you still make me nervous

00 ||  How do you get up from an all time low? -  The Wanted

Ca. acht Monate nach meinem wohl dümmsten Fehler

Mullingar, Westmeath, Irland  🍀 Kira



Schwerfällig hieve ich mich die steilen Treppen nach oben. ‚Nur noch eine Etage', denke ich schwer nach Luft schnappend und umschließe die vier Einkaufstüten fester. Das Plastik schneidet sich seit einer halben Stunde in mein Fleisch und aufgrund meiner Rückenschmerzen wird sich dieses Gefühl der absoluten Erschöpfung noch mindestens zehn Minuten weiter verbreiten, vorausgesetzt mein Wunsch, eine Art fliegenden Besen zu besitzen, erfüllt sich in den nächsten drei Sekunden. Innerlich bis drei zählend bleibe ich auf der Plattform der vierten Etage stehen und versuche wieder zu Atem zukommen. Allerdings werde ich nicht zum ersten Mal enttäuscht. Keine Eule flattert mir ins Haus und bringt mich nach Hogwarts, keine Bibi Blocksberg holt mich mit ihrem Besen und kein verdammter Sauerstoff erreicht meine Lungen, sodass ich nicht einmal wirklich zu Atem kommen kann.

„Fuck", grummle ich und lege prompt meine Hand auf den Bauch. „Sorry, Erbse. Du weißt, böse Wörter benutzen wir nicht. Nur weil wir ein schei-bescheidenes Leben führen werden, müssen wir nicht so reden, als leben wir in der Gosse." Mit der Erziehung konnte man gar nicht früh genug beginnen, hat man mir gesagt. Und daran will ich mich auch halten, solange es geht. Schimpfworte würde der/die Erbse schon noch früh genug zu gebrauchen wissen. Dafür würde ich, so wie ich mich kannte, schon sorgen.

„Na dann. Nur noch dreißig weitere Stufen." Schnaubend setze ich meinen Weg fort und versuche erst mal tief durchzuatmen, sobald ich vor meiner Wohnungstür angekommen bin. Für den gut zwei Kilometer langen Fußweg bis zum Supermarkt, muss mir etwas Besseres einfallen, dessen bin ich mir sicher. Die Tesco-Tüten auf dem Küchentisch abstellend, streife ich meine ausgelatschten Turnschuhe von den Füßen und lasse sie unterm Küchenstuhl legen. Stören werden sie sicherlich niemanden. Immerhin wird Killian nicht vor dem vorausberechneten Geburtstermin in vier Wochen wieder nach Hausekommen. Und solange ich nicht über sie fliege, oder irgendetwas anderes, ist es mir egal, wo es in der Wohnung steht, liegt, rollt, was auch immer.

„So Erbse. Zeit für Mamas Bad, nicht wahr?"

Noch bleibe ich stark. Doktor Kingston würde mich schon unterDrogen setzen müssen, um mich dazu zu bekommen, ihn zu bitten, mir das Geschlecht meiner mittlerweile Wassermelone - großen Erbse zu verraten.

Sämtliche Lebensmittel, die für den Kühlschrank bestimmt sind, räume ich in eben jenen. Den Rest lasse ich in der Tüte auf demTisch liegen, stolziere direkt ins Bad und lasse das Wasser in die Badewanne ein. Es mag schon einmal einfacher gewesen sein, mich dort hinein zu legen, doch sobald das warme Wasser meine müden Glieder umschließt und die Badekugeln anfangen einen angenehmen Duft von Limette und Minze zu verbreiten,  kann ich damit beginnen mich zuentspannen. Mein Handy lag zuerst auf dem zugeklappten Toilettensitz, doch nachdem ich meine Hände abgetrocknet habe, greife ich nachmeinem alten Samsung und lasse ‚The Wanted' auf mich nieder rieseln. Allerdings merke ich schon nach zwei Songs, dass die Musik für meine Stimmung nicht geschaffen ist. Stattdessen lasse ich die Songs aus dem 2012 verfilmten Musical ‚Les Misérables' auf mich wirken, schmachte die Stimmen von Russel Crowe und Aaron Tveit an und versuche, wie so oft, meine Tränen zu verkneifen, sobald die herzzerreißende Stimme von Anne Hathaway beginnt, über ihre zerbrochenen Träume zu singen.

