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Das reinste Chaos ist um Harvey ausgebrochen, Schüsse und Schreie hängen in der Luft, als er sich weiter nach vorne kämpft. Das nicht alles nach Plan laufen würde, war klar, aber ganz so aus dem Ruder laufen sollte es nicht. Die Helikopter kreisen noch immer in der Luft, schießen auf die Menge nieder und lauern wie Geier, über ihre Beute in der Luft. Er ist angespannt, genau wie Josephine und Runa die ihm durch die zertrennte Menge folgen. Ihre Fahrer schließen sich Harvey an, laufen im Gleichschritt neben ihn her, ihr Gesichter hinter Masken versteckt. „Wir bekommen die Helikopter nicht unter Kontrolle.″ Er wirft einen weiteren Blick nach oben, drei der Metallmonster schweben am Himmel und vernichten alles was sich unter ihnen bewegt.

Weitere Maskengesichter schießen bereits auf sie, aber treffen nicht, da der Abstand zu groß ist. In den Helikoptern sitzen keine echten Menschen, stattdessen sind sie mit Sensoren und Kameras ausgestattet, die jeden Zentimeter im Blick haben. „Wir versuchen es von den Dächern", sagt Harvey und dreht sich um. Josephine und Runa haben sich Masken über ihr Gesicht gezogen, die bis zu ihren Nasenrücken reichen und dasselbe Zeichen tragen, dass auf Harveys Maske zu finden ist. Viele auf dem Platz tragen es, zeigen damit ihre Zustimmung für den Tumult, der auf den Platz ausgebrochen ist. Menschen werden zur Seite gestoßen, Schüsse fallen, Schreie schrillen durch die Luft und jede Rücksicht ist der Panik gewichen. „Hazel und Luna verstecken sich in den Seitengassen, bring sie zur Brücke.″ Der Mann nickt, bevor er sich die Maske tiefer ins Gesicht zieht und losläuft. Harvey sieht ihn hinterher, bis er im Rauch verschwindet und Josephines Stimme ihn aus seiner Starre reißt.

„Was sollen wir machen?″
„Hier warten, bis ihr auf Nathan trefft.″
Runa, die den Namen das erste Mal hört, sieht noch verwirrter und fehl am Platz aus als zuvor. Dafür strafft Josephine ihre Schulter und kneift die Augen zusammen, um die Unsicherheit, die tief in ihren Inneren ruht, zu verstecken. „Pass auf dich auf", sind die letzten Worte, die Harvey von ihr hört, bevor er sie verlässt und in Mitten des Platzes stehen lässt.
Die Tür zum Treppenhaus steht bereits offen und gewährt einen Blick auf die abgenutzte Treppe, die aufs Dach führt. Ihm folgen drei Anhänger Ticks, der erste groß, der zweite eher hager und der dritte um einiges stämmiger als er selbst. Würden sie nicht dasselbe Symbol tragen, hätten sie keine einzige Gemeinsamkeit.
Harveys Atem ist unregelmäßig als sie auf dem Häuserdach ankommen, dass so weit nach vorne ragt, dass der Platz unter ihnen nur am Rand des Daches zu sehen ist. Die Sonne hat ihren höchsten Stand erreicht und brennt auf sie herab, als würde sie alles Leben vernichten wollen, dass Fuß auf der Erde gefasst hat. Harvey duckt sich als er auf den Rand der Überdachung zuläuft. Wenn sie die Helikopter entdecken würden sie ein schmerzvolles Ende erleiden. Kurz verharrt er, nachdem die ersten Schritte getan sind und starrt nach oben. Einer der drei Helikopter fliegt eine Kurve und verharrt nur noch Meter vor ihnen in der Luft. Harvey hält seinen Atem an als er tiefer in die Hocke geht, um den Sensoren und Kameras zu entgehen, die in seine Richtung ausgestellt sind. Es ist totenstill, während die Vier auf den Boden sitzen und die Gefahr vor ihnen ausharren. Seine Beine fangen unter seinem Gewicht leicht zu zittern an, weshalb Harvey sich mit einer Hand festhält. Das Warten ist unerträglich. Die Anspannung fällt erst von ihnen ab als der Helikopter wieder abdreht und sich um einige Meter entfernt. „Jetzt!″, ruft Harvey und überwindet die letzten Schritte bis zum Dachrand.

