Finale, 1. Szene

Dorothea sah zu Boden, schon seitdem sie den Festsaal betreten hatte. Während die anderen Mädchen neben ihr in der Reihe hoch erhobenen Hauptes sich umsahen und einigen sogar zuwinkten, hielt Dorothea den Kopf gesenkt. Benno bemerkte, wie Lasse am liebsten aufgesprungen wäre, um sie von dort vorn wegzuholen. Der Wind drückte gegen die Glasscheiben und erhoffte, dass sie dem Unwetter standhalten würden. Der dunkle Himmel draußen erweckte den Anschein, dass es Nacht wäre, doch dafür interessierte sich im Saal niemand. Hier war es eh hell erleuchtet, sodass keiner einen Gedanken daran verschwendete, was wohl auf der anderen Seite der Glasscheiben passieren würde.

Der Hofkapellmeister wartete, bis der Applaus verklungen war und er freute sich, dass bisher alles so gut klappte. Die Gäste wollten sich gar nicht wieder von dem Anblick losreißen, der sich ihnen bot. Xenia hatte nicht damit gescheut, zu übertreiben und den Mädchen wunderschöne Kleider zu verpassen. Benno erinnerte sich nur zu gut an das, das Dorothea bei dem ersten Fest getragen hatte. Ein durch und durch schwarzes, bestickt mit unzähligen schwarzen Blüten. Heute trug sie ein dunkelblaues, die anderen Mädchen hatten jeweils andere Farben.

"Jedes dieser Mädchen hat einen langen Weg hinter sich, um heute endlich hierzustehen!", verkündete der Hofkapellmeister. "Sie sind die zwölf der tausenden, die sich beworben hatten. Viele Aufgaben mussten sie meistern, um sich auf das Leben einer Königin vorzubereiten. Ich kann Ihnen versichern, jede hat die Aufgaben mit Bravour gemeistert und hätte es verdient, die Krone zu bekommen." Wieder brachen die Gäste in lauten Applaus aus. Emilias wurde auf seinem Thron immer kleiner, er wollte hier nicht sein, genauso wenig wie Dorothea. Benno hoffte, dass das Fest schnell vorbei war und damit endlich alles sein Ende finden würde. Ob bei Sarah alles geklappt hatte?

Sie ließ sich immer noch nicht blicken und Benno war hin und hergerissen, ob er nicht doch nach ihr sehen sollte. Wenn Dr. Huffington nun mächtiger war als sie dachten, wenn sie ihn unterschätzt hatten? Doch da sah er, wie sich Sarah versuchte, so unauffällig wie möglich in den Saal zu schleichen. Sie setzte sich zu den anderen an den Tisch und atmete erst tief durch. Es hatte sie kaum jemand bemerkt, die meisten Gäste waren viel zu sehr damit beschäftigt, nach vorne zum Podest zu sehen und was sich dort abspielte. Gerade war der Hofkapellmeister dabei, zu erklären, welche Aufgaben die Anwärterinnen meistern mussten und welche Probleme es hierbei zu bewältigen gab, alles, um sich so gut wie möglich auf das Leben als Königin vorzubereiten.

Auch, wenn von den zwölf Anwärterinnen elf den Saal wieder verlassen würden und nicht Königin waren. Im Moment lächelten sie jedoch mehr oder weniger ungeduldig und warteten, dass der Hofkapellmeister endlich fertig wurde. Er schien sichtlich stolz auf die "Show" zu sein, die man dem Volk hier bot. Sarah wurde unterdessen von den Blicken von fünf Augenpaaren durchbohrt. Benno, Lasse, Quintessa, Xenia und Avli wollten endlich wissen, ob alles geklappt hatte. Sarah war immer noch außer Atem.

Sie hob nur den linken Daumen, das musste vorerst genügen. Benno sah die Regentropfen auf dem Stoff ihres Kleides. Sie schien den ganzen Weg vom Pavillon bis zum Schluss gerannt zu sein, denn draußen legte das Unwetter jetzt erst richtig los. Xenia und Avli fielen sich in die Arme und auch die anderen konnten erleichtert aufatmen. Wenn dieser Plan funktioniert hatte, war es hier nur noch eine Frage der Zeit, bis alles vorbei war. Die Anspannung fiel von Benno ab, nun konnten sie der Zeremonie beruhigt zusehen. Es war fast wie im Kino bei einem Film, nur kannten sie hier schon das Ende. Benno konnte noch nicht glauben, dass ausgerechnet Doktor Huffington, der sich immer als hoch intelligent und überlegen gefühlt hatte, auf eine Verkleidung hereingefallen war.

