D R E I.E I N S

„Hier hatte der Graf früher sein Büro", erklärte Matthias dem Architekten. Dieser sah sich im Raum um, aber eher wegen der Jugendlichen, die ihn mehr oder weniger überrascht ansahen. „Interessant", sagte der Architekt. „Das ist also der Raum, in dem der Graf so viele seiner Romane zu Papier gebracht hat?" Matthias nickte. „Der Nachlass meines Vaters ist enorm. Er hat in seinem Leben weitaus mehr Bücher geschrieben als er veröffentlicht hat. Einige sind nur ein paar Seiten lang, andere hat er nach der Hälfte abgebrochen", erklärte er.

„Scheint, als wäre es ihm schwergefallen, an einer Sache dranzubleiben", vermutete der Architekt. „Nun ja, wie man es nimmt", antwortete Matthias. „Er hatte sehr viele Ideen und ziemlich oft hat er eine andere deswegen fallengelassen. Die Kinder haben von mir den Auftrag bekommen, all diese unveröffentlichten Werke zu sichten und noch ein paar rauszusuchen, die der Verlag veröffentlich kann, ob man es nun für eine gute oder für eine schlechte Idee halten mag, sei dahingestellt."

Für Benno machte es den Anschein als würde sich die Miene des Architekten bei diesen Worten verfinstern, doch schlagartig machte er wieder das gleichgültige Gesicht, sodass Benno sich sicher nur getäuscht hatte. „Wir haben ja auch viele Ideen, was wir mit dem Anwesen hier anstellen", lenkte der Architekt wieder auf das Thema zurück, weswegen er eigentlich hier war. „Das Anwesen ist riesig und bietet viel Potential."

„Das ist mir klar", stimmte Matthais zu. „Nur müssen wir irgendwo anfangen, aber das will gut überlegt sein. Wenn wir erst mittendrin feststellen, dass es so nichts wird, dann haben wir einerseits viel Zeit und Geld investiert und andererseits fangen wir dann wieder von vorne an."

„Um das zu vermeiden, bin ich ja hier", sagte der Architekt nüchtern. Er machte sich ein paar Notizen in sein Heft. „Das erste, was wir tun sollten, wäre die Elektrik. Die drei Gebäudeteile haben separate Stromkreise, ich würde mit dem Hauptteil anfangen, in dem Sie und ihre Mitbewohner leben. Dazu müssen wir die Wände aufstemmen, was im Anschluss bedeuten würde, dass sie neu verputzt werden. Die Zwischendecken sollten ebenfalls erneuert werden, einige Balken davon sind mir doch zu morsch, als dass man es noch als sicher durchgehen lassen kann. Wenn wir neue Balken eingezogen haben, können wir gleich neuen Fußboden verlegen."

„Dann haben wir also alles neugemacht, was nur neuzumachen geht", schlussfolgerte Matthias. „Kurzum, eine Kernsanierung." Der Architekt nickte und Matthias blies die Backen auf. „Ein teurer Spaß wird das." „Ob es Ihnen auch Spaß machen wird, wage ich zu bezweifeln, aber teuer wird es", stimmte ihm der Architekt zu. „Das klingt sehr motivierend", meinte Dorothea, die als erste von den Jugendlichen etwas sagte. „Meine Aufgabe ist es, sachlich zu sein. Mit Gefühlen wurde noch kein Haus gebaut."

„Da gibt es doch aber eine Menge Auflagen vom Denkmalschutz und so weiter, oder?", fragte das Mädchen weiter. „Da gibt es Auflagen, da hast du recht", meinte der Architekt, ohne seine Gesprächspartnerin dabei anzusehen. Stattdessen trat er ans Fenster und sah sich den Balkon an. „Vielleicht kann man bei der Stadt anfragen, ob sie die Sanierung eines altehrwürdigen Gebäudes aus der Stadtgeschichte finanziell unterstützen würden", schlug der Architekt vor. „Das Villenviertel zählte schließlich jahrzehntelang zu den Wohngegenden schlechthin. Selbst heute würde man sich um die Grundstücke hier reißen. Ruhige Gegen, trotzdem Nähe zur Stadt."

„Das hätte Potential zu einer Nutzung des gesamten Schlosses", überlegte Benno. „Als Hotel vielleicht oder etwas in der Art." „Das sollte nicht euer Problem sein", meinte der Architekt abschätzend. „Macht erstmal eure Schule fertig, danach könnt ihr immer noch ins Iomobiliengeschäft einsteigen." „Wir haben gerade Ferien", erwiderte Dorothea trotzig. „Wie dem auch sei, möchten Sie die anderen Zimmer noch sehen?", fragte Matthias und versuchte damit, vom Thema abzulenken.

