Buch der Gefühle (Oneshot 11.1)
Nach einer halben Ewigkeit kommt von mir auch mal wieder was. Ich hab auch noch drei weitere Oneshots in Arbeit, aber irgendwie lösche ich sie immer bevor ich sie veröffentlichen, weil ich sie nicht gut finde.
Motivation heute waren irgendwie die Kommentare von fox_lost ...
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Müde stütze ich meinen Kopf auf meiner Hand ab. Das kleine Licht meiner Schreibtischlampe erhellt den voll gekritzelten Notizblock vor mir, während ich wahllos kleine Kreise auf das Karo-Blatt kritzle. Seit Stunden läuft nun schon die gleiche traurige Playlist und eigentlich kann ich die Lieder nicht mehr hören, aber ich hab Angst vor der Stille, die mich angeben könnte und den Gedanken, die diesen Raum dann einnehmen könnten.
Es ist 6 Uhr morgens und ich habe noch nicht eine Sekunde davon geschlafen. Bei einem kurzen Blick aus dem Fenster stelle ich fest, dass es draußen bereits wieder hell wird. Ich verstaue den Notizblock, wie immer in der untersten Schublade meines Kleiderschranks und lege mich ins Bett. Vielleicht kann ich wenigstens noch eine Stunde schlafen und meinen Gedanken entfliehen.
Ein paar Stunden später sitze ich in der Küche und zwinge mir das Müsli rein, weil ich weiß, dass Jan mich sonst umbringen würde, wenn ich schon wieder nichts esse. Aber seit einiger Zeit ist mir einfach der Appetit vergangen. Nicht seit „einiger Zeit" sondern seit ich verstanden habe, was mit mir los ist. Ab diesem Zeitpunkt ging es nur noch bergab. Ich weiß, dass es alle sehen, nicht umsonst wollen sie immer mit mir reden und mir helfen, aber ich kann das nicht. Es ist meine Sache und damit muss ich selbst fertig werden, wenn ich nichts zerstören möchte. Und wenn die Lösung ist, dass ich mit Schallgeschwindigkeit auf den kalten Boden treffen muss, dann ist das eben so. Bloß falle ich jetzt schon seit einem Monat und es scheint kein Ende zu nehmen.
Mein Handy gibt den altbekannten Ton von Jans Nachrichten von sich. Ich weiß schon, dass er fragt, ob wir heute wieder ein Video drehen, genauso wie ich weiß, dass ich zustimmen werde, der Tag das reinste Gefühlschaos wird und ich wieder nicht schlafen werde heute Abend.
Im Badespiegel blickt mir fast schon ein Geist entgegen und dunkle Augenringe zieren mein Gesicht. Ich spritze mir kaltes Wasser ins Gesicht in der verzweifelten Hoffnung, dass ich dadurch weniger fertig aussehe. Ich richte mich bevor ich mich auf den Weg zu Jan begebe.
Mit dem Klingeln merke ich, wie sich meine Fassaden hochziehen und sich ein falsches Lächeln in meinem Gesicht breit macht. Ich merke, wie ich mich innerlich auf den Schmerz von Jans Anblick vorbereite, weil es jedesmal so verdammt wehtut ihn zu sehen. Jedesmal die Erkenntnis, dass er unerreichbar für mich ist, dass er mein bester Freund ist, mit dem ich nicht mehr reden kann, weil ich zu viele Gefühle habe.
Er umarmt mich kurz zur Begrüßung und ich wünschte, ich hätte den Mut ihn einfach ein paar Sekunden länger in meinen Armen zu halten. Ich spüre seinen besorgten Blick auf mir, wie ihm die Fragen auf der Zunge liegen, er sie aber nicht ausspricht, weil er meine Antwort schon kennt. Ich weiß, dass es ihn verletzt, dass ich seit Wochen nicht mehr darüber reden, wie es mir geht, warum ich kaum noch esse und Schlaf zum Fremdwort geworden ist. Er wartet mit offenen Armen, dass ich endlich spreche und er mir helfen kann. Aber kann mir nicht helfen, ihn nicht mehr zu lieben. Er kann mir nicht helfen, denn das würde ihn nur noch perfekter und für mich noch unerreichbarer machen.
Wenn er wüsste, was ich fühle, wäre unsere Freundschaft zerstört und so hoffe ich alleine, dass die Gefühle weniger werden. Dass ich nicht mehr jede Nacht wach bin und an ihn denke. Meine Gedanken in unleserlichen Worten niederschreibe, die nur für mich Sinn ergeben. Dass keine Tränen mich in den Schlaf wiegen und in meiner Playlist wieder meine Lieblingsmusik ist.
