Fliegen lernen (Oneshot 5.2)


Auf dem Weg zum Hotel merkte Jan natürlich, dass irgendwas absolut nicht mit ihm stimmte. So still und vor allem emotionslos hatte er ihn noch nie erlebt. Am liebsten hätte er ihn in den Arm genommen, aber sie saßen gerade in einem Taxi, wo das schwer möglich war. Stattdessen entschied er sich dazu, dass Thema sobald sie wieder unter sich waren anzusprechen und so lange ihm beruhigend über den Oberschenkel zu streichen. Jans Berührung lies in Tim für die Dauer eines Wimpernschlags den Überlebensmodus bröckeln und einige Bilder der vergangenen Stunden tauchten vor seinem inneren Auge auf. Aber irgendwie konnte er nichts davon wirklich einordnen. Auch einige Emotionen durchfluten seinen Körper, aber auch diese gaben ihm nur Rätsel auf.

Angekommen in ihrem Hotelzimmer setzte sich Tim erstmal auf die Bettkanten des Doppelbettes. Merklich fiel die Anspannung von ihm ab und bevor Jan irgendwas sagen konnte, fing Tim an zu weinen. Nicht nur einzelne Tränen, nein es entwickelte sich in einen regelrechten Heulkrampf. Er legte sich auf das Bett und klammerte sich an eines der Kopfkissen.

Fast wären wir abgestürzt. Fast hätten wir senkrecht auf das Meer aufgeschlagen. Fast wäre das Flugzeug beim Aufprall auseinander gerissen worden. Fast hätten wir diese Flug nicht überlebt. Fast wären wir jetzt nicht hier, dabei gibt es noch so viele Dinge die sagen und machen möchte.

Jan war von der Situation komplett überfordert. Natürlich hatte er Tim schon mal weinen gesehen und ihn auch schon mal getröstet, aber noch nie war es so schlimm gewesen. Der Anblick von Tim zerriss Jan das Herz, er konnte und wollte Tim nicht so sehen. Trotzdem, er musste sich jetzt zusammenreißen und für Tim da sein, was auch immer dieser gerade durchmachte. Er setzte sich also neben ihn und strich ihm etwas unbeholfen über den Rücken. „Alles ist gut", flüsterte gleichzeitig, aber so wirklich helfen schien es nicht.

Zwischen zwei Schluchzern dann, richtete sich Tim so weit auf, dass er Jan in das Bett drücken konnte, um sich anschließend an ihn zu kuscheln und ihn als lebendiges Kuscheltier zu benutzen. Jan nutzte die Gelegenheit und legte nun beide Arme um Tim und zog in damit noch fester an sich.

In Tim spielte sich der komplette Flug noch mal ab. Seine Angst schon zu Beginn des Fluges, Jan, der versucht hatte ihn zu beruhigen, die kleinen Turbulenzen, die immer schlimmer wurden, und dann der Absturz. Wie er sich bestätigt gefühlt hatte und gleichzeitig eine so große Angst gespürt hatte, wie er es noch nie erlebt hatte.

Die Angst um sein Leben. Eine Angst, die er nie wieder spüren wollte, floss jetzt wieder durch seinen Körper und brachte ihn zum Zittern.

Und die Angst um Jan. In einem Ausmaß, bei dem er nie gedacht hätte, dass man so viel Angst um eine Person haben könnte. Er klammerte sich fester an Jan, um sich zu vergewissern, dass dieser wirklich noch da war.

Jegliche Angst davor, wie Jan auf Annäherungsversuche reagieren könnte, schien plötzlich verflogen, was Tim mehr als verwirrte, auch wenn er in diesem Moment froh darüber war, sich nicht auch noch darüber Gedanken machen zu müssen. Er brauchte Jan in diesem Moment einfach als Fixpunkt, um zu wissen, wo die Realität zwischen seinen Erinnerungen und Ängsten war.

Wie vorhin während des Sturzfluges, zogen auch jetzt wieder die wichtigen Stationen seines Lebens an ihm vorbei. Dinge, die er schon halb vergessen hatte, weil sie so weit zurücklagen. Ab einem gewissen Punkt war so ziemlich jedes Erlebnis auch irgendwie mit Jan verbunden gewesen. Genauso wie vorhin, fingen jetzt auch wieder an die Bilder seltsamer zu werden. Wobei ,seltsam' wahrscheinlich das falsche Wort war. Im Flugzeug hatte Jan ihn exakt an dieser Stelle unterbrochen, doch jetzt lief der Film weiter. Tim wusste nicht warum diese Bilder ausgerechnet in einer solch entscheidenden Situation in seinen Kopf gekommen waren, denn er hätte sich nie an solche eigentlich belanglosen Situationen erinnert.

