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Am nächsten Morgen kommt Astraia pünktlich in die Schule. Trotzdem sitzt Yeshua immer noch auf seinem Platz. Auf ihn hätte sie gut verzichten können. Sie fragt sich, weshalb er so spät im Schuljahr noch die Schule wechselt. Immerhin würden sie nächstes Jahr Kurse wechseln und dann wären die beiden nicht mehr in einer Klasse. Hoffentlich.
In diesem Moment, in dem der Englischlehrer die Stunde beginnt, wird ihr bewusst, was das bedeutet. Sie würde Yeshua zu neunzig Prozent des Tages sehen. Morgens hatte sie eine kurze Auszeit, dann würde sie ihn in der Schule sehen und da sie danach immer direkt auf den Weihnachtsmarkt musste, um zu helfen, würde sie ihn dort auch die ganze Zeit über sehen. Nur abends hatte sie wieder ihre Ruhe. Sie seufzt, als ihr dies bewusst wird. Den ganzen Dezember über würde Yeshua ihr im Nacken sitzen.
„Astraia", reißt jemand sie aus ihren Gedanken.
„Was?", fragt sie und die anderen in ihrer Klasse lachen.
„Würden Sie mir bitte antworten. Ich habe etwas gefragt", bittet der Lehrer sie. Sie hat keine Ahnung, was der Lehrer von ihr wollte, denn sie war in ihren Gedanken gefangen gewesen und hatte nicht zugehört. Kein bisschen. Seit Beginn der Stunde. Sie wusste nicht einmal, welches Thema sie heute durchnehmen. Ihre beiden Freunde, die sich ihr zugedreht hatten da sie vor ihr sitzen, versuchten ihr Zeichen zu geben, die sie leider nicht versteht.
„Romeo und Julia waren dreizehn Jahre alt", springt da Yeshua für sie ein.
„In Englisch please", erwidert der Lehrer und Yeshua wiederholt das Ganze noch einmal auf Englisch.
„Danke, Yeshua. Aber ich habe Astraia gefragt", erwidert der Lehrer auf Englisch. Nun plappert Astraia das Ganze auch noch einmal nach.
„Danke, nächstes Mal bitte selbst aufpassen und die Antwort selbstständig an mich weitergeben, okay?", ermahnt er sie noch einmal und sie nickt kleinlaut. Sie fragt sich, weshalb Yeshua dies getan hat und ihr geholfen hat. War er vielleicht wirklich nett? Hatte sie ihn falsch eingeschätzt? Trotzdem wollte sie nichts mit ihm zu tun haben.
In der Pause gesellen sich die drei Freunde wieder zusammen und ausnahmsweise lässt Yeshua sie die ganze Pause und auch den restlichen Unterricht in Ruhe. Sie redet mit Lumi und Sirius über die Aktion im Unterricht. Sie meinen jedenfalls, dass Yeshua nur versucht nett zu sein und vielleicht gar kein Arschloch sei. Astraia ist da aber anderer Meinung und will es nicht einsehen, dass sie vielleicht auf einen Jungen getroffen ist, der nicht wie ihr letzter Freund gewesen ist. Dieser war nämlich ein Arschloch. Aber zu hundert Prozent und seitdem traut sie keinen Jungs, außer Sirius, mehr. In der Pause beschließt sie jedenfalls den beiden das Mitbringsel vom Weihnachtsmarkt zu überreichen.
„Ich habe total coole Buden gefunden, auf dem Weihnachtsmarkt und musste sofort an euch denken. Das ist für dich", sagt sie und übergibt Sirius sein kleines Mitbringsel. Es sind Zimtsterne, denn diese liebt er abgöttisch. Sie erwähnt nicht, dass sie auch schon die Weihnachtsgeschenke für die beiden gefunden hatte. Sie spart das ganze Jahr über, um ihren beiden Freunden und ihrer Familie tolle Weihnachtsgeschenke zu machen. Für Lumi hatte sie einen Overall gefunden, der selbst genäht wurde und den sie für das Basteln an ihren Autos nutzen konnte. Und für Sirius hatte sie an einem anderen Stand, einen neuen Geigenstab gefunden. Sie kann sich einfach nicht merken, wie die Dinger heißen. Trotzdem weiß sie, dass die beiden sich wahnsinnig darüber freuen werden.
