Kapitel 4: Hallo Harry
Liam spürt, wie die Wut über Nialls Unbedachtheit langsam in ihm hochkommt. Energisch drückt er den grünen Knopf und beobachtet, wie das Gartentor aufgeht und alle Drei, Niall, Buddy und der Unbekannte, auf das Grundstück laufen. Hastig reißt er seinen Schlüssel aus dem Schlüsselkasten, tritt nach draußen und zieht die Haustür hinter sich zu. Niall und seine spontanen Aktionen kannten sie mittlerweile ja schon alle, doch in Liam steigt die Wut darüber, dass er eine fremde Person mitgebracht hat, ohne das vorher zu erwähnen, an. Immerhin weiß Niall ganz genau, wie ängstlich sein Bruder darauf reagiert.
Kurz fliegen Liams Gedanken zwei Jahre zurück. Zu dem Zeitpunkt hatte Zayn seine Freundin Mara das erste Mal mit zu ihnen gebracht, der Schwarzhaarige war so stolz darauf, sie allen vorzustellen, dass er kurzzeitig richtig verletzt über Louis Reaktion war. Der Blauäugige hatte nur einen kurzen Blick auf Mara geworfen, bevor er in sein Zimmer geflohen und den ganzen Tag nicht mehr herausgekommen war. Liam hatte damals die nächsten drei Tage noch mit den Auswirkungen davon zu kämpfen.
Doch bevor er seiner Wut mit Worten Ausdruck verleihen kann, kommt ihm Niall dazwischen. „Liam, schön dich mal wieder zu sehen. Das ist Harry, er wohnt gerade bei mir, bis er eine eigene Wohnung gefunden hat, aber du kennst ja den Londoner Wohnungsmarkt." Gegen Ende seines Satzes wird der Blonde immer leiser, langsam scheint er den starrenden Blick seines Freundes wahrzunehmen und sein typisches, breites Grinsen schwindet zunehmend.
„Harry, hm?" Liam zieht eine Augenbraue nach oben und mustert den ihm fremden Mann, während seine Miene ausgesprochen angespannt bleibt. Harry scheint sich sichtlich unwohl, unter dem stechenden Blick zu fühlen, und obwohl er ein paar Zentimeter größer als Liam ist, fühlt er sich gerade wie ein kleiner Junge, der einen Fehler begangen hat. Liams Stimme klingt scharf, während er weiterredet. „Warum hast du nicht Bescheid gegeben, dass du ihn mitbringst?"
Niall der seinen Fehler wohl langsam begreift, versucht die Situation nun etwas zu entschärfen. „Es tut mir leid Liam, ich war nur so euphorisch, ich habe nicht an Louis gedacht."
„Euphorisch?" Liam kann seinen Kopf nur ungläubig schütteln, während sich seine Hände anspannen und kurz davor sind, sich zu Fäusten zu ballen. Er weiß, dass er gerade etwas überreagiert, aber sein Beschützerinstinkt Louis gegenüber und die Enttäuschung über Nialls Unbedachtheit, lässt ihn gerade nicht wirklich nachdenken. „Du kannst doch nicht einfach jemand Fremdes mitbringen, wenn du doch genau weißt, wie es Louis damit geht! Kannst du manchmal vielleicht erst mal Nachdenken, bevor du handelst?"
Der Blonde blickt seufzend auf den Boden, seine Finger verkrampfen sich um die braune Leine in seiner Hand. Selbst Buddy scheint die Situation unangenehm zu finden, der Rüde hat sich hinter seinem Herrchen verzogen.
Harry versteht nicht so ganz, warum sein Auftauchen für sein Gegenüber so ein Problem darstellt, es scheint ihm, als würde ihm ein großes Stück des Puzzles fehlen, damit er die Reaktionen der anderen richtig verstehen kann. Niall hatte ihm auf dem Weg hierher bereits erzählt, dass Liam und Louis Brüder sind und dass Louis wohl keine schöne Vergangenheit hatte. Ihm kommt der Gedanke, dass es vielleicht besser wäre, wenn er einfach wieder gehen würde.
