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„Ich kann echt keine Kekse mehr sehen", beschwert sich Astraia nach dem dreißigsten Karton, den Lumi und sie diesen Dienstag zum Markt schleppen. Seit dem Wochenende hat sie Yeshua nicht mehr gesehen, er war nicht in der Schule und ist auch nicht auf dem Markt gewesen. Auch heute hat sie ihn noch nicht gesehen und sie fragt sich, ob er keinen Verlust mit seinem Geschäft macht. Auf dem Weihnachtsmarkt hat sich nicht viel verändert und alles nimmt seinen gewohnten Verlauf. Lumi hilft diese Woche viel auf dem Markt. Außerdem, da Astraia nun Zeit hatte, sich Gedanken zu machen, tut sie es die ganze Zeit.

„Sag Mal, Lumi", beginnt sie ihren Satz, als sie wieder die nächsten Kisten ins Auto schleppen.

„Ich muss dir noch etwas erzählen", versucht sie es anders anzugehen.

„Rück schon raus mit der Sprache. Ich erzähle es auch keinem, Indianerehrenwort", sagt sie und schwört. Astraia muss lächeln. Dies hatten die beiden in Kindertagen immer getan, wenn sie der anderen etwas versprachen.

„Ich habe mich doch bei Yeshua entschuldigt, am Sonntag-", beginnt sie, doch wird vom Lumi gleich wieder unterbrochen.

„Und DAS hast du MIR noch nicht erzählt?", fragt sie empört.

„Irgendwie kam ich bei der ganzen Aufregung noch nicht dazu", gibt Astraia zu. „Deshalb will ich es ja jetzt tun"

„Und ich will alles wissen. Jedes kleine Detail", freut sie sich.

„..-und dann hat Zlatan so eine seltsame Sache gesagt, dass ich die Geschichte anderer Menschen nicht kenne. Nun muss ich die ganze Zeit daran denken, verstehst du?", fragt Astraia. Lumi nickt nachdenklich.

„Er hat ja Recht. Du kennst die Geschichte anderer Menschen nicht"

„Aber was hat Yesh nun?", fragt sie besorgt.

„Was sollte er haben?", fragt Lumi.

„Naja, diese Bemerkung war doch auf ihn bezogen"

„Ich will ja nichts sagen, aber du hast ihn schon wieder Yesh genannt", sagt sie und zieht die Augenbrauen hoch.

„Lumi", ermahnt sie ihre Freundin.

„Ich denke einfach, Zlatan hat es satt, dass du seinen Freund so behandelst. Vielleicht sind die beiden ja zusammen", überlegt Lumi.

„Nie im Leben", lacht Astraia.

„Wieso denn nicht? Kann doch sein. Ist doch auch völlig in Ordnung"

„Ist es auch. Aber die beiden sind nicht zusammen, weil Yesh mich nach einem Date gefragt hat"

„WAS? Davon hast du ja gar nichts erzählt!", kreischt Lumi.

„Weil ich Nein gesagt habe"

„Wieso?", fragt Lumi.

„Weil ich kein Interesse habe"

„Sicher?", fragt sie und wackelt schon wieder mit den Augenbrauen. „Immerhin hast du schon einen Spitznamen für ihn. Noch nicht einmal für deine beiden besten Freunde hast du einen Spitznamen. Das muss etwas heißen!", quiekt sie.

„Wie soll man euch den auch Spitznamen geben? Lu-mi und Si-rius?" , lacht Astraia.

„Ich bin dafür, dass du mit dem Schnuckel ausgehst", lächelt Lumi.

„Ich habe aber schon Nein gesagt", erklärt Astraia. Inzwischen sind die beiden auf dem Markt angekommen.

Yeshua ist heute nicht in der Schule gewesen und wie sie erkennen, auch nicht auf dem Markt. Dafür ist Zlatan heute an der Bude. Inzwischen macht das Gerücht die Runde, wie sie ein paar Stunden später mitbekommen, dass der Dieb noch einmal zugeschlagen haben soll. Während der Brandstiftung. Er soll Puppen aus dem einen Geschäft geklaut haben. Aus dem Geschäft, wo Luz Puppen her sind. Astraia sollte diesen Gedanken nicht haben und trotzdem taucht er auf. Sie denkt sofort, dass Yeshua der Dieb ist. Dass er Luz Puppe nicht gekauft, sondern geklaut hatte. Immerhin waren seine Freunde auch einmal so bescheuert gewesen und hatten einem kleinen Mädchen die Puppe geklaut. Vielleicht hatten sie ihn nun angestiftet und klauten mit ihm zusammen die Puppen. Vielleicht hatten sie die Bude angezündet, um für Ablenkung zu sorgen. Oder er war es ganz allein. Bei diesem Freundeskreis traut sie ihm es zumindest zu.

Nun tauschten ihre Mutter und sie die Plätze. Lumi hält kurz die Stellung, während Astraia zu Zlatan hinüber geht und mit ihm redet.

„Wie geht es Yesh?", fragt sie ihn.

„Was interessiert dich das?", fragt dieser genervt.

