Der Garten

Der Tag verging recht ereignisreich. Nach der Mahlzeit verließen Kailan und der Herr das Haus.

Als ich Schotiji fragte wohin sie gingen antwortete sie nur ,,zur Arbeit". Generell war sie mir gegenüber distanziert und kühler als noch am Morgen. Ich wagte es kaum ihr Fragen zu stellen, obwohl ich viele hatte.

Was genau musste ich tuen wenn ich die persönlich Sklavin des kleinen Mädchens war? Warum verhielt sich der Vater seinen Kindern gegenüber so unterschiedlich?

Lag es nur am unterschiedlichen Alter? Meine Eltern hatten mich und meinen Bruder immer gleich behandelt.

Das junge Mädchen erhob sich nach dem Essen und ging hoch aufgerichtet zurück in ihre Gemächer, während Schotiji und ich den Tisch abräumten.

In der Küche wuschen wir ab und aßen selber noch etwas, doch wie auf ein Zeichen hin stand Schotiji plötzlich auf.

,,Wo gehst du hin?" Fragte ich überrascht.

,,Die Herrin holen. Der Lehrer der Herrin wird bald eintreffen, sie wird sich nicht ohne Überredung unterrichten lassen." Antwortete sie in nüchternem Tone.

,,Soll ich das tun?"

Ein Kind dazu zu überreden Bildung anzunehmen kam mir wie eine einfache Aufgabe vor. Außerdem sagte der Herr doch das ich ab jetzt für die kleine Herrin verantwortlich wäre.

,,Meinentwegen." Sie kehrte um und begann wieder die Kochfläche mit einem Lappen zu polieren.

Nach einigem Suchen fand ich die Gemächer im oberen Stockwerk, ich erinnerte mich an den Tadel des Herrn und klopfte kurz an die Tür bevor ich eintrat. Das Mädchen saß auf dem Boden und blickte mir mit mürrischem Gesicht entgegen.

,,Was willst du?"

Ich lächelte sie an. ,,Dein Lehrer wird bald eintreffen. Ich soll dich zum Unterricht holen."

Sie verschränkte die kleinen Arme, ihre zahlreichen Armreifen klirrten. ,,Mir ist nicht danach!"

Verwundert legte ich den Kopf schief. Freute sie sich nicht, dass sie etwas beigebracht bekam? ,,Warum denn nicht?"

,,Du solltest mich Herrin nennen. Und Ich will eben nicht!" Ihre Stimme klang endgültig, dass sie nicht wollte schien ihr Grund genug zu sein.

,,Was willst du denn dann gerne tuen, Herrin?"

Sie zögerte. ,,Gerne würde ich hinausgehen."

,,Kannst du das nicht?"

Sie schüttelte den Kopf und legte sofort bereuend die kleinen Hände an ihre Ohrläppchen. Es schien, ihre Ohrringe waren so schwer, dass heftige Kopfbewegung schmerzte. ,,In den Garten darf ich nur wenn Kailan, Vater oder Schotiji dabei sind, um auf mich aufzupassen. Aber Kailan und Vater kommen meist erst wieder wenn es schon Nacht ist und Schotiji hat nie Zeit."

Nachdenklich betrachtete ich sie, wie sie vollends geschmückt auf dem Boden saß. Ihr Gesicht wirkte trübsinnig, von der vorherigen Hochmut war kaum noch etwas zu spüren.

,,Sag, wann endet dein Unterricht?"

Fragend sah sie mich an. ,,Jeden Tag geht er von 8 Uhr im Morgen zu 4 Uhr im Nachmittag. Aber ich werde immer nicht hingehen! Ich sagte das bereits!"

Ich kannte mich mit der Zeitmessung die die Dunja benutzten nicht gut aus, mein Vater hatte mir sie nie ganz beibringen können, doch von 8 Uhr bis 4 Uhr erschien mir wie eine lange Zeit.

,,Machen dein Lehrer und du währenddessen Pausen?"

,,Wenn es Mittag gibt, um 2 Uhr."

Ich grinste sie an. ,,Nun wenn dein Unterricht zu Ende ist, was hältst du davon wenn wir in den Garten gehen?"

Ihre großen, runden Kinderaugen wurden noch größer. ,,Aber niemand hat mir bisher die Erlaubnis gegeben, dass ich mit dir in den Garten könnte."

Schelmisch lächelnd sah ich sie an. ,,Selbst wenn dem nicht so wäre, dein Bruder und Vater sind nicht da und Schotiji arbeitet unten in der Küche und wird uns nicht sehen."

Ihr geschminktes Gesicht leuchtete auf. Einen Moment lang sah sie aus, wie ein ganz normales Kind das sich auf etwas freute. Wie eines der Kinder aus meinem Dorf. Wie mein Bruder.

