IV. Aufzug, 3. Szene
Die warme Abendsonne schien auf den Bürgersteig. Benno sah seinem Schatten zu, wie dieser vor ihm herlief. Neben diesem liegen die von Lasse, Dorothea, Quintessa und Sarah. Auch der eines Drachens mischte sich darunter. "Ich wünschte, ich wäre manchmal wirklich so groß wie der da", sagte er und deutete auf seinen Schatten. "Dann müsste ich nicht jedes Mal um Hilfe bitten, wenn mir der Erdnussvorrat zu Ende geht. "
"Wir können dich ja auf die Streckbank unten im Kerker legen", schlug Sarah vor. Nicht nur Avli sah sie erstaunt an. "Es gibt eine Streckbank im Kerker?", wiederholte Dorothea. "Das ist mir neu." "War auch nur ein Spaß", erwiderte Sarah und Avli atmete erleichtert aus. "Wenn mir schon mit solchen Methoden gedroht wird, bleibe ich doch lieber so klein", murmelte er vor sich hin. "Im Keller dürften alte Kisten und Fässer rumstehen", vermutete Sarah. "Ich war nur ein paar Mal da unten. Es ist sehr nass da unten, vermutlich wird das auch eine große Baustelle. Aber schön sind die vielen Gewölbe trotzdem."
"Der Zutritt ist ja verboten", erinnerte sie Dorothea. "Deswegen waren wir noch nicht unten." "Brave Jugend", meinte Sarah, aber es war nicht zu erkennen, ob sie es wirklich so meinte. "Früher hätten wir uns natürlich auch von einem amtlichen Absperrband abhalten lassen." Sie lachte in sich hinein. "Da haben eure Eltern gute Arbeit geleistet."
Als sie die Eltern erwähnte, überlegte Benno, ob diese schon wussten, dass Sarah wieder da war. Ob sie sich bei ihrer Tochter in Deutschland gemeldet hätte? Sicherlich hätte sie dann davon erzählt. Seine Mutter hätte ihn bestimmt auch danach gefragt. Er hatte ihr eigentlich versprochen, ihr jeden Tag zu schreiben und ein paar Bilder mitzuschicken, aber manchmal vergaß es der Junge einfach. Dann rief er am Abend kurz an, wenn seine Mutter nicht schneller war. Von Sarah hatte jedoch noch keiner von ihnen gesprochen und Benno beschloss, dass es Sarahs Sache war, wann sie sich meldete.
"Wie sich das alles verändert hat", staunte sie. "Damals sah es noch schöner aus. Obwohl dieses Alte und Verfallene auch etwas hat." "Ich würde es auch schön finden, wenn ich nicht wüsste, dass sich hier eine blutrünstige Königin rumtreibt", wendete Quintessa ein. "So blutrünstig scheint sie doch euren letzten Berichten nach, gar nicht mehr zu sein", überlegte Sarah. "Trotzdem, bei allem, was Dorothea über sie erzählt hat, weiß ich nicht so recht, was ich von ihr halten soll", erklärte Quintessa. "Du hast doch von uns schon am meisten Zeit in einem Schloss verbracht", erinnerte sie Lasse.
"Das zählt nicht", behauptete Quintessa. "Zumindest nicht so richtig. Jeden Tag auf einen Ball, der im Namen der Prinzessin veranstaltet wird, die jedoch nie in Erscheinung tritt... Tag ein und Tag aus jedes Mal dasselbe. Das wird jetzt das erste Mal sein, dass ich einer echten Königin gegenüberstehe." "An sich ist es ja keine echte Königin", wandte Dorothea ein. "An sich bin ich ja auch nicht echt", ergänzte Quintessa. "Und überhaupt sind wir doch alle Sternenstaub", meldete sich Avli vom Bürgersteig aus. "Sollten wir uns nicht beeilen, wenn wir noch etwas so Wichtiges zu tun haben?"
Benno nahm Avli auf den Arm. "An uns soll es nicht scheitern", meinte er und die Gruppe legte einen Zahn zu. Schon bald hatten sie die Villa, in der die Herzkönigin mit ihrem Gefolge gerade wohnte, erreicht. Sarah blieb stehen und betrachtete das Anwesen. Es sah nach wie vor prächtig aus, vor allem mit dem großen gläsernen Palais, das zur Straße zeigte. Das Kopfsteinpflaster in der Einfahrt war von dem Unkraut, das zwischen den Ritzen empor wucherte, kaum noch zu unterscheiden. Man hörte leise Musik und Stimmengewirr. Sie liefen zum Eingang, wo zwei Wachen standen.
