4

Inzwischen ist in New Evens der vierte Dezember und es sollte am zweiten Advent, welcher in zwei Tagen war, ein Weihnachtsbasar stattfinden. Das heißt, nun wurde es noch stressiger und es gibt noch mehr zu tun. Am Freitag hatte Astraia immer erst zur dritten Stunde, weshalb sie zuvor noch ihrer Mutter helfen kann. Sie soll allerdings Zuhause helfen, um mit Kekse zu backen. Dies gefällt ihr, denn so muss sie Yeshua vor der Schule nicht sehen. Sie kann wetten, dass er schon auf dem Markt ist und verkauft. Astraia steht also trotz Entfall um sechs Uhr auf und kann zwei Stunden Kekse backen helfen. Die Kekse wären zwar nicht mehr warm, wenn sie sie verkauften, aber sie brauchten eben Nachschub.

Nachdem sie die Kekse gebacken hat, weckt sie ihre kleine Schwester und macht diese bereit für den Kindergarten. Da sie heute so viel Zeit hat, bringt sie Luz in den Kindergarten und läuft danach zur Schule.

„Ich möchte die Puppe aber mitnehmen!", protestiert Luz, als Astraia die Puppe Zuhause lassen will.

„Möchtest du, dass sie noch einmal weggenommen und von anderen Kindern kaputt gemacht wird?", fragt Astraia sie.

„Die im Kindergarten sind nicht so, wie deine blöden Freunde", erwidert Luz.

„Das waren nicht meine Freunde. Deine Puppe muss sich noch erholen, von der großen Operation. Sie braucht noch ein paar Tage Ruhe. Danach kannst du sie mit in den Kindergarten nehmen und sie deinen Freunden zeigen, okay?", versucht sie es nach einer Weile auf eine andere Weise bei Luz.

„Du kannst deinen Freunden davon erzählen, dass sie ins Krankenhaus musste, okay?", fragt sie und Luz nickt schließlich. Sie hat es eingesehen und die beiden ziehen sich die Schuhe an.

„Jetzt aber schnell. Ich muss zur Schule und darf nicht zu spät kommen", sagt Astraia. Sie hatte schon genug Ärger mit dem Lehrer, wegen Englisch gestern. Durch die Diskussion hatten sie wertvolle Zeit verloren und nun trödelt Luz auch noch. Bei ihr macht es eben nichts aus, wenn sie zu spät kommt. Irgendwann hat Astraia ihre Nerven jedoch nicht mehr unter Kontrolle und nimmt Luz einfach auf den Arm, um sie zum Kindergarten zu schleifen. Dort drückt sie Luz einfach in die Hände eines Erziehers, der ziemlich überfordert zu sein scheint. Wahrscheinlich ist er noch in der Ausbildung.

„Scheiße, ich komme zu hundert Prozent zu spät", flucht Astraia, als sie kurz auf ihr Handy schaut, um sich die Uhrzeit anzusehen.

„Nicht, wenn ich dich mitnehme", grinst Yeshua sie an. Er hat mit dem Motorrad neben ihr angehalten. Sie läuft einfach weiter. Sie würde sicherlich nicht auf diese Todesmaschine steigen und sich an ihm festhalten.

„Niemals", erwidert sie.

„Wir wissen beide, dass du es dir nicht leisten kannst, noch einmal zu spät zu kommen", versucht er sie zu überreden.

„Ich komme lieber noch drei Mal zu spät, als mit dir auf diesem Ding mitzufahren", antwortet sie.

„Sieh es als Wiedergutmachung an"

„Das, was deine Freunde getan haben, kannst du nicht wieder gut machen. Nicht in hundert Jahren" , sagt sie.

„Dann sehe es als Freundschaftsdienst an", versucht er es noch einmal.

„Wir sind keine Freunde und werden auch niemals Freunde sein", erwidert sie.

„Und wenn du mich bezahlst?", versucht er es.

„Das hättest du wohl gern", lacht sie. Er überlegt weiter. Sie läuft immer noch neben ihm her und er fährt. Langsam, aber er fährt.

