"A hard way."

Hallo.
Hat zwar wieder etwas gedauert, aber ich hab ein neues Kapitel.
Und da ich in letzter Zeit Probleme mit meinem Schreibprogramm habe, musste ich am Ende etwas Improvisieren >.< 

Persönlich finde ich, das es ein sehr emotionales und schönes Kapitel geworden ist ^///^ Aber das entscheidet jeder für sich selbst :-*

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Viel war ihm in seinem Leben nicht schwergefallen. Es gab vielleicht eine Handvoll Dinge, die schwer umzusetzen waren. Das erste, das Kevin einfiel, war es zu schaffen, sich von Pedder zu trennen. Es war ihm damals so schwergefallen, diesen Schritt zu gehen. Nur der letzte Funken Verstand und der letzte Zipfel Überlebenswillen hatten ihn dann dazu gebracht, den letzten Schritt zu gehen und zu flüchten. Danach gab es nicht mehr viele Erlebnisse, die ihm schwergefallen waren. Er nahm sich danach, was er wollte und wie er es wollte.

Das, was er vor nicht mal zehn Minuten getan hatte, hatte seinen Körper in pure Panik versetzt. Sein Herz hatte so heftig geschlagen, dass Kevin wirklich Angst hatte, er würde jeden Moment einen Infarkt bekommen. Er schwitzte und er hatte Bauchschmerzen. Es war so lächerlich, dass er sich von seinen Gedanken wirklich so kontrollieren ließ. Vor Monaten hatte er immer die Kontrolle gehabt, aber das war schon länger nicht mehr so.

Richtig begreifen konnte sich Kevin selbst noch nicht. Er hatte nicht nur auf den Therapeuten gehört, sondern auch auf den Teil seines Körpers, der jede Hilfe dankend annahm, der nicht abblockte. Es sackte nur sehr langsam in sein Gehirn durch und er erlaubte es sich auch nur ganz vorsichtig, sich über sein Handeln zu freuen.

Nach all dem Adrenalin, was ihn gepusht hatte, kam nach einigen Minuten die Erkenntnis und sein Körper sackte etwas in sich zusammen. Erleichtert, dass er schon in seinem Bett lag, konnte er nicht tief fallen, als er sein Körper geradezu erschlaffte. Schwer atmend zog Kevin die Decke über sich, rollte sich klein unter dieser zusammen und ließ den Tränen freien Lauf. Tränen der Erleichterung mischten sich mit Tränen der Verzweiflung.

Er war wirklich bei Günther gewesen.

Schniefend schüttelte er den Kopf, wischte sich die Tränen von seinem Gesicht. Sein Therapeut, aber auch Mads und Nicholas würden jetzt sagen, dass er stolz sein konnte. Stolz und mutig. Und irgendwie war er es auch, aber diese Gefühle wollten sich noch nicht komplett einstellen. Es gab immer noch die Scham, weil er wirklich bei seinem Boss gewesen war und um eine Pause gebeten hatte. Günter war überrascht, vielleicht sogar geschockt. Und natürlich hatte Günther eine Erklärung wissen wollen.

„Kannst du zu mir kommen?"

Fest presste er das Handy an sich, zuckte fast schon ängstlich zusammen, als es nur Sekunden später piepte.

„Sicherlich. Hat es etwas mit deinem Gespräch bei Günther zu tun?"

„Ja."

„Wo bist du?"

„In meinem Container."

„Ich bin in fünf Minuten da."

Und es dauerte wirklich keine fünf Minuten, bis es an seiner Tür klopfte. Schnell sprang er aus dem Bett, eilte zur Tür und ließ Nicholas herein. Kaum hatte der Kanadier seinen Container betreten und er die Tür geschlossen und versiegelt, da schlang er schon die Arme um den Jüngeren.

Es war nicht mehr ganz so überraschend, wenn Kevin die Nähe von sich aus suchte. Die ersten Male war Nicholas schon etwas überrumpelt, da man Kevin so ja nicht kannte. Aber seit der Therapie sah er immer wieder kleine Veränderungen, spürte, dass Kevin die Therapie sehr gut tat, auch wenn sie den Dänen körperlich und mental oft sehr erschöpfte.

„Ich habe um eine Pause gebeten", wisperte Kevin leise. Sein Gesicht schmiegte sich an die Brust des Kanadiers und Kevin nahm sofort die Veränderungen seines Körpers und Geistes wahr. Es war wirklich so, dass Nicholas ihn beruhigte - er wurde ruhiger. Sein Herzschlag normalisierte sich, er atmete entspannter.