„Du willst doch nichts mit ihm zu tun haben. Also lass meinen Freund in Ruhe und kümmere dich um deinen eigenen Kram", gibt dieser von sich.

„Ist er deshalb nicht in der Schule?", fragt sie.

„Es geht dich, verdammt noch einmal nichts an!", sagt er und wird dabei wieder lauter.

„Es tut mir Leid", gibt sie zu.

„Sag das ihm und nicht mir."

„Obwohl, lass es lieber. Letztes Mal ist das ja auch gewaltig schief gegangen und nun geh wieder zu deiner Freundin und lass uns ein für alle Mal in Ruhe"

Dies muss man Zlatan wirklich lassen. Sein Freund liegt ihm am Herzen und er setzt sich für ihn ein. Astraia entschließt sich noch eine Frage zu stellen.

„Weißt du, ob Yeshua die Puppe gekauft hat?", fragt sie vorsichtig. Nun fängt Zlatan an zu lachen.

„Willst du damit behaupten, du glaubst Yeshua hätte die Puppe für Luz gestohlen?", fragt er lachend. Er hatte aus ihrer Frage alle Schlüsse gezogen, die dummerweise berechtigt sind. Sie hatte es für einen Moment wirklich gedacht. Sie hätte ihn dies auf keinen Fall fragen dürfen.

„Weißt du was? Fick dich!", erklärt er und erklärt ihr mit einer Geste zu gehen. Und noch einmal hatte sie alles falsch gemacht. Alles versaut. Es tut ihr wirklich leid, aber sie konnte mit solchen Situationen einfach nicht umgehen. Noch nie hatte ein Junge sie beachtet, ganz zu schweigen von gemocht. Das mit den Fotos, die Zlatan ihr heute zeigen wollte, konnte sie nun wohl auch vergessen.

„Ich hab es versaut", erklärt sie Lumi und diese schlägt sich gegen die Stirn.

„Yeshua hat Recht. Du bist eine gewaltig große Vollidiotin. Siehst du denn nicht, wie viel Mühe er sich gibt und wie sehr er dich mag?", fragt Lumi.

„Woher willst du das denn wissen?", fragt Astraia.

„Also, erstens: Ich habe da so meine Quellen. Zweitens: Er war seit deiner Abfuhr nicht mehr in der Schule und auch nicht auf dem Markt, um jeden Kontakt mit dir zu vermeiden, weil er eine Abfuhr von dir bekommen hat. Drittens: Er hat alles getan, damit du ihn magst. Soll ich weitermachen?", fragt sie.

„Er ist vielleicht interessant, aber-", sagt sie, doch weiter kommt sie nicht.

„HA! Du hast ihn interessant genannt. Das ist schon einmal ein eindeutiger Beweis dafür, dass du ihn magst. Ich glaube, Astraia. Wir müssen noch ganz schön viel lernen"

„Erst einmal müsste der geehrte Herr wieder auf der Bildfläche auftauchen", gibt sie zu.

„Du magst ihn. Du magst ihn, du magst ihn", zieht ihre Freundin sie auf uns singt das Ganze.

„Kannst du vielleicht ein bisschen leise sein? Ich hab es dermaßen verkackt, dass er kein einziges Wort mehr, jemals mit mir sprechen wird"

„Ich denke schon. Denn er mag dich auch. Und du hast es gerade offiziell zugegeben!", freut sie sich.

„Aber ich habe ihn eventuell ausversehen als Dieb bezeichnet oder es ihm unterstellt. Ich hätte ihn gar nicht verdient, weil er ein viel besserer Mensch ist, als ich es bin"

„Okay, dann haben wir ein viel größeres Problem, als ich dachte. Das biegst du nicht einfach mit einer Entschuldigung wieder hin."

„Sag ich ja", erwidert Astraia und vergäbt ihr Gesicht in ihren Händen.

„Aber dafür hast du schließlich mich. Es muss etwas großes sein, das er nicht anders kann, als dir zu verzeihen. Wobei er grinsen muss", sagt Lumi grinsend und Astraia fürchtet sich jetzt schon vor dem Plan, den ihre Freundin aushecken wird.

„Ich werde mich zum Affen machen"

„Ist es dir das nicht wert?", fragt Lumi.

„Ich kenne ihn doch gar nicht richtig"

„Dafür hast du ja dann genug Zeit. Ihn kennenzulernen, meine ich"

„Aber das, was wir bisher kennen, ist doch gut, oder nicht?", fragt Lumi.

„Da bin ich mir nicht so sicher"

„Du bist immer noch misstrauisch?", fragt Lumi.

„Es tut mir Leid. Ich kann nichts dafür", erklärt Astraia.

„Was glaubst du denn?", fragt Lumi.


„Naja, es könnte sein, dass er der Dieb ist. Dass er das mit der Brandstiftung war. Er hat beschissene Freunde"

„Du kennst nie die Geschichte anderer Menschen", erwidert Lumi.

„Zitierst du jetzt ernsthaft Zlatan?", fragt Astraia.