„Okay. Wir können so weitermachen. Ich fahre langsam neben dir her und du läufst. Dann kommen wir beide zu spät. Oder du steigst auf und wir kommen beide pünktlich. Aber du wirst mich so oder so nicht los", sagt er und hat nun einen Weg gefunden, wie er sie dazu bringt, aufzusteigen.

„Okay. Ich steige auf. Ist ja gut. Dann muss ich wenigstens weniger Zeit mit dir verbringen", sagt sie und setzt den Helm auf, den er ihr reicht. Die beiden reden die ganze Zeit über nicht. Sie will sich nicht an ihm festhalten, muss dies aber tun, damit sie nicht von der Maschine fällt.

„Bild dir ja nichts darauf ein", knurrt sie, als die beiden angekommen sind. Sie hat noch nicht einmal Danke gesagt und zischt einfach ab. Sie will keine Zeit mit ihm verbringen.

„Wo kommst du denn her? Verschlafen?", fragt Sirius sie, als sie in das Klassenzimmer kommt. Gerade noch rechtzeitig, denn nun kommt auch der Englischlehrer hinein.

„Weiß jemand, wo Yeshua ist?", fragt dieser sofort. Alle schütteln den Kopf.

„Warum?", fragt Astraia ihren Freund flüsternd.

„Du siehst schon wieder so zerrupft aus", sagt Sirius. Sie will gerade antworten, als Yeshua die Klasse betritt und ihr zuzwinkert. Wahrscheinlich sieht sie wegen des Helmes so zerrupft aus und nun fragt sie sich, weshalb er überhaupt einen zweiten Helm dabei hat.

„Warum sind Sie zu spät, Yeshua?", fragt der Lehrer.

„Panne mit der Maschine", sagt er lässig und setzt sich auf seinen Platz. Er scheint die morgige Fahrt wohl als Erfolg zu sehen. Nun grinsen auch Lumi und Sirius wissend, obwohl Yeshua nichts sagt. Er grinst trotzdem die ganze Stunde, den ganzen Tag über vor sich her, was Astraia wahnsinnig macht. Sie hatten noch nicht einmal geredet.

In der Pause beginnen die beiden auch schon sie damit aufzuziehen. Sie hatten aus den Blicken der beiden gesehen, was geschehen war. Zumindest, dass die beiden zusammen gewesen sind, auch wenn sie zu unterschiedlichen Zeiten gekommen sind. Astraia fragt sich, ob Yeshua dies extra gemacht hat. Zu spät kommen, damit keiner etwas ahnt. Ihre Freunde hatten es trotzdem herausgefunden. Nun wollten sie natürlich jedes Detail wissen. Denn dies konnten sie nicht aus ihren Blicken lesen.

Astraia ist vor der Schule abgestiegen und wollte den Rest zu Fuß gehen, sodass sie nicht zusammen gesehen werden. Lumi flippt aus, denn sie denkt, dass er ihr wirklich diesen Gefallen getan hat und sie hatte eine Schwäche für Jungs auf Motorrädern. Sirius bleibt leise, er hatte nicht gerade viel zu dem Gespräch beizutragen. Er ist der gleichen Meinung, wie Astraia. Dass nicht viel dabei sei. Er hatte nur freundlich sein wollen. Doch Lumi geht stark davon aus, dass Yeshua etwas von Astraia will. Die Pause ist zu Ende, bevor sie ihr Essen auf haben und sie müssen wieder in den Unterricht, wo Essen streng verboten ist. Yeshua tut dies trotzdem und wird zum Direktor geschickt. Vorher macht er jedoch einen Aufstand.

„Diese scheiß Pause ist zu kurz, um zu Essen. Ich hab halt einen großen Magen und muss mehr Essen", sagt er zu dem Lehrer, der ihn ermahnt.

„Er hat recht", sagt ein anderer Junge. „Die Pause ist viel zu kurz und ohne Essen kann man sich nicht mehr konzentrieren. Kein Wunder, dass wir nach fünfzehn Uhr keine Konzentration mehr haben. Man tut ja alles dafür", argumentiert er.