„Danke", sagt er und umarmt sie herzlich. Er reißt die Tüte sofort auf, denn bei Zimtsternen konnte er einfach keine Sekunde wiederstehen.
„Und für dich habe ich auch etwas", sagt Astraia grinsend.
„Bitte sag, dass es auch etwas zu essen ist. Ich verhungere", sagt sie, da sie heute ihr Essen Zuhause liegen lassen hat. Tollpatschig wie sie ist, passiert dies öfter. Sirius und Astraia hatten ihr beide schon etwas abgegeben.
„Bald nehme ich eine Notfallbrotdose für dich mit", scherzt Sirius. Lumi ist zwar klein und dünn, aber sie kann Essen, wie ein Mähdrescher.
„Es ist leider nur eine Packung Schmalzgebäck", entschuldigt sich Astraia.
„Besser als nichts", grinst Lumi und reißt ihr die Packung aus der Hand, um davon zu essen.
„Du bist echt die Retterin in der Not. Danke", sagt sie, ohne sie zu umarmen, da sie schon am Essen ist.
Nachdem die drei ihr Essen aufgegessen haben, rennen sie zurück in die Klasse, weil die Pause viel zu kurz ist, um Mittag zu essen. Trotzdem kommen sie jedes Mal, wenn sie sich beeilen pünktlich in die Klasse. Der Unterricht ist nicht weiter spannend und auch Yeshua lässt sie die ganze Zeit in Ruhe. Ein herrlicher Tag.
*
Nachdem sie ihre Hausaufgaben gemacht hat, muss sie unten helfen, ein paar Kekse zu backen und diese schließlich, wieder mit Luz zu ihrer Mutter transportieren. Als sie gerade ein paar ruhige Minuten am Stand haben, setzen sich Luz und ihre große Schwester auf einen der Stühle an der Bude.
„Ich habe noch etwas für dich. Das habe ich gestern auf dem Weihnachtsmarkt gefunden und dachte, dass es dir gefallen würde", sagt Astraia lächelnd und holt eine kleine, gestrickte Puppe aus der Tasche, die sie Luz hinhält.
„Danke", ruft diese begeistert und umarmt die Puppe. Astraia arbeitet regelmäßig, weshalb sie sich solche Kleinigkeiten leisten konnte. Außerdem ist sie gut im Sparen. Sie liebt es, ihrer kleinen Schwester eine Freude zu machen, denn sie bekommt nicht regelmäßig neues Spielzeug. Sie musste das alte, abgenutzte von Astraia benutzen und sie bekommt nie etwas, wenn sie etwas haben möchte. Wenn ihre Eltern könnten, würden sie den beiden alle Wünsche von den Augen ablesen und alles kaufen. Doch dies geht nicht, weil sie das Geld nicht haben. Ab und zu bekommt Luz etwas von Lumis und Sirius Eltern, aber es ist Astraias und Luz Eltern peinlich, weshalb dies ebenfalls nicht oft geschieht. Sie lehnen es eher ab. Deshalb ist die Freude bei Luz umso größer. Nun hat sie eine Beschäftigung und kann neben dem Häuschen sitzen bleiben, sodass ihre Mutter weiter verkaufen kann und ein Auge auf Luz haben kann, während Astraia noch einmal nach Hause fährt, ihrem Vater hilft und danach die nächste Keksladung zum Stand fährt. Ohne ihre kleine Schwester ist dieses hin-und herfahren einfach entspannter.
Als sie jedoch wiederkommt und die Kekse auspackt, weint Luz nach einer Weile. Sofort ist Astraia zur Stelle.
„Was ist los, Süße?", fragt sie. Ihre Mutter hat das Weinen ihrer Tochter gar nicht bemerkt, weil sie so sehr mit den Kunden beschäftigt ist.
„Die da haben meine Puppe", sagt sie und zeigt auf zwei Gestalten.
„Wieso? Haben sie sie dir weggenommen?", fragt Astraia und ihre kleine Schwester nickt. Sofort geht Astraia auf die beiden los und schreit regelrecht.
„Was fällt euch ein?", brüllt sie und zieht somit alle Aufmerksamkeit auf sich. Der Junge der beiden sieht sie an.
„Was ist denn in dich gefahren? Yeshua hatte Recht. Du bist durchgeknallt", erwidert er. Jetzt wird Astraia noch wütender. Yeshua hatte also mit all dem zutun. Das konnte man sich ja denken. Arschloch hoch drei.
