chapter 35
Meine Oma wachte nicht auf. Die nächsten Tage verliefen alle nach demselben Muster. Ich fuhr morgens zu ihr, blieb bis die Besuchszeiten endeten und teleportierte mich dann in die Hölle, um mit Azalee oder Cael zu trainieren.
Azael hatte die Befehlsgewalt, solange Ramiel weg war und war den ganzen Tag beschäftigt. Unsere Verabschiedung war mehr als kühl verlaufen. Ich vermutete, dass Ramiel sauer auf mich war, weil ich ihm die Lüge um die Klinge aufgetischt hatte, aber vernünftig miteinander geredet hatten wir noch nicht.
„Ich habe mich neulich mit Alex unterhalten." Ich wich Caels Tritt aus und wirbelte herum.
„Achja?" Er wehrte einen Schlag von mir ab und versuchte mich aus dem Gleichgewicht zu bringen.
„Ja." Meine Faust traf knirschend auf seinen Kiefer. Cael wirbelte herum, nahm mich in den Schwitzkasten und schnappte sich meinen Arm. „Gibst du auf?" Ich hörte das Grinsen in seiner Stimme, während er zudrückte.
Mein freier Arm an seinem Rücken suchte sich einen Weg zu der empfindlichen Stelle direkt unter seinem Ohr, auf die ich einmal kurz kräftig drückte, woraufhin er mich jammernd losließ.
„Das war unfair", protestierte er und rieb sich über die Stelle.
„Nochmal", forderte ich und machte mich wieder bereit.
Cael schüttelte den Kopf. „Das reicht für heute, Vio."
„Einmal noch!" Cael schüttelte den Kopf. Wir waren beide verschwitzt und die höllischen Temperaturen hier verschlimmerten jede Anstrengung. „Dann lass uns wenigstens zurückjoggen", beschloss ich und lief los, ohne auf eine Antwort zu warten. Wir hatten uns entschieden außerhalb der Goldenen Stadt zu trainieren, damit wir unsere Ruhe hatten.
„Alex ist besonders." Cael hatte zu mir aufgeschlossen. Ich nickte zustimmend und sprang über einen kleinen Krater. Kleine Asche Funken fielen wie Schnee herab und legten sich auf meine Haut und meine Haare. „In der Hölle gibt es auch einige Dämoninnen, die so aufgeschlossen und sensibel sind, wie sie. Seit Anbeginn der Zeit halten wir uns für was Besseres und dann kommt sie und fragt mich ganz selbstverständlich, ob ich einen Partner oder eine Partnerin mitbringen möchte. Ohne einen Hintergedanken, ohne überhaupt darüber nachzudenken, setzt sie es nicht als selbstverständlich voraus, dass ich hetero bin."
„Ja, Alex ist supergut in sowas. Egal, was du ihr erzählst, they verurteilt dich nicht. Alex akzeptiert dich, wie du bist."
„So habe ich es wirklich noch nie erlebt und es hat mich fertig gemacht. Wieso sagst du eigentlich they?"
„Frag Alex das am besten selbst."
„Oke, mache ich. Es war so eine Selbstverständlichkeit für Alex. Wie kann es sein, dass ein Mensch in vierundzwanzig Jahren schafft, was wir in tausend nicht hinkriegen?"
Ich musste grinsen. „Liegt nicht genau da das Problem? An diesem, wir haben es schon immer so gemacht? An denen, die davon profitieren, dass es so ist? Und sich gegen jede Veränderung sperren?"
Wir näherten uns der Stadtmauer und ihren Türmen, in denen helle Flammen loderten. Eine Gestalt trat uns aus dem Schatten des Tores entgegen. Cael seufzte. „Die halten uns wirklich auf Trab. Ich wette, es gibt mindestens drei neue Aufgaben für mich."
„Davon will ich dich nicht weiter abhalten. Bis später." Ich änderte meine Richtung. „Vio!" Ich winkte Cael nur und erhöhte dann mein Tempo. Ich müsste vollkommen fertig sein, aber das war ich nicht.
Roter Staub löste die Aschefunken ab, als die Vulkanwüste in die Sandwüste überging. Bald waren die goldenen Mauern außer Sicht. Ich hielt an und sah mich in alle Richtungen um. Es war nichts zu sehen außer rötlich glühendem Sand, kleinen und größeren Dünen und dem lodernden Fegefeuer über uns. Ale hatte mir erzählt, dass der Zirkel sich so ähnlich anfühlen musste. Als wäre man in einer endlosen Illusion gefangen, aus der es kein Entkommen gab.
Als ich später geduscht hatte und die Bibliothek betrat, war ich in einem zufriedenen Zustand der Erschöpfung. Es gab einige Ungereimtheiten, auf die ich hoffte, eine Antwort zu finden. Eine davon war die Tatsache, dass ich obwohl ich zum Teil Dämonin war, Sumis Zuhause betreten konnte. Wir hatten schon öfter gerätselt, wieso der Schutzzauber mich durchließ, aber eine Erklärung hatten wir nicht gefunden.
