichts gebrochen. Der Balkon ist eingestürzt, Luna ist noch in dem Gebäude.″ Sie muss husten, nachdem sie die Wörter ausgesprochen hat, ihre Kehle fühlt sich trocken und so rau wie Schleifpapier an. „Ja du blutest am Kopf, aber nicht stark. Wir müssen die Wunde nachher verarzten. Kannst du alleine laufen?″ Vorsichtig lässt Runa ihrem Arm los, um sie selbst einen Schritt machen zu lassen. „Ja, ich will nur weg von hier.″ Lunas schwarze Haare erscheinen in ihrem Sichtfeld.

Der Schreck ist ihr noch immer ins Gesicht geschrieben, aber anders als Hazel und Runa hat sie die aufrechte Haltung und den entschlossenen Ausdruck wieder aufgesetzt. Runa spürt das Zittern von Hazels Beinen als sie sich gemeinsam den Weg aus der Gasse bahnen, vorne die Waffenträger und Runas Begleiter und hinter ihnen Luna. Die Sonne steht so tief, dass sie die Augen zusammenkneifen muss, als sie wieder auf dem Hauptweg kommen. Es schmerzt Runa noch immer, dass Josephine nicht mitgekommen ist, sondern lieber auf dem Platz geblieben ist.

Überraschen tut es sie allerdings nicht. Der Druck an ihrem Arm nimmt zu, als die Menschentraube in ihr Sichtfeld auftaucht, wo von ein Mensch zielstrebig auf sie zuläuft. Harvey. Erkennen tut Runa ihn an seinen Haaren und der Art seine Arme vor und zurückzuschwingen in einem zu starren Takt. Ihr zweiter Blick fällt auf die Menschen, die ihm folgen, einen nach dem anderen sieht sie an, bis sie sich sicher ist, dass Josephine nicht dabei ist. Der Lärmpegel ist gesunken, nur noch vereinzelt sind Stimmen und Rufe zu hören oder das Klirren von Metall.

Harvey hat sie schnell erreicht, die Maske noch immer im Gesicht und das Haar wirr durcheinander. Wild und in alle Richtungen stehen sie von seinem Kopf ab, als wäre er von einem Blitz getroffen worden. „Ist sie schwer verletzt?″ Dass die Frage an Runa gestellt ist, bemerkt sie erst als niemand anderes das Wort ergreift und nicht nur Harveys Blick auf ihr liegt. „Schwer nicht, sie blutet leicht am Kopf. Es ist aber nichts gebrochen.″ „Dann beeilt euch, wir müssen los bis weitere Helikopter eintreffen", antwortet er und deutet den vorderen Maskenträgern den Weg Richtung Nathans Auto. Hazel bekommt von den Worten nichts mit, ihr Kopf schmerzt und immer wieder wankt sie nach links oder rechts, weil der Boden Wellen zu schlagen scheint.
Erst als die Autotür hinter ihr zufällt und sich der Wagen in Bewegung setzt, kommt wieder Leben in Hazels Körper. Ihre Schulter hängen nicht mehr ganz so schlaff herunter und als Runa ihr eine Flasche Wasser reicht, fängt sie an in kleinen Schlücken zu trinken. „Was ist passiert?″, aus ihrer Position kann Hazel Josephine nicht sehen, selbst als versucht ihren Kopf nach rechts zu drehen. Luna antwortet für sie, die langen schwarzen Haare scheint sie sich am Anfang der Autofahrt zurückgebunden zu haben. Das sonst makellose Make-up hat angefangen zu bröckeln und der Schweiß auf ihrer Stirn hat einen fettigen Glanz hinterlassen. Sie alle sehen schrecklich aus.