,,Dazu musst du allerdings erst zu deinem Unterricht gehen." Setzte ich nach.

Sie überlegte kurz, dann kam sie auf die Füße und besah sich der leichten Falten in ihren Kleidern, die durch ihre Sitzposition entstanden waren. ,,Dann komm und mach mir mein Gewand wieder glatt! So kann ich mich nicht bei meinem Lehrer blicken lassen."

Ihr hochmütiger Ton war zurückgekehrt. Leicht schmunzelnd, denn ich konnte sie nicht ernst nehmen, strich ich ihr die Knittern aus dem Gewand.

Ihr Lehrer war ein dicker, alter Mann, mit einem runzligen, strengen Gesicht. Ein Sklave geleitete ihn in die Eingangshalle, wo Rondra und ich standen, um ihn in Empfang zu nehmen.

Ich neigte den Kopf vor ihm und mit widerwilliger Miene tat meine neue Herrin es ebenfalls.

,,Sei gegrüßt, Rondra. Hast du dir von gestern alles gemerkt?" Fragte er ohne Umschweife. Seine Stimme war kräftig und klang als würde sie einem viel jüngerem Mann gehören.

Rondra bejahte und die beiden gingen in den Wohnraum, wo sie sich an einen kleinen Tisch auf zwei Hocker setzten.

Ich kehrte in die Küche zurück und half einer schweigsamen Schotiji beim Putzen der Räume und später bei der Vorbereitung des Mittagessens.

Sie kochte mehrere Gerichte, eines mit Fisch, ein anderes mit Geflügel und eine Suppe mit Gemüse und Kichererbsen. Außerdem bereiteten wir eine Schale mit Reis und eine mit Hirse vor.

,,Warum machen wir so viele unterschiedliche Gerichte?" Fragte ich.

Sie schien genervt von meiner Neugierde.
,,Zum Mittag und Abend ist das nun einmal so. Der Herr möchte, dass die Herrin abwechslungsreich isst."

,,Und wo essen der Herr und Kail- ähm der junge Herr?"

,,Sie essen in der Stadt. Oder lassen die Mittagsmahlzeit weg, wenn sie viel zu tun haben."

,,Arbeitet der junge Herr auch bei dem mit was der Herr macht?"

,,So ist es."

Damit wandte sie sich ab und schob den vorbereiteten Fisch in den Ofen.

Als Rondra und ihr Lehrer schweigend das Mahl einnahmen, bemerkte ich wie sie mir immer wieder Blicke voller Vorfreude zuwarf. Sie schien wirklich gerne aus dem Haus kommen zu wollen. Schließlich verabschiedete sie ihren Lehrer einige Zeit später an der Tür und sah voller Ungeduld zu wie er sich schwerfällig auf den Weg machte.

Ich vergewisserte mich das Schotiji immer noch in der Küche beschäftigt war, dann stupste ich sie an.

,,Wollen wir nun in den Garten?"

Aufgeregt nickte sie und halb lief, halb hüpfte richtung Tür.

Der Garten war riesengroß und wunderschön. Die Sonne schien warm auf die grünen Wiesen und Bäume. Überall blühten bunte Blumensträucher.

Rondra lief strahlend über die Kieswege und die Grasflächen und pflückte Blumen. Sie sah frei und glücklich aus. Ich blieb an ihrer Seite und bald stellte sich heraus, dass meine kleine Herrin sehr viel gesprächiger war als Schotiji.

,,Diese Blumen sind die schönsten!" Erklärte sie mir mit der Überzeugung und der hellen Stimme einer 11- Jährigen und zeigte mir die rosanen Blüten die sie geflückt hatte. ,,Aber Kailan sagt immer, dass die blauen Blumen schöner sind. Welche sind denn nun am schönsten?"

Ich betrachtete die verschiedenen Blumen. ,,Sie sind beide schön, nur auf verschiedene Arten."

Diese Antwort stellte sie nicht zufrieden. ,,Nein! Es sind die Rosanen. Schau doch wie schön sie sind!"

Schließlich stimmte ich ihr zu und sie rannte, zufrieden in ihrer Meinung bestärkt worden zu sein, wieder ein Stückchen voraus.

Der Garten erinnerte mich an die waldige Umgebung in der ich aufgewachsen war. Die Provinz der Leweinit lag weiter nördlich als die der Dunja, deswegen waren die Wälder grüner und die Bäume kräftiger.

Vermutlich führten die Sklaven hier dem Boden extra Wasser zu damit die Pflanzen gut gediehen, überlegte ich.

