Seelenverwandtschaft (Oneshot 8.2)

Schweigend laufen wir die Strecke und und auch im Café sagen wir zunächst nicht. Das ich Smalltalk nicht mag liegt halt einfach daran, dass ich es absolut nicht kann. Nachdem wir bestellt haben, er einen Kaffee und ich eine heiße Schokolade, schmeißt er die Tischdeko um und greift nach dem Zuckerstreuer. Erst als sein Tourette androht diesen über dem Tisch auszuschütten, wird mir klar, dass das nicht seine eigenen Taten sind und ich versuche einzugreifen. „Das wäre aber keine gute Idee", erwidere ich und möchte ihm den Zuckerstreuer aus der Hand nehmen. Wir kämpfen kurz um den kleinen Gegenstand, bevor ich ihn plötzlich in der Hand halte und außerhalb seines Sichtfeldes deponiere.

„Es ist selten, dass jemand so wenig Fragen stellt und trotzdem so schnell und so gut mit meinem Tourette umgehen kann.", gibt er anschließend zu. Ich weiß nicht was ich darauf antworten soll. Irgendwie fühlt sich mein Verhalten ihm gegenüber völlig selbstverständlich an. Ich habe nicht das Gefühl extrem darauf zu achten was ich tue, sondern alles ist wie immer. Okay vielleicht lache ich etwas häufiger. „Normalerweise werde ich erstmal für verrückt gehalten und es dauert Ewigkeiten bis sie verstanden haben, dass es eine Krankheit ist. Und selbst dann wissen sie nicht, wie man mit mir umgehen sollte. Ich hab' kein Tourette, ich bin unfreundlich!" Wieder muss ich kurz grinsen. Der Spruch passt einfach perfekt. Er grinst zurück. „Wie heißt du eigentlich?", frage ich ihn dann. „Jan und mein Tourette heißt Gisela. Und du?" „Tim. Du hast deinem Tourette einen Namen geben?" „Ja, damit man besser unterscheiden kann, was ich und was mein Tourette gemach hat."

Er erzählt aus seinem Leben und all den witzigen und unangenehmen Situationen wegen seiner Krankheit. Mit der Zeit fällt mir auch kaum noch auf, wie oft er Gisela ihn eigentlich unterbricht, außer sie haut mal wieder einen ihrer besonders kreativen Sprüche raus. Dann müssen wir beide immer lachen und ich würde schon fast behaupten, dass ich seit langem mal wieder richtig Spaß habe.

Als wir das Café verlassen, ist bereits 16 Uhr durch. Ich bin überrascht, dass ich schon solange mit Jan Zieht verbringe und noch nicht das dringende Bedürfnis habe, wieder alleine sein zu wollen. „Wollen wir noch eine Runde spazieren gehen oder war es so schrecklich mich kennen zu lernen, dass du lieber heim willst?", fragt er mich lächelnd. „Nein, es war nicht schlimm.", gebe ich zu. „Ich habe immer recht!" „Nein, aber ich glaube, ich gehe jetzt trotzdem mal heim, sonst macht sich meine Mutter noch zu viele Hoffnungen, dass ich meine Seelenverwandte schon gefunden hätte." Leise lacht er bevor er vorschlägt: „Okay, ich komme noch ein Stück mit, dann habe ich noch ein bisschen etwas zu tun." So machen wir uns gemeinsam auf den Weg zu meinem Haus.

„Ich dachte eigentlich, dass du eine Freundin hast.", spreche ich den Gedanken aus der mir schon länger im Kopf umherschwirrt. „Wie kommst du darauf?" „Naja, ich habe dich schon mal gesehen, du bist ja nicht umbedingt unauffällig." „Das stimmt wohl" „Ja und da warst du Picknicken mit einer Frau.", erkläre ich. „Ja die Schlampe! Das war wahrscheinlich meine beste Freundin Sina. Ich stehe nicht auf Frauen." Das erklärt, warum er dachte, dass ich sein Seelenverwandter bin. „Ach so okay."