Selbst Harvey und Nathan konnte der Sieg nicht die Erschöpfung und Anstrengung aus dem Gesicht wischen. Häuser und Straßen, aus denen lauter, fremd Klingender Gesang klingt und bunte Lichter, die hoch über den Straßen hängen, rauschen an ihnen vorbei. „Wo fahren wir hin?″ „Zu unserer Unterkunft, am Rand der Stadt.″, Nathan ist der, der ihr antwortet. Das blonde Haar fällt ihm anders als Harvey, der seit Beginn der Fahrt abwesend aus dem Fenster starrt, nicht andauernd ins Gesicht. Während Nathan ruhig in seinem Sitz sitzt, das Gesicht und den Körper entspannt und kontrolliert, wippt Harvey auf und ab. Sein Beine und seine Finger scheinen nicht einen Moment ruhig bleiben zu können, als würde er befürchten der Motor würde nicht mehr anspringen, wenn er einmal aus ist. „Wir müssen besser aufpassen, dass niemand dein Gesicht sieht. Das würde uns zu angreifbar machen.″, Harveys Stimme lässt sie beinahe zusammenzucken. „Uns? Ich bin kein Teil von all dem.″ Sein Blick fokussiert sie, war er gerade noch abwesend, scheint seine Anwesenheit sie jetzt zu ersticken. „Man kann sich nicht immer aussuchen, ob man Teil von etwas ist, manchmal ist man einfach zur falschen Zeit am falschen Ort.″

Damit ist ihr Gespräch vorerst beendet. Hazel beißt sich auf die Zunge, während sie aus dem Fenster starrt und der Wagen über die unebenen Straßen rollt. Der Schmerz hat nachgelassen, nur die Erschöpfung wird mit jeder Minute in dem Auto schlimmer. Leise Musik tönt aus dem Radio, den Text kann Hazel nicht verstehen, aber die Melodie kommt ihr bekannt vor. Sie schließt die Augen, bekommt die Unterhaltung der Anderen nicht mehr mit. Josephine hingegen scheint noch immer unter Strom zu stehen, lässt ihr Handy kein Moment aus dem Auge und überprüft jede Sekunde das Hochladen des letzten Videos. Das Tempo des Autos nimmt zu, die Straßen werden breiter und die Abstände zwischen den Häusern weiter, bis der Wagen stoppt. Vor ihnen steht eine alte Lagerhalle, der Größe und der heruntergekommenen Fassade nach zu urteilen, ein schon älteres Modell. Das Dach ist schon halb zugewachsen, Efeu und anderes Grünzeug schlängelt sich die Wände herab und verdecken die dreckige Fassade, die einst im reinen Weiß gestrahlt hat. Der Boden ist staubtrocken und das Gras schon mehr gelb und hart statt grün und weich.

Hazel atmet tief ein, als sie wieder im Freien steht, nichts ist schlimmer als stickige Autoluft. Nathan hat den Schlüssel für die riesige Eisentür, die an den Seiten schon angefangen hat zu rosten und sich nur noch schlecht öffnen lässt. Sie werden in der Halle bereits erwartet, ein kleinerer Mann, mit Brille und schwarzen, dichtem Haar läuft auf Nathan zu, der sich die Maske vom Gesicht zieht. „Es ist alles vorbereitet. Bis jetzt sind keine Drohnen oder Helikopter hier vorbeigeflogen, aber ich werde den Wagen trotzdem wegfahren.″ „Danke Liam.″, erwidert Nathan, während er seine Tasche abstellt. Die Lagerhalle ist vollbepackt mit tiefen und simplen Betten, Tischen mit Computern und einem riesigen Projektor, der ein Video an die hohe weiße Wand vor ihr wirft. Ein Helikopterabsturz ist zu sehen. Die Bilder erschrecken Hazel, weshalb sie sich schnell wieder abwendet und Ticks Mitglieder im Blick behält. „Wir werden erstmal hier bleiben, bis zum nächsten Aufstand. Die Regierung wird uns hier nicht finden, zumindest lange genug nicht.″

Harvey steht neben ihr, die Haare kleben ihm im Gesicht und sein schwarzes Shirt gleicht durch den vielem Staub einem verwaschenen Grau. Runa steht gleich hinter ihm und teilt die fehlende Begeisterung, die auf Harveys Worte folgt. Fassungslos schüttelt sie ihren verschwitzten Kopf und beißt sich auf die Zunge, vor aufkommender Missgunst. Es ist zum Verzweifeln. „Wie lange verschanzen wir uns hier?″ „Wahrscheinlich eine Woche. Es wird dauern den nächsten Aufstand zu organisieren", antwortet Nathan, der sich neben Harvey gestellt hat. ″Bis dahin müssen wir nichts tun außer die Füße still halten.″