„Siehst du doch. Du musst Yeshua kennenlernen, um zu erfahren, wie er wirklich ist. Manche Menschen scheinen anders zu sein, als sie sind. Willst du wissen, wer wirklich hinter Yeshua steckt?", fragt sie.

„Ich weiß nicht", gibt Astraia zu.

„Du bist echt anstrengender, als alle anderen zusammen", seufzt Lumi.

„Bist du nun dabei, oder machst du einen Rückzieher?", fragt Lumi.

„Ich weiß es nicht", sagt Astraia noch einmal.

„Du magst ihn doch eigentlich, oder? Du kannst es dir nur Mal wieder nicht eingestehen. Wie beim letzten Mal. Und du hast Angst, enttäuscht zu werden"

„Vielleicht ist da was dran", gibt Astraia zu.

„Okay. Was magst du an Yeshua?", fragt Lumi und hat dabei einen Hintergedanken im Kopf.

„Er schauspielert, was ich erst einmal unheimlich cool finde. Und er fährt Motorrad. Und irgendwie ist er geheimnisvoll. Er bringt mich immer zum Lachen, wenn wir uns sehen und man kann sich wahnsinnig gut mit ihm unterhalten. Auch wenn er mich manchmal echt auf die Palme bringt. Es ist unheimlich süß, wenn er nervös ist, denn dann knetet er immer seine Ohrläppchen. Ich mag seinen Style. Er ist so anders, als die anderen Jungen in unserem Umfeld. Ich könnte mich Stunden in seinen blauen Augen verlieren. Ich kann irgendwie einfach nicht aufhören, an diesen blöden Jungen zu denk-", erklärt sie und bemerkt in diesem Moment erst, was sie von sich gibt. Sie schlägt sich die Hand vor den Mund.

„Hab ich das gerade alles laut gesagt?", fragt sie Lumi. Diese nickt grinsend.

„Siehst du, obwohl du ihn noch kaum kennst, bist du glaube ich schon verliebt in ihn. Jetzt konnte ich es endlich aus dir herauskitzeln. Ich glaube nämlich, du magst ihn seit eurer ersten Begegnung. Ich habe es die ganze Zeit gewusst!"

„Und nun müssen wir das ganze irgendwie angehen, denn das da eben war ganz eindeutig ein fettes, dickes Ja", freut Lumi sich.

„Scheiße, warum habe ich das nicht früher gesehen und Nein zu einem Date mit ihm gesagt?", fragt sie sich nun verzweifelt.

„Weil du, laut Zlatan, Yeshua, Sirius und Lumi eine Vollidiotin bist", erklärt Lumi.

„Hör auf, von dir in der dritten Person zu reden", lacht Astraia, obwohl ihr zum Heulen zumute ist. Sie hatte sich doch nicht allen Ernstes in Yeshua verliebt. Der sie andauernd neckte. Das konnte ihr doch nicht passieren.

„Okay, erzähl mir von deinem Plan", ergibt Astraia sich.

„Okay", beginnt Lumi und erzählt ihr alles total aufgeregt. „Ich wollte so etwas schon immer einmal machen", freut diese sich.
„Aber wie soll ich ihn dazu bekommen, zu kommen? Er will mich bestimmt nie wieder sehen und Zlatan hasst mich ebenfalls"

„Du musst zu ihm. Er braucht doch nirgends hin", klärt Lumi sie auf.

„Denke immer an seine Worte. Du kennst die Geschichte anderer Menschen nicht. Er kennt auch nicht deine, also was ist? Versuchen wir es?", fragt sie.

„Wir versuchen es. Ich will das mit Yesh nicht noch einmal versauen"

„Da ist es wieder. Yesh. Ich wusste es von Anfang an", grinst sie.

„Warum wusstest du es eigentlich?"

„Weil du deinen Lovern immer Spitznamen gibst", grinst Lumi.

„Echt? Dass ist mir noch nie aufgefallen", denkt Astraia nach.

„Jetzt weißt du es", freut sie sich.

„Morgen?", fragt Lumi.

„Morgen", antwortet Astraia. Die ganze Nacht schlägt Astraia kein Auge zu, denn nun wo sie realisiert hat, was die beiden vorhaben, erklärt sie sich selbst des Wahnsinns. Die ganze Zeit, wenn sie an Yeshua denken muss, bekommt sie ein Kribbeln im Bauch. Sie kann es nicht fassen, dass sie sich das erste Mal, seit ihrem Exfreund verliebt hat. Sie dachte, dass Gefühl schon vergessen zu haben. Aber trotzdem hat sie Angst. Dass das Gleiche passiert, wie damals. So etwas möchte sie nicht noch einmal erleben. Doch als sie an ihre bisherigen Erinnerungen denkt, muss sie lächeln. Wie sie ineinander geprallt sind, ihre erste Begegnung. Wie er in der Klasse neben ihr saß und sie ihn bemerkte, als sie die Englischarbeit geschrieben hatten. Als er sich vorstellte, als er ihr die Puppe überreiche und unzählige Male an ihrer Bude auftauchte, als er sich bei ihrer Mutter vorstellte, als er sie nach einem Date fragte, als sie gemeinsam Motorrad gefahren waren.

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