„Glaube mir, Schätzchen. Ich versteh dich", murmele ich und sehe nachdenklich auf meinen runden Bauch. Vorsichtig fahre ich mit dem Zeigefinger kleine Kreise über die gedehnte Haut.

Ob ich mal wieder mit Nina reden soll? Seit ich London Hals über Kopf verlassen habe, habe ich nicht mehr von meiner besten Freundin gehört. Diese Funkstille hält nun schon seit knappen sieben Monaten an. Jegliche Annäherungsversuche hat sie bisher abgeblockt. Wäre dies nicht der Fall, hätte ich dann den Mut gefunden, mein Studium abzuschließen? Trotz der Erbse? Hätte ich Nina an meiner Seite gehabt, wäre mir alles leichter gefallen? Ich wäre sicher nicht zurück nach Mullingar gekommen. Der Antrag von Killian war ebenso fix gekommen, wie die Erkenntnis, dass tatsächlich etwas in mir heran wuchs. Beides hatte mich aus der Bahn geworfen.

Als wolle sie ihren Senf dazugeben, trat der/die Erbse kräftig gegen meinen Bauch. „Au! Mensch. Wenn du mir was sagen willst, danntu das ein bisschen deutlicher, ja? So weiß ich nicht was du willst. Soll ich sie anrufen oder soll ich uns lieber eine Pasta kochen, damit Mummys Haut nicht noch schrumpeliger wird von dem lau warmen Wasser?" Ein weiterer kräftiger Tritt war zu spüren. „Wenn ich es nicht besser wüsste, könnte man glatt meinen, du wärst ein kleiner Junge, ein kleiner Fußballer." Stille. „Oder eine beleidigte Diva." Dabei schließt das eine, das andere ja nicht aus, denke ich im Stillen.

Schwer atmend kämpfe ich mich aus der Badewanne und stelle mich unter die Brause, um den Schaum von meinem Körper zu spülen. Wirklich Mühe mit meinen Haaren oder den Klamotten gebe ich mir nicht. Ich lasse den zerzausten, schiefen Dutt, so wie er beim ersten Versuch aussieht und schlüpfe in potthässliche aber bequeme Unterwäsche, bevor ich mich in meinen alten Abschlusspullover der St Joseph's Secondary School zwänge und in eine lockere Strumpfhose schlüpfe.

Den restlichen Abend über bleibt die Erbse still.  'Also doch beleidigte Leberwurst', denke ich grinsend.



Ich darf in Ruhe eine Portion Pasta vertilgen, darf den Abwasch erledigen und abschließend sogar noch ein wenig Popcorn knabbern. Er oder Sie tritt nicht und bekommt zur Abwechslung auch keinenSchluckauf.

Müde vom Einkaufen, dem anstrengenden Nachmittag mit meinem Vater und der Sorgen um das rechtzeitige Fertigstellen des Babyzimmers, lasse ich mich schließlich abends um circa zwanzig Uhr auf die alte Couch fallen. Ich platziere die Popcornschale auf meinem Bauch, lege mein Lieblingskissen unter meinen Nacken und greife etwas umständlich nach der Fernbedienung.

Es dauert noch ungefähr fünfzehn Minuten, bevor ich eine Serie anschauen muss, um meinen Ehemann glücklich zu machen.

Ehemann. Auch gut acht Monate nach der Trauung fühlt sich der Begriff alleine noch so furchtbar seltsam an. Niemals hätte ich geglaubt, Killian einmal zu heiraten. Und doch hatte ich seinen Antrag angenommen und ihn zuhause in Mullingar geehelicht. Strenggenommen hätte ich nicht einmal für möglich gehalten, dass er jemals mit mir sprechen würde. Schon in der Schule, war er der unerreichbare Schönling gewesen. Und jetzt? Jetzt trug ich seinen Ring an meinem Finger.



