IV. Aufzug, 1. Szene

"Darf ich reinkommen?", Sarah sah ins Büro hinein. "Warum nicht?", erwiderte Benno. Sarah trat ein und schloss die Tür hinter sich. "Dieser Mann regt mich auf", sagte sie. "Wer? Der Architekt?", fragte Dorothea. "Wer sonst?", seufzte Sarah. "Gab es niemand anderen, der diesen Job machen könnte?" "Was ist nun mit dem Geheimgang?", wollte Lasse wissen.

Nachdem alle im Rittersaal standen und nicht wussten, was sie tun sollten, hatte der Architekt schließlich alle, die er seiner Meinung nach nicht gebrauchen konnte, mit einer ziemlich unfreundlichen Aufforderung weggeschickt. "Der ist einfach da", antwortete Sarah. "Nicht einmal ich wusste davon. Seltsam, dass er gerade jetzt aufgetaucht ist."

Benno warf einen fragenden Blick zu Lasse. Würde sie Verdacht schöpfen? "Mich hätte es, ehrlich gesagt, gewundert, wenn die Umbauarbeiten glatt über die Bühne gegangen wären", meinte Dorothea und angelte sich die Tüte mit den Gummibärchen, die auf der Kommode neben dem Bett lagen. Avli stand machtlos daneben und musste, zur Steinstatue erstarrt, zusehen, wie Dorothea die Tüte herumreichte. Auch Sarah bediente sich des Nervenfutters und schließlich kam die Tüte mit wesentlich weniger Inhalt wieder bei ihm an.

"Der Architekt meinte, dass die Struktur des Gebäudes nicht gefährdet sei", erklärte sie. "Wobei mir das sehr fragwürdig erscheint. Immerhin ist der Geheimgang eingestürzt... Er kann mir also nicht erzählen, dass das überhaupt nichts zu bedeuten hätte. Ich konnte mich gerade noch so zurückhalten, ihn danach zu fragen."

"Er wirkt nicht besonders menschenfreundlich", fand Quintessa. Sarah lachte und nickte bestätigend. "Ich kann mir nicht vorstellen, dass er überhaupt jemals freundlich sein kann. Zumindest habe ich ihn noch nie so erlebt."

"Wir auch nicht", ergänzte Dorothea. "Ob es damit zusammenhängt, dass ich die Idee mit dem Theater hatte?", überlegte Sarah. "Gut, der Umbau wird somit noch einmal schwieriger, aber die Voraussetzungen sind doch gut. Ich hätte mich an seiner Stelle über diese Herausforderung gefreut." Die vier stimmten ihr zu.

"Wahrscheinlich ist das einer dieser Menschen, der mit Theater überhaupt nichts am Hut hat und sich deswegen damit so schwertut", fand sie. "Genauso wie der Graf." Benno wusste nicht, was er davon halten sollte, dass sie den Mann, mit dem sie jahrelang verheiratet gewesen war, mit seinem Adelstitel anredete. Als hätte es zwischen ihnen nie etwas gegeben. "Wie dem auch, ich muss mal mit euch reden", sagte Sarah, als sie bemerkte, dass keiner Anstalten machte, etwas zu sagen. "Ich weiß, es könnte noch Jahre dauern, aber warum machen wir uns nicht schon einmal Gedanken über ein Stück, das man aufführen könnte? Mir ist da auch schon eine Idee gekommen. Wenn ich meiner Agentur einen guten Entwurf vorstellen kann, dann unterstützen sie uns vielleicht. Sie haben schon viele Theaterstücke geplant. Warum bringen wir nicht das Stück der Herzkönigin auf die Bühne? Das wäre doch eine gute Möglichkeit, seine unvollendeten Werke der Öffentlichkeit zu zeigen, oder etwa nicht?"

An den Reaktionen der anderen bemerkte sie jedoch, dass sie ihr nicht wirklich zustimmen wollten. Benno ahnte Schlimmes. Nervös blickte er zu Lasse, der ihm einen ebenso hilflosen Blick erwiderte wie Quintessa. Dorothea raschelte nervös mit der Gummibärchen-Tüte. "Hier stimmt doch etwas nicht", stellte Sarah alarmiert fest. "Was ist los?" Ihr Ton brachte Benno zu dem Entschluss, dass es so gut wie unmöglich war, ihr ein paar fade Ausreden zu präsentieren. Sie mussten sich schnell etwas einfallen lassen.

"Es wäre schön, wenn ihr mir antworten könntet!", sie lehnte sich abwartend an die Tür. "Mir fällt nicht zum ersten Mal auf, dass hier etwas faul ist. Wollen wir darüber reden?" Dorotheas und Bennos Blick trafen sich. Der Junge war auch der Meinung, dass sie ihr erzählen sollten, was gerade im Schloss vor sich ging. Konnte die Gräfin ihnen möglicherweise helfen? "Besser wäre es", sagte Dorothea schließlich. Sarah setzte sich zu Lasse auf den Teppich. "Dann schießt mal los", forderte sie die anderen auf.