„Liam, beruhig dich bitte." Niall versucht, die Situation weiter zu entschärfen. „Es war dumm von mir, aber es war keine Absicht. Ich hatte nur diese Idee in meinem Kopf und du kennst mich, dann habe ich nicht mehr wirklich nachgedacht."
Langsam beruhigt sich Liam wieder und schämt sich etwas für sein aufbrausendes Verhalten, eigentlich ist er nicht so, aber er muss immer wieder feststellen, dass er, wenn es um seinen Bruder geht, oft nicht mehr an sich halten kann. Er atmet tief durch und spürt, wie er sich wieder etwas entspannt. „Es tut mir leid, Niall. Ich habe überreagiert, aber Louis hat heute schon einen großen Schritt nach vorne gemacht. Und du kennst ihn doch, du weißt, wie er in solchen Situationen reagiert. Ich habe einfach Angst, dass das heute zu viel für ihn ist." Er schüttelt nochmal kurz über sich selber den Kopf, bevor er sich an den Fremden richtet und ihm seine Hand reicht. „Ich bin Liam. Ich muss mich wohl für meinen ersten Eindruck bei dir entschuldigen, ich hoffe, wir können nochmal von vorne anfangen."
Harry nimmt dessen Hand etwas nervös entgegen. So hatte er sich seinen zweiten Tag zurück in London definitiv nicht vorgestellt. „Kein Problem, aber ich kann auch wieder gehen, ich wollte definitiv keine Umstände bereiten, ich habe mich von Niall einfach mit hierher schleifen lassen."
Liam ist froh, dass der Lockenkopf, ihm seinen Ausbruch scheinbar nicht übelnimmt und Verständnis zeigt. „Nein, du kannst bleiben, jetzt bist du schon hier. Ich weiß nur nicht, wie mein Bruder auf dich reagieren wird. Nimm es also bitte nicht persönlich, falls er dich ignoriert oder sofort verschwindet, wenn er dich sieht. Louis hat seine Schwierigkeiten, neue Leute kennenzulernen."
Verständnisvoll nickt Harry. „Verstehe." Er fühlt sich immer noch unwohl, aber versucht die Situation zu akzeptieren, ändern kann er sie jetzt wohl ohnehin nicht mehr. Zögerlich folgt er dem Braunhaarigen, als dieser gemeinsam mit Niall und Buddy das Haus betritt.
Als sie Schuhe und Jacke abgelegt haben, gehen die drei gemeinsam ins Wohnzimmer, wo der Schwarzhaarige bereits wartet, auch ihm kann man die Überraschung ansehen, als er Harry bemerkt. Jedoch reagiert Zayn um einiges gefasster und ruhiger als Liam. Er begrüßt Niall mit einer kumpelhaften Umarmung, kniet sich kurz auf den Boden, um auch Buddy richtig begrüßen zu können und stellt sich dann Harry vor. „Hi, ich bin Zayn." Er versucht den braunhaarigen Lockenkopf beruhigend zuzulächeln, nach den Wortfetzen, die er mitbekommen hat, war Liams Begrüßung wohl nicht sonderlich positiv verlaufen. Zayn konnte seinen Freund dabei durchaus verstehen, auch wenn er selbst wohl nicht so reagiert hätte. „Harry, hallo." Der Schwarzhaarige, hört die Unsicherheit in dessen Stimme, obwohl Harry sie zu überdecken versucht. Er schenkt ihm ein Lächeln und führt ihn dann zur Couch, wo Niall sich bereits, mit Buddy vor seinen Füßen, niedergelassen hat. Der Blonde fährt mit seiner Hand beruhigend über das schwarze Fell, während er mit der anderen Hand, wie selbstverständlich, eine der Kaffeetassen von dem kleinen Wohnzimmertisch genommen hat.
Zayn bemerkt Liams stechenden Blick in seinem Rücken, er weiß genau, welche Frage der Älteste stellen möchte, also dreht er sich zu diesem um. „Louis ist nach oben in sein Zimmer, du warst vor der Tür ja nicht gerade leise, das war ihm zu viel." Zayns vorwurfsvoller Ton und die Tatsache, dass Louis anscheinend vor ihm geflohen war, lässt Liam bedrückt auf den Boden schauen. Er schaut einmal kurz entschuldigend in die Runde, bevor er zu den Treppen läuft.
