Überlegungen und eine Entdeckung
,,Nein... nicht unbedingt." Stammelte ich überrascht. ,,Einfach jemand der sie kannte und wusste wie sehr der Herr sie liebte."
Er ließ meinen Arm wieder los. ,,Das wäre durchaus plausibel.'' Murmelte er, ins Leere starrend. ,,Ich kann nicht glauben das Vater und Ich noch nicht daran gedacht haben."
Bevor ich einmal blinzeln konnte, war er aufgesprungen und hatte sich mit Papyrus, einem Füllfederhalter und einem Buch als Unterlage wieder gesetzt. Seine Müdigkeit schien verflogen, sein Gesicht war konzentriert. ,,Also, es gibt genau sechs Leute die in Frage kommen könnten. Mehr haben zu dem Zeitpunkt nicht hier gearbeitet." Er schrieb etwas auf.
,,Kailan, denkst du wirklich einer der Sklaven oder anderen Arbeiter hier war es?" Fragte ich ihn ungläubig. ,,Warum würden sie dann noch hier verweilen und riskieren erwischt zu werden?" Auf Entführung und Mord einer Person, standen sicher schlimme Strafen.
,,Grade um nicht aufzufallen.
Plötzliches kündigen oder, im Falle der Sklaven, wegrennen würde sie nur verdächtig wirken lassen. Und dann hätte Vater Mittel und Wege gefunden sie fangen zu lassen."
Ich wiegte den Kopf hin und her, nun gut, das leuchtete mir ein. ,,Also, wer kommt alles in Frage? Schotiji und Ail?"
Er nickte und schrieb etwas auf. Ich starrte fasziniert auf seine langen, schlanken Finger, selbst seine Hände waren schön.
,,Was könnte ein Grund für das Verbrechen sein?! Beide sind sie Sklaven, mit dem Geld hätten sie sich freikaufen und Reichtum anhäufen können."
,,Und als Schotiji mir von dem Tod der Frau erzählt hat, gab sie selber zu sie nicht sonderlich gemocht zu haben."
Er lachte freudlos. ,,Nun, sie war eine Person, die schwer war zu mögen oder gar zu lieben. Einzig mein Vater vermochte es im Übermaß." Wieder schrieb er etwas auf.
Auf einmal fiel mir noch etwas ein. Ich zupfte ihn am Ärmel. ,,Doch Kailan, die Frau wurde entführt als sie in der Stadt war, richtig?! Bist du sicher, dass es nicht doch Fremde waren? Was geschah überhaupt mit den Trägern der Sänfte?"
,,Die Details hat Schotiji dir gar nicht genannt?! Es war eine der Sänften die von Eseln oder Pferden getragen wurden. In diesem Fall war es ein Pferd, Wiol, und geführt wurde er von Ail. Man fand Wiol angebunden an einen Baum 2 Straßen weiter und Ail lag bewusstlos in der Sänfte. Das Einzige was er noch wusste war, wie eine maskierte Person ihn von hinten niederschlug."
Ich nickte verstehend. Der oder die Entführer hatten klug gehandelt, für Vorbeigehende hatte es bloß ausgesehen wie eine Sänfte, dessen Führer auf die Rückkehr vom Passagier wartete und deshalb das Pferd angebunden hatte.
,,Was ist denn mit ihrer Familie, die sie besucht hatte?"
Er schüttelte leicht den Kopf. ,,Familie ist ihre Mutter, sie ist schon weit über 70 und kann kaum mehr alleine laufen. Davon abgesehen hätte sie sie nur in der Wohnung festhalten müssen, warum eine Entführung mitten auf der Straße riskieren? Sowieso ging und geht es ihr finanziell gut, nicht so das sie ihren eigenen Schwiegersohn erpressen würde."
,,Sonst hatte sie keine Familie?"
,,Nur noch einen Bruder der Seemann ist."
Ich sah ihm zu wie er noch mehr auf das Blatt schrieb.
,,Wir haben Schotiji - die Hausklavin, Ail - den Pferdeburschen, den Lehrer, die beiden Wachleute und Salimm - ebenfalls ein Sklave, hauptsächlich zuständig für den Garten." Er zeigte mir das Geschriebene und ich nickte, als würde ich es lesen können. Er fuhr fort ,,Sie alle hätten das Motiv von Geld, sie alle wussten von der Beziehung zwischen ihr und meinem Vater und niemand von ihnen konnte das Opfer besonders gut leiden."
Es schien als würde er etwas von seinem Handwerk verstehen. Mich beeindruckte seine schnelle Art zu denken.
Kailan blickte grübelnd auf das Papyrus. Das es mitten in der Nacht war und der Rest des Hauses längst schlief, schien ihn nicht zu stören.
Schließlich nahm ich es ihm samt Buch vom Schoß und sah ihn gespielt streng an. ,,Über den Namen zu sitzen und zu grübeln wird dich heute Nacht nicht weiterbringen. Du solltest schlafen."
