Veränderungen

Nupür war schon längst auf den Beinen, als ich grade erst realisierte was überhaupt passiert war.

Ich sprang auf und griff nach dem Arm von Syltje, die wie erstarrt da saß. ,,Los! Wir müssen hier weg!"

Sie rappelte sich hoch und schon rannten wir hinter der jungen Frau den Gang entlang. Es war Glück, dass die Soldaten sich in erster Linie auf Iness, den blauäugigen Mann und die Kunden konzentrierten, sonst hätten sie uns schon längst festgehalten. Aber wohin sollten wir jetzt?

,,Nupür, wo führt diese Treppe hin?"

,,In die Gemächer vom Herr und der Herrin."

Das nützte uns nichts. ,,Gibt es in den Kammern irgendein Fenster das zur Straße herausführt?"

Syltje nickte und zog mich am Arm richtung eine der Türen. ,,Ja! Das hier!"

Es war der Raum in dem wir kurz nachdem wir hier hergebracht wurden auf den Abend gewartet hatten. Wie sie sich dessen Lage gemerkt haben konnte, war mir schleierhaft.

Nupür eilte zu uns und stöhnte enttäuscht auf, als sie sah wie hoch oben das Fenster war. Fieberhaft wanderten meine Augen durch den Raum und ich zog das Bett vor die rechteckige Öffnung. Syltje und Nupür stürzten dazu, um mir zu helfen.

Die Eisenfüße erzeugten ein ekelhaftes, schleifendes Geräusch auf dem Steinboden.

,,Es ist immer noch zu hoch oben." Rief Nupür, die auf das Gestell gesprungen war und sich verzweifelt damit abmühte den Rand des Fensters zu erreichen. Ich stellte mich ebenfalls auf das Bett, bückte mich und umklammerte kurzerhand ihre Beine. ,,Los! Ich hebe dich hoch!"

,,Aber da passe ich nicht durch."

,,Wenn wir dich mit dem Kopf zuerst durchschieben, wird es gehen."

Zwar könnte sie sich beim Aufprall übel verletzen, aber es gab keine andere Möglichkeit. Ich und Syltje stemmten sie hoch und endlich erreichten ihre Hände den Fensterrahmen. Vor Anstrengung biss ich die Zähne zusammen, obwohl sie sehr schlank und leicht war.

Ich versuchte meinen Körper so hoch wie möglich zu strecken. Schließlich ließen wir ihre Füße los, als sie zu weit oben waren, als das wir sie noch höher heben könnten.

Atemlos lauschte ich dem gedämpften Aufprall ihres Körpers, so wie es klang hatte sie sich abrollen können.

,,Ich bin in Ordnung." Rief Nupür von draußen.

,,Kannst du Syltje annehmen?" Rief ich, während ich schon dabei war meine Freundin hoch zu heben. Aber sie wehrte sich.

,,Nein! Wer wird dann dir hinaus helfen?"

Ich hörte die lauten, schnellen Schritte der Soldaten, wie sie über den Gang rannten und die Türen aufstießen. Bald wären sie auch bei unserem Raum. ,,Wir haben keine Zeit. Ich fliehe durch die Eingangstür, oder verstecke mich bis sie weg sind. Mir wird schon etwas einfallen." Ich umgriff ihre Beine auf Höhe der Knie und stemmte auch Syltje nach oben.

Alleine war es schwieriger, meine nackten Füße sanken in den weichen Polstern ein. Die Anstrengung ließ mich keuchen. Aber diesmal war Nupür da, um Syltje auf der anderen Seite hinunter zu helfen. Sie versicherten mir gehetzt, dass sie sich nicht verletzt hatten. ,,Aber was ist jetzt mit dir?"

,,Das muss euch nicht kümmern. Jetzt rennt! Ehe die Soldaten das Gebäude wieder verlassen." Die Wahrheit war, dass ich nicht wusste wie ich mich in Sicherheit bringen konnte. Das Geräusch von Sandalen auf Stein kam immer näher, es war laut, doch mein Herz wummerte lauter.

,,Vielen Dank, Tialda. Wir stehen tief in deiner Schuld. Viel Glück." Hörte ich Syltje mit zittriger Stimme sagen. Weinte sie? Oder klang es nur so?

,,Jetzt flieht!" Schrie ich durch die Wand. Ganz leise vernahm ich, wie die Beiden endlich anfingen zu rennen.

...

,,Bist du eine Sklavin?"

Der alte Mann, der mir gegenüber saß, beugte sich vor. Er hatte sich als ,,Jasminko Neimenn Jaminus" vorgestellt. Ein über alle Maßen seltsamer Name, wie ich fand.

Ansonsten hatte er nicht viel mit mir geredet, nur angekündigt das er mich befragen wollte.

