SECHZEHN

SECHZEHN

Sie hatten das Schloss fast erreicht. In der Nähe des Schlosses fühlten sie sich sichtlich wohler. Kurz vor ihrem Untergang war die Sonne noch einmal zwischen den Wolken hervorgekrochen. Das warme Licht konnte jedoch nicht darüber hinwegtäuschen, dass es die Temperaturen gar nicht so angenehm waren. Dorothea fror zunehmend in ihrem Kleid.

"Es ist besser, wenn ich den Hintereingang nehme und mich unbemerkt umziehe. Ich glaube mal, es würde nicht jeder so reagieren wie ihr, wenn sie mich in dieser Aufmachung sehen würden", erklärte sie. "Wir sehen uns dann beim Abendessen!"

"Alles klar", stimmte Lasse zu. Die Vorderseite des Schlosses lag bereits in tiefen Schatten und sofort überkam die beiden wieder das merkwürdig beklemmende Gefühl, dass an diesem Gebäude etwas nicht stimmte. In der Eingangshalle war niemand, der Kronleuchter an der Decke war nicht eingeschaltet.

"Wo sind sie denn alle?", fragte Avli. "Ich glaube, es wäre besser, wenn du jetzt mal den Mund hältst und dich wie eine normale Steinstatue benimmst", erwiderte Benno, ohne auf Avlis Frage einzugehen. Avli verschränkte kurz beleidigt die Arme, änderte dann aber die Gestalt. Benno stellte den Steindrachen auf einer Kommode in der Eingangshalle ab.

"Wir nehmen dich nachher wieder mit", erklärte er leise, dann ging er mit Lasse in Richtung des Speisesaals. Dieser war hell erleuchtet, die Tafel war bereits gedeckt und aus der Küche konnte man noch Ludmilla mit den Töpfen hantieren hören. Giorgio und der Buttler saßen bereits am Tisch, von Onkel Mattse war noch nichts zu sehen.

"Na, hattet ihre eine schöne Tag?", fragte Girogio. Benno und Lasse waren sich dem bewusst, dass sie unter keinen Umständen jemanden etwas von den heutigen Erlebnissen erzählen durften. Zumindest vorerst nicht. "Naja", antwortete Lasse ausweichend. "Im Park gibt es ja nicht viel zu sehen, außer Wege voller Unkraut und vieler Bäume."

"Das Wetter hat auch nicht so mitgespielt, also schön ist in meinen Augen was anderes", ergänzte Benno und hoffte, dass Giorgio sich damit zufrieden gaben. "Früher der Park ware bestimmt eine schöne Ort", überlegte der Gärtner. "Aber leider ware er schon so zugewachsen, als iche kam hierher. Und mire haben leider nicht die Zeit, es alles wieder schön zu machen."

"Damit wären wir ein Leben lang beschäftigt", lachte der Buttler. Dann wandte er sich direkt an die beiden Jungen. "Falls ich mich noch nicht vorgestellt haben sollte, ich heiße nicht James. Nennt mich Louis", stellt er sich vor. "Habt ihr meine Schwester schon kennen gelernt?"

"Dorothea? Ja, mit ihr haben wir vorhin schon Bekanntschaft gemacht", erklärte Benno. "Redet ihr von mir?", fragte Dorothea in diesem Moment und kam in den Speisesaal gelaufen. Das Kleid hatte sie gegen Jeans und T-Shirt eingetauscht. "Ich habe die beiden nur gefragt, ob sie meine kleine Schwester schon kennen gelernt haben", antwortete Louis. "Mehr nicht."

"Wann gibt es denn essen?", fragte Dorothea. "Lasst mir doch mal ein bisschen Zeit", jammerte Ludmilla, die zeitgleich mit Dorotheas Frage aus der Küche gekommen war. Sie trug einen Topf und stellte ihn auf den Tisch.

"In Anbetracht, dass ich heute noch etwas mehr zu tun hatte, gibt es Suppe. Schlichte und einfache Suppe. Zu Essen mit dem Löffel. Ich hoffe, die feine Gesellschaft verzeiht mir diesen Fauxpass, dass ich heute kein Menü servieren kann." "Du scheinste etwas überarbeitet zu sein, habe iche Recht?", fragte Giorgio und musterte Ludmilla besorgt.

