II. Aufzug, 5. Szene
"Habt ihr Euch das wirklich gut überlegt?", fragte eine Männerstimme. Die Herzkönigin wendete den Blick von der Treppe ab, die Dorothea eben noch hinauf gegangen war. "Doktor Huffington!", sagte sie überrascht. "Was führt Euch zu mir?" "Ich wollte mit Euch reden, aber wie ich jetzt feststellen muss, könnte es dafür schon fast zu spät sein", fand Doktor Huffington. "Setzt Euch doch", meinte die Herzkönigin und winkte einem Diener, noch etwas zu trinken zu bringen.
"Meint Ihr Dorothea?", fragte sie. Der Psychologe sah dem Diener erst dabei zu, wie dieser sein Glas auf dem Tisch abstellte, bevor er sich wieder dem Gespräch zuwendete. "Wen sollte ich sonst meinen?", fragte er. "Eine andere Person stellt ja im Moment keine Gefahr da." "Warum sollte Dorothea eine Gefahr für uns herstellen?", wollte die Herzkönigin wissen. Sie verstand nicht, was der Professor von ihr wollte. "Ich habe, so unhöflich es sein mag, einen Teil des Gespräches mit angehört", antwortete er. "Ihr gebt Euch viel zu menschlich."
"Angesichts der aktuellen Situation könnte es durchaus verständlich sein, aber inzwischen bemerke ich, dass es für alle einfacher ist, wenn ich menschlich bin", rechtfertigte sie sich. "Trotzdem, das ist nicht gut für Euch", entgegnete Doktor Huffington. "Ihr habt Euch den Respekt Eurer Untertanen erarbeitet, lasst nicht zu, dass er im Nichts untergeht. Ihr macht Euch viel angreifbarer, vor allem bei dem Mädchen."
"Warum sollte mich es angreifbar machen, wenn ich der Person den Respekt zolle, den sie verdient, weil sie uns hilft?", fragte die Herzkönigin. Sie sprach ruhig, aber in ihr begann es zu brodeln. "Das finde ich nicht in Ordnung, dass Ihr meine Autorität so untergrabt."
"Ich versuche nur, Euch vor einer großen Gefahr zu wahren", widersprach der Psychologe. "Dorothea ist kein guter Mensch." "Das überlasst mir selbst, es einzuschätzen", forderte die Königin. "Bitte, lasst euch nicht von ihrem gebrechlichen und traurigem Schauspiel ablenken", bat Huffington. "Sie wird Euch helfen, aber damit wird sie Euch nur noch mehr verraten, als Sie es nicht eh schon getan hat."
"Sie hat mich nicht verraten. Ich habe mir selbst eingeredet, dass sie an dem Putsch Schuld trägt, weil ich gerne wollte, dass der Verantwortliche so schnell wie möglich gefunden wird. Ich habe mir die erstbeste Person gegriffen und das war nicht richtig", erklärte die Königin kühl. Der Doktor macht sich verdächtig, dachte sie. "Bitte glaubt mir, wenn ich sage, dass Dorothea Euch nur helfen wird, um den Putsch zu Ende zu bringen, um Euch zu stürzen", sagte er. "Sie hat Euch doch erst in diese Situation gebracht. Ohne Dorothea wäre alles beim Alten geblieben." "Wie meint Ihr das, Huffington?", fragte die Herzkönigin.
"Das Mädchen taucht auf, keiner hat es je zuvor gesehen und dann schafft sie es auch noch, in die engere Auswahl der zukünftigen Königin zu kommen. Allein das ist verdächtig", antwortete Huffington. "Sie kommt aus einer fernen Welt, die Ihr nur zu gut kennt", kommentierte die Königin. "Jedes Mädchen hatte dieselbe Chance, in die engere Auswahl zu kommen. Es ist zwar ungewöhnlich, aber nicht unmöglich, dass sie es geschafft hat. Wie sieht Eure Verschwörung weiter aus?"
Der Psychologe ließ sich nicht davon beeinflussen, dass die Herzkönigin seine Worte anzweifelte. "Sie hatte während ihrer Zeit im Schloss genug Gelegenheiten, alles auszuspionieren. Die Informationen hat sie dann aus dem Schloss geschmuggelt, um ihre Kumpanen auf den Putsch vorzubereiten. Sie haben alles gemeinsam geplant, bis in das kleinste Detail. Dorothea wusste durch ihre Prüfungen und die Proben genau, wie die Feier ablaufen würde, wer zu welchem Zeitpunkt an welcher Stelle steht. Sie konnte den Revolutionären also genau sagen, was sie wie tun müssen, um Euch zu stürzen."
