"Unexpected visit."

Mittler Weile wissen ja alle das es hier nicht lustig zu geht. Und auch in diesem Kapitel geht es alles andere als spaßig zu. 
Ich denke es könnte schon mit eins der schlimmeren Kapitel sein, da es Verbal heftig zu Sachen gehen wird. Und ich wisst ja, das mir euer Wohl am Herzen liegt. Deswegen bitte nur lesen, wenn ihr das auch wirklich könnt und verkraftet. 

Persönlich muss ich sagen, das dies wohl eins der besten Kapitel ist die ich hier geschrieben habe. Mir liegt diese Geschichte sehr am Herzen, weswegen es mir verdammt wichtig war das folgende Kapitel nachvollziehbar zu vermitteln. 
Es könnte tatsächlich sein, das es einige von euch emotional mitnimmt. Gerade zum Ende hin musste ich selbst Schlucken und die Tränchen zurück halten...und ich bin die Autorin. Oo

Die meisten von euch haben ja mit Nicholas gerechnet, der vor der Tür steht. Da muss ich euch enttäuschen :-*

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Sollte er vielleicht doch lieber den Notarzt rufen? Immerhin war Kevin schon gute zehn Minuten weggetreten und starrte irgendwie nur in der Gegend herum. Aber dann musste er erst mal für die Nummer des Notrufes in England Google in Anspruch nehmen. Die für Dänemark kannte er, aber nicht für England.

„Kevin? Hey, Kumpel. Komm schon. Du machst mir Angst." Nur sehr behutsam hatte er sich neben seinen langjährigen Freund gesetzt, traute sich kaum, die Hand auf die Schulter des Blonden zu legen. Es wäre maßlos gewesen, wenn er nicht geglaubt hätte, dass Kevin überrascht sein würde. Aber dass dieser in so einen Schockzustand verfallen würde, hatte er nicht erwartet.

Worte und Gesten kamen verzögert bei ihm an. Kevin hatte sich tief in sein eigenes Inneres zurückgezogen, nachdem sich der anfangs fremde Mann ihm offenbart hatte. Es gab kaum Momente, Sachen, die Kevin überraschten oder aus der Bahn warfen. Nach dem Geständnis von Nicholas dachte er eigentlich, dass ihn nichts mehr umhauen würde. Aber da hatte er sich gewaltig geirrt.

„Warum?"

„Warum ich hier bin?"

„Ja. Nein. Ich weiß nicht." Verwirrt griff er sich an den Kopf, kniff die Augen fest zusammen. Ein stechendes Pochen hatte sich hinter seiner Stirn breit gemacht und am liebsten wäre er mal wieder geflohen, aber sein Körper gehorchte ihm nicht.

„Tut mir leid, dass ich dich so überfallen habe. Scheinbar hast du nicht mit mir gerechnet."

„Nein. Ich weiß nicht, mit wem ich gerechnet habe, aber definitiv nicht mit dir."

Seufzend fuhr er sich durch die brünetten Haare. Nicholas hatte ihm gesagt, dass es Kevin nicht gut ginge und nachdem der junge Kanadier wirklich viel erzählt hatte, war ihm bewusst geworden, dass Kevin ihn wirklich brauchte. Es war so traurig, dass ein fremder Mann ihn suchen musste, damit er über seinen besten Freund Dinge erfuhr, die ihm das Blut in den Adern gefrieren ließen. Er hatte damit gerechnet, dass Kevin abstürzen würde, dass sich dieser keine Hilfe suchen würde. Aber niemals hätte er damit gerechnet, dass es Kevin so schlimm gehen würde.

„Ich verstehe nicht, was du hier willst. Nach all den Jahren. Woher weißt du eigentlich, wo ich wohne? Und wieso ausgerechnet jetzt?"

