II. Aufzug, 2. Szene

"Wo kommt der denn auf einmal her?", fragte Dorothea verwirrt. Benno nahm sein Handy hervor und schaltete die Taschenlampe ein. "Sei vorsichtig", warnte sie. Das Loch in der Wand war genauso groß wie eine der Holztafeln. Etwa anderthalb Meter hoch und anderthalb Meter breit. Benno bückte sich und ging hindurch, Quintessa folgte ihm neugierig. "Komm, wir gucken uns das mit an", forderte Lasse Dorothea auf.

"Wir wissen doch aber gar nicht, wo der herkommt", erwiderte Dorothea. "Ich pass schon auf dich auf, versprochen!" Dorothea lächelte leicht, dann folgte sie Quintessa zögerlich. "Es gibt sogar einen Lichtschalter!", rief Benno und einen Moment später entflammten ein paar nackte Glühlampen, die an den Seiten angebracht waren. Der Gang war einen knappen halben Meter breit und sie mussten seitwärts gehen, um voranzukommen. "Ob das der Geheimgang ist, den die Schwarzen Männer benutzen?", fragte Benno.

"Wahrscheinlich wird er das sein. Zwei Geheimgänge zu einem Ort wären dann schon ziemlich übertrieben", fand Lasse. Eine steile Treppe begann, die Eisenstange an der Wand erweckte nicht gerade den Eindruck, dass sie halten würde. Sie rostete, aber auch, als sich alle vier an ihr die Treppe hinunter festhielten, um nicht nach unten zu fallen, blieb sie an Ort und Stelle. Schließlich fand die Treppe ein Ende. Der Gang verlief um eine Ecke.

"Wahrscheinlich führt er einmal unter dem Flügel hindurch", vermutete Benno. Die Glühlampen waren in regelmäßigen Abständen angebracht, aber ein Ende des Ganges war nicht in Sicht. "Wollen wir weitergehen?", fragte der Junge. "Da wir ja eh einmal hier unten sind, können wir auch weitergehen", fand Quintessa. Benno schaltete die Taschenlampe wieder aus. Er war sich nicht sicher, aber er wollte nicht unnötig Akku verschwenden.

Die Lampen erhellten den Gang genug, dass sie sehen konnten, wohin sie traten. "Warum taucht dieser Gang jetzt auf einmal auf?", fragte Dorothea. "Es hat doch noch keiner darüber geschrieben, oder?" Die anderen verneinten. "Ich vermute, und das hoffe ich auch irgendwie, dass es Avli und Xenia waren", meinte Benno. "Anders kann ich es mir nicht erklären. " Für eine Weile setzten sie nur einen Fuß vor den anderen, aber sie schienen nicht voranzukommen. "Der Gang ist endlos", meinte Quintessa. "Er wird wahrscheinlich irgendwo im Park enden", vermutete Lasse. "Wenn es nicht sogar in diesem Brunnen ist, an dem wir nun schon mehrmals vorbei gelaufen sind", ergänzte Dorothea. "

Wartet mal", sagte Benno und blieb plötzlich stehen. "Was ist denn?", fragte Lasse. "Hier ist etwas", antwortete der Junge vorne. Er tastete die Wand ab. "Was machst du da?", wollte Dorothea wissen. "Hier stimmt etwas nicht", meinte Benno. "Wollen wir dann nicht lieber wieder gehen?", fragte Dorothea. "Jetzt bleiben wir hier und gucken, ob wir etwas finden", bestimmte Quintessa. Benno fuhr mit den Händen über die Wand. Ein Stein weit oben stand weit hervor. Er ließ sich leicht in die Wand herein drücken. Hinter der Wand rumorte etwas, dann tat sich ein weiteres Loch auf.

