E I N S.D R E I

„Die ist ja noch putziger als Avli!", sagte Dorothea leise, als sie das schlafende Drachenmädchen betrachtete. Es war inzwischen Morgen, die Uhr stand kurz vor um neun. Draußen war es bereits heißer geworden und im Schloss hatte man schon alle Vorbereitungen getroffen, um die Innentemperatur so gering wie möglich zu halten. „Nicht so laut, sie schläft noch", erwiderte Avli, dem gar nicht aufgefallen war, was Dorothea wirklich gesagt hatte.

„Dann lassen wir sie noch schlafen", flüsterte das Mädchen zurück. „Warst du nicht eigentlich wegen etwas anderem gekommen?", fragte Benno. Dorothea wandte sich von Xenia ab und drehte sich zu den beiden Jungen um. „Ähm... das habe ich vergessen", sagte sie und lachte. „Dann fällt es dir wieder ein oder es war nicht wichtig", sprach Avli.

„Wo habt ihr das süße Ding denn aufgegabelt?", fragte Dorothea. Die drei hatten noch nicht gefrühstückt, gerade als Lasse und Benno in den Speisesaal gehen wollten, war Dorothea zu ihren Zimmern gekommen, um sie etwas zu fragen. Ihre Frage hatte sie jedoch nicht stellen können, da ihr sofort Xenia ins Auge gefallen war. Nachdem die Jungen das Drachenmädchen in der Nacht gerettet hatten, brachten sie es in Lasses Zimmer. Sie hatten ihr etwas Wasser eingeflößt und die kleine Wunde, die sich durch das splitternde Holz gebildet hatte, gesäubert.

Danach hatte Lasse ein Pflaster darüber geklebt und sie auf ein Kissen gelegt. Benno hatte sie mit einem T-Shirt zugedeckt. So schlief Xenia jetzt schon seit ein paar Stunden, aber es schien ihr schon wieder besser zu gehen. Dorothea war ganz aus dem Häuschen, als sie das Drachenmädchen gesehen hatte. Es sah fast genauso wie Avli aus, nur war der Bauch etwas dünner. Ihre Haut schimmerte rosa und auf dem Kopf trug sie eine kleine rote Schleife

. „Wir können dir nur erzählen, was nach Xenias Einbruch in die Decke passiert ist", erklärte Benno. „Wie es zu dem Unfall kam, da musst du wohl Avli fragen." Der Drache sah verlegen zu Boden. „Wir wollten nur etwas...", er suchte nach den richtigen Worten, „wir wollten nur etwas allein sein. Da waren wir wohl ziemlich unvorsichtig. Schließlich ist das Brett, auf dem wir beide standen, unter unserem Gewicht zusammengebrochen und Xenia steckte fest. Ich wollte Hilfe holen, aber als ich zurück zu ihr wollte, kamen mir Lasse und Benno schon entgegen."

„Und ich habe mich in der Nacht von einer Seite auf die andere gedreht, gelesen, Musik gehört und konnte trotzdem nicht schlafen!" Dorothea schüttelte den Kopf. „Wenn das nächste Mal etwas passiert, sagt ihr mir vorher bitte Bescheid." „Ich bin mir sicher, da wird noch mehr als genug passieren, wo du dabei bist", vermutete Benno. „Wollen wir jetzt frühstücken gehen?" „Gegen Frühstück hätte ich nichts einzuwenden", stimmte Lasse zu. „Ich bleibe bei Xenia", erklärte sich Avli bereit, „damit jemand da ist, wenn sie aufwacht." Die Jungen und das Mädchen hatten dagegen nichts einzuwenden und begaben sich schließlich auf den Weg in den Speisesaal.

***

„Ich hätte heute einen Spezialauftrag für euch", sagte Ludmilla. „Welcher Boden in welchem Saal muss heute gebohnert werden?", fragte Dorothea. „Kein Boden, wir wollen euch ja hier nicht unterfordern, in dem ihr hier jeden Tag dieselbe Arbeit macht", antwortete die Haushälterin. „Außerdem sollt ihr auch eure Ferien mal genießen und mein Spezialauftrag lässt sich gut damit kombinieren."

„Da bin ich jetzt aber gespannt", sagte Lasse zwischen zwei Gabeln Rührei. Da die anderen Bewohner des Schlosses keine Ferien hatten und arbeiten mussten, saßen die drei Jugendlichen alleine im Speisesaal mit Ludmilla, die immer wieder in der Küche verschwand. „Giorgio hat bald Geburtstag, genau genommen in drei Tagen. Da möchte ich ihm, zur Feier des Tages, sein Lieblingsgericht aus Italien kochen. Dazu brauche ich aber ein paar Zutaten, die ich einlegen oder trocknen muss. Das braucht Zeit und deswegen müsste ich sie heute schon kaufen, aber heute habe ich hier so viel zu tun. Deswegen wollte ich euch schicken, damit ihr einkaufen gehen könnt. Da kann euch Dorothea gleich mal etwas von Belfast zeigen", erklärte Ludmilla. Sie drückte dem Mädchen eine Liste in die Hand, auf dem die Produkte standen, die sie benötigte und die Adressen der Läden, wo man sie kaufen konnte. „Da müssen wir ja für fast jedes Produkt in einen anderen Laden", sagte Dorothea erstaunt. „Ich dachte, ein Supermarkt am Stadtrand reicht."