„Oh."

Tausende, wenn nicht zigtausende Gedanken wirbelten nach dieser Aussage durch seinen Kopf, aber Nicholas brachte gerade nichts Sinnvolleres über die Lippen, weswegen er den Blonden einfach fester in die Arme zog - in der Hoffnung, dass dieser diese nonverbale Äußerung verstehen würde.

Minutenlang standen sie in dem übersichtlich eingerichteten Container, hielten aneinander fest. Nicholas wusste, dass Kevin die Nähe brauchte und sich danach auch sehnte. Und er würde dem Dänen alles geben, was helfen würde, um die Entscheidung nach einer Pause zu bekräftigten.

„Komm."

Er verschränkte ihre Hände, ging mit Kevin zum Bett und sie setzten sich auf die Bettkante. Sanft strich er mit den Fingern über den Handrücken des Älteren, lächelte zuversichtlich, als Kevin unsicher seinen Blick suchte.

„Dieses Rennen fahre ich noch. Die nächsten beiden nicht mehr. Danach haben wir ja zwei Wochen Pause."

„Dann hast du vier Wochen Zeit für dich?"

„Ja."

„Sehr gut. Das wird dir gut tun. Ich bin wirklich stolz. Du hast einen großen Schritt gemacht, indem du eingesehen hast, dass du eine Pause brauchst."

Aus Nicholas' Mund hörte es sich an, als hätte er eine hochkomplizierte Operation gemeistert oder für den Weltfrieden gesorgt, dabei war er im letzten Moment fast doch noch feige wieder umgedreht. Nur weil ihm Romain entgegengekommen war und er keinen Ausweg gesehen hatte, hatte er dann doch bei Günter geklopft.

„Hat Günter alles wissen wollen?"

„Wäre ihm wohl lieber gewesen, aber ich habe nur grobe Stücke erzählt. Es fällt mir noch immer schwer, mich anderen anzuvertrauen. Zurzeit reicht es vollkommen, dass du, Mads, Lando und Carlos Bescheid wissen. Romain ahnt zwar etwas, aber er überlässt mir selbst die Entscheidung, was ich erzähle und was eben nicht. Das rechne ich ihm wirklich hoch an. Im Grunde sind es schon viel zu viele Leute, die wissen, dass ich ein Wrack bin, ein Gestörter."

Mittlerweile wusste Nicholas um die Selbsteinschätzung des Dänen, aber es tat trotzdem immer wieder weh, wie sehr sich Kevin selbst verachtete und teilweise sogar für seine Schwäche hasste. Wie gerne würde er mehr machen, mehr versuchen zu helfen. Leider waren ihm nur gute Worte, eine Umarmung und ganz viel Zuversicht möglich.

„Sicher kannst du es nicht mehr hören, aber du bist nicht gestört. Du hast eine sehr schwere Zeit hinter dir, hast über Jahrzehnte alles mit dir selbst ausgemacht, hast niemanden an dich herangelassen. Es geht nicht, dass du dich von heute auf morgen plötzlich Menschen anvertraust, dir neue Freundschaften suchst. Das verlangt niemand, Kevin. Es gibt sicher eine Menge, was aufgearbeitet werden muss und ich kann mir vorstellen, dass es seine Zeit brauchen wird. Aber du bist dran, du hast dir den Therapeuten gesucht. Du hast so viele eigenständige Schritte unternommen, die vor Monaten nicht denkbar gewesen wären. Auch wenn du selbst nicht stolz auf dich sein kannst, bin ich es. Jeder noch so kleine Schritt wird dir helfen."

Sich selbst kleine Schritte der Besserung einzugestehen, erwies sich wirklich als schwer. Für einen kurzen Moment fühlte sich Kevin tatsächlich gut, war wie losgelöst und voller Tatendrang, aber dieser Zustand hielt nie lange an. Die dunklen Gedanken, das Misstrauen und all das andere, was sich in den Jahren angesammelt hatte, übernahmen schnell wieder die Kontrolle.

„Guck dich an, Kevin. Seit du dir Hilfe holst, hast du keinen Mann mehr gezwungen, mit dir zu kommen. Du hast niemanden mehr genötigt. Dein lockeres Mundwerk hast du im Paddock noch immer, aber ich denke, das ist auch eine Art Schutz für dich. Du willst dich einfach selbst schützen und das ist im Grunde auch richtig."