„Willst du mich jetzt vollkommen verarschen? Gib sofort die Puppe wieder her!", keift sie.
„Und was wenn nicht?", fragt er grinsend und wirft sie dem Mädchen zu.
„Wie könnt ihr es wagen einem kleinen Mädchen seine Puppe zu stehlen? Ein wehrloses Mädchen?" , fragt sie wütend.
„Ist doch spaßig", lacht das Mädchen.
„Das sieht du als Spaß an?", fragt Astraia nun ganz ruhig. Ihre Mutter weiß, dass dies nach hinten losgeht. Astraia hatte sich schon ein paar Mal geprügelt und immer, wenn es gleich zur Eskalation kam, wurde sie sehr ruhig. Wenn es um ihre Schwester geht, tat Astraia alles.
„Weißt du, was spaßig ist? Dir das Gesicht zu zerkratzen", sagt sie und rennt das Mädchen um, um sich auf sie drauf zu setzen und ihr womöglich gleich das Gesicht zu zerkratzen. Im letzten Moment kann noch jemand dazwischen gehen, der Astraia von dem Mädchen, welches nun völlig hilflos am Boden liegt, wegzieht. Die Puppe liegt nun zerrissen am Boden und Astraia fängt an zu weinen.
„Du Miststück. Du hast die Puppe meiner Schwester zerrissen. Das wirst du büßen!", schreit sie und will sich losreißen. Sie würde alles für ihre Schwester tun und es geht ihr gegen den Strich, wenn jemand auch nur versucht, ihr wehzutun. Ihre Schwester ist alles für sie. Doch derjenige, der sie festhält, ist stärker.
„Haut ab", faucht jemand die beiden an.
Die beiden machen sich aus dem Staub. Die Puppe liegt immer noch in zwei Teilen am Boden. Luz weint. Astraia ebenfalls. Inzwischen lässt derjenige, der sie festhält, ein bisschen lockerer, weil der Junge und das Mädchen außer Sichtweite sind. Luz läuft auf Astraia zu und sagt etwas zu demjenigen, der sie festhält.
„Lass sie los", sagt Luz und augenblicklich ist der Griff von demjenigen locker und sie kann sich befreien, um sich umzudrehen.
„Es tut mir Leid", kommt es von Yeshua.
„Was tut dir Leid?", faucht Astraia ihn an. Es ist ihr in diesem Moment nicht peinlich, dass sie Schwäche zeigt und weint.
„Dass eben alles. Dass sie die Puppe kaputt gemacht haben. Dass die beiden so scheiße zu euch waren. Dass ich gesagt habe, dass du verrückt bist. Mein ganzer Auftritt hier" , sagt er.
„Ach, waren das deine Freunde, oder was?", fragt sie wütend. Yeshua schaut bedrückt auf den Boden.
„Ja, aber ich kann das erklären", flüstert er, doch sie will keine Erklärung hören.
„Dann ist es ja kein Wunder, dass du genauso beschissen bist, wenn du solche Freunde hast", faucht sie und nimmt ihre kleine Schwester an die Hand. Mit der anderen hebt sie die beiden Einzelteile der Puppe auf.
„Ich versuche sie heil zu machen, okay?", fragt Astraia die Kleine. Sie weiß, dass sie dies nicht hinbekommt. Der ganze Inhalt der kleinen Puppe liegt auf dem Boden verteilt und sie kann nicht nähen.
„Okay", antwortet Luz kleinlaut. Nun hat sie nichts Neues mehr. Es wurde innerhalb von fünf Minuten zerstört, was mit liebevoller Arbeit erschaffen wurde. Wieso existieren solche Arschlöcher auf der Welt? Nun muss Astraia sich wieder um sie kümmern, damit sie nicht in dem Durcheinander verschwindet und die beiden setzen sich hinten in die Bude hinein.
„Es tut mir Leid", sagt Astraia zu Luz. Sie hat immer noch die Puppe in der Hand.
„Muss es nicht. Du warst nicht Schuld", sagt sie und klingt auf einmal sehr weise. Gar nicht, wie eine Fünfjährige.
„Aber ich bin Schuld, dass sie kaputt gegangen ist", flüstert sie leise.