,,Ja." Ich nickte und er schrieb kurz etwas auf das vor ihm liegende Stück Papyrus.

Der längliche Raum in dem wir saßen war prunkvoll, vereinzelte Mosaike zierten den Boden, die Wände und die Decke, die von Säulen gestützt wurde. Ich nahm an, dass es das Büro des Mannes vor mir war. An seiner Kleidung, seiner Sprechweise und der Art wie ihn die Soldaten behandelt hatten konnte ich mir zusammenreimen, dass er in einer hohen Position stehen musste.

,,Wann kamst du an diesen Ort?"

,,Gestern Morgen erst."

,,Du wurdest gekauft?"

Ich nickte.

,,Wer kaufte dich?"

,,Ein Mann mit schwarzem Haar und blauen Augen." Ich wusste nicht, ob sie diesen Mann ebenfalls gefasst hatten, hoffte es aber. Er schrieb wieder etwas auf.

,,Wo sind die restlichen Frauen? Man berichtete mir von mindestens fünf oder sechs, meine Soldaten fanden aber nur vier vor."

,,Euer Späher muss falsch liegen, wir waren nur zu viert."

Auch wenn die Soldaten mich festgenommen hatten, stimmte es mich froh, dass Syltje und Nupür entfliehen konnten. Nupür hatte ihre Ketten und Armbänder, davon könnten sie sich fürs Erste etwas zu essen kaufen.

,,Wer arbeitete noch an diesem Ort?"

,,Eine Frau mit Namen Iness und zwei Männer. Iness schien mit dem anderen Mann alles zu leiten, die Männer bewachten abends abwechselnd die Tür und spielten die Trommel. Außerdem waren sie da um einzugreifen, wenn es Probleme gab."

Er schrieb alles nieder. Neugierig spähte ich auf das Blatt, obgleich ich nicht lesen konnte. Meine Muttersprache, Leweinit, hatte keine Schrift, es gab nur Schnitzereien. Und so lernte ich nie wie man auf Dunja schrieb, oder auch nur Schreiberkzeug hielt.

,,Alle von euch Frauen waren Skavinnen?"

,,So ist es."

,,Wie alt war die Jüngste von euch?"

,,Ich bin die Jüngste. Wenn der Sommer vorbei ist werde ich 17 sein." Ich rutschte auf dem Stuhl hin und her, meine Handgelenke waren von den Soldaten gefesselt worden. Schon wieder Fesseln!

,,Und ihr habt mit Männern die Nacht verbracht, die nicht wussten das ihr Sklavinnen seit?"

,,Ich nehme an das sie es nicht wussten."

Wieder schrieb er etwas auf. ,,Wurdet ihr bezahlt?"

,,Nein."

,,Wie viel Geld wurde von den Männern für eine Nacht verlangt?"

Ich versuchte mich zu erinnern. Was hatte Iness Kailan für einen Preis genannt, am gestrigen Abend? ,,Genau weiß ich es nicht mehr. Etwa 80 bis 90 Münzen. Erste Nächte der Mädchen waren teurer."

Warum stellte er eigentlich mir diese Fragen und nicht den anderen Frauen, die Jahre an diesem Ort verbracht hatten? Aber, nun gut, villeicht wurden sie auch grade befragt.

,,Wenn die Männer euch Wein gekauft haben, mussten sie ebenfalls dafür zahlen?" Ich nickte. Er schrieb kurz noch etwas, dann legte er den Gegenstand, mit dem er geschrieben hatte, nieder.

Ernst blickte er mich an. Sein Gesicht war streng, tiefe Falten zogen sich über seine Stirn und Mundgegend. Auch seine dunkelbraunen Augen waren von Runzeln umgeben. Sein, schon schütteres Haar, war ergraut. Die buschigen Augenbrauen ebenfalls. Trotzdem konnte ich an einigen Zügen seines Gesichtes erkennen, dass er in seiner Jugend ein stattlicher Mann gewesen sein musste.

,,Weißt du warum vor ein paar Stunden dieser Ort gestürmt wurde und ich dir nun diese Fragen über ihn stelle?"

Ich schüttelte den Kopf.

,,Weil es meine Aufgabe ist in diesem Teil der Stadt für Recht und Ordnung zu sorgen und jene die Gesetze missachten zu finden, zu verhaften, zu richten und zu bestrafen."

,, Und ich nehme an ein solches Geschäft zu führen missachtet die Gesetze?"

,,Falsch. Sklavinnen als freie Bürgerinnen anzupreisen missachtet die Gesetze."

Oh, sicher. Es ging um die armen Männer denen das Geld abgeknüpft worden war.

,,Eigentlich wurde dieses Geschäft eher durch Zufall aufgedeckt, während wir auf einen anderen Fall fokussiert waren. Doch natürlich werden wir über die Verantwortlichen richten, schließlich hielten sie diese Masche jahrelang aufrecht."

