II. Aufzug, 4. Szene
Am nächsten Morgen war Ludmilla völlig durch den Wind. Eines ihrer Kinder war krank und musste zu Hause bleiben. Zwar kümmerte sich ihr Mann darum, aber Ludmilla schaute trotzdem ständig auf ihr Handy, ob es etwas Neues gäbe. Dann sollten heute auch noch die Handwerker anrücken. Sarah half ihr in der Küche, was Ludmilla am Anfang vehement abgelehnt hatte. Für die Haushälterin war es ein Unding, dass die Gräfin ihr in der Küche half.
Sarah ließ sich davon jedoch nicht beirren. Sie konnte Ludmilla sogar dazu bewegen, sich für einen Moment mit an den Tisch zu setzen, wenn alle anderen frühstückten. "Wir haben eine Idee, wie wir das Schloss effektiv nutzen könnten", erklärte Matthias. Seit er den Speisesaal betreten hatte, strahlte er mit seiner Mutter um die Wette. "Erzählte schon!", forderte Giorgio. "Wase ist es?"
"Wie ihr vielleicht wisst, habe ich mein ganzes Leben lang Theater gespielt", erklärte Sarah. "Warum könnte man nicht auch hier ein kleines Theater etablieren?" "Du willst ein Theater aus dem Schloss machen?", fragte Benno. "Warum nicht?", erwiderte Sarah. "Die Idee war gestern nur ein Hirngespinst, aber sie zeigt deutlich mehr Potential als das Hotel, von denen es ja schon unzählige in Belfast gibt, die noch dazu nicht soweit ab liegen", erklärte Matthias.
"Sobald der Architekt heute kommt, greife ich ihn mir mal", ergänzte Sarah. "Stellt euch doch mal vor, wenn seine Bücher umgeschrieben und dann als Theaterstück aufgeführt werden? Wir haben uns zwar Zeit seines Lebens darüber gestritten, weil er dem Theater nichts abgewinnen konnte, aber ich bin mir sicher, er würde sich freuen, wenn seine Werke weiterleben würden." "Die Idee ist wirklich gut", sagte Louis.
"Wenn der Architekt sagt, dass es möglich wäre, bestellen wir ein Planungsteam. Ich frage bei dem Unternehmen an, für das ich Jahrelang gespielt habe, ob sie uns unterstützen würden und ich selbst gebe natürlich auch meinen Beitrag dazu", erklärte Sarah. "Wozu soll ich meine Gagen denn sparen, wenn man auch etwas Sinnvolles damit anstellen kann?" "Sieht so aus, als wäre das mehr als ein Hirngespinst", überlegte Dorothea. "Das Schlosstheater hat sehr schnell Form und Gestalt angenommen", gab Sarah zu. "Matthias und ich finden die Idee gut, denn damit könnte man das Schloss wirklich effektiv nutzen. Und es ist ja nicht so, dass wir hier nicht schon genug Theater hätten!"
"Das Theater lässt dich wohl nie so richtig los, oder?", fragte Ludmilla. Sarah schüttelte den Kopf. "Nein. Ich habe mir vorgenommen, für meine Familie dazu sein und das wird auch weiterhin an erster Stelle stehen", sagte sie bestimmt. "Apropos Familie... warum sitzt du noch hier? Du fährst jetzt nach Hause und bleibst dort solange, bis wieder alles im Lot ist. Wir kriegen den Laden hier schon irgendwie geschmissen!"
Dorothea drehte sich unruhig auf die andere Seite. Sie konnte nicht schlafen. Mit dem Fuß schob sie die Bettdecke zur Seite, die sich schon verdreht hatte. Das Mädchen drehte sich zurück auf den Rücken. Sie zwang sich, die Augen geschlossen zu halten. Vielleicht würde sie irgendwann wieder einschlafen. Vor ihren Augen sah sie einen bläulichen Schimmer. Ihre Hand krallte sich im Kopfkissen fest.