Desinteressiert zappe ich mich durch die Kanäle, schaue hier und da in die Nachrichten verschiedenster Qualität und schäme mich, dass ich nicht wie jede andere Journalismus-Studentin an den Lippen des Anchormans hängenbleibe. Doch wenn ich ehrlich zu mir selbst sein würde, anstatt es Killian recht machen zu wollen, würde ich zugeben, dass ich so viel lieber Kolumnen schreiben würde, anstatt eine Bewerbung nach der anderen abzutippen, um mich bei Lokalen Sendern und Redakteuren zu bewerben. Außerdem würde ich zu gerne einmal einen Roman schreiben. Einmal schreiben, wo nach mir der Sinn stand, war so viel reizvoller, als sich ständig an Fakten halten zu müssen. Obwohl ich für das tatsächliche Ausüben des Jobs, neben der Elternzeit auch das letzte Jahr des Studiums und damit die Abschlussprüfungen meistern müsste, hängt Killian mir mit Karriereplänen in den Ohren. Seien es seine Träume als Schauspieler durchzustarten oder meine, eine Pulitzerpreistragende Journalistin –zumindest in seinen Augen - zu werden. In meinen Augen sieht meine geplante Karriere wie folgt aus: Zusammen mit Erbse überleben undnach seiner/ihrer Geburt so viel Speck wie möglich verlieren, damit ich in dieser oberflächlichen Welt einen Job bekam, der es uns ermöglichte zu überleben. Kurz und knapp, einfach und simple.

Durch das Durchzappen gelingt es mir die letzten Minutentotzuschlagen. Seufzend schalte ich auf RTÈ One und muss mir sogleich ein Lachen verkneifen. Welcher normale Mensch nennt seine Fernsehshow »Three And A Half Werewolves«? Und warum zum Teufel gab es keinen Stress mit den Machern von »Two And A Half Men«? Vor Killian würde ich es niemals zugeben, doch dereinzige Grund, warum ich mir diesen Mist voller Logikfehler, schlechter Dialoge und überzogener Pseudo-Pyrotechnik und Special-Effects antue, heißt nicht Killian Price. Er heißt Daniel Sharman und je nach meiner persönlichen Stimmung Eddie Redmayne. Meiner Meinung nach sind Daniel Sharman, Eddie Redmayne und Emily Browning die einzigen drei entschuldbaren Gründe, warum dieser Pseudo-coole Fantasy-Kram noch nicht abgesetzt wurde.


Als wolle sie meinen Gedanken erneut zustimmen, fing die Erbse wieder an sich zu bewegen. „Ich sehe, wir verstehen uns", flüstere ich und beschließe einfach wie immer umzuschalten und vor Killians nächstem Anruf den Plot der Folge im Internet nachzulesen. Zu meinem Pech läuft an diesem Donnerstagabend aber absolut nichts Gutes im Fernsehen.

Es dauert eine ganze Weile bis ich irgendwo im hinteren Bereich der Fernsehsender auf die Graham Norton Show stoße.

„Ein bisschen Gossip hat noch keinem geschadet, was?"

Und sofort bereue ich meine Entscheidung.

Ein blonder Ire, 23 Jahre alt, unverschämt sexy und mir mehr als nur vertraut, grinst breit in die Kamera, bevor er von keiner geringeren als Amy Adams Standing Ovations bekommt, zu einer Gitarre schreitet und beginnt eine ruhige Melodie zu spielen. „Wann hat er die anderen drei abserviert?" frage ich mich leise und lausche seinen Worten. Viel mehr stört mich aber die Tatsache, dass Erbse sofort aufhört sich zu bewegen, als er beginnt zu singen:

»Waking up to kiss you and nobody's there

The smell of your perfume still stuck in the air

It's hard.

Yesterday I thought I saw your shadow running 'round

It's funny how things never change in this old town

So far

From the stars«

Gehässig lache ich auf. „Da hast du wohl Recht. In diesem Kaff hier ändert sich so schnell nichts."

Rein aus Reflex lege ich meine Arme schützend um meinen Bauch, als würde Niall jede Sekunde aus dem Fernseher herausspringen, um unsere Erbse mit seiner Gitarre zu erschlagen. Kritisch höre ich auf jede Zeile seines Songs, nur um auf Nummer Sicher zu gehen.

»'Cause if the whole world was watching I'd still dance withyou«

„Schwachsinn. Was anderes als Irsih-Dance hast du nie getan. Du hast genau so zwei linke Füße, wie ich, also rede hier nicht von Tanzen, auch wenn die ganze Welt zu schaut. Und mit einem Trampel, wie mir würdest du das schon gleich gar nicht tun. "

»You still make me nervous when you walk in the room

Them butterflies—they come alive when I'm next to you

Over and over the only truth

Everything comes back to you«


„Da hast du wohl Recht.  Auf mich kommt einiges zu, viel fällt auf mich zurück. Aber ich kann dir versprechen, auf dich wird nichts zurück fallen. Nicht wahr Erbse? Wir schaffen dass auch ohne deinen Daddy. Schließlich haben wir Killian."

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