Sarah war gut darin, sich ihre Verwunderung nicht anmerken zu lassen. Zumindest konnte Benno nicht daran glauben, dass sie die Ereignisse, von denen Dorothea, Quintessa, Lasse und er berichteten, einfach so hinnahm. Zwar zeigte sich ab und zu ein Lächeln auf ihrem Gesicht, aber die meiste Zeit hörte sie einfach nur zu. Sie unterbrach sie kein einziges Mal, bis sie fertig erzählt hatten. Wie sie anfangs nach und nach den Buchfiguren begegnet waren, wie sie dahinter kamen, warum diese ihre eigenen Welten verließen und wie sie ihnen jetzt helfen wollten. Dorothea ließ auch den Traum nicht unerwähnt.

Schließlich schwiegen sie sich an, bis Sarah sagte: "Da habt ihr ja ziemlich viel erlebt." Mit dem Finger zeichnete sie ein Muster in den Teppich, wischte es wieder glatt und zeichnete ein neues. "Da habt ihr ja ziemlich viel erlebt." Benno sah sie nachdenklich an. Glaubte seine Großmutter ihnen? Sie machte nicht gerade den Anschein.

"Ich wusste schon, seit ich das erste Mal das Schloss betrat, dass hier etwas Seltsames vor sich ging", erzählte sie. "Ich habe schon in den verschiedensten Welten Theater gespielt, aber das ist eben alles nicht echt. Dass, was hier vor sich geht, kann nicht einmal ich so richtig glauben." "Es kann aber kaum Zufall sein, dass hinter dem Park ein verlassener Freizeitpark steht, in der Stadt plötzlich Menschen herumlaufen, die sich als Wachen verkleiden und ein königlicher Ball wie aus dem Nichts im Schloss stattfindet und das alles genauso beschrieben in den Entwürfen das Grafen steht", meinte Dorothea.

"Ich habe nicht gesagt, dass ich euch nicht glaube", erwiderte Sarah. "Aber ihr müsst zugeben, in den Tagen, die ihr hier seid, ist relativ viel passiert, das muss man erst einmal verarbeiten." "Beziehungsweise miterlebt haben", murmelte Lasse. "Dafür ist es nun leider zu spät", erklärte Sarah. "Man könnte uns jetzt für verrückt erklären, aber man kann es auch lassen. Ich finde, man sollte nicht versuchen, irgendetwas als unmöglich abzustempeln, wie wir hier am besten sehen."

Sie blickte zu Avli, der immer noch als Statue auf der Kommode stand. "Der kleine Drache kann sich gerne seiner Süßigkeiten bedienen. Ich sehe doch, dass er gleich platzt." Mit einem erleichterten Seufzen löste sich Avli aus seiner Gestalt. "Ich hätte es keinen Moment langer ausgehalten", sagte er und stürzte sich auf seine Tüte. "Wie hast du das denn erkannt, dass mit der Statue was nicht stimm?", fragte Dorothea erstaunt.

Sarah lächelte. "Jahrelange Beobachtungen. Außerdem kam er ja in euren Erzählungen vor", erklärte diese. "Avli ist wahrscheinlich das beste Indiz dafür, dass das alles durch und durch echt ist." "Ich bin auch echt!", kam eine Stimme unter dem Bett hervor. Xenia war, als Sarah das Büro getreten war, unter das Bett gekrochen und hatte sich dort versteckt. "Ich hätte gleich noch gefragt, wo das Drachenmädchen ist, von dem auch die Rede war", beruhigte Sarah sie. "Den Geheimgang habe ich auch gesehen. Und wo machen wir jetzt weiter?" "Das fragen wir uns auch", erklärte Benno. "Eigentlich dachten wir, dass den Buchfiguren so geholfen werden könnte. Der Plan war ja auch ganz einfach... Xenia schreibt die Geschichten mit unseren Ideen so zu Ende, dass die Geschichten gut ausgehen und die Buchfiguren somit keinen Grund mehr haben, in unserer Welt zu bleiben."

"Ich muss zugeben, dass sich dieser Plan wirklich gut anhört", stimmte Sarah zu. "Anhand des Geheimgangs konnten wir ja schon sehen, dass er auch funktioniert hat." "Dass er einstürzt, gehörte aber nicht dazu", widersprach Xenia. "Davon habe ich kein einziges Wort geschrieben! Das ganze Schloss hätte einstürzen können!" Ihre Stimme wurde vor Aufregung brüchig. "Das wollte ich doch gar nicht!"

"Hier, iss' ein paar davon!", rief Avli vom Bett aus und warf Xenia ein paar Gummibärchen zu. "Womit wir bei dem Teil des Plans waren, der leider nicht funktioniert", schlussfolgerte Sarah.

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