SIEBZEHN
SIEBZEHN
Die drei Jugendlichen und Avli saßen auf dem Boden in Lasses Zimmer. Der kleine Drache hatte, nachdem sie die Küchenarbeit erledigt hatten, eine Tüte Erdnüsse aus der Speisekammer mitgenommen. Doch anstatt sie mit den anderen zu teilen, stopfte er sich selbst im Minutentakt eine Hand voll in den Mund.
„Ihr müsst mir das jetzt nochmal mit dem Freizeitpark erklären", verlangte Dorothea, „und das mit Avli genauso. Am besten alles von vorne!" „Das lässt sich eigentlich ziemlich kurz zusammenfassen", antwortete Benno. „Sie waren beide auf einmal da." „Avli tauchte auf einmal so in Bennos Zimmer auf", ergänzte Lasse. „Und dank seiner überaus freundlichen und ausgeglichenen Art..."
Bei diesen Worten warf ihn Avli treffsicher einer Erdnuss an den Kopf. „Werd' ja nicht frech!", drohte der kleine Drachen, „sonst werfe ich noch mehr." „Ich sollte darüber nachdenken", erwiderte Lasse grinsend. „So teilst du doch auch irgendwie mit uns." „Nichts da", gab Avli zurück und versteckte die Tüte hinter sich.
„So viel zu seiner überaus freundlichen und ausgeglichenen Art, jaja", sagte Dorothea und lachte. „Seitdem dackelt er also brav mit euch mit, egal wo ihr hingeht?" „Ich bin kein Dackel!", beschwerte sich Avli. „Ich bin ein Drache. Also dackele ich nicht hinter den beiden hinterher, wenn schon, dann drachele ich!"
„Gibt es das Wort überhaupt?", fragte Benno. „Weiß ich doch nicht", antwortete Avli schnippisch. „Dann habe ich dieses Wort gerade erfunden und jetzt müssen dank mir alle Wörterbücher umgeschrieben werden!" Er warf sich in eine alberne Pose, als würde er für einen Fotografen posieren. „Avli Amil, Revolutionär der Sprache und Wortneuschöpfer des Jahrtausends!"
„Träum weiter." Dorothea gab ihm einen Klaps auf den Rücken und nahm ihm die Tüte ab. Der kleine Drache sah seinen Erdnüssen traurig hinterher. Dorothea griff in die Tüte und bediente sich. „Jedenfalls folgt uns Avli seit unserer Begegnung auf Schritt und Tritt. Höchstens, wir sind beim Essen mit den anderen zusammen. Dann wartet er, zur Steinstatue erstarrt, auf irgendeiner Kommode auf uns", fuhr Benno mit den Erklärungen fort.
„Interessant. Wie lebt es sich denn so als halber Stein?", fragte Dorothea und sah Avli an. „Du redest so abfällig davon! Steine sind doch etwas Schönes", erwiderte Avli gekränkt. „Es gibt auch schöne Steine", stimmte ihm Dorothea zu. „Du bist bestimmt einer davon." „Ehrlich?", fragte der kleine Drache und das Mädchen nickte. „
Na dann will ich euch mal nicht länger böse sein", sagte er. „Das ist schön", freute sich Dorothea und wandte sich wieder Lasse und Benno zu. „Und dann? Er ist seitdem also immer mit euch zusammen?" Lasse nickte. „Und heute sind wir eigentlich nur, weil uns langweilig war, durch den Park gegangen. Dann kam plötzlich das Gewitter auf und wir sind gerannt, dass wir vielleicht irgendwo einen Unterstand finden, bis das Unwetter vorbei ist."
„Plötzlich hörte der Park auf und wir standen vor einer riesigen Wiese, auf der ein Freizeitpark stand", fuhr Benno fort. „Der schien aber ziemlich verlassen." „Dann haben wir Sylvain kennen gelernt", erklärte Lasse. „Er ist der Sohn des Chefs des Freizeitparks. Sylvain hat uns ein paar Dinge erzählt, die so ganz und gar nicht zusammen passen." „Und die wären?", fragte Dorothea nach. „Das hört sich jetzt schon unheimlich an!"
„Der Freizeitpark ist an sich sehr, sehr herunter gekommen", erzählte Benno. „Wir waren die ersten Besucher seit Jahren, wie Sylvain uns erklärt hat. Das ist doch verdammt seltsam: alle Angestellten arbeiten noch da, obwohl seit Jahren keine Besucher mehr kommen." „Sylvain meinte, dass sie alle nur bleiben, weil sie so sehr an dem Park hängen und ihn unter keinen Umständen verlassen möchten", sagte Lasse.
„Ich frage mich nur, was sie dann dort noch hält", zweifelte Benno. „Es gibt keinen Lohn mehr und die Arbeit, die sie verrichten, scheint sich doch auch nicht auszuzahlen." „So wie es aussieht, arbeiten sie wenig oder gar nicht. Selbst wenn nur eine Hand voll Leute über Jahre hinweg täglich etwas in dem Freizeitpark macht, dann dürfte es dort heute nicht so aussehen", widersprach Lasse und schüttelte den Kopf. „Das ist alles herunter gekommen und baufällig. Es gibt dort keinen Fleck, der irgendwie in Stand gehalten ist oder der voll und ganz funktioniert."
„Scheint, als würde das dort alles auf eine Art und Weise auf der Stelle treten", meinte Dorothea. „Wenn ihr sagt, dass es dort seit Jahren so aussieht und seit Jahren nichts passiert, dann ist das doch, als wäre die Zeit stehen geblieben."