Bis zum nächsten Morgen stöberte ich durch die Regalreihen, überflog Titel und schlug einzelne Bücher auf. Doch weder fand ich eine Erklärung wegen des Schutzzaubers noch war da wieder dieses Leuchten an den Wänden, auf das ich unterschwellig gehofft hatte.
In der Clayton angekommen, machte ich es mir wieder auf dem Sessel neben dem Bett gemütlich und begann zu lesen. Vorgestern hatte ich mich in ihrem Zimmer umgesehen und war dabei auf einen Stapel Manuskripte gestoßen. Es waren umgeschriebene Märchen. Märchen, die sie mir als Kind erzählt hatte. Märchen, in denen Prinzessinnen nicht die unwissenden, schlafenden, naiven Protagonistinnen waren, die von einem Prinzen gerettet werden mussten.
In der Neuerzählung von Cinderella, die ich heute vorlas, war der Prinz ein unheimlicher Stalker, der nach nur ein paar gemeinsamen Tänzen das ganze Land nach ihr durchsuchen ließ. Ihre Stiefschwestern und viele andere junge Frauen wollten ihn verwirren und Cinderellas Spuren verwischen, indem sie taten, als wären sie sie. Eine lange Reise nach der anderen trat der Prinz an, um nur immer wieder aufs Neue festzustellen, dass es nicht Cinderella war, die auf ihn wartete.
Sie verschafften Cinderella die Zeit, die sie brauchte, damit ihr Knöchel, den sie sich auf der Flucht vor dem Prinzen verstaucht hatte, wieder heilen konnte. Sobald sie reiten konnte, flüchtete sie ins Nachbarland, weil der Prinz seine Suche nicht aufgab und sie zu viel Angst hatte, dass er sie finden und nicht mehr gehen lassen würde. Unterwegs traf sie andere Frauen. Frauen, die vor ihren gewalttätigen Männern flüchteten, vor ihrer Heirat, in die ihr Vater sie zwingen wollte, vor einem Leben, das sie nicht führen wollten. Und sie schlossen sich ihr an. Sie ritten so lange, bis sie ein Königreich ohne König fanden, sich dort niederließen und bis zum Ende ihrer Tage glücklich waren.
Am Ende der Geschichte angekommen war ich fassungslos, was meine Oma da zustande gebracht hat. Kein Wunder, dass ich sie früher immer angebettelt hatte, ihre Geschichten aufzuschreiben. Ich erinnerte mich erst jetzt wieder daran. Ich muss noch sehr klein gewesen sein, aber die Erinnerung an ihre warme Stimme, während sie mir Geschichten erzählte, hüllte mich ein.
Später an dem Tag hörte ich Ale, Cael und Azael dabei zu, wie sie sich über ihren Boss aufregten.
„So viele unsinnige Aufgaben!", stöhnte Azael.
„Sobald sie einen finden, gibt es neue. Es gibt einfach kein Entkommen." Caels Miene war leiderfüllt und einen Hauch zu theatralisch.
„Was musstest du heute machen?" Ale hatte sich noch nicht so viel beschwert, wie ihre Brüder.
„Vorräte auffüllen, Waffen überprüfen. Tausend Anweisungen an Schmiedinnen, Heiler, Offiziere und Soldatinnen überbringen. Ich frage mich, was das soll." Azael begann meine Füße zu massieren, die auf seinem Schoß lagen. „Glaubt ihr, er hat es ernst gemeint? Dass wir uns auf einen Krieg vorbereiten?"
„Sieht ganz so aus", murmelte Ale düster.
Ich richtete mich auf. „Leute, ich glaube irgendetwas stimmt nicht mit..."
Die Wand in Ales Gemächern, die den Eingang verhüllte, wurde durchgerissen. Ale verzog das Gesicht und starrte den Eindringling dann hasserfüllt an. „Was willst du denn hier?"
Zaph grinste in die Runde. „Ich soll euch was ausrichten." Er genoss das hier eindeutig. Ich hatte ihm seit der Nacht im Club nur flüchtig gesehen und nicht nochmal mit ihm geredet. Mir gefiel das Glänzen in seinen Augen nicht. „Meine wunderschöne, schwarze Prinzessin." Er ging auf Ale zu. Keine Sekunde später hatten wir ein Schutzschild hochgerissen. Zaph strich mit einer trägen Berührung über das bläuliche Flimmern.
„Ich habe unserem Prinzen etwas beschafft, was er unbedingt haben wollte." Zaph leckte sich genüsslich über die Lippen. Er trug die Lederuniform der Hölle und strich sich jetzt durch seine dunkelbraunen Haare. Kurz wanderte sein Blick zu mir, über meinen Körper und sein Grinsen wurde breiter. Cael knurrte und es war so ein dunkles, ursprüngliches Geräusch, das ich mir sicher war, dass es zu seiner dämonischen Gestalt gehören musste. Zaph schüttelte kaum merklich den Kopf und sah zurück zu Ale.