Er lachte und ließ sich mit dem Rücken auf die Kissen sinken. ,,Oh auf einmal so ein Befehlston?" Seine Stimme war neckend geworden. Spielerisch. Ich wollte aufstehen, doch er griff nach meinem Arm. ,,Bitte bleib doch noch ein bisschen. Leiste mir Gesellschaft."
Die Öllampe auf dem Tisch neben seinem Bett tauchte seine Haut in ein warmes Licht und ließ sie golden wirken. Seine Augen waren sanft und bittend, doch mir war, als sähe ich dahinter Einsamkeit.
Unschlüssig verharrte ich in meiner Position, halb sitzend, halb aufgestanden, dann ließ ich mich wieder auf dem Bett nieder. Ich brachte es nicht über mich Kailan jetzt allein zu lassen und die Wahrheit war wohl auch, dass ich noch nicht gehen wollte.
Langsam zog er mich an sich und ich legte mich neben ihn. Ich hörte wie er die Öllampe löschte. Der Raum hüllte uns in Dunkelheit. Sein Körper war warm und ich kuschelte mich an ihn, legte den Kopf auf seine Brust. Er lachte leise, nah an meinem Ohr.
,,Auf einmal möchtest du doch mit mir in einem Bett schlafen?"
,,Oh sei still und schlaf!" Ich schloss die Augen und spürte wie er mir die Decke bis unters Kinn zog. Dann wurde er still und sein Atem wurde ruhiger. Ich lauschte seinem gleichmäßigen Herzschlag unter meinem Ohr, was mich langsam in den Schlaf gleiten ließ.
Als ich aufwachte wusste ich nicht wo ich war und brauchte einen Moment um mich zu orientieren. Ich lag zusammengerollt auf der Seite, wie ich es gewohnt war. Kailan lag ausgestreckt, ebenfalls auf der Seite. Sein einer Arm ruhte um mich gelegt.
Vorsichtig streifte ich ihn ab, um den Schlafenden nicht zu wecken. Als ich noch einen letzten Blick auf sein Gesicht warf und dann auf Zehenspitzen den Raum verließ, musste ich unwillkürlich an die Nacht im Bordell zurückdenken. Damals hatte ich mich geweigert mit ihm in einem Bett zu schlafen, jetzt hatte ich es getan ohne groß darüber nachzudenken.
Unsere Überlegungen von letzter Nacht fielen mir wieder ein. Es hatte mich gefreut, dass er ernstzunehmen schien was ich über den Mord dachte. Das mit dem Täter aus unmittelbarer Nähe hatte ich nur so dahingesagt, doch jetzt schien es mir die nächstliegendste Erklärung zu sein. Lebten wir beide im selben Haus wie ein Mörder?
Ich begab mich in die Küche, wo ich Schotiji noch nicht antraf. Es musste sehr früh sein, denn sie stand jeden Morgen auf wenn es noch dunkel war.
Ihr Zeitgefühl war bewundernswert, sie wusste stets wann was zu tuen war. Im Gegensatz zu mir, die ich keine Idee hatte wie spät es sein mochte. Der Himmel war grau, mehr wusste ich nicht. War Schotiji nicht sonst zu dieser Tageszeit schon auf?
Obwohl die Versuchung groß war mich wieder zu Kailan ins Bett zu legen, beschloss ich nach Schotiji zu sehen. So zündete ich mir eine Kerze an und tappte in ihr Schlafgemach. Es war ein kleiner Raum, mit steinernen Wänden, einem Bett und einem hölzernen Schrank.
Schotiji lag in ihrem Bett und schien zu schlafen, unschlüssig verharrte ich im Zimmer und überlegte ob ich sie wecken sollte. Sicher wusste sie besser als ich um welche Zeit sie aufzustehen hatte, selbst wenn es mir schon so spät am Morgen vorkam.
Ich wollte mich grade zum Gehen wenden, als ich bemerkte, dass eine der zwei Schranktüren leicht offen stand.
Mir war klar, dass mir nicht zustand dort hineinzusehen, doch die Neugier überkam mich. Was bewahrte Schotiji wohl in diesem Schrank auf? Als Sklavin besaß sie sicher nicht viel.
Ich durchquerte lautlos den Raum und öffnete vorsichtig die Schranktüren. In der linken Seite erblickte ich ganz normale Sachen, einige sorgfältig gefaltete Kleidungsstücke, etwas Papier, sowie Kupferklammern, Kämme und andere Dinge für die Haarpflege. Die rechte Seite jedoch...
Mit der Kerze leuchtend, beugte ich mich hinunter.
Ich erkannte ein Knäul von silbrigen Haaren, ein kleiner Glasbehälter der mit etwas gefühlt war, was verdächtig so aussah wie Stückchen von menschlichen Fingernägeln. Daneben lag eine kleine silberne Brosche und an der Wand des Schrankes lehnten mehrere Zeichnungen, mit Kohle auf Papier angefertigt. Und sie zeigten immer dasselbe Gesicht.