„Wer sieht das auch so? Alle die finden, die Pause ist zu kurz, Arm hochheben", sagt er und fast die ganze Klasse meldet sich. Doch bevor er weiter diskutieren kann, wird er zum Direktor geschickt.

In der Klasse herrscht nun ein Aufstand. Nur Astraia ist mit ihren Gedanken woanders. Alle diskutieren und sie fragt sich, ob er auf seiner alten Schule ebenso war. Sich gegen die Lehrer gestellt hat oder schlimmeres und er deshalb die Schule gewechselt hat. Immerhin hat er hier sozusagen einen Aufstand ausgelöst.

„Daran können wir ein gutes Beispiel finden. Zurück zur Industrialisierung bitte...", beginnt der Lehrer seinen Unterricht fortzuführen, doch Astraia ist schon wieder nicht bei der Sache und sollte der Lehrer sie dieses Mal noch einmal ermahnen, ist kein Yeshua da, um ihr zur Seite zu springen. Dieser Junge nimmt definitiv viel zu viel von ihren Gedanken ein.

Am Nachmittag, als die Schule zu Ende ist, läuft sie nach Hause und holt auf den Weg Luz ab. Die beiden backen Zuhause noch eine Menge Kekse, bevor sie diese zu ihrer Mutter fahren. Nun muss Astraia wieder die Stellung am Stand halten, denn ihre Mutter verschwindet, um mit Luz ein paar Vorbereitungen für den Basar zu treffen. Warum auch immer ihre Mutter diesen Stress ebenfalls noch auf sich nimmt. Um eine bestimmte Uhrzeit wird es wieder leerer und genau diesen Moment nutzt Astraia, um Lumi anzurufen. Doch in diesem Moment, nach dem die beiden ungefähr drei Minuten miteinander reden, kommt Yeshua herüber.

„Ich muss auflegen", sagt Astraia und drückt die Taste.

„Was willst du?", fragt Astraia.

„Mit dir reden. Immer noch" , sagt er.

„Ich aber immer noch nicht mit dir, okay?", fragt sie und will gerade noch mehr Kekse in die Tüten packen.

„Warum nicht? Was hast du gegen mich?", fragt er. Ein wenig verzweifelt wirkt er.

„Was ich gegen dich habe? Dass fragst du noch", sagt sie und muss lachen.

„Bekanntlich zählt der erste Eindruck, oder? Mein Eindruck von dir ist nicht der Beste gewesen. Du hast mich angeschnauzt, und wie. Dann haben deine Freunde die Puppe, die neue Puppe meiner Schwester kaputt gemacht und du hast nichts unternommen. Obwohl, doch. Du standst natürlich auf deren Seite. Auf der Seite, die Mist gebaut hat und hast mich nicht machen lassen. Weißt du eigentlich, wie viel diese Puppe gekostet hat?", fragt sie aufbrausend. Jetzt hält sie sich die Hand vor den Mund, denn sie denkt, sie hätte sich verraten. Vielleicht weiß er, wie viel die Puppe kostet. Für jemanden, der Geld hatte, war dies ein Schnäppchen. Er soll nichts von ihr Wissen. Er könnte es verbreiten und herumerzählen.

„Außerdem rückst du mir dauernd auf die Pelle, obwohl du merkst, dass ich kein Interesse habe. Ich will dich nicht kennen lernen, ich will nicht mit dir befreundet sein und mehr schon gar nicht!", sagt sie.

„Das wollte ich auch gar nicht", sagt er leise und in diesem Moment tut er ihr fast Leid. Nun geht er wieder an seinen Stand und lässt sie die nächsten paar Stunden in Ruhe. Sie beobachtet ihn, wie er seine Ware verkauft. Er ist ganz alleine an seinem Stand, dort ist niemand, der ihm hilft. Er scheint Verkaufstalent zu haben. Doch er schaut kein einziges Mal in ihre Richtung. Er hat eine Mauer hochgezogen, die sie nicht mehr hineinlässt.