Vor dem Gartentor, du meinem Haus halte ich an. „Hier wohnst du also." „Ja... Ich würde jetzt mal rein gehen." Und öffne das Tor und trete durch. „Sollen wir vielleicht Nummern austauschen? Ich finde dich echt sympathisch und würde dich gerne mal wieder treffen.", fragt Jan plötzlich ziemlich schüchtern. Wortlos reiche ich ihm mein Smartphone, wo er daraufhin sofort seine Nummer eingibt. „Und wehe du schreibst mich nicht an. Dann bringe ich dich um!" „Ich schreibe dir schon." „Dann wünsche ich dir noch einen schönen Abend. Nein wünsche ich dir nicht!" „Ich grinse ihn noch mal an, bevor ich mich umdrehe und zum Haus gehe.

„Tim, wie war es? Es schien ja gut gelaufen zu sein, solange wie du weg warst." Tina kommt in den Flur. „Und du siehst glücklich aus. Du musst mir alles erzählen!", meint sie und zieht mich hinter sich her in das Wohnzimmer. „Mama! Ich habe sie nicht getroffen!", unterbreche ich sie. „Wie? Und was hast du dann solange gemacht?" „Sie war wieder nicht da und ich war nur zwei Minuten zu spät. Ich bin dann mit Jan, der auch von seinem Seelenverwandten versetzt worden ist, noch in ein Café eingeladen." „Das tut mir echt leid für dich, dass ihr euch immer verpasst, aber immerhin scheinst du trotzdem eine schöne Zeit gehabt zu haben." „Ja hatte ich und jetzt würde ich gerne wieder hoch gehen.", unterbinde ich weitere Fragen. „Ja mach das. Ich rufe dich wenn es Abendbrot gibt."

Ich schreibe weder die METHODE an, dass wir uns verpasst haben, noch Jan, weil ich nicht was ich schreiben soll. Irgendwie war die Zeit mit ihm ja schön, aber es verwirrt mich, dass ich bei ihm irgendwie so anders drauf bin.

Eine Woche später bekomme ich einen weiteren Brief. Diesmal aber endlich mit einer Handynummer. So können wir uns schon mal nicht verpassen, bloß habe ich jetzt auch keine Ausrede mehr, sie nicht zu treffen. Mein Smartphone verkündet mir eine neue Nachricht. Von Jan? Er hat doch gar nicht meine Nummer. Verwirrt öffne ich den Chat.

Hey, Seelenverwandter! Wie geht's?

Woher hat er meine Nummer und warum, glaubt er dass ich sein Seelenverwandter wäre. Das Thema hatten wir doch schon mal.

Ich habe dir schon mal gesagt, dass ich nicht ein Seelenverwandter bin!

Schreibe ich ihm schnell zurück.

Wir kennen uns doch nicht mal! Und deine Nummer steht in meinem Brief. Meine müsste dementsprechend bei dir drin stehen.

Hektisch reiße ich den Brief der METHODE auf und vergleiche die Nummern. Sie sind identisch. „Fuck!" Jetzt ist auch klar, warum wir uns immer getroffen habe. Aber das muss ein Fehler sein.

Das muss ein Fehler der METHODE sein. Wir sind nicht Seelenverwandte! Ich bin Tim.

Erkläre ich ihm.

Der Tim, der so grimmig schaut? Du hast mich gar nicht angeschrieben!

Er sieht echt nicht das Problem bei der ganzen Sache. Gut, er ist auch schwul.

Das hat sich jetzt ja auch erledigt. Aber es muss ein Fehler sein!

Stelle ich nochmal fest. Warum passiert so etwas immer mir?

Sollen wir uns vielleicht mal treffe und dann überlegen wir uns eine Lösung. Schreiben ist so kompliziert.

Okay

Wie wäre es heute Abend um 17 Uhr bei mir zuhause. Wir könnten gemeinsam etwas kochen. Ich schicke dir gleich meine Adresse.