„Nein", antwortete der Architekt. „Ich denke, für heute sind wir fertig. Heute noch werde ich mich an den Bericht setzen, den lasse ich Ihnen dann im Lauf der Woche zukommen. Da wissen Sie dann ganz genau, worauf Sie achten müssen. Danach können die Renovierungsarbeiten beginnen." Ohne auf die Reaktion einer der anderen Personen im Raum zu warten, verließ er ihn. Matthias sah die Jugendlichen schulterzuckend an und folgte dem Architekten. „Ich mag ihn nicht", verkündete Dorothea, als sie sicher war, dass sie beiden sich nicht mehr in Hörweite befanden. „Jetzt sogar noch weniger als vorher." „Wie kann man als Architekt nur so gefühlskalt sein?", fragte Lasse. „Wenn ich mit den unterschiedlichsten Immobilien arbeite, dann muss ich mich doch freuen, das machen zu dürfen."

„Vielleicht ist er auch einfach nur realistisch", vermutete Benno. „Es ist schwierig, aus dem Kasten hier was zu machen. Vor allem, wenn der Denkmalschutz seine Richtlinien ausspielt." „Trotzdem", sagte Dorothea. „Ich mag ihn immer noch nicht. Und jetzt bin ich mir sehr sicher, dass er wirklich wie der Psychologe aus der Zeitung aussieht." „Du meinst den, bei dem die Wachen der Herzkönigin in Behandlung sind?", wollte Benno wissen. „Andere Psychologen kenne ich nicht", erwiderte Dorothea. „Wir auch nicht", sagen die beiden Jungen gleichzeitig. „Was sagst du dazu, Quintessa?", fragte Dorothea.

Das andere Mädchen hatte bisher noch gar nichts gesagt. „Ich würde gerne wissen, was Denkmalschutz ist oder was es genau mit Elektrizität auf sich hat", antwortete sie. „Sollen wir es dir erklären?", fragte Benno. Quintessa schüttelte den Kopf. „Nein. Da ist was ganz Anderes, was mich beschäftigt." „Und was?", wollte Dorothea wissen. „Ich habe euch doch von dem Mann erzählt, der da in diesem Raum zwischen... zwischen meiner und eurer Welt.. war", versuchte Quintessa zu erklären. Sie fand nicht gleich die richtigen Worte.

„Jetzt sag uns aber bitte nicht, dass dieser Mann zufällig genauso aussieht, wie der Architekt", sagte Benno, der am schnellsten begriffen hatte, worauf Quintessa hinauswollte, doch diese nickte. „Seid ihr sicher, dass ihr nicht ein bisschen übertreibt?", fragte Lasse. „Es ist doch schon ziemlich unwahrscheinlich, dass es drei Männer gibt, die in der ganzen Sache irgendwie mit drinhängen und sich zum Verwechseln ähnlich sehen."

„Es kann zwar sein, dass wir Mädchen öfter mal einen Hang zur Dramatik haben, aber wenn ihr das Gegenteil nicht beweisen könnt, dann müsste ihr uns wohl oder übel glauben", meinte Dorothea angesäuert. „Ihr habt doch das Foto in der Zeitung auch gesehen." Die beiden Jungen wechselten einen Blick, dann nickten sie zaghaft. „Da könnt ihr doch jetzt nicht sagen, dass zwischen den Männern keine Ähnlichkeit besteht", sprach Dorothea weiter. „Wenn ich ehrlich bin, sehen sie sich wirklich sehr ähnlich", gab Benno zu, „aber unter Millionen von Menschen, die in Belfast wohnen, ist das doch gar nicht mal so unwahrscheinlich."

„Außerdem kann es doch auch sein, dass sie über mehrere Ecken verwandt sind", ergänzte Lasse. Dorothea schüttelte den Kopf. „Oder die beiden haben eben so ein Allerweltsgesicht. Es gibt auf der Welt viele Menschen, die sich ähnlichsehen, obwohl sie nichts miteinander zu tun haben."

Wieder schüttelte Dorothea den Kopf. „An solche Zufälle glaube ich nicht", widersprach sie. „Es muss schon ein ziemlich großer Zufall sein, wenn der Psychologe, der die Wachen der Herzkönigin behandelt und der Architekt die Renovierung des Anwesens betreut, wo eben diese Wachen erfunden wurden. Ich möchte ja nichts unnötig dramatisieren, aber ich möchte fast denken, dass sie ein und dieselbe Person sind." Benno zog skeptisch die Augenbrauen nach oben.

„Das ist unmöglich", widersprach auch Lasse. „Wenn ich Psychologe bin und mich tagtäglich mit den Problemen meiner Patienten auseinandersetzen muss, dann arbeite ich doch nicht noch im Nebenjob als Architekt und ziehe mir riesige Projekte an Land. Da muss man entweder nicht ausgelastet sein oder einen an der Waffel haben. Das ist einfach nicht möglich!" Dorothea grinste plötzlich. „Wir sollten es doch eigentlich am besten wissen, dass es hier nichts gibt, was nicht möglich ist, oder?"

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