Das ist der letzte Satz den die Vier wechseln, bevor Nathan und Harvey sie alleine lassen. Hazel begutachtet vorsichtig ihren Arm, der von Schürfwunden und blauen Flecken übersät ist. Ihr wird schummrig bei dem Anblick von Blut, weshalb sie ihren Arm schnell wieder senkt. „Die sind verrückt, wir sollten abhauen, sie an die Regierung verraten.″ Sie sieht nach links, wo Runa sich auf den kalten Steinboden gesetzt hat und ihre schmutzigen Handinnenflächen anstarrt. „Die Regierung würde uns nicht am Leben lassen, die haben Leute schon für deutlich weniger verschwinden lassen.″ „Besser als bei diesen Psychos zu bleiben, findest du nicht? Selbst Josephine ist durchgedreht, die sind alle besessen von diesem Virus.″ Runas Stirn hat sich in Falten gelegt während sie redet. „Wir hängen zu tief drinnen um jetzt abzuhauen. Es wäre das Beste ein Verhältnis zu Harvey und Nathan aufzubauen, statt uns gegen sie zu stellen. Nur so kommen wir an sie ran und können das Schlimmste verhindern. Sie müssen uns vertrauen, damit wir sie verraten können.″, Hazel senkt ihre Stimme während sie spricht, als sie Josephines und Lunas Stimmen hört. Runa sieht sie nachdenklich an, bevor sie sich die rostroten Haare aus dem Gesicht streicht und ihre Beine überschlägt. Josephine und Luna setzen sich zu ihnen, trotzdem heben beide nicht den Blick.

Es kommt ihr nicht mehr so vor, als hätte sie eine Freundin vor ihr, wenn sie die Frau, mit den kurzen Haaren und den ihr so vertrauten, katzenartigen Augen ansieht. „Hast du noch Schmerzen?″, fragt Josephine, während sie sich eine Zigarette anzündet, die sofort den stinkenden und ätzenden Rauch ausstößt, der Hazel schon immer angeekelt hat. „Nein, es geht. Was ist auf dem Platz passiert?″ Der Rauch quillt ihr aus der Nase, als sie sich mit einem Arm hinter sich abstützt und den Kopf in den Nacken nimmt. „Die Regierung hat Helikopter geschickt, aber alle drei sind abgekratzt. Harvey hat danach noch gesprochen, der Menge hat es gefallen, zumindestens hat jeder uns zugerufen. Ich hab Videos von allem gedreht, wenn diese genügend Leute erreichen sammeln, wird der nächste Aufstand noch besser." Dazu sagt Hazel nichts, starrt nur den Rauch an, der langsam nach oben steigt, und sich ganz oben, unter der hohen Decke sammelt.

Ihr Oberteil klebt an ihrer Haut als sich auf eines der Betten setzt, die Augen schließt und nur ihrem Atem, statt Josephine und Lunas Stimmen, lauscht. Der Stress scheint sie ausgemürbt zu haben. Ihre Beine fühlen sich an wie Blei und ihre Rippen ziehen unangenehm bei jedem Atemzug. Sie kann den Rauch von Josephines dritten oder vierten Zigarette schmecken als sie sich zur Seite dreht und eine ihrer Hände unter ihren Kopf schiebt. Wirre Bilder schleichen sich durch ihre Träume, mal grell und bunt, mal bleich und blass und selten farblos und kalt. Die Stimmen sind ihr nicht unbekannt, aber die Worte, die sie sagen, kann sie nicht verstehen. Der Traum fühlt sich zäh an, fast schon anstrengend, als würde sie versuchen vor den Bildern und Stimmen davonzulaufen, die durch ihr Unterbewusstsein irren. Es kommt ihr vor als hätte der Alptraum kein Ende und würde sich mit der Realität vermischen, bis sich alles dreht und ihre Handinnenflächen schwitzig werden.

Ihr Herz überschlägt sich fast, als die Bilder immer näherzukommen scheinen, bis sie Hazel in eine Ecke gedrängt haben und sie zu erdrücken versuchen. Dann steht das Karussell an Farben und Formen still und zeigt ein klares Bild. Eine Maske.

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