Langsam bekam er wieder die Kontrolle über seinen Körper und jeden anderen hätte er kurz und klein geschlagen und die wohl schlimmsten Dinge an den Kopf geschmissen. Aber nicht dem Mann, der neben ihm saß - und das machte Kevin Angst. Angst, die er seit Wochen sowieso schon hatte. Aber wieso konnte er Mads nicht einfach anschreien? Immerhin wollte dieser doch nichts mehr von ihm wissen und hatte ihre Freundschaft gekündigt.

„Dir ist schon klar, dass ich dir die Freundschaft niemals gekündigt habe? Und du kannst noch so viel knurren und dementieren, ich habe nur meine Familie beschützt. Du hast einfach beschlossen, bockig wie ein Kind zu sein und zu verschwinden."

Es war so erschreckend, dass er auch nach Jahren der Funkstille erkannte, was in Kevin vorging. Auch über die Berichte seines besten Freundes im Fernsehen hatte er schon ahnen können, wie es um Kevin steht. Aber dass er diesen nur anschauen musste, um erneut zu wissen, was in dessen Kopf vorging, war komisch.

„Ich war nicht bockig! Du hast mich als gemeingefährlich hingestellt. Du hast so getan, als würde ich deiner Frau und deinen Kindern was antun." Wütend sprang Kevin auf. Das musste er sich nicht gefallen lassen. Da war Mads gerade mal eine halbe Stunde in seinem Haus und schon krachte es zwischen ihnen.

Mads ließ sich keineswegs von dem Ausbruch beeindrucken. Er blieb auf der Couch sitzen, überschlug die Beine und verschränkte die Arme vor der Brust. Nachdem Kevin es von Pedder weggeschafft hatte, war es schlimm mit anzusehen, wie dieser aggressiv und impulsiv wurde.

„Ich habe damals alles riskiert, um dich von dem Wichser wegzuholen. Und das mehrmals. Als ich es endlich geschafft hatte und du Fuß fassen konntest und deinen Traum leben konntest, warst du nicht mehr der Kevin, mit dem ich in den Kindergarten gegangen bin. Du hattest dich verändert. Zum Negativen. Du warst laut, brutal. Du hast Menschen ohne Grund angemacht. Du warst impulsiv. Ich habe dir mehrmals gesagt, dass du dir Hilfe suchen sollst. Es gibt Anlaufstellen für Personen, die aus einer gewalttätigen Beziehung kommen. Aber du hast nur höhnisch gelacht. Der großartige Kevin Magnussen hat das nicht nötig." Schnaubend schüttelte Mads den Kopf. Kevin wäre tot, wenn er diesen nicht immer wieder von Pedder weggeholt hätte. Nicht mal einen Danke hatte er bekommen, als der Freund seines besten Freundes ihm die Rippen gebrochen hatte.

Hart fixierte er seinen ehemaligen besten Freund, ballte die Hände zu Fäusten.

„Wenn du nur wegen der Vergangenheit labern willst, kannst du wieder abzischen. Ich habe damit abgeschlossen."

„Okay."

Gleichgültig erhob sich Mads, baute sich vor Kevin auf und zuckte nicht mit der Wimper, als dieser ihn niederstarrte. So hatte er sich ihr Wiedersehen nach all den Jahren nicht vorgestellt.

„DU, mein Lieber!" Er hob die Hand und drückte den Zeigefinger gegen Kevins Brust. „Du hast kein Stück mit der Vergangenheit abgeschlossen. Du bist ein arrogantes und überhebliches Arschloch geworden. Du verkriechst dich hinter deinen scharfen Worten, deiner Ignoranz und dem Glauben, dass du stark bist. Du fährst wie ein Irrer, bringst dich und deine Kollegen in Gefahr und reißt dann noch dein Maul auf, wenn jemand es wagt, dir die Meinung zu sagen. Feige versteckst du dich hinter dieser Kaltschnäuzigkeit. Dabei bist du nur erbärmlich. Und ich kann beim besten Willen nicht verstehen, wie eure Bosse dich noch haben wollen. Wo du doch eine Gefahr bist."