Nein! Das konnte nicht möglich sein. Ihre Traumwelt gab es nicht mehr... sie konnte nicht wieder dorthin zurückkehren. Der blaue Schimmer machte ihr Angst und so schlug sie die Augen doch wieder auf. Sie vernahm leise Musik und Stimmengewirr. Feierten die anderen etwa eine Party und keiner hatte ihr Bescheid gesagt? Sie befreite sich von der Decke und stand auf. Da sie ihre Hausschuhe nicht finden konnte, lief sie barfuß zur Tür. Sie öffnete sie und trat hinaus auf den Flur. Hinter ihr fiel die Tür wieder ins Schloss. Ihr Herz schlug schneller. Das war nicht der Flur im Schloss. Das Mädchen wollte wieder zurück in das Zimmer, aber die Tür ließ sich nicht öffnen. Panisch blickte sie sich um, aber dann sagte sie zu sich, dass sie sich dem stellen musste, was sie hier erwartete.
Sie wusste, dass sie nur träumte und jeder Zeit wieder aufwachen konnte. So oft hatte sie das schon erlebt, sie brauchte also gar nicht panisch zu werden. Ein paar Herzschläge später fühlte sie sich ruhiger. Wenn sie schon Musik hörte, konnte es nichts Schlimmes sein, was sie dort erwartete. Am Ende des Flures wurde es heller. Barfuß lief Dorothea darauf zu. Sie bog um die Ecke und dann schlug ihr die Musik entgegen.
Für einen Moment blieb sie staunend stehen. Sie stand auf einer Galerie, ähnlich wie im Rittersaal des Schlosses. Nur war das hier nicht im Schloss. Dorothea brauchte ein paar Sekunden, bis sie verstand, dass das hier der Wintergarten der Villa war, die etwas weiter vom Schloss weg stand. Wo sie die Herzkönigin mit ihrem Gefolge hingeschickt hatten. Der Wintergarten war kleiner als der Rittersaal, aber das gewölbte Dach ließ sie trotzdem staunen. Sie lief die Treppe nach unten. "Dorothea! Wie schön, dich zu sehen!", rief eine Stimme aus, die dem Mädchen im ersten Moment eine Gänsehaut verschaffte.
Die Herzkönigin kam eiligen Schrittes auf Dorothea zu. Das Mädchen dachte zuerst daran, sofort wieder wegzulaufen, aber dann blieb sie doch stehen. Freudig gab ihr die Herzkönigin die Hand und Dorothea dachte an die Zeit zurück, als sie bei Hofe jedes Mal einen Knicks machen musste, sobald sich die Königin nur näherte. Der Handschlag gehörte in Dorotheas Welt, von der sich die Herzkönigin schon viel zu viel angeeignet hatte.
"Die Freude ist ganz meinerseits", meinte Dorothea. Ihre Gegenüber bemerkte jedoch, dass aus ihrer Stimme keinerlei Freude sprach. "Ich kann verstehen, dass du dich nicht freust, mich zu sehen", entgegnete sie. "Ich wollte nicht unhöflich sein", sagte Dorothea. "Darauf legt man im Moment nicht wirklich Wert. Andere Dinge sind wichtiger. Ich freue mich jedoch wirklich, dich zu sehen", erklärte die Königin. "Ich hoffe, dass du dein Versprechen hältst und uns hilfst, zurückzukommen, oder?"
"Ich kann mich jedenfalls nicht daran erinnern, es versprochen zu haben", überlegte Dorothea und musterte die Königin. Wie so oft trug sie ein weißes Kleid, das rot gesäumt war. Sie würde sich nicht noch einmal von der Herzkönigin einschüchtern lassen. Diese Zeiten waren vorbei! "Ich werde aber trotzdem helfen. Es ist immerhin keine schöne Situation für alle Beteiligten." "Du wirst froh sein, wenn wieder mehr Abstand zwischen uns ist als nur ein paar Meter", fand die Königin und das Mädchen nickte. "Wollen wir uns setzen?"
Dorothea nickte unentschlossen und die Herzkönigin führte sie zu einem Sofa, das in einer Ecke des Wintergartens stand. Hier waren sie etwas abgeschiedener von denen, die sich mit Musik, Tanz oder Kartenspielen die Zeit vertrieben. "Ich möchte dir nichts Böses mehr", sagte die Herzkönigin. "Inzwischen kann ich sichersein, dass du wirklich nichts mit dem Anschlag zutun hast." "Das freut mich zu hören", fand Dorothea. "Wer soll es dann aber gewesen sein, der den Putschversuch angezettelt hat?"
