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„Vor langer Zeit", begann die Frau und ihre Stimme nahm etwas mystisches an, „lebte in dem alten Fachwerkhaus unten am Bachl eine vereinsamte alte Dame. Sie konnte kaum noch aufrecht laufen und da sie so einsam war, schenkte der Bürgermeister ihr einen Hund zu Weihnachten. Dieser sollte ihr Gesellschaft leisten. Die alte Dame freute sich sehr über dieses Geschenk, obwohl dem Hund drei Beine fehlten und er, genau wie sie, kaum noch gehen oder sehen konnte. Nun, ab dieser Stelle ist man sich nicht mehr ganz einig, was genau passiert ist. Ich werde einfach meine Lieblingsfassung erzählen."

„Hier muss ich anmerken", unterbrach der eine Mann die Frau, „dass ihre Lieblingsfassung schon ein bissl falsch ist."

„Ach Günther", sie griff nach seiner Hand und ihr Blick voller Liebe lies sie einige Jahre jünger erschienen. „Irgendwann wird unsere Ehe daran kaputt gehen." Ihr Blick wanderte weiter zu Cynthia. „Ich werde dir trotzdem meine Lieblingsfassung erzählen."

Cynthia nickte. „Okay." Sie wusste nicht, was sie groß sagen sollte.

„Die nächstens Tage geschahen einige merkwürdige Dinge. Es verschwanden Hunde, die man leblos auffand. Ebenso soll ein Feuer im Haus vom alten Weib ausgebrochen sein. Während das Weib mit einigen Brandblasen davongekommen ist, blieb der einbeinige Hund unversehrt."

Cynthia fiel auf, dass Günther sich am liebsten eingemischt hätte. Stattdessen nahm er noch einen Schluck von seinem Bier.

„Die Alte hätte eigentlich ins Krankenhaus gehört, aber sie weigerte sich so lange, bis man sie dann doch alleine zurückließ. Nun ja, drei Tage später fand man ihre Leiche neben dem Bachl liegen. Auf ihrer Backe war die Pfote eines Hundes eingebrannt."

„Was ist mit dem einbeinigen Hund passiert", hakte Cynthia nach, die nicht leugnen konnte, dass sie die Geschichte ziemlich spannend fand.

Die Frau zuckte mit den Schultern. „Den hat man bis heute nie wieder gesehen. Aber er soll für das verschwinden der Hunde, für das Feuer und auch für die Leiche verantwortlich sein."

„Frieda hat aber das Wichtigste vergessen", sagte der Mann, der auch die letzte runde Bier ausgegeben hatte. „Das Haus soll verflucht sein. Niemand wohnt dort länger als elf Monate. Ich bin sehr gespannt, wie lange ihr es hier aushaltet."
Er lachte schallend los und Cynthia verdrehte erneut die Augen. Die Menschen hier hatten einen komischen Humor.

„Keine Sorge. Ich glaube nicht an solche Geschichten. Ich habe in meiner Kindheit öfters in dem Haus übernachtet und damals gab es nie irgendwelche Auffälligkeiten."

„Warum hast du mir nie davon erzählt?" Cynthia schaute Klaus durchdringlich an, denn für sie klang die Geschichte sehr plausibel. Vielleicht war sie mittlerweile aber auch einfach nur paranoid.

„Ach Thia." Klaus drückte seine Tochter leicht an sich, „das ist nur eine dumme Geschichte. Da ist nichts dran."

Cynthia schaut zu Klaus hoch, doch es lag nach wie vor Zweifel in ihren Augen. Sie wollte nichts lieber als einen Neustart und irgendwo ein ruhiges Leben verbringen, aber das würde sie hier wohl auch nicht bekommen. Vielleicht war nicht nur das Haus verflucht, sondern auch sie. Das würde zumindest erklären, warum ihr Leben so kompliziert war.

„Gibt es hier vielleicht ein Hotel?" Möglicherweise konnte sie so lange in einem Hotel wohnen, bis Molly das Haus auf Vordermann gebracht hatte.

„Selbstverständlich", sagte Günther, der mittlerweile sein Bier ausgetrunken hatte. „Aber dort soll es spuken." Erneut lachte alle bis auf Cynthia und Klaus los und Cynthia kam der Gedanke, dass Günther sich über sie lustig machte.

In diesem Moment wünschte sie sich nichts mehr als wieder in Frankfurt in ihrem alten Zimmer zu sein. Dort blätterte zwar der Putz von der Decke und das Licht hatte immer geflackert, aber wenigstens musste sie es sich nicht mit Geistern teilen. „Ich geh mal kurz aufs Klo", sagte sie mit brüchiger Stimme und hetzte eilig davon. Eine einzelne Träne bahnte sie den Weg über ihre Wangen. Warum musste ausgerechnet ihr Leben so kompliziert sein?

Der Gestank von Zigarettenrauch gemischt mit Badreiniger stieg in Cynthias Nase, als sie die Toilette betrat. Wenigstens eine Sache war genauso wie auch in Frankfurt. Sie wählte die hintere der beiden Kabinen und setzte sich auf den unebenen Holzboden, den Kopf in die Hände vergruben. Einsamkeit und Paranoia überkam sie. Was, wenn die Geschichten stimmten? Würde sie dann auch verflucht werden, sobald sie sich länger in dem Haus aufhalten würde?

Scheiße, scheiße, scheiße. Sie hätten überall hinziehen können. Es hätte nicht dieses gespenstische Kuhkaff sein müssen. Alles wäre besser gewesen.
Vielleicht könnte Cynthia Klaus davon überzeugen, doch nach Köln zu ziehen. Das war sowieso ihre erste Wahl gewesen. Nur Klaus wollte an den Ort zurück, wo er für ein paar wenige Tage seine Kindheit verbracht hatte.

Nachdem Cynthia einige Minuten die blassrosanen Blümchenfliesen betrachtet hatte, stand sie schließlich entschlossen auf. Sie konnte sich hier nicht ewig verstecken.

Als sie die Kabine verlies traf Cynthia auf zwei Mädchen, die wohl in ihrem Alter sein musste. Die eine flocht gerade der anderen ihre lilagefärbten Haare und schenkte Cynthia durch den Spiegel ein Lächeln. Cynthia lächelte schüchtern zurück, wobei es durch ihre erröteten Augen nicht allzu überzeugend wirkte.
Die Stille, die ihm Raum lag, hatte eine enorme Lautstärke und Cynthia atmete tief durch, als sie den stickigen Raum voller Leben betrat. Irgendwie würde sie sich hier schon einleben. Nein, sie musste sich hier einleben. Cynthia zog noch einmal tief die Luft ein, bevor sie sich zurück an den Tisch setzte.

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