„Jetzt, wo du es sagst", stimmte Benno zu. „Nach dem, was Sylvain erzählt hat, kann ich mir das vorstellen. Dass der gesamte Freizeitpark seit Jahren in ein und demselben Trott ist und da nicht wieder heraus kommt." „Nur passt das dann trotzdem nicht damit zusammen, dass keiner hier von dem Freizeitpark weiß", brachte Lasse ein.
„Wirklich niemand?", fragte Dorothea erstaunt. „Als ob man einen Freizeitpark übersehen könnte. Vor allem hier, in Nordirland, ist das doch eine kleine Sensation. Ich meine, Freizeitparks gibt es hier nicht unbedingt im Überfluss. Da würden doch tausende, wenn nicht Millionen, von Menschen das wissen." „Also haben wir es mit einem unbekannten, vor sich hin dümpelten Freizeitpark zu tun", schlussfolgerte Avli.
„Messerscharf erkannt, Sherlock Avli", stimmte ihm Lasse zu. „Hey, das ist doch ein cooler Name", freute sich der kleine Drachen. „Sherlock Avli. Wie das klingt!" „Sehr schön", kommentierte Dorothea kurz angebunden. „Ich muss diesen Freizeitpark unbedingt sehen! Das hört sich interessant, wenn es auch ziemlich unheimlich ist."
„Unheimlich an sich ist der Park nicht", erwiderte Benno. „Eben nur etwas herunter gekommen. Es ist das drum herum, was es unheimlich macht." „Geht ihr morgen noch einmal mit mir dorthin?", fragte Dorothea neugierig. „Gerne", antwortete Lasse. „Nur müssen wir vormittags noch etwas arbeiten." „Was denn arbeiten?", wollte Dorothea wissen. „Wir haben den Auftrag bekommen, das Gesamtwerk des Grafen zu erfassen", erklärte Benno.
„Oh", staunte das Mädchen. „Hört sich nach viel Arbeit an." „Das ist es auch", antwortete Lasse, etwas mürrisch. „Immerhin hat der gute Graf dutzende angefangene, nicht beendete Bücher hinterlassen. Geschichten, die ihm vor Jahren eingefallen sind, die er dann aber irgendwann abgebrochen hat. Wir haben heute erstmal alles sortiert, jetzt geht's ums Listenschreiben. Das wird lange dauern." „Wir sollen auch noch ein paar Romane heraus suchen, die der Verlag des Grafen noch veröffentlichen kann", ergänzte Benno.
„Die übliche Geldmaschinerie also", schlussfolgerte Dorothea. „Wenn ich keine Schule hätte, würde ich euch ja helfen." „Wann habt ihr denn Ferien?", fragte Lasse. „Zum Glück nur noch diese Woche", antwortete Dorothea. „Das Projekt, das ich mit meiner Freundin erarbeiten musste, ist das Abschlussprojekt von diesem Schuljahr. Damit sparen wir uns irgendwann eine mündliche Abschlussprüfung. Aber ab Freitag kann ich euch dann helfen." „Wir wollten bis dahin eigentlich fertig sein", meinte Benno. „Heute ist Mittwoch. Wenn wir uns ranhalten, könnten wir das in diesen drei Tagen schaffen."
„Schafft ihr eh nicht", erwiderte Dorothea lachend. „Glaubt mir! Ich habe oft genug mit dem Grafen an einem Tisch gesessen und er hat erzählt, was er demnächst für Geschichten schreiben will. Für mich wird noch genug Arbeit übrig bleiben." „Mach uns nur Mut", meinte Lasse und ließ gespielt traurig den Kopf hängen. „Wenigstens bekommen wir etwas Geld dafür." „Ist ja auch eine verantwortungsvolle Aufgabe", stimmte Dorothea zu. „Ich hab immer mal ein unfertiges Buch lesen dürfen. Sonst habe ich es nicht so mit Büchern."
Sie gähnte. „Seid ihr auch so müde?", fragte sie. „Es wäre bestimmt nicht verkehrt, jetzt schlafen zu gehen", stimmte Benno zu. „Es ist jetzt schon nach elf. Wir haben ziemlich lange in der Küche zugebracht." „Aber dafür glänzt diese jetzt wie ein funkelnder Diamant und Ordnung ist auch", meinte Avli stolz. Er hatte schließlich auch mitgeholfen und zu viert war der Abwasch relativ schnell erledigt gewesen. Danach hatten sie noch den Rest der Küche geputzt. Die Haushälterin würde sicherlich froh sein.
„Wenn du schläfst", wendete sich Lasse an Dorothea, „dann bist du doch wieder in deiner anderen Welt. Was passiert denn da nun?" Dorothea zuckte bei der Erwähnung ihrer Traumwelt zusammen. „Verdammt, da habe ich gar nicht dran gedacht", meinte sie leise. „Ich weiß nicht, was ich tun werde. Wahrscheinlich werde ich mich irgendwo verstecken."
„Sei vorsichtig", mahnte sie Lasse. „Ich werde es probieren." Dorothea nickte. „Gute Nacht, Jungs und Drachen", sagte sie und ging aus der Tür. „Hoffentlich passiert ihr wirklich nichts", hoffte Lasse. „Hat sich da etwa jemand verguckt?", neckte ihn Avli. „Es ist sicherlich nicht schön, wenn man in seinen Träumen um sein Leben fürchten muss", überlegte Benno. „Also ich kann verstehen, wenn sie Angst hat."
„Helfen können wir ihr da nicht irgendwie?", fragte Lasse. „Dazu müsste man Träume kontrollieren und beeinflussen können", antwortete Benno. „Das ist nicht möglich. Sie muss da, wohl oder übel, alleine durch."
Es sollte aber noch viele Angelegenheiten geben, die die drei Jugendlichen und der Drache zusammen durchmachen sollten...
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