„Ich hab' wegen dir mit keinem anderen Mann mehr geschlafen."

Nicht zum ersten Mal hörte Nicholas diese Aussage, aber auch diesmal sorgte sie dafür, dass seine Schmetterlinge wild im Bauch flatterten und sich sein Herzschlag verdoppelte. Gleichzeitig versuchte er, nicht zu viel Hoffnung in diese Aussage zu legen.

„Du weißt, dass du mir nichts schuldig bist. Wir sind Freunde. Du kannst weiterhin Sex haben mit wem du willst."

„Du lügst."

„Wieso?"

„Du bist in mich verliebt. Es kann dir nicht gefallen, wenn ich wirklich mit anderen Männern schlafen würde."

„Ich könnte mir was Besseres vorstellen, aber du bist ein freier Mann. Wir sind nicht zusammen. Du kannst machen, was du willst."

Reflexartig klammerte er sich an der Hand des Kanadiers fest. Er wollte nicht mit anderen schlafen. Nicht mehr. Aber er musste auch endlich den Mund aufmachen und klare deutliche Ansagen machen, damit Nicholas wusste, wie er empfand.

„Ich ... ich kann dir nichts versprechen, Nic."

„Hm? Wieso solltest du mir etwas versprechen?"

„Du musst Geduld haben, aber auch dann kann ich dir nicht versprechen, deine Gefühle so zu erwidern, wie du es verdient hättest. Ich weiß, dass du mich liebst, das macht mir noch immer Angst und ich frage mich jeden Tag, wie das sein kann. Mein Therapeut meinte, ich sollte es nicht hinterfragen, sondern akzeptieren und es als ein schönes Signal sehen."

All seine Vorsätze, sich nicht von seinen Gefühlen steuern zu lassen, waren dahin, als sich Kevin zu ihm drehte und tief in die Augen schaute. Die blauen Augen schimmerten, aber nicht von Tränen. Es war anziehend und faszinierend, aber er wollte nichts überstürzen, lächelte nickend und hauchte Kevin einen Kuss auf die Stirn.

„Würdest du warten?"

„Ja."

„Und wenn ich dich nicht lieben kann, wie du mich liebst? Wenn die Vergangenheit alles in der Zukunft zerstört hat?"

„Dann wäre es schade und ich wäre sehr traurig. Aber wir wären Freunde. Hoffe ich."

„Ich weiß nicht, ob das gut wäre. Du hättest tiefere Gefühle für mich und willst dann nur mit mir befreundet sein?"

„Ja."

„Das hört sich bei dir so selbstverständlich und sicher an. Du glaubst wirklich daran?"

„Ich glaube an dich und ich glaube, dass Liebe viel bewirken kann."

Nicholas schien so überzeugt, nichts zeugte an dessen Worten von Zweifel. Wie gerne würde er sich etwas von dem Selbstbewusstsein des Jüngeren abschneiden. Aber vielleicht würde es reichen, wenn er an Nicholas festhielt, wenn er dem Jüngeren die Chance gab, zu seinem Leben dazuzugehören.

„Legst du dich mit mir hin?"

Gesagt, getan lagen sie in dem kleinen Bett. Nicholas war nun wirklich nicht klein und seine Füße hingen über dem Ende des Bettes, aber das störte ihn nicht, wenn er Kevin dadurch näherkommen konnte. Durch die Enge des Bettes lag der Däne fast auf ihm drauf, was ein unheimlich schönes Gefühl auslöste.

„Was bedrückt dich noch?"

„Ich möchte nach Dänemark."

„Zu Mads?"

„Das auch. Und weil ich endlich wieder mal meine Heimat sehen möchte. Ich glaube, es wird mir guttun. Dänemark ist so ruhig, so erholsam."

„Fliegst du direkt nach dem Wochenende?"

„Nein. Erst in drei Wochen."

„Dann hast du ja nur zwei Wochen. Wäre es nicht schöner, länger zu bleiben?"

„Ich möchte mir dir fliegen. Wenn du Zeit hast, natürlich. Wenn du dir das überhaupt in deiner freien Zeit antun willst. Immerhin hast du auch die freie Zeit ... Hmmm."

Weiche, warme Lippen hinderten ihn daran, weiter in sinnloses Gequatsche zu rutschen. Nicholas küsste ihn zärtlich und kurz.