Sprachlos öffnete er seinen Mund, nichts kam heraus. Es war nicht das erste Mal, dass er solch eine Aussage seine Persönlichkeit betreffend hörte. Und es war sicher eine der harmlosesten. Und trotzdem tat diese genauso weh wie die von Nicholas.

„Fickst du dich eigentlich auch wie Pedder durch die Gegend? Hast du einen Freund, dem du das antust, was Pedder dir angetan hat? Na, was machst du wie dein Ex? Andere schlagen und misshandeln? Mir ist tatsächlich so, als hättest du damals gesagt, dass du niemals - unter keinen Umständen - so werden würdest wie dein Ex. Ich nehme an, das Versprechen hast du dir selbst gegenüber nicht so halten können?"

„DU!" Wütend holte Kevin aus, verfehlte aber sein Ziel, da Mads auswich. Voller Wut ging er auf seinen ehemaligen besten Freund los, versuchte, diesen mit Fäusten und Füßen zu erwischen, aber Mads konnte jedem seiner Schläge ausweichen. Vielmehr lachte ihn der andere auch noch aus, was Kevin noch wütender machte. Tränen rannen über sein Gesicht und er fluchte wild auf Dänisch.

„Habe ich da etwa recht gehabt? Wow. Ich bin echt gut im Raten. Du fickst also einfach Männer und behandelst sie wie Dreck? Wie Abfall? Respekt, Kevin, hätte nicht erwartet, dass du genauso tief sinkst wie Pedder. Du weißt doch? Pedder, der dich mehrmals vergewaltigt hat, der dich grün und blau geschlagen hat. Weißt du noch? Der Pedder, dem du wie ein reumütiger Hund hinterher gewinselt hast, zu dem du trotz Misshandlungen immer wieder zurück gekrochen bist."

Die Tränen strömten immer heftiger, seine Bewegungen wurden unkontrolliert und Kevin schrie verzweifelt auf, als er in eine feste Umarmung gezogen wurde.

+

So hatte er sich ihr Wiedersehen absolut nicht vorgestellt. Schon das zweite Mal an diesem Tag beobachtete Mads den Blonden voller Sorge. Nur diesmal schlief Kevin, was wohl das Beste in diesem Moment war. Nach dem Zusammenbruch des anderen hatte Mads es mehr oder weniger elegant geschafft, Kevin ins Bett zu bringen.

Nicholas hatte ja erwähnt, dass es seinem Kollegen nicht gut ging, aber dass es so schlimm um Kevin stand, hatte Mads unvorbereitet getroffen. Natürlich war er nicht davon ausgegangen, dass sie gemütlich Kaffee trinken würden und sich lustige Geschichten vom Kindergarten und der Schule erzählen würden. Dass sie nach 20 Minuten in so eine heftige Auseinandersetzung geraten würden, war aber genauso wenig zu erwarten gewesen. Und trotzdem glaubte Mads, dass es Kevin guttat, die Wut und tief versteckten Gefühle herauszulassen. Dass er dafür seinen besten Freund verbal so angehen musste, tat ihm selbst am meisten weh, aber anders kam man scheinbar ja nicht an Kevin heran.

„Du bist kein Traum gewesen?" Müde rieb sich Kevin den Schlaf aus den Augen, als er seine Küche betrat und auf Mads traf.

„Nein, meine Schönheit. Ich bin kein Traum." Lächelnd nippte Mads an seinem Kaffee, welchen er sich gemacht hatte. Er deutete Kevin an, sich zu setzen und schenkte diesem ebenfalls einen Kaffee ein.

„Wirst du dich jetzt in Ausflüchten versuchen? Bezüglich deines Zusammenbruchs?"

„Das wird wohl kaum was bringen. Immerhin warst du dabei, als ich dich angegriffen habe." Kraftlos nahm Kevin die Tasse an sich, vermied es, Mads dabei auch nur ansatzweise anzublicken, während er selbst am Kaffee nippte.