Sarah hatte ihre Rolle anscheinend sehr überzeugend gespielt. Schließlich hatte sie jahrelang als Königin auf der Bühne gestanden, der Rest waren Verkleidungen und etwas Maskenbilderkünste gewesen. Es hatte also wirklich funktioniert! Als der Junge wieder zur Bühne sah, bemerkte er Dorothea, die mit großen Augen über den Saal hinweg zu ihnen sah. Sie hatte Sarah bemerkt. Lasse gab ihr unauffällig ein Zeichen, dass alles geklappt hatte. Dorothea seufzte und lächelte. Sie straffte die Schultern. Nun musste nur noch sie ihre Rolle zu Ende spielen, doch es gab keinen mehr, der ihr diese Rolle vermasseln konnte.

Quintessa lockerte den Griff um seine Hand etwas. Sarah schien sich wieder er erholen, draußen aber brach das Unwetter los. Es blitze und nur wenige Momente später donnerte es, zeitgleich flackerten die Lichter im Saal. Unruhig sahen die Gäste hinauf zu den Lampen, der Technik, der sie immer noch nicht vertrauten. Der Hofkapellmeister schien darüber verärgert, dass er dadurch unterbrochen wurde und einige im Saal anfingen, leise miteinander zu tuscheln. "Werte Gäste, es gibt keinen Grund zur Beunruhigung", versuchte er sich wieder Gehör zu verschaffen. Es dauerte, bis er der Meinung war, nun wieder die volle Aufmerksamkeit der Anwesenden zu haben. "Es ist nur ein Unwetter, wie wir es schon oft erlebt haben", erklärte er. "Es soll doch nicht noch einmal dazukommen, dass die Hochzeit abgebrochen werden muss."

Nein, das wollten die Gäste wahrlich nicht. Einen solchen Tumult, wie es ihn damals gegeben hatte, wollte keiner noch einmal erleben. Benno sah den ehemaligen Berater der Herzkönigin nahe der Tür herumstehen. Er wippte nervös auf den Zehenspitzen. Xenia hatte zwar genau beschrieben, wie alles ablaufen sollte, aber Benno war sich immer noch nicht sicher, ob sich die, die bereits das letzte Fest gestürmt hatten, dieses Mal daran hielten. Sie wollten den Umbruch unbedingt durchsetzen. Der Regen prasselte auf die riesigen Glasscheiben nieder und einige sahen unsicher nach oben. Würden sie dem Unwetter standhalten?

Es blitze, grollte und regnete, sodass man fast glauben mochte, draußen sei schon Nacht. Machten es die fast schwarzen Wolken nicht schon dunkel, verhinderte der dichte Regen eine Sich weiter als ein paar Meter außerhalb der Glasscheiben. Der Hofkapellmeister sah mit abschätzigem Blick nach draußen. Es gefiel ihm ganz und gar nicht, dass die Leute durch das Wetter abgelenkt wurden. "Kommen wir nun endlich zur Wahl der Braut", rief er aus. Obwohl Benno wusste, was passierte, schlug sein Herz wieder schneller. Er fieberte trotzdem mit, genau wie Qunitessa, Lasse, Sarah und die beiden Drachen. Was sollten sie tun, wenn doch etwas passierte, das Xenia nicht eingeplant hatte?

Wieder und wieder hatten sie das Geschriebene durch gelesen, darüber gesprochen, was falsch verstanden werden konnte oder wo es Schlupflöcher für die Handelnden gab. Keinem war etwas eingefallen, der Text schien wie ein festes Mauerwerk, so mächtig und undurchlässig. Als hätten sie es eingeübt, stellten sich die Anwärterinnen in zwei Reihen auf. Sechs auf der einen Seite der Freifläche, sechs auf der anderen. Dorothea stand nun mit dem Rücken zu ihnen, nicht jedoch, ohne noch einmal einen hilfesuchenden Blick zu ihnen zu werfen.