„Ich komme gerne mit. Sehr gerne."

„Echt?"

Seine Augen strahlten, als er Kevin lächelnd anblickte.

„Es ... es hat einen bestimmten Grund, wieso ich nach Dänemark will."

Nicholas wusste, welcher Grund es sein würde. Schützend legte er die Arme um den Rücken des Älteren, zog diesen an sich und küsste beruhigend die Schläfe. Dieser Schritt musste für Kevin wirklich schwer sein, umso stolzer war er, dass der Däne diesen schwerwiegenden Schritt tatsächlich in Angriff nehmen wollte und ihn darum bat, dabei zu sein.

„Der Therapeut sagt, dass es für meinen Weg gut sein wird, wenn ich mit eigenen Augen sehe, dass Pedder auf dem Friedhof liegt. Ich muss einfach mit eigenen Augen sehen, dass dieses Monster wirklich verreckt ist, dass er niemandem mehr wehtun kann. Mads hat es mir damals immer wieder gesagt, dass er tot sei, aber ich konnte das anfangs nicht wirklich glauben, nicht verarbeiten."

„Also geht dein Therapeut davon aus, dass ein großes Stück deiner Vergangenheit damit weniger erdrückend auf dich wirken wird, wenn du dich persönlich vom Tod des Arschlochs überzeugt hat? Leuchtet ein. Den Grabstein zu sehen, dir vielleicht Artikel durchzulesen, könnte sehr helfen. Willst du auch ein wenig deine alte Heimat erkunden? Versuchen, den Kopf abzuschalten?"

Kevin schüttelte leicht den Kopf. Er wollte nicht durch Kopenhagen oder andere Städte. Ihn zog es in ruhige, ländliche Gegenden, wo man kaum etwas vom Trubel der Welt mitbekam. Auch hier hatte ihn sein Therapeut stark unterstützt und versichert, dass ein kompletter Szenenwechsel guttun würde.

„Mads' Schwiegereltern führen eine kleine Pension, sehr ruhig, sehr weit abgeschieden von den Städten. Man muss schon auf Vorrat kaufen, da man gute drei Stunden bis zur nächstgrößeren Stadt brauchen würde. Seine Familie und er wohnen gut eine halbe Stunde entfernt von den Schwiegereltern. Nur für den Gang auf den Friedhof müsste ich in die Stadt."

„Das hört sich schön an. Viel Ruhe und Natur wird sicher guttun. Ich war noch nie im ländlichen Teil von Dänemark, aber von Bildern weiß ich, dass Dänemark sehr schöne Landschaften hat."

Nachdenklich ließ sich Kevin halten, genoss das Streicheln und die Nähe. Er kannte die Schwiegereltern von Mads nicht, er kannte nicht mal wirklich dessen Frau und Kinder und deswegen würde es vorerst auch nicht zu einem Treffen kommen, da Kevin das aktuell noch zu viel war. Mads hatte ihm einem Link von der Pension seiner Schwiegereltern geschickt und die war wirklich wunderschön. Es gab eine Handvoll Zimmer, einen schönen großen, ruhigen Garten und man sah schon auf den Bildern, dass alles mit Liebe hergerichtet wurde. Vielleicht war es ja wirklich möglich, dass er dort Kraft tanken konnte. Mit Nicholas würde es sicher noch schöner werden, nur weil dieser dabei sein würde. Tief in seinem Inneren hatte Kevin mit einer Absage gerechnet, immerhin wollte Nicholas an freien Rennwochenenden auch abschalten und Energie tanken.

„Danke, Nicholas."

„Du brauchst dich nicht bedanken. Ich mache das sehr gerne."

„Ich weiß. Es ist noch nicht alles in meinem Kopf angekommen, aber in kleinen Etappen fange ich an zu verstehen, dass du es ernst meinst. Es fällt mir so schwer zu vertrauen, dir zu glauben."

„Das bekommen wir hin, Kevin. Alles mit der Zeit. Setze dich nicht unter Druck. Vertrauen zu können, ist ein langer Prozess. Und du hast ja nun wirklich einen schlechten Background, um mit gutem Gewissen einem anderen Menschen zu vertrauen. Dieser Mann hat sehr viel kaputt gemacht, deinen Körper, deine Empfindungen und den Glauben an die Menschen, an die Liebe. Auch mit der Therapie wird nicht sofort wieder alles gut werden. Das kann niemand verlangen. Das wäre unmenschlich und unrealistisch."