Bilder von Jan, wie er ihn anlächelte. Bilder von ihnen zusammen bei einem ihrer unzähligen gemeinsamen Lachflashs. Bilder von Jan, wie er ihn tröstete, als er mal geweint hatte. Bilder von Umarmungen und anderen innigen Berührungen. Jetzt, wo er Zeit hatte darüber nachzudenken, hielt er es fast schon für eines der Shipping-Edits, die er so häufig gesehen und denen er nie eine große Bedeutung geschenkt hatte. Aber nach diesem Flug, nach all dem, was passiert war, hatten diese Bilder plötzlich eine enorme Bedeutung für ihn. Und trotzdem fragte er sich warum, ausgerechnet, dass von seinem Gehirn als so wichtig erachtet wurde, dass es in seinem Lebensrückblick so einen großen Punkt einnahm. Natürlich war ihm Jan wichtig, aber sie waren auch beste Freunde, arbeiteten zusammen und verbrachten fast die ganze Zeit miteinander, da war das doch normal. Doch statt das einfach zu akzeptieren, brachte die Stimme in seinem Kopf ziemlich selbstbewusst der Verdacht, dass er auch tiefere Gefühle als nur Freundschaft für Jan empfinden könnte. Schnell versuchte er diese Stimme zum Schweigen zu bringen, aber sie beharrte auf ihrer Meinung, bis irgendwann doch verstummte. Generell hätte er ja kein Problem damit auf Männer zu stehen, aber ausgerechnet Jan? Er musste dieses dumme Hirngespinst möglichst bald loswerden, den selbst wenn es recht hätte, wäre das Chaos schon vorprogrammiert. Leise hörte er noch die Stimme sagen: „Nein, wäre es nicht", bevor er gedanklich wieder im Flugzeug saß und die nächste Heulattacke begann.

Tim erinnerte sich daran, dass Jan ihn unterbrochen hatte. „Tim!", hatte Jan gegen den Lärm angeschrien. Und langsam hatte er sich zu ihm gedreht. Verwirrt darüber, was Jan in dieser Situation noch von ihn wollte hatte er gefragt: „Was?"

Bevor wir sterben, muss ich dir noch was sagen: Ich liebe dich!

Bevor wir sterben, muss ich dir noch was sagen: Ich liebe dich!

Bevor wir sterben, muss ich dir noch was sagen: Ich liebe dich!

Der Satz tauchte plötzlich in seinem Kopf auf und erschrocken richtete er sich auf. Was hatte das zu bedeuten? Jan schaute ihn ebenso erschrocken und verwirrt an, da er keinen Schimmer hatte, was in Tim gefahren sein könnte. „Was ist los Tim?", fragte er ihn. „Du... also ich... ach, keine Ahnung... es ist grad alles zu viel... weißt du wir wären heute fast gestorben" „Ich weiß, aber sind wir nicht. Es ist alles gut gegangen." „Aber was wäre wenn es nicht gut gegangen wäre, wenn das Flugzeug sich nicht in letzten Sekunde gefangen hätte, wenn wir ins Meer gestürzt wäre.", brachte Tim unter erneuten Tränen hervor. Sanft zog Jan Tim wieder an sich. „Lass uns nicht über das ,was wäre wenn' nachdenken. Wie haben überlebt und das ist alles was zählt, okay? Ich wünschte du hättest es nicht überlebt, dann müsste ich jetzt nicht deine verheulte Fratze ertragen müssen!", meldete sich auch Gisela zum ersten mal wieder vokal. Jan spürte wie Tims Körper vibrierte und war erleichtert darüber, dass wenigstens sein Tourette Tim immer ein Lachen entlocken konnte.

Den ganzen Nachmittag lagen sie noch in ihrem Hotelzimmer. Sich gegenseitig festhaltend, versuchten sie zu begreifen und zu verarbeiten, was sie erlebt hatte.


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Ja, aus den geplanten zwei Teilen, wurden jetzt wohl doch drei, heißt es wird auf jeden Fall noch mal ein Fortsetzungskapitel geben, sofern ihr noch Interesse an dieser Geschichte habt.

Normalerweise gehe ich ja mit einem bestimmten Plan ans Schreiben oder habe schon eine Szene im Kopf auf die ich hinarbeiten möchte, bei diesem Oneshot war das jetzt überhaupt nicht so, was eventuell zu einem etwas chaotischem und verworrenem roten Faden geführt hat. 

Außerdem habe ich noch keine Idee wie ich am besten zu einem Happy End kommen soll, also schreibt mir gerne eure Vorschläge!! (Ich danke schon mal im Voraus)

Liebe Grüße 

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