„Du weißt, dass du immer mein bester Freund gewesen bist, oder? Auch die Tatsache, dass ich dich damals weggeschickt habe, hat daran nichts geändert. Wieso bist du nicht zu mir gekommen, Kevin?"

Er zuckte leicht mit den Schultern, während sein Blick zum Küchenfenster schweifte und er im Garten einen Punkt fixierte.

„Weil du recht hattest. Ich war bockig. Und eifersüchtig. Du hattest eine großartige Frau. Ihr hattet eine Familie gegründet. Ich fühlte mich deiner Freundschaft beraubt und ich habe es nicht verstanden, wieso du mir als bester Freund in den Rücken gefallen bist."

„Ich habe all deine Rennen verfolgt. Immer, wenn es was zu lesen von dir gab, habe ich mir das aufmerksam durchgelesen. Es tat mir weh, weil ich in vielen Dingen lesen konnte, dass es dir nicht gut geht, du aber viel zu stolz warst, um nach Hilfe zu fragen."

Schweigend blickte Kevin aus dem Fenster, umklammerte die Tasse fest in seiner Hand. So sollte kein Wiedersehen aussehen, wenn man sich jahrelang nicht gesehen hatte. Man sollte nicht direkt da weitermachen, wo man aufgehört hatte, miteinander zu reden. Aber es fühlte sich auch falsch an, wenn er Mads jetzt nach seiner Familie oder der Arbeit fragen würde. Es würde die Vergangenheit nicht ungeschehen machen, nicht die Sachen, die er in seiner Wut gesagt hatte.

„Hast du überhaupt jemals wieder jemanden an dich herangelassen?"

„Nein."

„Also hatte Nicholas recht. Du vertraust niemandem."

Ruckartig löste er sein Blick vom Garten und verrenkte sich fast den Hals, als er Mads mit großen Augen anblickte.

„Nicholas? Welcher Nicholas?"

„Na dein Kollege. Latifi."

Es war Kevin deutlich anzusehen, dass sich die Gedanken in seinem Kopf überschlugen und er nicht wusste, was er sagen sollte. Aber scheinbar hatte dieser auch nicht damit gerechnet, dass sich überhaupt jemand für ihn einsetzen würde.

„Was hat Latifi damit zu tun?"

„Wegen ihm bin ich hier. Er hat mir deine Adresse gegeben. Nicholas hat mich über Wochen hinweg im Internet gesucht. Als er mich gefunden hat, haben wir erst Mails geschrieben und dann telefoniert. Du kannst dir vorstellen, wie groß die Überraschung war, als mich Nicholas Latifi angeschrieben hat."

„I-Ich versteh nicht ... Wieso hat dich Nicholas gesucht?"

„Weil er dir helfen wollte. Bei unserem Gespräch hat er mir erzählt, dass es dir nicht gut geht. Du hattest wohl einen Zusammenbruch und das hat ihn sehr besorgt. Und da er wusste, dass du niemals mehr preisgeben würdest, hatte er nur die Namen Mads und Pedder."

Immer wieder schüttelte Kevin den Kopf, schob den Stuhl hektisch nach hinten und erhob sich von diesem. Verwirrt griff er sich in die Haare, murmelte immer wieder kaum zu verstehende Dinge.

„Wieso? Wieso hätte er das machen sollen?"

„Weil Nicholas gesehen und gemerkt hat, dass du deinen besten Freund brauchst. Er hat mir erzählt, dass er sich nur grob Sachen zusammenspinnen konnte, nachdem du deinen Zusammenbruch hattest. Ich war schon sehr skeptisch, aber auch angepisst. Da schreibt mir ein fremder Mann, dass mein bester Freund Hilfe braucht, statt dieser selbst. Aber ich wusste ja selbst nicht mal deine Adresse, also gehe ich davon aus, dass du auch nicht weißt, wo wir wohnen oder was ich beruflich mache."

