V. Aufzug, 3. Szene

Er hatte sich in das breite Fensterbrett gesetzt und sah nach draußen. Es war einigermaßen angenehm von den Temperaturen her, obwohl der Wetterbericht für die nächsten Tage noch einmal heißes Wetter und damit auch Gewitter angesagt hatte. Benno betrachtete den Park, wie der Schatten des Schlosses sich immer weiter über ihn erstreckte. Dass ihr Gegenspieler ebenfalls den Buchseiten des Grafen entstiegen war, konnte er nicht so recht glauben. Keine der anderen Buchfiguren hatte so eine Wendung genommen, wie es bei Dr. Huffingotn der Fall war!

Nicht einmal die Herzkönigin schien derartig böse, wie sie sonst bei dem Psychologen den Anschein hatten. Oder auch dem Architekten oder für wen er auch immer sich ausgab. Benno fragte sich einmal mehr seit ein paar Stunden, was diese Buchfigur zu dem gemacht hatte, wie sie ihnen nun gegenübertrat. Alle anderen Figuren, Quintessa, Joris, Sylvain, die Herzkönigin, Emilias- sie alle waren nur darauf bedacht, ihre eigenen Geschichten zu einem glücklichen Ende zu führen.

Was Dr. Huffington im Schilde führte, war dem Jungen noch nicht klar. Nur bei einem war er sich ziemlich sicher, dass die Buchfigur, die der Graf als allererste in seinem Leben erschaffen hatte, die war, die verhinderte, dass sie den anderen Figuren halfen. Über Sechzig Jahre war es nun schon her, dass der Graf seine Geschichte angefangen hatte zu schreiben, sie aber nie fertigstellte.

Draußen kam etwas Wind auf, während die Sonne weiter schwand. Es war kurz vor zehn Uhr abends und heute hatten sie sich darauf geeinigt, nicht bis tief in die Nacht zu sitzen und zu überlegen. Im Moment befanden sie sich in einer ziemlichen Sackgasse und wurden von ihrem Gegner, allem Anschein nach Dr. Huffington also, in die Enge getrieben. So kamen sie nicht weiter!

"Wenn man dich so sieht, könnte man fast denken, dir sei eine Laus über die Leber gelaufen!", stellte eine Stimmte fest und ließ Benno zusammenzucken. In Gedanken versunken hatte der Junge nicht mitbekommen, dass Avli sein Zimmer betreten hatte. "Wenn man die Laus durch einen Psychologen, einem Architkten und einem Geheimniskrämer ersetzt, dann schon", antwortete er. Avli verdrehte die Augen. "Ist doch fast dasselbe wie eine Laus. Nicht wirklich schön, wenn sie einem übers Gemüt trampelt. Die anderen machen übrigens auch so ein langes Gesicht wie du."

"Ich kann es verstehen", stimmte Benno zu. "Ursprünglich wollten wir hier nur unsere Sommerferien verbringen und sind jetzt in so etwas hineingestolpert." "Da könntet ihr glatt ein Buch drüber schreiben, oder?", fragte Avli verschmitzt. Er ließ sich von Benno auf die Fesnterbank heben.

"Witzig", bekam er dabei als wenig begeisterte Antwort. "Bei unserem Glück werden die Buchfiguren dann auch noch lebendig und dann haben wir zwei von deiner Sorte!" "Von Avli Amils kann man nie genug haben", fand der Drache. "Ansichtssache", meinte Benno trocken. "Hast du zufällig eine Idee, wie wir jetzt weiterkommen, Sherlock Avli?"

"Leider nein, Watson", erwiderte Avli. "Dass unser Feind, wenn ich ihn denn so nennen darf, ein sechzigjähriger Psychologe ist, der bei sich selbst in Behandlung gehen müsste, kann selbst ich nicht so einfach verkraften." "Helfen dir da nicht mal Erdnüsse weiter?", schlug Benno vor. "Hast du denn welche da?", erwiderte Avli eine Frage.

Der Junge musste verneinen. "Wenn ich sechzig Jahre nicht weiß, wie meine Geschichte ausgehen würde und alles auf der Stelle tritt, wäre ich ziemlich wütend auf die anderen, die daran schuld sind", überlegte er. Avli sah ihn an und legte den Kopf schief, während er überlegte.