"Halt! Was führt Euch hierher?", fragte eine davon barsch. Sie verschränkten ihre Lanzen, sodass der Weg versperrt war. "Wir möchten zur Königin", verkündete Dorothea. Die Wachen erkannten das Mädchen und sahen sich zögern an. Anscheinend wussten sie immer noch nicht, wie sie sich ihr gegenüber verhalten soll, vor allem jetzt, wo die Herzkönigin ihre Meinung so schnell geändert hatte.
"Weiß sie von Eurer Verabredung?", fragte die andere Wache. "Mehr oder weniger", antwortete Dorothea. Die Wachen gaben den Weg immer noch nicht frei. "Nun macht schon. Ich bin mir sicher, wenn Ihr uns den Weg freimacht, sorgt das am wenigsten für Probleme." Langsam zogen sie die Lanzen wieder zu sich heran.
"Ich warne Euch!", zischte die eine. "Wenn Ihr Ärger macht, machen wir kurzen Prozess mit euch!" "Sehen eine alte Frau und vier Kinder so aus, als könnten sie Ärger machen?", schaltete sich Sarah ein. "Ihr wisst doch gar nicht, wen Ihr vor Euch habt! Was ist, wenn es noch andere Königinnen in dieser Welt gibt?" Die Wachen schienen zu überlegen. "Eigentlich versuchen wir ja nur, unsere Aufgabe zu machen", seufzte die eine genervt. "Das ist seit ein paar Tagen aber nicht mehr möglich."
Damit gaben sie den Weg frei und ließen die Gruppe ohne Weiteres passieren. "Schade", wisperte Sarah den anderen zu. "Ich war gerade dabei, in meiner Rolle aufzugehen." "Lass mich lieber reden", erwiderte Dorothea. "Wer weiß, vielleicht ist sie heute nicht annähernd so gut drauf wie beim letzten Mal." Avli zupfte plötzlich an Bennos T-Shirt. "Was ist denn?", fragte Benno. "Da oben ist was!", verkündete Avli. Sie gingen gerade an einem Treppenaufgang vorbei. "Dorothea führt uns aber woanders hin!", erwiderte der Junge.
"Lass uns trotzdem mal nachgucken!", bettelte Avli. Benno zögerte. Er sah den anderen nach, die langsam in dem immer dunkler werdenden Flur verschwanden. "Na gut, aber auf deine Verantwortung", gab er sich geschlagen und lief die Treppe hinauf. Benno spürte, wie die Aufregung in ihm aufkam. Was wollte Avli bloß da oben? Der kleine Drache schien jedoch genauso angespannt zu sein wie der Junge, also sagten beide kein Wort. Dann standen sie auf einem weiteren Flur, in den noch ein bisschen Sonnenlicht schien.
"Weiter! Wir müssen ganz hoch", wies ihn Avli an. Also liefen sie noch zwei weitere Etagen nach oben, bis ihnen plötzlich die Warme Abendluft entgegenschlug. "Und jetzt pssst!", machte Avli und deutete Benno, ruhig zu sein. "Ich sag doch gar nichts", erwiderte dieser. Sie waren auf der Dachterrasse angekommen. Benno hörte Stimmen. War es das, was Avli meinte? Langsam wagte er sich vorwärts. Hier oben standen große Blumentöpfe herum, in denen man vor Jahren vielleicht noch Pflanzen gesetzt hatte. Nun waren einige gesprungen oder umgefallen und die Blumenerde verstreut. Das Geländer war aus geschwungenen Steinsäulen gemacht, die die gesamte Terrasse umgaben.
Nur auf der einen Seite war es unterbrochen, wo eine Treppe wieder nach unten führte. Sie endete in einer tieferliegenden Dachterrasse, eine Tage darunter lag noch eine, in der man einen Pool eingelassen hatte. Viel mehr als das Becken mit einer gerissenen Plane war allerdings nicht mehr übrig. Dann ging eine breite, runde Treppe in den Garten über. Die Terrassenanlage konnte man von der Straße aus gar nicht sehen. Benno vermutete, dass es hier bestimmt schön gewesen war, als man in dieser Villa noch wohnen konnte. Langsam wagte er sich an das Geländer und beugte sich darüber.
Direkt unter ihm standen weitere Personen, die sich unterhielten. Erschrocken zog sich Benno wieder zurück. Avli nickte ihm zu und der Junge war sich sicher, dass diese Personen nicht nur frische Luft schnappen wollten. Er hockte sich hinter einen der großen Blumentöpfe, während Avli an dem Geländer stehenblieb. Vor der Steinsäule fiel er kaum auf. Benno konzentrierte sich auf die Stimmen und langsam wurden sie klarer. "Ich kann das nicht", sagte eine männliche Stimme. "Das kann ich doch nicht tun!"
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