Harry scheint langsam die Dynamik der Freunde etwas zu verstehen, dabei kommt es ihm auch gelegen, dass Niall schon des Öfteren von ihnen erzählt hat. Nach Zayns Worten, fällt sein Blick Richtung Treppe und kurz kann er den Blauäugigen sehen, bevor dieser schnell wegschaut, seine Position auf der obersten Treppenstufe aufgibt und hinter einer der Türen im Obergeschoss verschwindet.
Auch Liam sieht seinen Bruder gerade noch so weg huschen und für einen kurzen Moment hadert er mit sich selbst, ob er ihm vielleicht nicht doch etwas Freiraum geben soll, bevor die Stufen dann doch nach oben steigt.
Vor Louis' Zimmertür atmete er noch mal tief durch, bevor er seine Hand anhebt und entschlossen an der Tür klopft. In seinem Kopf, malt sich Liam gerade alle möglichen Szenarien aus, die ihn hinter der Tür erwarten könnten. Dass Louis ihm keine Antwort gibt, überrascht ihn nicht besonders und er lässt seine Stirn gegen das angenehme kühle Holz sinken. „Lou, ich weiß, dass du mich hörst. Kannst du bitte die Tür aufmachen, damit wir reden können?" Er wartet kurz, aber es kommt keine Antwort aus dem Inneren des Zimmers. „Lou, bitte. Ich werde nicht gehen, bevor du nicht die Tür aufgemacht hast. Ich ... wir müssen auch nicht reden. Ich möchte dich aber wenigstens kurz sehen."
Die nächsten Minuten ziehen sich für den Braunhaarigen ewig hin und der Stein, der sich auf seine Brust legt, wird dabei sekündlich schwerer. Liam versucht ruhig zu bleiben und seinem Bruder jetzt die Zeit zu geben, die er braucht. Er weiß, was für eine Herausforderung es für seinen Bruder ist, diese Tür zu öffnen und ihn jetzt unter Druck zu setzen, würde die sowieso schon schwierige Situation nur noch schlimmer machen.
Louis weiß nicht, wie viel Zeit vergangen ist, seitdem sein Bruder an seine Zimmertür geklopft hat. Der Kleinere sitzt auf dem Boden neben der Tür und lauscht den stillen Atemzügen seines Bruders. Zögerlich hebt er seinen Arm und drückt die Klinke nach unten. Er sieht sofort das Leuchten in den Augen seines Bruders, als dieser die sich öffnende Tür bemerkt. „Es tut mir leid, dass ich wieder geflohen bin." Er kann Liam noch nicht wirklich in die Augen schauen.
Der Braunhaarige öffnet die Tür, tritt in das abgedunkelte Zimmer und lässt sich neben seinem Bruder auf den Boden sinken. Er sieht sofort, dass das kleine grünblaue Nachtlicht leuchtet, und ein kleines Lächeln huscht über das Gesicht des Älteren. „Du musst dich nicht entschuldigen, mir tut es leid, dass ich so laut geworden bin."
Louis schüttelt seinen Kopf und zieht seine Beine noch enger an seinen Körper. Die Stille legt sich angenehm über die beiden Brüder und das beruhigende Licht der Nachttischlampe spiegelt sich in den Augen der beiden wider. Der Jüngere hebt seinen Kopf und schaut zu seinem Bruder auf, er sieht das die braunen Augen sanft auf ihm liegen. Es vergehen nochmal ein paar Minuten, bevor Louis sich überwinden kann und seinen Kopf, mit einem zufriedenen Seufzen und einem Lächeln im Gesicht, auf der Schulter seines Bruders ablegen kann.
Und in diesem Moment wissen die beiden Brüder, dass zwischen ihnen alles in Ordnung ist. Die kleine Geste des Jüngeren spricht so viel mehr, als es Worte je könnten.
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