"Mit denen, die schuld sind, meinst du sicherlich die anderen Buchfiguren, wegen derer sein Geschichte nicht fertiggestellt wurde?", fragte er nach. "Du hast es erfasst, Sherlock Avli", stimmte Benno zu. "Liegt doch auf der Hand, oder? Wenn du plötzlich weggeworfen wird, weil es was Besseres und Neueres als dich gibt, wärst du doch auch nicht begeistert."

"Watson, ich bin begeistert!", lobte ihn Avli. "Das freut mich!", erwiderte Benno. "So plausibel wie es ist, aber ich kann mir nicht vorstellen, dass nicht dieser Doktor unser Bösewicht ist", ergänzte der Drache. "Er ist verbittert, weil seine Geschichte seit Jahrzehnten nicht fertiggeschrieben wurde und stattdessen andere Figuren den Grafen davon abgehalten haben."

"Das meine ich damit", stimmte Benno zu. "Er will nun mit aller Macht verhindern, dass die anderen Geschichten des Grafen beendet werden, was seine nie sein wird. Damit alle das gleiche Schicksal wie er teilen müssen."

"Das ist grausam, oder?", fragte Avli traurig. Benno nickt mitfühlend. "Es wird einen Grund gegeben haben, dass er seine Geschichte nie beendet hat. Das will Dr. Huffington aber nicht wahrhaben und somit tut er alles, damit er nicht alleine ist. Selbst, wenn dann alle anderen auch mit darunter leiden müssen."

"Also ist das erste, was wir tun müssen, Dr. Huffington irgendwie aus dem Weg zu räumen", schlussfolgerte Avli. Wieder nickte Benno. "Ich sehe, die Situation ist doch nicht so hoffnungslos, Watson", kommentierte der Drache und der Junge grinste. "Denken wir doch einmal weiter."

Avli begann, auf dem bisschen Fensterbrett, das ihm blieb, auf und ab zu gehen, die Händchen auf dem Rücken zusammen gefaltet. "Er hat inzwischen so viel Macht, dass auch er auf die anderen Geschichten Einfluss nehmen kann, um sich so an den Buchfiguren zu rächen. Es wird also so weitergehen, egal, was wir uns noch einfallen lassen."

"Wir müssten die Geschichten so fortsetzen, dass er sich selbst dabei Schaden zufügt, wenn er sie verändert", schlug Benno vor. "Dann wird ihm vielleicht klar, dass das so nicht geht, wenn er sich dabei selbst schadet."

"Er muss also irgendwie in die anderen Geschichten involviert werden. Wir müssen ihn so unter Druck setzen, dass er nicht mehr weiß, bei welcher Geschichte er was verändert und dass er am Ende so verwirrt ist, dass er nur sich selbst schadet", erklärte Avli. "Dann gibt er möglicherweise auf, wenn er erkennt, dass er überlistet ist."

"Wer weiß, in wie weit er schon in den anderen Geschichten schon mit drin hängt. Ich würde mich als Bösewicht nicht damit zufrieden geben, einfach nur die Fortschritte meiner Gegners zunichte zu machen, sondern dafür zu sorgen, dass auch die Buchfiguren gegen uns sind", überlegte Benno. "Er hatte über sechzig Jahre Zeit, sich Gedanken zu machen, wie er die anderen seine Rache möglichst qualvoll fühlen lässt."

Avli zupfte an seinem Hosenbein. "Er sorgt dafür, dass die anderen Buchfiguren gegen uns sind", widerholte er Bennos Worte. "Hast du schon mal an die Herzkönigin gedacht? Was ist, wenn sie eine von den Figuren ist, die Dr. Huffington manipuliert hat?" Alarmiert sahen sich die beiden an. "Dann sollte wohl klar, was als nächstes gemacht wird, Watson", stellte Avli fest. "Es ist nicht so, dass wir nicht auch Mittel und Wege haben. Der Doktor soll uns kennenlernen!", ergänzte Benno und musste lachen.

Er hielt Avli die Faust hin und der Drache hielt seine kleine Faust dagegen. "Gute Arbeit, Sherlock!", lobte er. "Etwas anderes habe ich nicht von uns erwartet, Watson", meinte Avli. Somit wurde der Schlaf auch in dieser Nacht versetzt. Es gab wichtigere Dinge zu erledigen.

Bạn đang đọc truyện trên: AzTruyen.Top