"Ausnahmsweise", antwortete diese zwinkerte ihm zu. "Ich muss irgendwas unternehmen, dass ich effektiver arbeite. Ich renne viel zu viel hin und her. Vielleicht liegt es daran, dass es hier einfach an jeder Ecke etwas zu tun gibt." "Was ist eigentlich mit deinen Kindern?", fragte Louis. "Kriegen die dich überhaupt noch zu Gesicht?"

"Sobald ich hier mit dem Abwasch fertig bin, fahre ich nach Hause zu ihnen", antwortete Ludmilla. "So gegen halb zehn dürfte ich soweit sein." "Du kannst gerne nach Hause fahren", erklärte Dorothea. "Jetzt gleich, sofort. Ich kann dann mit Lasse und Benno die Küche aufräumen. Das ist gar kein Problem."

"Sicher, dass das so einfach geht?", fragte die Haushälterin und blickte unsicher in die Runde. "Für den Grafen war es selbstverständlich, dass man eine Stunde länger als eigentlich nötig arbeitete." "Aber Matthias ise doch nicht der Graf", widersprach Giorgio. "Der wirde das verstehen." "Dann hältst du dafür deinen Kopf hin", sagte Ludmilla. "Füre dich doche gerne", erwiderte der Gärtner mit einem Lächeln.

***

"Wie war das? Das soll gar kein Problem sein?", wiederholte Lasse Dorotheas Worte, nachdem alle mit dem Essen fertig waren. Onkel Mattse hatte Ludmilla gerade noch abgepasst, als diese gerade gehen wollte. Wie erwartet, war Matthias dafür, dass die Haushälterin zu ihren Kindern nach Hause fahren sollte. So hatten er, Giorgio, Louis, Dorothea, Lasse und Benno noch gegessen und dann hatten sich die Jugendlichen ans Aufräumen gemacht.

Giorgio und Louis waren in ihre kleinen Wohnungen gegangen, vorher wollten sie jedoch einige Steckdosen auswechseln. Onkel Mattse war zurück in sein Büro gegangen, hatte den beiden jedoch seine Hilfe angeboten. So standen Lasse, Benno und Dorothea jetzt in der Küche vor einem Berg Arbeit.

Das Geschirr vom Abendessen war nicht das einzige, das abgewaschen werden musste. Von den letzten Tagen war so einiges an dreckigen Tellern, Gläsern und Besteck zusammen gekommen. "Die arme Ludmilla scheint das alles gar nicht mehr zu schaffen", meinte Dorothea mitleidig. Sie ließ den Blick über den Geschirr-Berg schweifen. Dann schnappte sie sich einen Lappen und stellte den Wasserhahn an.

"Einen Geschirrspüler gibt es nicht", erklärte sie. "Wir werden wohl oder übel alles per Hand machen müssen." Benno und Lasse sahen sich noch einmal in der riesigen Küche um, ob sich nicht doch irgendwo technische Hilfsmittel versteckten, die ihnen die Arbeit erleichtern würden. Außer einem Kühlschrank, zwei Backröhren und einer Mikrowelle gab es jedoch keine elektrischen Geräte. An drei der vier Wänden standen hohe Schränke, in denen sie unterschiedlichsten Kochutensilien unterbracht waren.

An der vierten Wand, die zum Speisesaal hinzeigte, waren mehrere Herdplatten und eine silber glänzende Arbeitsfläche. In der Mitte des Raumes war eine weitere Küchenzeile mit Arbeitsfläche und einem riesigen Waschbecken, das sich stetig mit Wasser füllte.

"Mich beschleicht das Gefühl, dass es mit dem Abwasch nicht getan ist", vermutete Lasse. Benno warf einen Blick auf die Uhr. "Wenn wir uns ranhalten, könnten wir die Arbeit bis halb zehn schaffen." "Also Jungs, worauf wartet ihr denn dann noch?" Dorothea warf den beiden zwei Handtücher zu. "Ihr trocknet das Geschirr ab und sucht nach den Schränken, wo es hingehört." "Aye Aye, Ma'am", sagte Lasse und salutierte.

Dorothea lachte und suchte das Spülmittel. "Warum lernen wir dich eigentlich erst heute kennen?", fragte Benno. "Ich habe in der Stadt bei einer Freundin übernachtet. Wir mussten ein Projekt für die Schule machen. Wir haben ziemlich lange daran gearbeitet und weil ich niemanden so spät am Abend noch damit belasten wollte, mich von A nach B zu kutschieren, habe ich bei ihr übernachtet", erklärte Dorothea."Ihr habt jetzt Ferien, oder?"