Nach einer Weile kommen ihre Mutter und Luz zurück.

„Hast du ein Auge auf den Jungen geworfen?", fragt diese grinsend.

„Was? Nein!", sagt Astraia und fühlt sich ertappt. Ihre Mutter hat bemerkt, dass sie ihn andauernd anstarrt.

„Ich muss schon sagen. Schlecht sieht er nicht gerade aus", grinst sie Astraia an. In diesem Punkt muss Astraia ihr leider Recht geben. Er sieht gut aus. Sie würde ihn sogar als schön beschreiben. Er hat braune Haare und seine stechend blauen Augen stechen aus dem Gesicht heraus. Die Akne, die in seinem Gesicht prangt, scheint zu dem Gesicht zu passen. Seine Ausstrahlung macht ihn schön, denn er ist groß und durchtrainiert. Er scheint selbstbewusst zu sein. Alles andere, als Astraia. Außerdem hat er einen ungewöhnlichen Style. Er sieht aus, als wenn er ein Zeitreisender wäre, denn er hatte Hosenträger an, die die Männer damals getragen haben und auch sonst war seine Kleidung, als stamme er aus dem neunzehnten Jahrhundert. Er ist anders, als die anderen Jungs in Astraias Umkreis. Im Grunde genommen ist er interessant und vielleicht hätte sie dies auch gefunden, wenn die beiden sich anders begegnet wären. Vielleicht hätte sie unter anderen Umständen und unter anderem Verhalten anders reagiert. Die beiden verkaufen den ganzen weiteren Tag Kekse, ohne dass etwas Aufregendes passiert.

Am Abend jedoch wird die Runde eines Gerüchtes gemacht. Jemand soll etwas auf dem Weihnachtsmarkt geklaut haben und man soll sich vorsehen, dass nicht weitere Diebstähle passieren. Sie schließen die Bude ab und machen sich dann zu dritt auf den Heimweg. Im Auto müssen sie viele Weihnachtslieder singen, weil Luz darauf besteht. Eigentlich können Astraia und ihre Mutter keine Weihnachtslieder mehr hören, weil auf dem Markt die ganze Zeit welche laufen. Luz ist allerdings nicht anders zufrieden zu stellen, weshalb sie es trotzdem ertragen. Zuhause erwartet ihr Vater sie schon völlig erschöpft. Er hat gerade die letzte Ladung Kekse in den Ofen geschoben.

„Die sind für morgen. Nicht anfassen, nicht essen", sagt er vom Sofa aus, als die drei hinein kommen.

„Schon gut, Dad", lacht Astraia und zieht sich die Schuhe von den Füßen. Luz tut es ihr nach und sie umarmen ihren Vater.

„Na, fleißiger Bäcker", grinst auch ihre Mutter und gesellt sich dazu. Dann erzählen alle von dem Tag und dem Diebstahl auf dem Weihnachtsmarkt. Am Abend schauen sie alle noch einen Film zusammen, da morgen Samstag ist und die beiden nicht in die Schule und nicht in den Kindergarten müssen. Ihr Vater und ihre Mutter gehen allerdings schon ins Bett, da sie völlig fertig von dem Tag sind und morgen auch wieder früh aufstehen müssen. Den ganzen Dezember lang, keinen einzigen Tag frei. Astraia freut sich jetzt schon, nach dem sechsten Tag auf die Zeit nach den Weihnachtsmärkten. Man bekommt seine Familie zwar viel zu sehen und macht viel gemeinsam, jedoch ist es Stress pur und alle sind jeden Abend fix und fertig. Nur Luz hat eine Ration an Energie, die anscheinend unmöglich aufzubrauchen ist. Sie machen sich beide noch ein bisschen Popcorn und einen Kakao. Nach einer Stunde des Filmes schlafen jedoch auch Luz und Astraia auf dem Sofa, während der Film weiterläuft.

Bạn đang đọc truyện trên: AzTruyen.Top