Wieder geht er in die Hocke, hält sich aber dieses Mal nicht mit seiner rechten Hand fest, sondern greift nach seine Waffe und zieht sie aus seiner Jackentasche heraus. Die drei Männer positionieren sich neben sie. „Noch nicht schießen, wir müssen warten bis einer der Helikopter zu uns abdreht.″ Der Größte von den Drei nickt Harvey zu, bevor er seine Waffe entlädt und einer der drei Helikopter versiert. Sie müssen alle drei Helikopter treffen, bevor sie die vier töten können. Der Schweiß steht Harvey auf der Stirn, die Geräusche und Stimmen auf den Platz trägt der Wind bis aufs Dach und verwandelt sie in ein unheilvolles Summen. Die Luft auf dem Dach ist dick und träge, es fühlt sich an als hätte jemand einen schweren Schleier über die vier gelegt, der ihre Schultern mit jeder Minute mehr nach unten drückt. Die Helikopter stehen in der Luft, während sie auf die Menge unter ihnen schießen. Das Hazel in den Seitengassen wartet beunruhigt Harvey, wenn sie den falschen Leuten in die Hände fällt würde es gefährlich für ihn werden. Ihm gehen viele Gedanken durch den Kopf, während sie die Metallvögel vor ihnen beobachten und warten.

Harvey erstarrt als sich plötzlich einer der Drei bewegt, erst scheint es als würde er in die andere Richtung fliegen, bis er abdreht und direkt auf das Dach zufliegt. „Wartet", sagt Harvey und legt seine Hand auf den Auslöser seiner Waffe. „Erst wenn er ein paar Meter entfernt ist.″ „Das ist zu knapp, dann stürzt er auf uns", empört sich der Magere der Drei. „Er wird nicht uns treffen, sondern den Helikopter hinter sich.″ Ein Grinsen schleicht sich auf sein Gesicht, so klein, dass es auch Einbildung sein könnte, aber so groß, dass Harvey die Freude durch seinen Körper fließen spüren kann. Seine auf der Waffe ruhende Hand ist ruhig, kein Finger rührt sich. Das metallene Monster kommt näher, streckt die Krallen nach ihnen aus, um sie in seinen gewaltigen Pranken zu zerquetschen.

Nur noch ein paar Sekunden. Die Metallnase leuchtet in dunklem Schwarz. „Jetzt.″ Harvey ist der Erste, der auf den Auslöser seiner Waffe drückt und den Einschlag seiner Kugel beobachtet. Millisekunden später treffen auch die anderen Kugeln auf den Helikopter. Sofort wird der Abwehrmechanismus des Metallvogels ausgelöst, allerdings treffen die Kugeln Harvey und die anderen Drei nicht. Dafür ist der Helikopter zu sehr ins Schwanken geraten und sackt zur Seite ab.

Der Computer schafft es nicht, den Helikopter wieder in seine Ausgangslage zu versetzten, stattdessen dreht sich der Helikopter vollständig. Die Kugeln prasseln jetzt nicht mehr auf das leere Gebäude ein, sondern auf einen der anderen zwei Metallvögel. Ein schauderhaftes Geräusch entsteht, als die Kugeln auf den Helikopter einprasseln und sich in das schwarze Metall bohren. Der dritte Helikopter, der am weitesten vom Dach entfernt ist, dreht ab und rast mit hoher Geschwindigkeit auf Harvey und die Anderen zu. Es sind nur wenige Zentimeter, die den Sieg entscheiden. Der zweite Metallvogel, fängt an sich zu drehen und verliert sein Gleichgewicht, weshalb er in der Luft zu schlittern beginnt. Der dritte Helikopter versucht langsamer zu werden und nach oben zu ziehen, um den tödlichen Motorblättern des rotierenden zu entkommen. Ein ohrenbetäubendes Scheppern ist zu hören als beide Helikopter aufeinandertreffen. Die Explosion löst eine Hitzewelle aus, die über Harvey und die anderen Drei hinwegfegt. Er muss die Augen zusammenkneifen um in die grellen Flammen sehen zu können, die sich entlang des Himmels strecken. Die schwarzen Überreste fliegen durch die Luft, bis die Schwerkraft sie packt und nach unten zieht. Der erste Helikopter stürzt ungebremst auf den Platz wieder und erschüttert mit seinem Aufprall das Gebäude, auf den die Vier stehen. Schreie beginnen und enden mit den Einschlag, der ein zweites Feuer auslöst, dessen Feuerzungen sich Richtung Sonne strecken. Der Knall ist genauso laut und schrill wie der Erste, kommt aber nicht ganz bei Harvey an, da seine Ohren noch mit der ersten Explosion kämpfen.

Das schrille Piepsen in seinem Ohr klingt langsam ab, während er auf die Reste der Schlacht starrt. Die schwarzen Metallreste sind über den ganzen Platz verteilt, brennen und knistern im Sonnenlicht und hüllen alles in dichten, stinkenden Rauch ein, der in der Lunge brennt. Die Kämpfe zwischen Masken- und Uniformträgern wurden unterbrochen, viel zu sehr sind alle beschäftigt in das Feuer zu starren, das auf dem Platz vor sich hin wütet.
Harveys Finger greifen in den weichen Stoff seiner Maske, um sie von seinem verschwitzten Gesicht zu ziehen. Er überwindet er die letzten Schritte zum Rand des Daches und starrt nach unten, sieht wie sich die Blicke von dem Feuer abwenden und auf ihn richten. Die Menge starrt zu ihm nach oben, kein Schuss oder Schrei ist mehr zu hören, während die Aufmerksamkeit auf Harvey liegt. Ein letztes Mal sieht er in die ratlosen Gesichter, genießt die Kontrolle über den Moment, bevor er seine Hand mit der Maske in die Luft streckt. Seine drei Helfer, sortiert nach Größe, tun es ihm gleich und ziehen sich die Masken von den rot angelaufenen Gesichtern.