Wir sind fertig mit dem Video und haben auch die meisten anderen beruflichen Sachen geklärt, als ich andeute mich auf den Heimweg begeben zu wollen. Ich erhebe mich vom Küchentisch und packe meine Tasche. Jans Blick liegt auf mir, aber ich traue mich nicht ihn zu erwidern, in der Angst, dass meine Mauer bricht. Ich kann und will ihn nicht so traurig sehen, erst recht nicht, wenn ich der Grund bin. Er soll sich keine Gedanken machen und einfach nur glücklich sein, so wie er es am besten kann.
Ich habe das Wohnzimmer bereits verlassen, als ich ihn nochmal höre. „Tim?", fragt er mich. Ich lehne mich an den Türrahmen und blicke ihn kurz an. „Ich will dich in deinem Zustand irgendwie ungern alleine lassen, deshalb: Willst du vielleicht hier übernachten?" Wieder einer der Gründe, warum ich ihn liebe. „Jan, es geht mir gut und morgen sehen wir uns doch sowieso wieder.", lüge ich ihn an. „Tim dir geht es nicht gut, das sieht jeder! Wenn du schon nicht reden willst, solltest du wenigstens genug schlafen und wenn das bedeutet, dass ich wie ein Wachhund neben deinem Bett aufpassen muss. Ich will mir das einfach nicht länger anschauen!" Seine Stimme ist ruhig, aber irgendein seltsamer Ton, den ich nicht einordnen kann, schwingt mit. Ich schüttle den Kopf. Ich brauche die Nacht als Ausgleich zum Tag. Ich schaffe es nicht so lange ,fröhlich' zu sein. Wie soll ich überhaupt von ihm weg kommen, wenn er immer bei mir ist. Nein, ich muss alleine sein, zumindest in der Nacht.
Ich drehe mich zur Wohnungstür. „Tim, warte!", fordert mich Jan auf. Ich halte inne und beobachte Jan wie er zu mir in den Wohnungsflur kommt. Dort zieht er sich Schuhe und seinen Mantel an. „Was hast du vor?", frage ich ihn verwirrt. „Ich lasse dich jetzt nicht alleine, und wenn du nicht hierbleiben möchtest, dann komme ich eben mit zu dir", erklärt er ernst. Das kann er nicht machen. Ich schüttle leicht den Kopf und starre ihn ungläubig an. „Hast du vor hier Wurzeln zu schlagen oder sollen wir noch los?", fragt er nach einer Weile. „Du... du kannst nicht mit.", antworte ich ihm im Wissen, dass er sich davon nicht abschütteln lässt. Er wirft mir einen verwarnenden Blick zu, der mir sagt, dass er keine weiteren Widerworte duldet.
Als ich meine Wohnungstür aufschließe, hoffe ich, dass nirgends etwas liegt, was auf meine wahre Situation hindeuten könnte. Jan war schon seit ein paar Wochen nicht mehr da. Eigentlich war keiner da. Ich war alleine. Mit mir und meiner Gefühlen für die falsche Person.
„Okay, da ich annehme, dass du kaum was essbares da hast, was sollen wir bestellen?" „Pizza", gebe ich müde von mir. Hier in meiner Wohnung ist es wesentlich anstrengender die Mauern zu halten. Jeder Fleck erinnert mich an meine armselige Situation. Selbst in meinem geschützten persönlichen Raum, kann ich jetzt nicht ich selbst sein.
Ich schließe mich ins Bad ein. Ich lasse mich auf den geschlossenen Toilettendeckel fallen und vergrabe mein Gesicht in meinen Händen. Für ein paar Augenblicke, lassen ich meine Gefühle und Gedanken zu, dann zwinge ich mich wieder aufzustehen. Ich vermeide es in den Spiegel zu schauen, stattdessen ziehe ich mir meine Kapuze tief in mein Gesicht. In meinem Schlafzimmer beziehe ich mein Bett neu, Hauptsache ich muss nicht zu Jan rüber in die Küche.
Ich weiß nicht, wie ich die heutige Nacht überstehen soll.
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Wahrscheinlich wird noch ein zweiter Teil kommen, also wenn ihr wollt und auch bereit seid einen Monat darauf zu warten, weil schneller bin ich zurzeit irgendwie nicht 😂
Vorschläge für einen Titel gerne schreiben, ich hab kein Plan, weil die Geschichte selbstständig ist und ich kein Plan habe, wie sie endet...
Noch einen schönen Sonntag euch!
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