Ich zuckte so schnell zurück, dass der plötzliche Luftstoß die Kerze löschte. Von Grauen gepackt schlug ich die Schranktüren wieder zu und wollte aus dem Zimmer hasten. Eine müde Stimme hielt mich auf.
,,Tialda, bist du es?"
Im Dunkeln des Zimmers konnte ich erkennen, dass Schotiji sich im Bett aufgerichtet hatte. Ich stolperte zurück und stammelte ,,Du warst nicht in der Küche, obwohl der Morgen schon graut, so wollte ich..."
,,Weißt du denn nicht? Heute ist ein Feiertag, zu Ehren eines großen Feldherrs. An solchen Tagen erwacht das Haus erst mehrere Stunden später. Leg auch du dich ruhig wieder schlafen."
Erleichtert bejahte ich und hastete aus dem Raum. Sie schien nicht gesehen zu haben, dass ich ins Innere ihres Schrankes gespäht hatte. Doch schlafen legen würde ich mich nun sicher nicht mehr.
Ich rannte in Kailan's Gemach und rüttelte ihn wach. ,,Kailan! Wach auf!"
Er öffnete die Augen und flüsterte heiser. ,,Was ist denn?"
Einen Moment lang bereute ich ihn geweckt zu haben, er war die letzten Tage doch so müde gewesen und sicher hätte ich auch warten können bis er von alleine wach wurde.
,,Ich ging in Schotiji's Zimmer, weil sie nicht in der Küche war... ihr Schrank, ich sah hinein... und da waren Haare..." stammelte ich.
Kailan setzte sich auf und zog mich in seine Arme. ,,Du bist ja ganz aufgeregt. Beruhige dich, was ist denn passiert?"
Die Wärme seines Körpers und seiner Stimme halfen mir mich zu beruhigen. In allen Einzelheiten berichtete ich, was ich ihn Schotiji's Schrank erblickt hatte. Seine Augen weiteten sich kurz vor Überraschung, ansonsten blieb er zumindest äußerlich gelassen.
,,Du bist sicher das diese Zeichnungen das Gesicht meines Vaters zeigten?"
Immer noch verschreckt nickte ich. ,,Ja! Und die Haare und Fingernägel waren sicher auch von ihm."
,,Du sagtest da war eine Brosche, wie sah sie aus?"
Ich versuchte mich zu erinnern. ,,Silbern, war sie. Und hatte die Form eines Schmetterlings."
,,Das dachte ich mir. Vater hat ihr diese Brosche geschenkt, als sie damals 45 wurde."
Mich schauderte es und ich drückte mich enger an Kailan's Brust.
,,Siehst du! Sie ist besessen von dem Herrn. Und sie mochte seine Frau nicht, vermutlich weil er sie liebte und wollte, dass er sie, also Schotiji, liebt und nicht seine Frau. Schotiji muss die Mörderin sein! Es ist doch-" Die Worte fielen mir nur so aus dem Mund. Kailan legte sanft einen Finger auf meine Lippen und ich verstummte.
,,Sicher, alle Anzeichen deuten darauf hin, dass es wirklich Schotiji war. Aber wir dürfen nicht vorschnell urteilen, oder es Vater erfahren lassen. Vater würde sie sofort mit seinen eigenen Händen töten, wenn er auch nur von der Möglichkeit wüsste, dass sie die Mörderin ist."
Nachdenklich zog er mit dem Finger meine Augenbrauen nach. Es war merkwürdig wie selbstverständlich wir uns jetzt auf einmal berührten.
,,Aber was sollen wir dann tuen?" Drängte ich. Meine Entdeckung hatte mich wirklich aufgewühlt. Niemals hätte ich von der schweigsamen, tüchtigen Schotiji etwas derartiges erwartet.
,,Nichts. Wir dürfen uns nicht anmerken lassen was wir wissen. Könntest du versuchen mehr über ihre Haltung zu Rondra's Mutter herauszufinden? Sicherlich wäre sie dir gegenüber ehrlicher als mir."
Ich nickte, obgleich ich mir nicht vorstellen konnte Schotiji jemals wieder unter die Augen zu treten. Kailan seufzte leise und legte sich wieder hin. ,,Danke."
Ich sah zu wie er die Augen schloss und wieder einschlief, bevor meine Vernunft siegte und ich nach oben ging, um mich in mein eigenes Bett zu legen. Rondra würde sich schließlich wundern, wenn sie aufwachte und ich nicht da wäre.
Zurückblickend war es vermutlich um diesen Zeitpunkt herum, wo ich begann ihn zu mögen. Seine beinahe unwirkliche Schönheit, seine Intelligenz und Wortgewandtheit und sein sanftes Lächeln hatten mein Herz erobert. Selbst der spöttische Tonfall, den er aufsetzte wenn er mich ärgerte, war mir kostbar. Damals ahnte ich ja noch nicht, dass selbst Kailan, so perfekt er auch wirken mochte, tief in seinem Innern Abgründe hatte, die ebenso dunkel waren wie seine Augen...
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