VI. Aufzug, 3. Szene

Ihre Finger krallten sich an das Geländer auf der schmalen Empore. Von hier aus überblickte man die gesamte Glashalle, nur hielt sich hier normalerweise niemand auf. Abgesehen von denen, die sonst die Fackeln trugen. In ihrer Welt brauchten sie Feuer, um nachts das Schloss zu erhellen. In dieser Welt genügte ein Knopfdruck und der Kronleuchter an der Decke erhellte sich. Niemand konnte sich erklären, wie es funktionierte, aber die Erfindung gefiel ihnen.

Dieses Licht war heller als das Feuer und die Fackeln und bei weitem nicht so gefährlich. Bald schon würden sie genau diese wieder brauchen, denn, wenn alles nach Plan lief, würden sie bald wieder in ihrer eigenen Welt sein. Angespannt klammerte sie sich an das Geländer und sah in die Ferne. Wenn sie direkt nach unten sah, wurden ihre Knie weich. Die Höhe hatte sie noch nie gemocht. Überall im Anwesen wuselten sie herum und bereiteten alles für das Fest vor. Hier oben störte sie niemanden und niemand störte sie.

Wobei man sie in diesem Moment stören konnte, wusste sie selbst nicht, aber sie zog es vor, dem Trubel zu entgehen. Unten standen bereits die Tische, die Stühle wurden verteilt und die weißen Tischdecken ausgelegt. Aus dem Garten hatte man Rosenblüten geholt, die in großen Wasserschalen schwammen und überall im Saal verteilt wurden. Eigentlich könnte es so ein schönes Fest werden, wäre nur der Anlass ein anderer, überlegte sie. Inzwischen fürchtete sie sich davor. Sie wusste nicht mehr, was sie denken sollte.

So oft war es ihr schon gegangen, dass sie sich bei etwas sicher war und es im nächsten Moment schon wieder in Frage stellte. Hier fehlte ihr eindeutig das Selbstbewusstsein, zu ihren Entschlüssen zu stehen, sonst würde sie sie nicht immer wieder rückgängig machen oder unendlich oft überdenken. Für eine Herrscherin waren das keine guten Eigenschaften, dann von ihr erwartete man schnelle Entscheidungen, die dennoch wohlbedacht getroffen wurden.

Sie verstand, dass das Volk oftmals nicht mit ihr zufrieden war und sich inzwischen nun einige gegen sie stellten. Ganz genau wusste sie, dass es unter ihrem Volk Untertanen gab, die ihren Sturz planten. Wäre sie selbst nicht die Herrscherin, sie würde ebenfalls daran denken. War ihre Art zu regieren wirklich so schlecht, dass sie sie vom Thron stoßen wollten?

Wer sollte dann das Reich regieren? Der König war vor vielen Jahren verstorben, als ihr Sohn gerade einmal ein kleiner Junge war. Und nun sollte dieser, kaum ein Erwachsener, der neue König werden? Erwartete das Volk das von ihm? Oder würde sie dann gar die letzte ihrer Familie gewesen sein, die das Reich regiert hatte? Sie war sich nicht sicher, wie weit sie gehen würden, ob es ihnen reichte, dass sie abdankte und, wie es schon seit ewig war, ihr Nachkomme der nächste König war?

Doch dazu musste er vermählt sein, damit es König und Königin gab, so schrieb es das Gesetz vor. Würden sie es wagen, sich über ein Gesetz hinwegzusetzen, das schon immer existierte? Emilias war so anders als sie, er kam eben ganz nach seinem Vater. Er wäre bestimmt ein guter Herrscher, aber eben erst in ein paar Jahren! Deswegen war sie auch dagegen, als der Berater vorgeschlagen hatte, die Brautwahl jetzt schon durchzuführen. Sie hatte sich breitschlagen lassen, sich aber auch mit ihm darüber zerstritten, doch da war es schon zu spät. Gehörte ihr Berater etwa auch zu denen, die sie aus dem Amt haben wollten?

Gehörte das alles zu einem Plan? Es konnte kein Zufall sein. Dann war schließlich alles zusammen gekommen und ihr ganzer Ärger hatte sich über Dorothea entladen, dem Mädchen, das Emilias gewählt hatte. Irgendetwas war in dem ganzen Trubel passiert, sodass sie sich schließlich in dieser Welt hier wiederfanden. Dann kamen Dorothea mit ihren Freunden und dieser Dr. Huffington und alle wollten ihr helfen.

Das Mädchen wahrscheinlich, um sie so schnell wie möglich loszuwerden und der Doktor, weil er sich vermutlich Chancen an ihrem Hofe ausmachte. Zusätzlich kam dann noch, dass sich von ihren Untertanen keiner in der neuen Welt auskannte und sie aber trotzdem von ihrer Königin erwarteten, auch hier die Ruhe zu bewahren und kluge Entscheidungen zu treffen. Hier hatte sie endgültig versagt, obwohl ihr der Doktor geraten hatte, genau so weiterzumachen.

Sie seufzte schwer. Ob es heute Abend wirklich funktionierte und sie in ihre Welt zurückkehren konnten? Würde Emilias dann der neue, rechtmäßige Herrscher sein? Sie wünschte sich, dass alles schon vorbei wäre und irgendwie ein gutes Ende fand, aber sie fühlte, dass es schrecklich werden würde. Nur auf welche Art, das konnte sie noch nicht sagen. So stand sie weiter auf der Empore, blickte gedankenverloren auf die freie Fläche mitten im Saal, wo die Untertanen heute feiern würden.

Sie würden feiern, dass es einen neuen König und eine neue Königin gab und dass somit die alte Herzkönigin den Thron abtreten musste. Wenn sie nicht schon vorher etwas unternahmen, wie beim letzten Mal, um sicherzugehen, dass die Trauung auch wirklich stattfand. Schließlich fasste sie jemand sanft am Arm und riss sie aus ihren Gedanken. Es war eine ihrer Dienerinnen.

"Eure Hoheit, es wird Zeit, Euch für das Fest anzuziehen", erinnerte man sie. "Ja, ich komme sofort. Geh schon voraus", meinte die Herzkönigin zu ihr und blickte noch einmal nach unten. Sie hatte gar nicht mitbekommen, wie schnell die Zeit vergangen war. Ein Podest für das Orchester hatte man aufgebaut, die Tische und Stühle in weiße Tücher gehüllt und die Rosenblüten gaben mit ihren verschiedenen, leuchtenden Farben das gewisse Etwas dazu. Wieder seufzte sie und wandte sich zu gehen.

Egal, wie es ablief. Nach Mitternacht würde sie nicht mehr die Königin sein. Vielleicht war das auch gut so.

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