"Ich fasse es nicht", staunte Quintessa und sog die Luft ein. "Ein Geheimgang im Geheimgang?", fragte Lasse. "Hier scheint kein Lichtschalter zu sein", meinte Benno. "Du hast doch dein Handy", schlug Quintessa vor. Benno und sie wagten sie vor. "Wollen wir nicht doch zurückgehen?", fragte Dorothea. "Das ist mir unheimlich." "Da werden schon keine Leichen drin liegen", entgegnete Lasse. "Trotzdem", quengelte das Mädchen. "Ich will weg hier!" "Was ist denn heute nur mit dir los?", fauchte Lasse sie an. "Du bist den ganzen Tag schon so komisch. Das nervt!" Er ließ Dorothea alleine auf dem Gang und folgte Benno und Quintessa. Er sah, wie der bläuliche Schein durch den Raum wanderte.

Einige, verstaubte Kisten standen darin herum, wild übereinander gestapelt. Benno blieb vor einem weißen Tuch stehen, das von der Decke ging. "Was da wohl dahinter ist?", fragte Quintessa neugierig. Benno zog es vorsichtig zur Seite und sofort rieselte der Staub herunter. Die beiden mussten niesen. "Gesundheit", meinte Lasse. "Danke", schnupfte Benno und machte sich wieder an dem Tuch zu schaffen. Plötzlich fiel es samt seiner Aufhängung herunter und ließ die drei in einer Staubwolke verschwinden, die sich nur langsam wieder legte. Sie mussten husten. "Ich glaube, sollte hier irgendwas sein, habt ihr es garantiert schon verscheucht", meinte Dorothea, die ihnen nun doch gefolgt war.

"Schön, dass du auch hergefunden hast", entgegnete Lasse. "Seht euch das an", staunte Quintessa. Vor ihnen stand eine Ritterrüstung. Der eine Arm war angewinkelt und hielt eine Lanze. "Das wird sie doch nicht sein...", stammelte Benno. Vorsichtig wischte er mit einem Finger die Staubschicht zur Seite. Darunter kam pures Gold zum Vorschein. Es war matt, wahrscheinlich hatte die lange Zeit hier unten ihre Spuren hinterlassen. "Das ist die goldene Rüstung", stellte Dorothea fest.

Eine Weile starrten sie die verstaubte Rüstung an. Ihre Augen hatten sich an die Dunkelheit gewöhnt und so leuchtete das Gold selbst unter der Staubschicht hervor. "Was wohl in all den anderen Kisten ist?", fragte Benno. Lasse hob vorsichtig den Deckel einer Kiste an, die auf einem Stapel ganz oben stand. "Da ist weiteres Gold", stellte er fest und hob die kleine Kiste herunter. "Das ist Schmuck", stellte Dorothea fest. "Alter, verstaubter Schmuck. Aber aus Gold!" "Warum hat das hier noch keiner gefunden?", fragte sich Quintessa. "Weil sie wahrscheinlich erst noch gefunden werden soll", antwortete Benno. Sie sahen sich erschrocken an. "Wenn wir wirklich davon ausgehen, dass Xenia in der Zeit, als wir essen waren, die Geschichte der Schwarzen Männer weitergeschrieben hat, dann dürfte es nur eine Frage der Zeit sein, bis sie hier auftauchen", überlegte Lasse.

Schnell befestigte er den Deckel wieder auf der Kiste und stellte sie zurück auf den Stapel. Benno knüllte das Laken zusammen und versteckte es, samt der Aufhängung, die immer noch an dem Tuch befestigt war, hinter den Kisten, sodass es nicht sofort auffiel, wenn jemand den Raum betrat. "Wir sollten zurück", sagte Dorothea. "Und das sage ich jetzt nicht, weil ich Angst habe!" Sie verließen den Raum. Benno zog den Stein wieder aus der Wand. Der Junge hoffte, dass sie sich wieder schließen würde.

Aber nichts geschah. Er konnte den Stein bewegen, wie er wollte, es tat sich nichts. Schnell suchte er die Wand nach weiteren Steinen ab. Vielleicht hatte er auch nur den falschen genommen. Es gab jedoch keine weiteren Steine, die sich bewegen ließen. Das Loch in der Wand blieb. "Los, komm", sagte Lasse. "Lass' es jetzt so. Wenn wir immer noch hier sind, wenn die Schwarzen Männer herkommen, bringt das so ziemlich alles durcheinander." Dorothea und Quintessa waren schon vorneweg gelaufen, Benno und Lasse holten sie erst wieder ein, als sie wieder im Rittersaal waren. Benno schaltete das Licht aus und hob mit den anderen zusammen die Holztafel vor das Loch.