„Du möchtest doch zu deinem Geburtstag auch keine Fertiggerichte, oder?", fragte Ludmilla. „Wenn ihr es nicht mir zuliebe tut, macht es für Giorgio. Er würde sich wirklich sehr darüber freuen." „Wir tun es auch dir zuliebe", erwiderte Dorothea. „Nur, wie sollen wir dahin kommen? In der Stadt ist das ja kein Problem, aber wie sollen wir denn erstmal nach Belfast kommen? Mit dem Fahrrad garantiert nicht." „Das ist zwar ein guter Sport, aber heute, bei diesen Temperaturen, wäre dieser Sport wirklich Mord", erklärte Ludmilla. „Ihr nehmt das Auto!"

Dorothea sah die Haushälterin erstaunt an. „Du meinst das ernst?", fragte sie. Ludmilla nickte und grinste. „Du weißt aber schon, dass man in Nordirland und Deutschland erst ab 18 alleine fahren darf?" „Aber in den USA nicht", erwiderte Lasse. Ludmilla grinste noch mehr. „Du hast wohl schon deinen Führerschein?", fragte Dorothea erstaunt. „In South Dakota darf man den vollwertigen Führerschein schon ab 16 machen. Und ich bin seit fünf Monaten 16."

„Ich dachte, in South Dakota haben deine Eltern keine Niederlassung?", erwiderte Dorothea verwirrt. „In Sioux Falls, der Hauptstadt von South Dakota, ist die Firma, mit der meine Eltern eng zusammenarbeiten. Frag mich nicht, warum man das in so einem kleinen Nest macht, aber jedenfalls haben die drei Wochen dort ausgereicht, um einen Führerschein zu bekommen", erklärte Lasse. „Das heißt, du darfst jetzt schon richtig alleine Autofahren?", fragte Dorothea. Lasse nickte. „Und ich darf erst in ein paar Wochen anfangen, Theoriestunden zu nehmen", meinte das Mädchen. „Ist das nicht irgendwo ungerecht?"

„Mir geht es genauso", sagte Benno. „In diesen Fall kommt es uns aber gerade recht." „Genau", stimmte ihm Ludmilla zu. „Ihr habt einen bequemen Sitzplatz, ihr habt eine Klimaanlage und ihr kommt überall hin." „Gilt denn dein Führerschein auch hier in Großbritannien?", fragte Benno. „Soweit ich weiß, geht das", antwortete Ludmilla. „Ich habe mich informiert, sonst würde ich jetzt nicht so losschicken."

„Ich bin aber noch nie links gefahren. In den USA haben wir ja auch Rechtsverkehr", gab Lasse zu Bedenken. „Heute ist zwar Mittwoch, aber die Rush-Hour ist durch und bis zum Feierabendverkehr dürften nicht so viel Autos unterwegs sein. Schon gar nicht heute, bei dem Wetter. Da bleiben die meisten, die können, lieber zu Hause", erklärte die Haushälterin. „Aber die meisten Läden liegen am Donegall Square", meinte Dorothea. „Das ist doch dort, wo die Menschen mit den komischen Verkleidungen rumlaufen."

Benno wusste, dass sie das mit Absicht so sagte, um bei Ludmilla keinen Verdacht zu erregen. „Hast du etwa vor denen Angst? Dorothea, ich bitte dich, das sind doch nur irgendwelche Menschen, die sich halt gerne verkleiden." Die Haushälterin lachte lauthals. „Als ich in eurem Alter war, hätte ich gar nicht erst lange gefragt, sondern mir gleich den Autoschlüssel geschnappt und da wäre ich losgefahren." „Welches Auto sollen wir denn nehmen?", fragte Lasse. „Ihr nehmt meins. Die Papiere gebe ich dir noch, ein Navigationssystem ist installiert, aber fahrt bitte vorsichtig. Um euer Leben Willen und um das meines Autos", antwortete Ludmilla.

„Keine Sorge, ich werde eh langsam fahren, um mich im Linksverkehr orientieren zu können", stimmte Lasse zu. „Esst noch fertig und dann könnt ihr gleich losfahren. Ich gebe euch noch Geld, da könnt ihr euch heute auch noch ein Eis kaufen", sagte die Haushälterin. „Wenn ihr soweit seid, sagt Bescheid, ich bin so lange in der Küche." Kaum, dass die Tür zur Küche zugegangen war, fragte Dorothea: „Wollen wir das wirklich machen?" Lasse und Benno nickten. „Ich wüsste nicht, wo das Problem ist", antwortete Benno. „Ist doch cool, wenn wir selbstständig nach Belfast fahren können."

„Machst du dir etwa wirklich Sorgen wegen den Wachen?", wollte Lasse wissen. „Eigentlich würde ich mir keine Sorgen machen, aber da meine letzten Erlebnisse in der Traumwelt nicht gerade so waren, dass mich die Wachen mit einer Umarmung begrüßen würden, habe ich schon Bedenken", versuchte sich Dorothea zu erklären. „Wir sind doch bei dir", heiterte sie Lasse auf. „Wir geben schon auf dich Acht!"

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