V. Aufzug, 4. Szene

"Warum halten wir uns eigentlich so streng an die Vorlage?", fragte Benno in die Runde. Die anderen sahen ihn verständnislos an. "Wie meinst du das?", hakte Sarah nach. "Wir haben die Geschichten bisher immer nach Vorlage des Grafen fortgesetzt", antwortete der Junge. Die anderen nickten. "Warum nicht anders? Dann wäre es doch viel einfacher, Dr. Huffington fertig zu machen."

Er hatte ihnen bereits erzählt, auf welche Ideen er mit Avli gekommen war. Nun überlegten sie, wie sie Dr. Huffington möglichst effektiv aus dem Weg räumen konnten, aber angesichts des so mächtigen Gegners wollte ihnen nicht so recht etwas einfallen.

"Wenn du schon so redest, hast du doch auch schon eine Idee, wie genau wir es anders machen", meinte Dorothea. Benno blickte zu dem kleinen Drachen, der auf dem Schreibtisch stand. "Eigentlich war es ja Avlis Idee", gab er zu.

"Dann soll er davon erzählen", fand Dorothea und alle wandten sich ihm zu. Avli hatte die Hände auf dem Rücken zusammengefaltet und begann, auf dem Tisch hin und her zu tapsen. "Also, die Idee ist folgende", sprach er und machte es, wie immer wenn er einen seiner Einfälle verkündete, spannend.

"Wir können es vergessen, die Geschichte von Dr. Huffington einfach zu beenden. Damit würde er sich nicht mehr zufrieden geben. Er will Rache an allen anderen Buchfiguren, weswegen seine Geschichte offen blieb. Wenn er sich aber selbst schaden soll, wenn er eine Geschichte rückgängig macht, muss er auch selbst in einer Geschichte vorkommen. Auf dem Papier tut er das bisher noch nicht. Also müssen wir ihn irgendwie in eine hineinbringen. Mein Vorschlag wäre jetzt, dass wir seine Geschichte einfach mit der der Herzkönigin kombinieren, denn die müssen wir ja auch noch irgendwie wegkriegen."

Er sah in erstaunte Gesichter, nur Benno grinste ihn an. "Wie stellt ihr euch das vor?", wollte Lasse wissen. "Es ist ja noch schwieriger, zwei unliebsame Buchfiguren irgendwie wegzukriegen."

"Das ist in der Tat sehr schwierig", lenkte Sarah an. "Gibt es denn eine andere Möglichkeit?", fragte Benno. "Wir treten doch eh auf der Stelle und ich glaube nicht, dass es besser wird, wenn wir einfach so weitermachen wie bisher. Als ob Dr. Huffington mit fairen Mitteln spielt."

"Mit anderen Worten... wir sollen uns auch unfairer Mittel zunutze machen?", schlussfolgerte Lasse. "Fantasie kennt keine Spielregeln", erklärte Avli. "Warum sollten wir uns dann an welche halten?"

"Das klingt plausibel", überlegte Quintessa. "Am Ende ist doch eh alles nur ausgedacht, zumindest war es das einmal vorher. Beim Denken gibt es doch keine Einschränkungen."

"Wir sollten etwas kreativer werden", sagte Benno. "Das hört sich gefährlich an", fand Dorothea. Ihr gefiel die Sache nicht, vor allem, weil die Herzkönigin dazugehörte und sie deswegen auch indirekt involviert war. "Natürlich passen wir auf, dass keinem von uns etwas passiert", lenkte der Junge ein, dem nicht entgangen war, dass Dorothea nicht einverstanden schien. "Ich wüsste auch, wie wir das anstellen", schaltete sich Xenia ein.

Das Drachenmädchen hielt sich immer vornehm zurück, sodass den anderen gar nicht mehr auffiel, dass sie überhaupt da war. Wenn, dann machte sie aber damit wieder auf sich aufmerksam, dass sie gute Einfälle hatte. Benno vermutete, dass es sich wieder um einen solchen handelte.

"Dann schieß mal los", forderte sie Avli auf. Dann begann Xenia zu erzählen und der Plan nahm Gestalt an. Selbst Dorothea musste dann zugeben, dass dieser Plan ziemlich gut war. Ob er dann auch funktionierte, wollten sie so schnell wie möglich ausprobieren.