Das wird aber kein Date! Damit das klar ist! Ich will nichts von dir.

Ja schon verstanden. Ich will ja nur nicht, dass wir verhungern.

Okay bis heute Abend.

Kurz vor 17 Uhr mache ich mich auf den Weg wohlwissend, dass ich zu spät kommen werde, aber das ist mir egal. Wobei irgendwie auch nicht, weil ich mich darauf freue, wieder ein paar Stunden unbeschwerter zu sein. Ein bisschen Spaß zu haben. Wir sind vielleicht keine Seelenverwandte, aber ich wäre schon irgendwie ganz gerne mit ihm befreundet. Und genau das überfordert mich, weil ich so einen Wunsch noch nie hatte. Normalerweise will ich immer lieber ganz schnell wieder alleine sein.

Ich laufe schneller als normal und komme etwas außer Atem bei ihm an. Ich klingle und er öffnet mir lächelnd die Tür. „Oh nein nicht der Spacko wieder!" , begrüßt mich auch sein Tourette und schlägt die Türe vor meiner Nase wieder zu. „Sorry", entschuldigt er sich und lässt mich eintreten. „Was hast du denn angestellt, dass du so außer Atem bist?" „Ich war etwas spät dran und musste mich dann etwas beeilen.", gebe ich zu.

Er dirigiert mich in den offene Küchenbereich. „Ich hoffe, du kannst kochen, weil ich es nicht kann und ungern verhungern würde. Ich vergifte dich!" Ich lasse mich auf einen Küchenhocker fallen. „Da muss ich dich wohl enttäuschen. Kochen kann ich absolut gar nicht." „Du kannst gar nichts! Na gut dann muss eben für uns herhalten." „Was soll es denn geben?", frage ich für meinen Geschmack viel zu offen. „Ich hätte Nudeln da und aus den Tomaten hier und der fertig Tomatensoße im Kühlschrank kann man bestimmt irgendwas zaubern. Ja und zwar eine riesengroße Sauerei!" „Ich hätte mir vielleicht nicht den weißen Pullover anziehen sollen.", meine ich lachend. „Ich kann dir gerne, was von mir anbieten. Aber das passt dem Fetti nicht!" „Hey, ich bin nicht fett!", beschwere ich mich. „Aber Sport ist auch nicht dein größter Freund...", ergänzt Jan. „Das war jetzt aber nicht dein Tourette?", frage ich ihn. Er grinst mich bloß frech an: „Wer weiß..."

Ich leihe mir dann tatsächlich ein T-Shirt von ihm aus und stehe noch in seinem Schlafzimmer, als er bereits wieder in der Küche ist. Ich verstehe mich selbst nicht mehr. Seit wann bin ich so offen und lache so viel? Irgendwas macht Jan mit mir, aber ich weiß noch nicht, ob es gut ist. Je offener ich werde, desto verletzlicher werde ich und ich kenne ihn ja kaum. Es fühlt sich zwar schon so an als würde wir uns schon länger kennen, aber faktisch ist es anders.

„Hast du dich jetzt schlafen gelegt oder warum brauchst du so lange?", reißt mich Jan aus den Gedanken. „Ich komme schon!" „Ja beeil dich mal, ich bekomme das alleine nicht hin."

Das Kochen ist die reinste Katastrophe. Mehrere Tomaten landen auf dem Boden statt im Topf und auf dem ausgeliehenen T-Shirt ist ein großer Fleck von Tomatensoße. Außerdem habe wir das Salz in den Nudeln vergessen und noch einige kleinere Probleme. Aber wir haben Spaß. So viel wie ich in der letzten Stunde gelacht habe, habe ich es wahrscheinlich die letzten fünf Jahre zusammen nicht gemacht. 

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Das wird wirklich viel zu lang... Aber es macht mir gerade so mega Spaß mal eine etwas andere Story zu schreiben und ich habe so viele Ideen... Euch stört es ja nicht 😂

Fortsetzungsideen gerne in die Kommentare

Liebe Grüße

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