Einerseits erfüllte mich der Anblick der mit Sonnentupfen gesprenkelten Wege unter blühenden Bäumen mit Freude. Andererseits wurden dadurch viele Erinnerungen wach. Seit ich auf dem Sklavenmarkt gekauft worden war, hatte ich kaum Zeit gehabt meiner Familie und meinem alten Leben hinterher zu trauern. Es hatte auch nicht viel gegeben was mich an sie erinnern konnte. Doch jetzt war mir fast so als wäre ich wieder in dem Wald der mein Dorf umgab und folgte meinem kleinen Bruder, der voller Lebensfreude vorrauslief.

Wir kamen an einen steinernen Springbrunnen, in den Rondra strahlend ihre Finger hielt.

Plötzlich stolzten zwei große Vögel heran, von einer Art wie ich sie noch nie gesehen hatte. Sie hatten samtiges blaues Gefieder an Hals und Brust, buntes am Rest des Körpers und zogen eine Art lange Federschleppe hinter sich her.

Obwohl es zweillos schöne Tiere waren, schüchterten sie mich ein. So große Vögel hatte ich noch nie gesehen und ihre kleinen Perlaugen und die scharfen gelben Schnäbel ließen sie nicht grade freundlich aussehen.

Rondra lachte mich aus, als sie sah, wie nervös ich wurde.
,,Das sind doch bloß Pfauen. Warum hast du Angst?"

Tatsächlich beachteten uns die Vögel nicht weiter und blieben zu meiner Erleichterung immer auf mindestens 10 Schritten Abstand.

Meine Herrin beobachtete sie mit leuchtenden Augen. ,,Sind es nicht prächtige Tiere? Sie kommen von einem weit entfernten Land und werden auf Schiffen bis hierher gebracht. Wir haben sie seit etwa 2 Jahren. Meine Mutter fand stets Gefallen an ihren Federn."

Doch bald wurde sie müde den Pfauen zuzusehen und zog mich weiter.

Wir kamen an ein weiteres Gebäude hinter dem Haus. Die Stallungen, wie Rondra mir erklärte.

Da sich das Grundstück über eine hügelige Landschaft oberhalb der Stadt erstreckte, befand sich die eingezäumte Weide auf einer leicht abfallenden Schräge. Doch sie war leer.

Ein einzelnes weißes Pferd stand angebunden an der Stallanlage, ein hochgewachsener Sklave striegelte es.

Als Rondra es sah ließ sie meine Hand los und rannte mit klirrenden Armreifen zu dem Schimmel. Ich raffte meine Kleider und eilte hinterher.

Der Sklave grüßte sie respektvoll und fuhr mit seiner Arbeit fort, sie achtete gar nicht auf ihn sondern streichelte den Kopf des Pferdes.

,,Dies ist Wiol." Stellte sie mir den Hengst vor und ich kraulte ihm ebenfalls kurz die Nüstern.

Der Sklave sah mich neugierig an. ,,Und ich bin Ail. Wer bist du?"

Ich lachte und stellte mich vor.

Ail wirkte wie ein angenehmer Bursche, er war lang und dürr wie ein Zweig, hatte Sommersprossen, hellbraune Haare und ein verschmitztes Lächeln. Er mochte wohl so um die 20 sein.

Während Rondra davon lief, um dem Pferd büschelweise Gras zu füttern, erzählte er mir von sich. Er war 21 Jahre alt und arbeitete seit drei Jahren hier, vorher hatte er auf einer von den Ländereien der Familie gearbeitet. Und da ,,von früh bis spät Wein angebaut, bis ich fast angefangen habe in ordentlichen Reihen und violetten Trauben zu denken. Das war villeicht was sag ich dir!"

Zu seinen Aufgaben hier gehörte die Versorgung der Pferde, was ihm gut gefiel, da ,,Pferde einfach nicht so unangenehm sind wie Menschen."

Bis er vierzehn war lebte er mit seiner Mutter auf einer kleinen Insel im Nordosten, wo ,,die Vegetation karg war, die Luft kalt und das Leben hart."

Ail berichtete sehr anschaulich, mit großen Gesten, wobei er wohl völlig vergaß das er noch den Striegel in der Hand hielt. ,,Dann haben meine Mutter und ich, nur meine Mutter und ich, frag nicht nach meinem Vater, es würde mir die Laune verderben über ihn zu sprechen, uns überlegt nach Dunja zu gehen und ein besseres Leben zu führen. Also haben wir unser Pferdchen bepackt, sooo klein war das und ganz struppig, die Pferde auf der Insel da sahen alle so aus, gab schließlich nicht viel zum fressen, jedenfalls sind wir dann nach Dunja. Nicht nach Dun allerdings, sondern nach Tjeir."

Wo Tjeir lag wusste ich, es war eine Hafenstadt an der Ostküste von Dunja. Handel und Seefahrt, sowie Eroberungen durch Schiffsflotten in weit entfernten Ländern, hatten die Stadt so reich gemacht, dass die Schönheit der Architektur die in Dun fast überstrahlte. So sagte man jedenfalls.