Unbewusst fing Kevin an zu lächeln. Nicholas würde einen sehr guten Therapeuten abgeben und er würde sicherlich gerne jede Sitzung bei diesem verbringen wollen. Sein Therapeut war schon ein wirklich geduldiger und einfühlsamer Mensch, er drängte nicht, er forderte nicht. Kevin erzählte nur das, was er auch wirklich wollte, mit dem er sich wohl fühlte in diesem Moment. Sie hatten schon viele Erlebnisse angesprochen und es gab auch schon sehr schlimme Momente, aber einen bestimmten Baustein hatten sie noch nicht in Angriff genommen.

+

Als sie in Kopenhagen gelandet waren, hatten sie strahlend blauen Himmel. Es war wirklich ein schöner Tag und kaum, dass er dänischen Boden unter seinen Füßen hatte, fühlte Kevin eine Beklemmung, aber auch gleichzeitig das Gefühl von Heimat. In diesem Land hatte sein Martyrium seinen Anfang gehabt. Aber es war sein Geburtsland und er liebte Dänemark.

„Alles in Ordnung?"

„Ich war schon lange nicht mehr hier."

Durch ihre Beziehungen hatten Nicholas und er einen Privatjet nehmen können, konnten so blöden Blicken und dummen Fragen aus dem Weg gehen. Immerhin hatte die Formel 1 eine kleine Pause, wieso sollten dann ausgerechnet Nicholas Latifi und Kevin Magnussen ihre Zeit gemeinsam miteinander verbringen? Wo ja überall noch diese strikten Coronaregeln gelten. Dänemark war etwas entspannter mit diesen Regeln, so dass es nicht so heikel war, einen Flug zu bekommen und hier landen zu können.

„Es ist, als würde ich Pedder spüren, ihn schmecken. Ich kann fast schon die Schläge und Tritte fühlen, die er für mich hatte, wenn ihm etwas nicht gepasst hat. Oder wenn er eben Langeweile hatte."

Vorsichtig und ganz kurz strich Nicholas mit seinen Fingern über die Hand des Blonden, hätte ihre Hände gerne verbunden, aber das war auch in Dänemark nicht möglich. Sobald er mit dem Älteren in Sicherheit sein würde - außerhalb der Öffentlichkeit -, würde er Kevin das geben, was dieser in den letzten Wochen so sehr gesucht hatte. Nähe und Körperkontakt.

„Mads wartet hoffentlich schon vor dem Flughafen. Ich will so schnell wie möglich alles hinter mich bringen und dann zu der Pension seiner Schwiegereltern."

Verständlich nickte Nicholas, auch wenn er es lieber gehabt hätte, wenn Kevin den Friedhof am morgigen Tag in Angriff genommen hätte. Es war aber auch nachvollziehbar, dass der Ältere diesen Gang so schnell wie möglich hinter sich bringen wollte.

Am Ausgang wartete wirklich schon Mads und Nicholas schloss diesen freudig in die Arme. Sie hatten sich nur das eine Mal gesehen, als er nach diesem gesucht hatte. Der Kontakt war nie abgebrochen und gegenseitig hielten sie sich auf dem Laufenden, was Kevins Gemütszustand betraf.

„Schön, euch zu sehen. Ich parke gleich hier vorne. Kommt."

Für die paar Tage, die sie hier sein würden, hatte eine Reisetasche gereicht. Beide wurden in den Kofferraum verfrachtet. Kevin nahm neben Mads auf dem Beifahrersitz Platz, während sich Nicholas hinter Mads setzte, um so einen besseren Blick auf Kevin haben zu können.

„Du willst wirklich nicht vorher etwas essen gehen? Oder morgen hin?"

„Nein."

„Okay. Dann hast du jetzt knapp eine Stunde, um dich auf diesen Gang vorzubereiten. So lange dürfte die Fahrt ungefähr dauern."

Nicholas nahm jede Regung in sich auf, wollte für Kevin da sein. Als er sah, dass dieser den Arm nach hinten streckte, ergriff er sofort die kalte, leicht zittrige Hand und drückte diese fest. Die ganze Fahrt bis zum Friedhof ließ er sie auch nicht wieder los.