Sie glitt wie von allein in die Halterung zurück und verdeckte den Geheimgang. Atemlos blieben sie noch eine Weile stehen. "Ich möchte mir nicht vorstellen, was passiert wäre, wenn Xenia jetzt die Schwarzen Männer geschickt hätte", fragte Dorothea. "Dass die beiden nicht einmal warten konnten, bis wir wieder bei ihnen sind..." "Die können sich was anhören!", sagte Lasse bestimmt.



Aber Avli und Xenia ließen sich erst am nächsten Morgen wieder blicken. Nachdem sie die beiden Drachen nach der Entdeckung des Geheimgangs und der goldenen Rüstung nicht gefunden hatten, waren sie schlafen gegangen. Keiner von ihnen verspürte Lust, wieder bis tief in die Nacht an einer Geschichte zu sitzen.

"Ihr hättet uns ja mal vorwarnen können, dass ihr da plötzlich den Geheimgang hinzaubert", meinte Lasse. "Wir wussten ja nicht, dass ihr spät am Abend noch durch das Schloss geistert", entgegnete Avli. "Dass wir euch so in Stress und Angst versetzen, konnten wir ja nicht ahnen." "Das war meine schuld", sagte Xenia. "Es tut mir leid. Ehrlich!" Das Drachenmädchen ließ traurig den Kopf hängen. "Wahrscheinlich haben wir alle einen ziemlich großen Schrecken bekommen", versuchte Quintessa, die anderen zu beruhigen. "Eigentlich sollten wir froh sein, dass es bei einer weiteren Geschichte funktioniert hat."

Avli angelte sich die Büchse mit den Erdnüssen, in der nur noch ein paar waren. "Moment... warte mal", stellte Xenia alarmiert fest. "Warum isst du denn jetzt Erdnüsse?" "Wegen des Schreckens und weil ich Erdnüsse generell mag", antwortete Avli verwundert. "Nein!", rief Xenia aus. "Wir hatten doch geschrieben, dass du keine Erdnüsse mehr magst!" "Das Blatt habe ich vernichtet", erklärte Benno. "Ich wollte den armen Kerl nicht länger quälen."

Er musste lachen. "Immerhin sind Erdnüsse so etwas wie Avlis Lebenselixier." "Eigentlich hatte ich den Satz noch einmal aufgeschrieben", meinte Xenia verwirrt. Sie durchsuchte die Blätter auf dem Schreibtisch. "So grausam bist du also, dass du mir das antust?", fragte Avli entrüstet. "Der Satz mit Quintessa ist auch verschwunden", stellte Xenia fest. "Ich verstehe das nicht." "Welchen Satz von mir meinst du?", fragt Quintessa. "In dem wir dir das Wissen über Australiens Hauptstadt zuschreiben", antwortete Lasse. "Australiens Hauptstadt? Was soll das sein?", fragte Quintessa verwirrt. Für einen Moment breitete sich erstauntes Schweigen aus. "Canberra? Die Hauptstadt von Australien?", versuchte Benno ihr auf die Sprünge zu helfen.

"Nie gehört", entgegnete Quintessa. "Ehrlich nicht. Ich schwöre!" Benno wechselte einen erstaunten Blick mit Lasse, dann mit Xenia, die hilflos zwischen den Blättern auf dem Schreibtisch herumstand und die beiden Blätter nicht finden konnte. Da wurde die Tür aufgerissen und eine aufgeregte Ludmilla kam herein. "Ihr müsst sofort mit runterkommen!", keuchte sie. "Warum? Was ist passiert?", fragte Dorothea. "Die... Die Gräfin ist wieder da", antwortete Ludmilla.

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