Die Herzkönigin antwortete nicht. Sie dachte nach. Die Theorie des Doktors klang durchaus plausibel, allerdings hätte es auch jedes andere Mädchen sein können, da bis zur Hochzeit alle gleich behandelt wurden. Wobei Dorothea sich durchaus verdächtigter machte, da man sie vorher nicht gekannt hatte.
Außerdem war sie oft für lange Zeit nicht auffindbar und tauchte dann plötzlich wieder auf als wäre nichts gewesen. Inzwischen wusste die Herzkönigin aber, woran es lag. Ein fader Beigeschmack kam trotzdem auf. "Für Euch wäre es doch eine Schmach, sich von solch einer Tyrannin helfen zu lassen", fand der Psychologe. "Sie wird Euch helfen, davon gehe ich aus, aber sie wird auch gleichzeitig dafür sorgen, dass Ihr vor dem ganzen Volk Euer Gesicht verliert. Sie ist immer noch eine Verräterin. Eine Verräterin durch und durch!"
"Ihr denkt also, dass Dorothea sich nur so hilfsbereit zeigt, um ihre Tat vollenden zu können?", fragte die Königin. "Genauso wird es sein", antwortete Huffington. "Ich habe aber eine Idee." "Wärt Ihr so freundlich, Sie mit mir zu teilen?", fragte die Königin. "Ihr macht weiter wie bisher. Gebt ihr das Gefühl, Ihr wärt auf das Mädchen angewiesen. Wenn sie nicht in Eurer Nähe ist, nehmt Ihr Euch ein paar Eurer besten Wächter zur Seite und besprecht mir ihnen, wie man sich an der Verräterin rächen kann. Außerdem müsst ihr dafür sorgen, dass die Hochzeit dann so schnell wie möglich stattfindet. Der Prinz wird auch dieses Mal Dorothea wählen. Diesen Moment wird sie noch nicht nutzen, erst, wenn sie verheiratet ist. Dann gehört sie zur Königsfamilie und würde die Königin werden, wenn mit Euch etwas passiert, was dann auch so sein wird. Sie werden wieder den Saal stürmen, um euch zu stürzen, damit der Weg zum Thron für Dorothea frei ist. Ihr müsst ihr zuvorkommen. Lasst euch von der Hilfsbereitschaft des Mädchens nicht zu sehr blenden. Sie ist ein hinterlistiges und durchtriebenes Weib, das es zu stoppen gilt. Wenn alles gut geht, seid Ihr wieder in Eurer eigenen Welt und könnt noch im selben Moment die Bedrohung ausschalten, die sich Euren Sohn und Euer Reich unter den Nagel reißen will. Dann könnt Ihr für alles Rache nehmen, was sie Euch angetan hat."
Ohne ein weiteres Wort zu sagen, stand der Psychologe auf. Zum zweiten Mal an diesem Abend blieb die Herzkönigin alleine auf dem Sofa zurück. Sie saß auch dann noch da, als der Wintergarten sich leerte, die Diener aufräumten, die Wachen ihren Wechsel für die Nacht durchführten und der Rest derjenigen, die zum Königshaus gehörten, schlafen gegangen waren.
Die Herzkönigin dachte lange über die beiden Gespräche nach. Sie kam zu dem Entschluss, dass sie sich doch nicht einfach so auf die hilfsbreite Dorothea einlassen sollte. Es konnte wirklich alles nur Fassade sein und am Ende würde ihre Naivität noch ihr Ende bedeuten. Der Doktor war erwachsen, er war vertrauenswürdiger. Er hatte ihnen schließlich auch geholfen, als sie vollkommen verloren in der großen Stadt gelandet waren. Je mehr und je mehr sie nachdachte, desto sicherer wurde sie sich.
Die Diener hatten schon die Lichter ausgemacht, nur ein paar kleine Lampen in der Ecke des Sofas spendeten noch etwas Licht. Eine Wache hielt sich aufmerksam im Hintergrund und fiel im Dunkeln gar nicht auf. Sie trank den letzten Schluck aus dem Glas. Und plötzlich war der alte Zorn wieder da.
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