Es dauert einen Moment, bis die Menge regiert, aber dann bricht das Aus auf das Harvey monatelang hingearbeitet hat. Begeisterung und Hoffnung. Seine Geste findet Anhang und langsam fangen die Menschen unter ihn an ihn zu erkennen. Seine Augen fangen an zu glitzern, während er den Moment in sich aufsaugt. Lange kann er es allerdings nicht genießen, dafür ist die Zeit zu knapp. „Wir müssen wieder runter", sagt Harvey, bevor er sich umdreht und mit großen Schritten auf das Treppenhaus zuschreitet. Hazel finden ist jetzt seine oberste Priorität, wenn ihm dabei jemand sofort kommt wäre alles umsonst.

Hastig öffnet er die Tür und sieht sich um, bevor er nach links läuft, wo Josephine und Runa auf ihn warten. Es wäre nicht leicht gewesen sie zu finden, würde nicht Nathans Auto und sein Gefolge neben den Beiden stehen. Harvey hält sich nicht lange damit auf seinen Partner zu begrüßen, sondern stellt direkt die Frage, die ihm auf der Zunge liegt. „Wo ist Hazel?″
„Sie suchen noch nach ihr", antwortet Josephine, die sich zwischen Nathan und Runa gestellt hat. „Es ist alles unter Kontrolle, sie müssten sie gleich herbringen", wirft Nathan in ihren Wortwechsel mit ein und beobachtet dabei den Platz hinter Harvey. Die hellen Haare zurückgekämmt und den Körper in abgetragener Kleidung gehüllt, sieht er genauso aus wie bei ihrer letzten Begegnung. Nur Nathans Körperhaltung scheint angespannter als sonst, die Haut blasser und die Augen stumpfer.

Es fällt nicht auf in der fahlen Umgebung, es könnte genauso gut der Schleier des Rauches sein, der alles grauer und glanzloser aussehen lässt. Die kleinen Steine und Scherben auf dem grauen Asphalt bohren sich in Harveys Schuhsohlen. Er läuft an der Gruppe vorbei, wird aber am Arm festgehalten als er zu den Gassen abbiegen will. „Es ist zu gefährlich für Einzelversuche, wir warten hier.″ Beruhigend legt Nathan seinen Arm auf Harveys Schulter, hält den verwirrten, beinahe wirren Blick stand, der aus seinem hellen Gesicht blitzt. „Wenn wir sie verlieren, war alles umsonst Nathan.″ Seine blonden Haare fallen ihm ins Gesicht, während Nathan seinen Kopf schüttelt. Harvey muss sich anstrengen um seine nächsten Worte, trotz des Lärms um ihn zu verstehen. „Ich hab unsere Leute zu ihr geschickt, sie müssten gleich wieder hier sein.″

Runa schluckt, ihr ist nicht Wohl bei dem Gedanken, dass Hazel und Luna in Gefahr sein könnten. Die Luft flimmert vor ihren Augen, einzelne, brennende Fetzen fallen vor ihren Füßen auf den Asphalt und erinnern sie an ein unheilvolles Konfetti. Josephine neben ihr scheint gelassen zu sein, das ist sie immer in der Nähe von Harvey. Ein Name der einen bitteren Nachgeschmack in Runas Mund hinterlässt, den sie mit keiner Ablenkung dieser Welt, hinunterspülen kann. Sie weiß nicht mehr den Zeitpunkt, an dem sie ihre Freundin an den Wahnsinn, den Harvey ihr ins Gehirn gepflanzt hat, verloren hat. Wie Unkraut hat er sich ausgebreitet, jede Vernunft und schöne Erinnerungen nach hinten gedrängt, bis Josephine selbst Hazel mit auf das sinkende Schiff geschleppt hat. Sie hätte sich nicht in all das hereinziehen lassen dürfen, denkt Runa, aber zu groß war die Sorge und das Mitleid für Hazel, die sie zu dem Zeitpunkt noch gar nicht hatte. Es ist ein schreckliches Gefühl zu wissen, dass das Chaos vor ihren Augen nicht ansatzweise das Schrecklichste sein wird, was sie in der nächsten Zeit zu Gesicht bekommen wird. Verzweiflung und Angst, breitet sich in Runas inneren aus, als sie auf einen Punkt vor ihr starrt, um die Schreie aus ihrem Kopf zu bekommen.

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