Benno und Lasse nickten. "Bei uns beginnen die Ferien erst in zwei Wochen", antwortete das Mädchen. "Wie lange bleibt ihr?" "Geplant sind drei Wochen, wenn möglich, sogar noch länger", erklärte Lasse. "Aber das soll jetzt nicht unbedingt das Thema sein. Was hat es mit deinen 'Träumen' auf sich?"

"Einen Teil kennt ihr ja schon", sagte Dorothea. "Eigentlich schon fast alles. Und das, was ihr noch nicht wisst, das kann ich mir selbst nicht wirklich erklären." "Was ist denn dieser Teil?", hakte Benno nach. Dorothea reichte dem Jungen einen tropfenden Teller. "Normalerweise ist es so, dass ich..." Bevor sie weitersprach, sah sie sich um, nicht dass doch jemand zuhörte, für dessen Ohren es nicht bestimmt war.

"Ihr könnt ruhig weiter erzählen", sagte in diesem Moment eine Stimme aus Bodennähe. Avli kam angelaufen. "Da die anderen ja jetzt weg sind, dachte ich, dass ich euch etwas Gesellschaft leiste." Benno drückte ihm das Handtuch in die Hand, hob den kleinen Drachen auf die Arbeitsfläche und schnappte sich stattdessen einen Stapel Teller, um ihn in den Schrank einzusortieren. "Das hatte ich jetzt eigentlich nicht mit Gesellschaft leisten gemeint", sagte er, wenig begeistert. "Wenn ihr das alles noch abwaschen wollt, du lieber Drache!"

"Da können wir jede helfende Hand gebrauchen", stimmte ihm Lasse zu. "Und sei es nur die kleine Hand eines kleinen, dicken Drachen." "Ich werf gleich mit dem Messer", drohte Avli. "Nicht, wenn ich dich vorher bade", mischte sich Dorothea ein. "Das Kerlchen, das ihr da gefunden habt, ist ja echt niedlich!"

Sie kraulte ihm am Kinn. "Niedliches Kerlchen, ich muss doch wohl sehr bitten!" Avli schob Dorotheas Hand weg. "Wir haben Wichtigeres zu tun. Außerdem bin ich ein Drachen." "Ein niedlicher Drachen", bestimmte Dorothea. "Kannst du dich damit anfreunden?" "Gerade so", grummelte Avli. "Ich hatte euch bei etwas unterbrochen. Ihr könnt jetzt gerne weiter erzählen." Dorothea überlegte einen Moment.

"Eigentlich war es so, dass die Welten strikt getrennt waren. Wenn ich wach war, war ich in der normalen Welt, also hier. Nur wenn ich geschlafen habe, dann habe ich mich in der Traumwelt aufgehalten. Ich habe es immer als Traum empfunden, der sich eben nur jede Nacht fortsetzt. Und der sich sehr real anfühlt. Bevor ich zwischen einer Welt hin und her gewechselt bin, schlief ich ein. Ich habe mich also immer im Schlaf zwischen den beiden Welten bewegt.

Und jedes Mal, wenn ich die andere Welt erreicht habe, vernahm ich einen bläulichen Schimmer. Als würde ich durch ein Portal gehen. Könnt ihr mir soweit folgen?" Die beiden Jungen und der Drache nickten. "Nur heute war das anders. Die Rebellen haben den Saal gestürmt, ich bin fortgerannt. Hals über Kopf. Und plötzlich war ich in eurer Welt. Ihr standet plötzlich vor mir. Den Wechsel zwischen den Welten habe ich nicht mitbekommen. Ich habe nicht geschlafen, da war kein blauer Schimmer, nichts was darauf hingedeutet hat. Als hätten sich die beiden Welten vermischt."

"Das ist wirklich unglaublich", sagte Lasse. "Aber auch irgendwie furchteinflößend. Hier scheint einiges im Argen zu liegen." "Wenn wir den Abwasch erledigt haben, bringen wir die Küche auf Vordermann. Und dann sehen wir weiter", bestimmte Dorothea.

Es sollte aber vieles bei weitem nicht so einfach werden, wie dreckiges Geschirr abzuwaschen...

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