„Nein. Das war das blöde Mädchen und der blöde Junge", erwidert sie und umarmt ihre Schwester, um sie zu trösten. Astraia hat sich nach einer Weile wieder gefasst und fragt Luz nun, ob sie ihrer Mutter nicht helfen wollen. Eigentlich will sie dies nicht, weil auf der anderen Seite Yeshua steht. Aber so hat sie wenigstens ein bisschen Ablenkung, wenn sie die Kunden bedienen kann. Immerhin ist viel los. Nach einer Weile, als gerade nicht viel los ist, ruft sie Lumi an.
„Du kannst doch nähen, oder?", fragt sie in das Telefon.
„Ja, warum?", fragt diese. Astraia hält wortlose die Puppe hoch und versteht. Sie nickt. Kurz danach kommt schon wieder ein weiterer Kunde, sodass Astraia auflegen muss. Aber ihr ist auch nicht nach Reden zumute. Nach einer halben Stunde steht Lumi grinsend vor ihr.
„Ich bin da, um die Kleine zu verarzten", grinst sie. Luz taucht hinter dem Tresen auf, wenn man dies so sagen kann. Sie lunzt über den Tresen.
„Willst du mich verarzten?", fragt sie leise.
„Nein, aber deinen kleinen Freund", sagt sie und zeigt auf die Puppe, die sie auf den Stuhl gesetzt haben.
„Aber sie ist ein Mädchen", erwidert Luz.
„Dann möchte ich deine kleine Freundin verarzten", sagt sie.
„Mama, darf ich mitgehen?", fragt Luz ihre Mutter. Sie sieht Lumi fragend an und diese nickt.
„Ja, du darfst mitgehen. Wenn du keinen Unsinn machst", erwidert sie und schon sind Lumi und Luz wieder verschwunden. Lumi hat Luz in der einen Hand und die Puppe hat sie in ihre kleine Tasche gepackt.
„Hat sie schon einen Namen?", fragt Lumi im Gehen.
„Nein", antwortet Luz. Ihre kleine Hand ist in der Hand von Lumi vergraben.
„Dann müssen wir ihr wohl noch einen Namen geben", sagt Lumi.
Als Luz weg ist, kommt Yeshua noch einmal an den Stand von ihrer Mutter. Doch Astraia ist in diesem Moment alleine. Ihre Mutter ist mehr Kekse holen.
„Verpiss dich", ist das erste, was Astraia sagt.
„Ich möchte aber ein paar Kekse kaufen", erwidert er. Das Nett sein heute Morgen im Englischunterricht war reine Fassade. Er ist ein Arschloch, was man wohl an seinen Freunden gesehen hat. Sie will rein gar nichts mit ihm zu tun haben. Sein wahres Gesicht kommt wohl nur in Extremsituationen heraus.
„Welche?", fragt sie.
„Ich kann mich nicht entscheiden. Kannst du mich nicht beraten?", fragt er.
„Nein. Dann kauf keine Kekse, wenn du nicht willst", erwidert sie.
„Ich will mit dir reden, okay?", fragt er vorsichtig.
„Ich aber nicht mit dir, okay?", fragt sie genervt.
„Gib mir eine Chance", antwortet er. Inzwischen ist ein anderer Kunde gekommen und möchte Kekse kaufen, den Astraia bedient. Yeshua bleibt stehen und wartet.
„Du hattest deine Chance", gibt sie zurück.
„Kann ich es dir wenigstens erklären?", fragt er.
„Ich habe keine Zeit. Siehst du doch", erwidert sie.
„Dann ein anderes Mal", sagt er und gibt es auf. Sie kann all dies, das Ganze Verhalten nicht einschätzen. Warum verhielt er sich in der einen Sekunde so und dann wieder so?
Am Abend kommt Lumi und hat eine glückliche Luz, sowie eine heile Puppe dabei. Auch Luz hat einen Verband um den Arm, denn während Lumi die Puppe verarztet hat, kam Sirius vorbei und hat geholfen, Luz abzulenken und sie zu verarzten. Sie haben Luz gesagt, dass ihre Puppe in eine Operation muss, wo sie nicht gestört werden darf. Dann wollte Luz ebenfalls verarztet werden und sie hat einen Verband bekommen. Ihre Puppe hat um den Bauch nun auch einen Verband, damit dies abheilen kann.
Die beiden reden noch den ganzen Abend und schauen mit Luz Die Eiskönigin, die gerade voll im Trend zu sein scheint. Zumindest in dem Kindergarten, in den Luz geht.
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