Die Idee wurde immer blöder. Kevin ging es scheiße und zwar richtig. Nicholas tat jeder Schritt weh, den der Däne über die Wege machte. Als eine Art Schutz lief Mads vor ihnen und er hinter Kevin. Und diesen schien der Ältere nötig zu haben. Es war fast so, als könnte Nicholas sehen, wie die Vergangenheit seinen Freund einholte.

„Hier ist es."

Es war trostlos, schmucklos. Vertrocknetes Unkraut zeugte davon, dass nicht viel Wert auf die Pflege des Grabes gelegt wurde. Der Stein hatte die schönen Tage auch schon hinter sich, aber man konnte noch Namen und alle anderen wichtigen Daten lesen. Nicholas konnte kein Dänisch, wusste nicht, was noch als Gravur dastand, aber es interessierte ihn auch nicht.

„Ich bin hier."

Da das Grab doch sehr abseits lag und Mads auch noch bei ihnen war, fiel es nicht auf, dass er sich so nah wie möglich an den Blonden stellte und einen Arm um diesen legte. Wie gerne würde er mehr tun, als Nähe zu spenden.

Unzählige Bilder flackerten vor seinem geistigen Auge. Schmerzhafte Erinnerungen überrannten ihn und Kevin schnappte heftig nach Luft, als er sich unbewusst in die Arme von Nicholas drehte und sich fest an diesen krallte.

„Sssh. Alles gut, Kevin. Ich bin bei dir."

Irgendwie schien Kevin das nicht wahrzunehmen. Der andere krallte sich noch fester und das Schluchzen wurde heftiger. Starkes Zittern setzte ein und Nicholas bekam richtig Angst, weil Kevin richtig schwer nach Luft schnappte.

„Kevin, sieh mich an."

Es war fast nicht möglich, die verkrampften Hände von sich zu lösen, aber Nicholas schaffte es. Er legte seine Hände an das tränennasse Gesicht des Dänen, versuchte irgendwie, dessen Blick zu fokussieren.

„Atme mit mir. Ein ... und aus ... ein ... und aus ... Gemeinsam, Kevin. Ich bin da. Ich lass' dich nicht im Stich."

Es dauerte Minuten – so kam es Nicholas vor – bis Kevin wieder gleichmäßig atmete und ihn mit seinen Augen auch zu fokussieren schien. Trotzdem gab er dem Blonden noch einen Moment, um sich wieder richtig sammeln zu können, erst danach brachten Mads und er ihn zurück zum Auto, wo Nicholas sich diesmal mit auf die Rückbank setzte. Da Mads ein geräumiges Familienauto hatte, fiel es Kevin nicht schwer, sich halbwegs bequem hinzulegen und seinen Kopf in den Schoss von Nicholas zu legen.

„Schlaf bisschen. Ich bin da und ich werde auf dich aufpassen."

„Ich fühle mich so müde, so erschöpft. Aber Pedder ist da, wenn ich die Augen schließe."

Die Stimme glich einem Wispern und ließ sein Herz schmerzhaft zusammenziehen. Sie waren nicht mal fünf Minuten an diesem Grab gewesen und trotzdem schienen die schmerzhaften Erinnerungen an die Vergangenheit Kevin überrollt zu haben.

„Mads und ich passen auf dich auf. Dieses Subjekt wird dir nichts tun. Nie wieder."

„Hältst du mich?"

„Natürlich."

Eine Hand strich beruhigend durch die blonden Haare, die andere verschränkte er mit der von Kevin, ließ diesen den Kontakt so deutlicher spüren und fühlen.

„Wenn Ida nicht unruhig ist, spielen Emma und ich immer ein Hörspiel. Vielleicht hilft es dir auch. Konzentrier dich auf das Hörspiel, Nicholas und mich. Pedder ist nicht hier."

Auch wenn Nicholas kein Wort verstand, war dieses Hörspiel auch für ihn beruhigend. Dänisch hörte sich für ihm immer noch etwas seltsam an, aber es half Kevin. Dieser wurde ruhiger, schlief irgendwann wirklich ein, ohne ihre Hände zu lösen.

Durch den Rückspiegel nickte er Mads lächelnd zu. Die Landschaft flog an ihm vorbei, während er Kevin hielt. Hoffentlich war dieser Zusammenbruch es wert gewesen. Das es keine Wunder vollbringen würde, war Nicholas bewusst, aber unter Umständen war es vielleicht wirklich ein weiterer Schritt für eine Besserung.

TBC...

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