"Es ist nun an Prinz Emilias, zu wählen, welche der Anwärterinnen er zu seiner Gemahlin wählt. Jedes der Mädchen hätte es verdient, die Königin zu werden, doch nun ist es ganz allein Prinz Emilias überlassen. Er muss entscheiden, welches der Mädchen seiner Meinung nach am besten geeignet ist und an seine Seite passt, um fortan das Königreich zu regieren. Denn nur ein Königspaar, das glücklich miteinander ist, kann ein gutes Königspaar sein." Wäre die Situation nicht so ernst gewesen, hätten Benno und Quintessa gelacht, doch als sich die beiden ansahen und wussten, dass sie dasselbe dachten, wussten sie, dass es besser war, nicht zu lachen. Wie sollte denn aus Emilias und dem Mädchen, das er auswählte, ein glückliches Paar werden, wenn sie ihm keine andere Wahl ließen?

Sie setzten ihn unter Druck, das sah man ihm ganz genau an, als er sich erhob. Fiel es keinem anderen im Saal auf, dass der junge Prinz dreinblickte, als würde er am liebsten gar nicht hier sein wollen? Er war erst fünfzehn, sogar noch jünger als Benno und Lasse und Benno war sich sicher, dass keiner von ihnen jetzt mit Emilias hätte tauschen wollen. Auf den Schultern des jungen Prinzen lastete viel.

Er ließ sich Zeit, wie er vom Podest schritt und zur Seite schielte, als gäbe es einen Fluchtweg, über den er verschwinden könnte. Ein Diener stand mit einem Tablett bereit, auf dem eine kleine Schachtel lag, die Emilias mit zittrigen Händen ergriff. Der ganze Ablauf war in Gesetzen festgeschrieben und man hielt sich daran, seit sie existierten. So lange wie neue Königspaare gekrönt wurden, hatte es nie Ausnahmen gegeben. Dass eine Krönung jedoch noch nie unter diesen Bedingungen stattgefunden hatte, wussten alle Anwesenden. Dieses Fest würde auf jeden Fall etwas Besonderes sein.

Emilias Gesicht sprach Bände, als er zur Mitte der Freifläche schritt. Er wagte nur flüchtige Blicke auf die Mädchen, die ihn alle anlächelten, in der Hoffnung, er würde sich für sie entscheiden. Nachdem das erste Fest endete, als die Vermählung noch nicht stattgefunden hatte, waren sie froh, dass es eine zweite Chance für sie gab, bei der Emilias sie auserwählen könnte. Insgeheim wussten sie es alle, auch, wenn sie es nicht wahrhaben wollten, auf wen die Wahl fallen würde. Emilias stand in der Mitte und sah zum Hofkapellmeister. Dieser gab ihm das Zeichen, dass er jetzt wählen musste.

Niemand ließ den Prinzen in diesem Moment aus den Augen. Emilias lief schnellen Schrittes zu Dorothea, als hoffte er, dass es keiner mitbekommen würde, wenn es nur schnell ging. In Wirklichkeit sahen jedoch alle dabei zu, wie er vor Dorothea stand, sie unsicher anlächelte, während sich das Mädchen gegenüber ebenfalls zu einem Lächeln durchrang. Wie es das Protokoll verlangte, ging er vor ihr in die Knie, um den ordnungsgemäßen Antrag zu machen. Er öffnete die Schachtel mit den Ringen, damit Dorothea sie sehen konnte. Sie waren silbern, mit schwarzen Verzierungen in Form des Kreuzes.

In der Ordnung wechselte das Blatt, sodass Dorothea kurz davor stand, zur Kreuzkönigin gekrönt zu werden. Doch bevor Emilias etwas sagen konnte, erhob sich die Herzkönigin von ihrem Thron.

"Stop!", rief sie mit lauter, durchdringender Stimme. Grimmig blickte sie über die Anwesenden, die erschrocken zu ihrer Königin sahen. "Dieses Mädchen wird nicht meine Krone bekommen! Sie wird nicht die neue Königin!"In diesem Moment ertönte ein ohrenbetäubender Knall, dass das Glas erzitterte. Der Blitz hatte eingeschlagen.


***

Wie ihr seht, befinden wir uns mitten im Finale. Jetzt scheint alles von der Königin abzuhängen...

Ich hoffe, der erste Teil des Finales hat euch gefallen. Bis zum nächsten!

~S•a•D~

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