,,Was passiert jetzt mit mir? Und mit den Anderen?"

Er faltete seine Hände und mir fielen die Goldringe auf die seine Finger schmückten. ,,Wohl hätte ich keinen Grund dir das zu sagen, aber mir missfällt deine Neugierde nicht. Ihr werdet verkauft. Eure vorherigen Besitzer haben keinen Anspruch mehr auf euch."

Verkauft, also. Ich senkte den Kopf.

,,Allerdings begibt es sich so, dass ich Verwendung für eine weitere Sklavin in meinem Haushalt hätte."

Ich sah auf und bemerkte den Anflug eines Lächelns, das seine dünnen Lippen umspielte. ,,Offensichtlich sprichst du Dunja. Kannst du mit Kindern umgehen?"

,,Ja. Ich habe... hatte einen kleinen Bruder."

Befriedigt nickte er. ,,Dann kannst du mich ab jetzt mit Herr ansprechen."

Wir verließen das große, flache Gebäude nur ein paar Minuten später. Es war längst Nacht geworden. Die Luft war angenehm kühl. Die Sterne strahlten. Meinem neuen Besitzer wurde ein schwarzes Pferd gebracht.

,,Ich reise nicht gerne viel in Sänften." Erklärte er mir beiläufig, während ich ihm das Pferd hielt und beim Aufsteigen half. Er hatte meine Fesseln gelockert, so das ich die Hände ein Stückchen weit auseinanderziehen konnte, doch tragen tat ich sie noch immer. Das Ende davon hielt er in der Hand, während er mit der anderen sein Pferd lenkte.

Ich lief neben ihm her, zum Glück blieb er die ganze Zeit in gemächlichem Schritt. Wir durchquerten 2 oder 3 Straßen, in denen uns nur noch vereinzelt Leute begegneten. Dann kamen wir an den Fuß eines Hügels, und schlängelten uns einen Kiesweg entlang, der nach oben führte. Wegen der nächtlichen Finsternis, erkannte ich das Haus erst als wir schon fast die Pforte erreicht hatten. Es war riesig, ein langes und hohes Rechteck, dessen weiße Bausteine ihm Mondlicht fahl wie trockene Knochen wirkten. Ein bewaffneter Mann stand vor dem Tor, er grüßte meinen neuen Herrn respektvoll und öffnete uns die Pforte.

Auch hier war ein kiesgesäumter Weg, der bis zum Eingang des Hauses führte. Der alte Mann war kaum ächzend aus dem Sattel gerutscht, als auch schon ein dürrer Sklave heraneilte und das Pferd entgegennahm. Ohne weiter auf ihn zu achten steuerte ,,Jasminko Neimenn Jaminus" auf die Haustür zu und ich folgte ihm eilig.

Innen staunte ich mit offenem Mund über all die Pracht.

Säulen stützten die Wände, überall waren Verzierungen und Mosaike, der Boden unter meinen bloßen Füßen fühlte sich warm an. In der Mitte des großen Raumes stand ein marmorner Springbrunnen, dessen Plätschern das einzige Geräusch war. Die schmalen, kleinen Fenster waren elegant angeordnet und nah an der hohen Decke platziert. Es roch zudem ausgesprochen gut, leicht nach Zitrone und den an der Wand brennenden Öllampen.

Der Mann nahm mir die Fesseln ab und ließ sie achtlos auf den Boden fallen. Einen Moment lang bangte ich um das wunderschöne Mosaik.

,,Alles schläft schon und ich werde mich jetzt auch zur Ruhe begeben. Geh einfach durch diese kleine Tür dort, in dieser Kammer schläft die andere Haus Sklavin und dort steht noch ein freies Bett. Lösche aber die Öllampen in diesem Raum, bevor du dort hingehst. Das Kennenlernen deiner Herrin und deiner neuen Aufgaben hat Zeit bis morgen, mein Schlaf war mir schon allzu lang entflohen." Mit diesen Worten schritt der alte Mann von dannen.

Ich tat wie mir geheißen und löschte die drei Öllampen, dann versuchte ich, in der Dunkelheit tastend, die Tür wiederzufinden auf die er eben gedeutet hatte. Schließlich erfühlten meine Fingerspitzen den Türrahmen und ich betrat den Raum lautlos. Auf die Suche nach dem leeren Bett begab ich mich erst gar nicht. Ich wollte die andere Sklavin nicht wecken. Stattdessen rollte ich mich vorsichtig in der Nähe der Tür auf dem Boden zusammen.

Obwohl ich den Tag über und letzte Nacht geschlafen hatte und eigentlich keine Müdigkeit verspürte, schlief ich dank des ungewöhnlich warmen Bodens und der Finsternis schnell ein.

Bạn đang đọc truyện trên: AzTruyen.Top