,,In Tjeir war es aber nicht so einfach wie gedacht, meine Mutter fand keine Arbeit, nahm Schulden auf und schließlich musste sie erst das Pferdchen verkaufen und dann mich."

,,Deine Mutter hat dich als Sklave verkauft?"

Er fuchtelte mit dem Striegel vor meiner Nase herum um mich zum Schweigen zu bringen. ,,Urteile nicht falsch über sie! Weißt du, wie wir da so auf dem Marktplatz standen und grade unser Pferdchen verkauft hatten und das Geld trotzdem nicht reichte, da sagte ich zu meiner Mutter im Scherz: Weißt du was, verkauf mich doch einfach auch. Und tja, sie weiß bis heute nicht, dass ich im Scherz gesprochen habe."

Ich lachte. ,,Was geschah dann?"

Er schien sich sehr zu freuen, dass ich seiner Lebensgeschichte so aufmerksam zuhörte. ,,Dann verkaufte sie mich als Sklaven an den Weinberg auf dem ich bereits arbeitete. Das war was, sag ich dir, am Tag vorher arbeitete ich dort als freier Bursche und einen Tag danach schon als Sklave. Ein paar Jahre später wird mir angeboten in dem Haus des Besitzers der Weinberge zu arbeiten, keinen Tag zu früh, denn ich konnte längst keine Trauben mehr sehen. Sofort habe ich angenommen, bevor der Aufseher da mir sagen konnte, dass das Haus in Dun lag. Und jetzt bin ich hier und spare darauf mich eines Tages wieder freikaufen zu können. Dann werd ich zurück nach Tjeir gehen und meiner Mutter sagen können, dass das damals nur Scherzworte gewesen waren."

,,Weißt du was aus deiner Mutter wurde?" Fragte ich.

Er winkte ab. ,,Der geht es gut. Hat mit dem Geld von mir einen Stand eröffnen können, später einen Schneider geheiratet und mit ihm zwei Mädchen bekommen. Und beide sind sie hübscher geworden als ich."

Ich bemerke das Rondra mir am Kleid zupfte. ,,Tialda! Rede nicht soviel mit ihm. Du bist mit mir hier im Garten!"

Obwohl sie wieder ihre befehlende Stimme aufgesetzt hatte, war ich beinahe gerührt.

,,Herrin, man muss seinen Besitz schon ein bisschen teilen können." Sagte ihr Ail mit gespielt belehrender Stimme. ,,Und von einer so reizenden Dame will eben jeder ein bisschen Aufmerksamkeit." Er zwinkerte mir zu und machte sich endlich wieder daran den Schimmel zu striegeln.

Peinlich berührt wandte ich mich dem kleinem Mädchen zu. ,,Ist das dein Pferd, Rondra?"

Sie schüttelte den Kopf und zog einen Schmollmund. ,,Nein, nein. All unsere Pferde gehören Vater und eigentlich darf ich nicht zu ihnen, auch wenn ich sie gerne sehe."

Wie merkwürdig. Es war ihr anzumerken, dass sie Pferde mochte und ihr Vater schien ihr doch sonst jeden Wunsch zu erfüllen.

,,Wie viele Pferde habt ihr denn?"

,,Nur drei, mehr brauchen wir nicht."

Ich vermutete, dass der Herr und Kailan mit den zwei anderen Pferden zur Arbeit geritten waren.

Rondra begann dem Schimmel einen Zopf in die Mähne zu flechten, wozu sie sich auf die Zehenspitzen stellen musste.

Ail nahm mich wieder in Beschlag und erzählte mir von seiner Kindheit auf der Insel und wie er als kleiner Junge reiten gelernt hatte.

,,Beherrschst du das reiten?" Fragte ich Ronda, die die weiße Mähne des Pferdes mit Blumen schmückte.

Ihre Augen wurden groß. ,,Oh Nein. Vater hat verboten, dass ich es lerne. Er sagt ich könnte herunterfallen und mich verletzen. Kannst du es etwa?"

Ich lächelte stolz. Es gab nur wenige Sachen die ich wirklich gut beherrschte und reiten war eines davon. Meine restlichen Talente waren schnitzen, Dunja sprechen und Haare flechten.

,,Ja, ich kann es. Meine Familie besaß zwei Pferde und ich habe eines davon zugeritten."

Rondra sah mich bewundernd an. Ail legte den Striegel aus der Hand und funkelte mir herausfordernd mit seinen wasserblauen Augen zu.

,,Zufälligerweise wollte ich Wiol gleich noch ein wenig reiten, damit er Bewegung bekommt. Doch wenn du so gut bist kannst du uns gerne dein Können zeigen!"

Ich lächelte. ,,Das klingt gut."

Bạn đang đọc truyện trên: AzTruyen.Top