„Deshalb hat Ramiel mir zu meiner großen Freude eine Bitte erfüllt." Sein Blick wanderte wieder zu mir. Eine unverhüllte Drohung in den Augen. „Ich bin ab jetzt dein Aufpasser. Ich werde dich überallhin begleiten. Wir werden zusammen trainieren, damit du endlich mal gegen jemanden kämpfst, der dich nicht mit Samthandschuhen anfasst."
„Nein." Cael war aufgestanden. Ale fixierte Zaph und ich hörte das Knacken ihrer Magie.
„Nein, danke. Ich bleibe bei Nakir", erwiderte ich. Eine Auseinandersetzung ohne das Ramiel anwesend war, wäre bestimmt nicht von Vorteil.
„Schade, dass du das sagst." Er tippte sich an die Unterlippe. An seinem Mittelfinger glänzte ein breiter Schlagring. „Auf meinem Weg hierher habe ich es schon dem einen oder anderen Dämonen gesagt..." Ale knirschte mit den Zähnen. „Was denken sie wohl von euch, wenn Ramiels Anordnung jetzt doch nicht erfüllt wird?"
„Sei vorsichtig mit dem, was du sagst." Azael saß weiterhin auf der Chaiselongue. Die beiden Männer taxierten sich und die Raumtemperatur stieg deutlich an.
Mit einer Bewegung meines Zeigefingers riss ich die Mauer nieder und nach einer zweiten meines Mittelfingers flog Zaph durch den Raum und die Öffnung in der Wand nach draußen. Ale reagierte sofort, schloss die Wand und verstärkte sie dieses Mal.
„Das wirst du bereuen", hörte ich Zaph knurren. Aber das war mir in diesem Moment egal.
„Wir haben keine Wahl, oder?" Ich sah in die resignierten Gesichter der drei Dämonen und sie brauchten mir nicht antworten. „Ich werde Sumi, Ellie und Alex Bescheid geben, dass wir uns in den nächsten Tagen nur bei Sumi treffen können. Wäre es möglich, dass jemand dann ein Auge auf die drei hat, sobald sie den geschützten Bereich verlassen?"
„Ja, natürlich. Wir kümmern uns darum." Ale hatte ein schlechtes Gewissen und sie war richtig sauer. Ich wollte nicht im Fokus dieses mörderischen Blicks stehen, den sie gerade draufhatte.
„Bis später, ja? Wir reden dann, okay?" Ich sah von Cael zu Azael, die mir zunickten. Sie würde ihre Schwester nicht aus den Augen lassen.
Ich warnte meine Besties und sobald ich den Schutzkreis, um Sumis Haus verließ, um zurück zur Ávila zu gehen, tauchte Zaph neben mir auf.
„Hey Zaph, sorry, dass ich so ungehalten vorhin war."
„Kein Problem." Er grinste. „Ich mag temperamentvolle Frauen."
Ich lachte leise, obwohl mir nach Kotzen zu Mute war. Ich durfte ihn uns nicht zum Feind machen, es war vernünftiger die Wogen zu glätten, aber es fiel mir jetzt schon verdammt schwer.
„Du schläfst kaum noch in letzter Zeit", bemerkte er nach einer Weile.
„Der Tag hat zu wenig Stunden." Ich versuchte mich an einem Lächeln. „Und die Nacht auch."
„Das kenne ich. Vor Allem jetzt, wo die Zeit in der Unterwelt genauso wie hier vergeht." Ich blieb abrupt stehen. „Ach das wusstest du noch nicht? Aber es muss dir doch aufgefallen sein."
Er hatte recht. Es hätte mir vorher auffallen müssen. „Woran liegt das?", fragte ich ahnungslos und sah zu ihm hoch.
Zaph legte gönnerhaft einen Arm um meine Schulter. „An dem Ungleichgewicht in der Hölle. Obwohl unser Kronprinz zurück ist, scheint unsere Macht noch nicht so gefestigt zu sein, wie sie sollte."
„Zu welchem Haus gehörst du eigentlich?"
„Noch zu keinem. Aber sobald sich die Lage hier wieder normalisiert hat, wird sich das ändern." Sein lockerer Tonfall war verschwunden. Es nieselte leicht und ich zog die Kapuze meiner Regenjacke auf. Ich riskierte einen kurzen Blick auf sein Gesicht, als wir mein Wohnheim betraten. Zaph war angepisst. Das war definitiv ein wunder Punkt. Gut zu wissen.
Als ich die Tür zu meinem Zimmer schließen wollte, hielt Zaphs Fuß mich davon ab. „Ach übrigens, Prinzessin, wenn du bereit bist, gegen jemanden zu kämpfen, der nicht auf deine Zerbrechlichkeit Rücksicht nimmt, sag Bescheid."
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