Das Verlangen, mit dem Kopf gegen die Wand zu schlagen, war sehr groß, aber Mads würde dies wohl schnell unterbinden. Also tigerte Kevin weiterhin unruhig durch seine Küche, verstand die Welt nicht mehr. Da tauchte nach Jahren einfach sein bester Freund vor seiner Haustür auf und erzählte ihm, dass Nicholas dafür die Verantwortung trug.

„Nicholas hat mir erzählt, dass ihr beide verbal wohl aneinandergeraten seid und ihn das auch sehr mitgenommen hat. Aber trotzdem wollte er dir unbedingt helfen. Und leider muss ich die Schuld wohl auch auf mich nehmen, dass er das Corona-Virus hatte."

„Häh?"

„Nicholas war bei mir in Dänemark. Der Kontakt nur per Mail oder Telefongespräche genügte bald nicht mehr, sodass wir uns persönlich getroffen haben. Ich wollte unbedingt den Mann kennen lernen, dem so viel daran lag, dass wir beide uns wieder treffen und miteinander sprechen. Ich habe einen unglaublich lieben und netten jungen Mann kennengelernt. Ein wenig schüchtern und zurückhaltend, aber das Herz am rechten Fleck. Nicht einmal hat er mich über das ausgefragt, was zwischen uns und Pedder vorgefallen war. Ihm war nur wichtig, dass wir beide uns aussprechen, weil du mich brauchst und ich mit der Einzige sei, auf den du vielleicht endlich mal hören würdest."

+

Nach dem für Kevin aufwühlenden Gespräch verzog sich dieser ins Bad und duschte ausgiebig. Er musste jetzt erst mal den Kopf wieder freibekommen und darüber nachdenken, was er davon halten sollte, was er erfahren hatte.

„Kevin, versuch bitte, dich nicht zu ertränken. Wenn du willst, kann ich dir erzählen, wie es war, als Nicholas die erste Mail geschrieben hat."

„Wieso sollte es mich interessieren?"

Selbst durch die geschlossene Tür konnte er das amüsierte Lachen von Mads hören. Fast schon empört blickte Kevin zur Tür. Wie kam Mads dazu, ihn auszulachen?

„Och bitte, Kevin. Wir mögen uns einige Jahre nicht gesprochen haben. Aber glaub mir, du kannst mir nichts vormachen. Nicholas hat eine Bedeutung für dich. Außerdem scheint das auf Gegenseitigkeit zu beruhen oder wieso sollte er sich sonst so eine Mühe geben, um mich ausfindig zu machen?"

Darauf hatte Kevin keine Antwort, genau diese Frage hatte er sich nämlich auch gestellt, sofort nachdem sich sein Herzschlag wieder beruhigt hatte. Es war unbeschreiblich, was in seinem Kopf und seiner Brust passierte, nachdem Mads erwähnt hatte, dass Nicholas für dieses Treffen verantwortlich war und was der Kanadier alles unternommen hatte.

„Ahhh. Na Sonnenschein. Du strahlst richtig." Breit grinsend empfing er Kevin ein weiteres Mal in der Küche, hatte diesmal aber ein paar Brote geschmiert und etwas Obst und Gemüse geschnippelt. Kevin sah danach aus, als ob dieser eine Stärkung auf jeden Fall gebrauchen konnte.

Ungewollt zuckten seine Mundwinkel, während er die Hände tief in seiner Jogginghose vergraben hatte. Rasch hatte er sich nach dem Duschen einen bequemen Pulli und Jogginghose angezogen, da seine Ungeduld von Sekunde auf Sekunde größer geworden war.

„Wieso ist es zwischen uns so, als wäre nie was gewesen?" Nachdem er sich an den Küchentisch gesetzt hatte, nahm sich Kevin unter dem strengen Blick des Brünetten etwas Kohlrabi und Paprika.