Sie brauchte einen Plan. Unruhig lief sie hin und her und überlegte angestrengt. Sie musste einen Weg finden und das möglichst schnell. Zeit durfte sie nicht noch weiter verlieren, sonst kam sie ihr zuvor. Es war eine verzwickte Situation, in der sie sich gerade befand. Sie brauchte das Mädchen, aber auf der anderen Seite wollte sie es auch unbedingt loswerden. Sie glaubte ihm, dass es nicht gut war, dem Mädchen so hilflos ausgeliefert zu sein, denn wer konnte denn wirklich sicher sagen, dass sie nicht wieder versuchen würde, das Königreich ins Verderben zu stürzen? Schon einmal hatte es fast geklappt.

Der Zorn füllte sie aus und ließ keinen Platz mehr für andere Gedanken. Sie musste sich etwas einfallen lassen. Am besten, sie sprach noch einmal mit ihm, bevor das Mädchen und ihre Freunde wiederkamen, um ihr und dem gesamten Volk ihren Plan zu verkünden. Wie würde dieser Plan aussehen? Sie konnte sich beim besten Willen nicht vorstellen, wie es funktionieren sollte. Zwar konnte sie sich überraschen lassen, aber sie sollte sich nicht allzu sehr von ihr blenden lassen, warnte sie sich selbst.

Es wäre nicht gut, ihr zu verfallen, denn das Volk würde es auf jeden Fall tun. Eine musste einen kühlen Kopf bewahren und als Königin musste sie dieser Pflicht nachkommen. Wann würde er sich wieder blicken lassen? Es schickt sich nicht, die Königin warten zu lassen. Oder glaubte er etwa, sie käme ohne ihn nicht zurecht? Nein, sie brauchte weder ihn noch das Mädchen, aber beide waren nützlich, dass es etwas leichter ging. Sie verfluchte die blöde Zeit, die so langsam verging. Wann würde endlich etwas passieren? Es war schon zu lange ruhig geblieben.



Noch einmal sah er sich um. Niemand hatte ihn bemerkt. Warum auch? Die anderen saßen im Speisesaal und aßen, sie vermuteten wahrscheinlich nicht einmal, dass er noch nicht nach Hause gefahren war. Somit konnte er sich ungestört im Wohnzimmer umsehen, niemand sonst hielt sich hier unten auf. Wenn doch, dann konnte er sich immer noch damit herausreden, dass er noch einmal Maß nehmen wollte, damit die Arbeiten sich nicht verzögerten. Z

ufrieden strich er über den Einband des Buches in seinen Händen. Sein Buch! So lange war es hier sicher gewesen, aber nun befürchtete er, dass es das nicht länger sein würde. Er schluckte die Emotionen herunter. Nun würde er doch nicht sentimental werden, weil er ein albernes Buch in den Händen hielt, das noch nicht einmal beendet war. Aber dennoch war es für ihn von unendlich hoher Bedeutung.

Ohne sein Buch war er ein Nichts und dieses Risiko wollte er nicht eingehen. Jahrelang hatte es niemand gefunden und er konnte tun und lassen, was er wollte. Nun hatten sie es gefunden und er bangte um seine Rache. Er wollte sie doch in vollen Zügen auskosten und genießen! Da durfte er seine Lebensgrundlage, die ihn erschaffen hatte, nicht so leichtsinnig aufs Spiel setzen. Wie hasste er es, dass die letzten Seiten in dem Buch frei geblieben waren!

So verhasst dieser Bucheinband und alles, was er verbarg, doch war, so groß war seine Bedeutung für ihn. Er nahm es an sich und verschwand damit in der Dunkelheit des Schlosses. Niemand hatte es gesehen und nun konnten sie es nicht mehr zurückholen. Es blieb bei ihm, bis er endlich sein eigenes Ende hineinschreiben konnte.

Ein glorreiches Ende, das niemand sonst zu schreiben vermochte. Es würde nicht mehr lange dauern. Dann war seine Seele vervollständigt. Ein bisschen lächerlich fand er es schon, dass gerade so dermaßen viel von beschriebenen Seiten abhing. Nun würden sie ihm sein Leben aber nicht mehr nehmen können.

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