"Das weiß ich nicht", antwortete die Herzkönigin. "Ich war nicht nett zu dir während deiner Zeit im Schloss, das muss ich zugeben. Allerdings war ich das zu allen, um nicht Nähe zu einem der Mädchen aufzubauen, die mein Sohn am Ende doch nicht heiraten würde. Das hätte alles nur unnötig durcheinander gebracht und am Ende hätte er doch nicht die richtige Wahl getroffen. Ich weiß, dass er dich gewählt hätte und darüber freue ich mich jetzt, im Nachhinein." "Wird die Feier denn nachgeholt?", fragte Dorothea nach.
Die Worte der Herzkönigin klangen seltsam ehrlich und aufrichtig. "Sobald wir wieder zu Hause sind, so habe ich es mir überlegt", antwortete sie. "Dann möchte ich auch den Verantwortlichen für den Putsch finden. Nur kann ich das in dieser Welt nicht, wo meine Magie nicht richtig wirkt." Dorothea fiel erst jetzt auf, dass die Königin keine Handschuhe trug. Die griff zu einem Glas, das auf einem kleinen Tisch vor dem Sofa stand. "Siehst du? Es friert nicht, das Glas zerspringt nicht, es kühlt sich höchstens etwas ab", erklärte die Königin. "Das erfinde ich angesichts der Temperaturen, die in eurer Welt herrschen, als angenehm. Bei uns ist es nie so warm."
Dorothea musterte die Herzkönigin eindringlich. Ihr schien der Blick nicht zu entgehen, aber sie beschäftigte sich lieber mit dem Glas in ihren Händen. Dem Mädchen erschien sie fast menschlich. Sie wusste, dass die Königin bei weitem nicht einfach war und oftmals launisch und schnell reizbar sein konnte, aber was sie sprach, wie sie sich gab, ließ sie in Dorotheas Augen fast menschlich erscheinen.
Sie beschloss in diesem Moment, ihr Misstrauen endlich abzulegen. Hätte man sie wirklich für den Anschlag verantwortlich machen wollen, hätten die Wachen sie schon längst ergriffen. Die Herzkönigin hätte sie als Schuldige verurteilt, egal, ob sie in dieser Welt war oder in ihrer eigenen. "Ich werde Euch helfen", erklärte Dorothea. "Ich habe mit meinen Freunden auch schon eine Idee, wie, das braucht allerdings noch Zeit."
"Es freut mich zu hören, dass wir überhaupt Hilfe von euch erwarten können", stimmte die Herzkönigin zu und zum ersten Mal konnte Dorothea Züge eines Lächelns auf ihrem Gesicht erkennen. "Lasst euch die Zeit aber bitte nicht zu lang werden. Wenn es etwas gibt, was wir für euch tun können, dann gebt uns Bescheid", bat die Herzkönigin. "Wenn ich sichergehen kann, dass ich von Euch oder von Euren Wachen nichts zu befürchten habe, von jetzt an nicht und auch, wenn wir uns irgendwann durch Zufall wiedersehen sollten. Ich bin nicht für den Anschlag verantwortlich und möchte auch nicht zur Rechenschaft für etwas gezogen werden, das ich nicht verursacht habe", forderte Dorothea.
"Ich gebe dir hiermit mein Versprechen, dass du nichts zu befürchten hast. Jetzt nicht und auch in Zukunft nicht", sprach die Königin, stellte ihr Glas auf den Tisch und führte ihre Hände zum Herz, bevor sie sie vor sich hielt, die Mittelfinger und die Zeigefinder sich überkreuzend. In ihrer Welt das Zeichen für einen Schwur, der niemals gebrochen werden darf. "Dann haben wir das ja geklärt", fand Dorothea. "Ich danke Euch für Euer Vertrauen, aber bitte entschuldigt mich jetzt."
Damit stand sie auf und ließ die Herzkönigin auf dem Sofa zurück. Die anderen sahen dem Mädchen, dessen Gesicht sie kannten, aber das so komisch gekleidet war, nach, wie sie die Treppe wieder nach oben ging und in einem der Flure verschwand.
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