„Ich würde nicht sagen, dass es so wie damals zwischen uns ist. Dafür ist einfach zu viel in den letzten Jahren nach Pedder geschehen. Und ich weiß jetzt schon, dass ich nicht alles gutheißen werde, was du in den letzten Jahren gemacht hast. Trotzdem bist du mein bester Freund. Ich war und werde immer für dich da sein. Und ich denke, Nicholas kam genau zur richtigen Zeit. Sowohl in dein Leben als auch zu mir. Du ahnst, worauf ich hinaus will?"

Seufzend ließ er die Schultern hängen, knabberte am Kohlrabi, während er ganz leicht nickte. Bei jedem anderen, egal ob Nicholas, Lando oder auch Romain, wäre er schon wieder an die Decke gegangen, hätte verbal ausgeholt und sich hinter seiner dicken Mauer versteckt, aber nicht bei Mads. Nach seinem Zusammenbruch und ihren harschen Gesprächen war Kevin bewusst geworden, dass er keine Chance mehr haben würde, um zu flüchten. Er würde sich nicht mehr verstecken können. Und tief in seinen hintersten Gedankengängen wusste er schon seit den Auseinandersetzungen mit Nicholas, Lando und Romain, dass er dringend Hilfe brauchte.

„Wir beide stärken uns jetzt erst mal. Und wenn du dann irgendwo ein Bierchen für mich hättest, könnten wir uns ins Wohnzimmer setzen und reden. Und ich meine wirklich reden, Kev. Ich will alle schlimmen Details hören. Du sollst nichts verschweigen, da mir durchaus bewusst ist, dass du anderen Menschen körperlich wehgetan haben wirst. Ich ärgere mich noch immer, dass ich dich damals nicht einfach zu einer Therapie gedrängt habe. Aber für Hilfe und eine Therapie ist es nie zu spät."

Fest spannte er seinen Kiefer an. Therapie. Dieses Wort war für Kevin so negativ, so böse. Für ihn gingen nur Menschen zu einem Seelenklempner, die nicht mit ihrem Leben klarkamen, die ein paar Probleme hatten und anderen davon ihr Leid klagten. Dass er mit dieser Meinung ein falsches Bild hatte, war ihm schon bewusst. Aber über Jahre hinweg hatte sich Kevin eingeredet, dass nur Idioten zur Therapie gingen, die nicht stark genug waren, um mit dem Leben klarzukommen.

„Eine Therapie ist nichts Schlimmes. Viele Menschen nutzen diese Hilfe und man braucht sich dafür nicht schämen. Ich habe gelesen, dass dein junger Kollege Lando Norris eine Stiftung unterstützt, die für mentale Hilfe eintritt. Das ist sehr stark und richtig gut für sein junges Alter. Ich selbst hab' auch eine Therapie gemacht, als ich vor drei Jahren ein Burnout hatte. Eine meiner besten Entscheidungen, die ich je getroffen habe."

Skeptisch wanderte sein Blick über das Gesicht des Jüngeren. Für Mads hörte sich das so einfach an und wenn man Berichte verfolgte oder Dokus sah, erschienen Therapien wirklich sehr gut. Kevin konnte sich aber beim besten Willen nicht vorstellen, sich einem völlig fremden Menschen zu öffnen, diesem von den schlimmsten Dingen seines Lebens zu erzählen. Dieser Mensch würde ihn doch für einen Schwächling halten, weil er sich als Mann nicht hatte wehren können.

„Ich weiß nicht, ob es dir hilft, die Ketten der Vergangenheit abzulegen. Pedder ist seit fünf Jahren tot. Er wird dich nie wieder anfassen, nie wieder schlagen, vergewaltigen, misshandeln und psychisch quälen. Kevin, du bist frei von ihm."

Langsam erhob sich Mads, umrundete den Tisch und kniete sich neben seinen besten Freund. Behutsam legte er die Hände an das Gesicht des Blonden, drehte dieses etwas in seine Richtung und wischte die stummen Tränen weg, welche über das Gesicht liefen.

„Du bist frei. Du brauchst nie wieder Angst haben", flüsterte Mads leise.

TBC ...

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