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Astraia packt gerade ihre letzten Sachen zusammen, um sich mit ihren beiden Freunden in ihrem Lieblingscafé zu treffen, als ihre Mutter sie noch einmal zu sich ruft. Ihre Mutter braucht, wie jedes Jahr wieder Hilfe mit ihrer Bude auf dem örtlichen Weihnachtmarkt.
„Ich kann nicht, ich treffe mich in fünf Minuten mit Lumi und Sirius. Ich bin jetzt schon viel zu spät", ruft sie und versucht sich somit herauszureden und dem Schlamassel zu entkommen.
„Ich brauche wirklich deine Hilfe. Deine Freunde können doch warten. Ich muss heute aufbauen, sonst machen wir nur Verluste und du weißt selbst, dass wir das nicht gebrauchen können. Ich bin sowieso schon viel zu spät dran. Die anderen Mütter und Väter haben alle schon aufgebaut", versucht ihre Mutter sich mit Astraia zu einigen.
„Kannst du nicht Papa fragen?", fragt sie. Inzwischen ist sie zu ihrer Mutter in die Küche gekommen, die die letzten Vorbereitungen trifft, indem sie noch eine Ladung Kekse gebacken hatte und diese nun eintütet. Es war wirklich die Hölle, in einem Haus zu wohnen, in dem seit gefühlten Monaten 24/7 Kekse gebacken wurden, es herrlich duftete, aber man sie nie essen durfte.
„Papa kann nicht, und deine kleine Schwester ist noch im Kindergarten", beschwert ihre Mutter sich und schaut sie mahnend an.
„Okay, okay. Schau mich nicht so an. Ich helfe dir, ich muss aber erst meine Freunde anrufen und Ihnen absagen", sagt sie und ihre Mutter nickt. Somit tritt Astraia aus dem Zimmer, um ihre beiden Freunde gleich darauf anzurufen und ihnen abzusagen.
„Sorry, Freunde. Meine Mutter stresst schon wieder. Heute ist doch Aufbauen angesagt und ich muss helfen, weil die anderen Herren dieses Hauses etwas Besseres zu tun haben", beschwert sie sich bei Ihnen.
„Ist das dein ernst? Lumi und ich warten schon seit einer halben Stunde und haben wegen dir extra noch nicht bestellt", antwortet Sirius in ihr Ohr. Sie hört ihre Freundin etwas erwidern, was nicht für ihre Ohren bestimmt ist.
„Du kennst Astraia doch. Lass gut sein. Wenn ihre Mutter Hilfe braucht, dann braucht sie das. Dann bestellen wir eben was", sagt sie und scheint eine Bedienung heranzurufen, denn nun kann Astraia sie nicht mehr verstehen. Kurz danach legt auch Sirus auf und sie geht zurück in die Küche, wo ihre Mutter gerade die letzten Plätzchen in einen der Kartons verschwinden lässt.
„Wenn ich dir schon ganz alleine helfen muss, kann ich dann wenigstens auch ein paar Plätzchen naschen?", fragt sie hoffnungsvoll, doch ihre Mutter schüttelt bloß den Kopf und drückt ihr den Karton in die Hand. Sie nimmt sich ebenfalls einen und die beiden machen sich auf den Weg zum Auto, in das sie die letzten Kartons auch noch hineinstopfen.
Als die beiden auf dem Weihnachtsmarkt ankommen, ist schon eine Menge los und alle sind dabei, ihre Buden aufzubauen.
„Siehst du, ich habe doch gesagt, dass wir schon viel zu spät sind", erwidert ihre Mutter.
„Dann hättest du früher anfangen müssen. Und nun komm. Damit wir nicht noch mehr Verzögerungen haben", sagt Astraia und beginnt ihrer Mutter dabei zu helfen, die Bude wieder aufzubauen, die sie letztes Jahr nach Weihnachten auseinandergenommen haben.
„Und nun noch die Plätzchen aus dem Auto. Kannst du sie mir bringen? Ich kann dann hier schon einmal alles vorbereiten", sagt ihre Mutter und sie macht sich auf den Weg zum Auto, um erst einmal eine Ladung Plätzchen zu holen. Ihre Mutter ist noch nicht fertig, weshalb Astraia die Kartons mit den Plätzchen erst einmal auf den Boden stellt und sie übereinander stapelt.
Danach rennt sie noch ein paar Mal zum Auto, um die restlichen Kartons zu holen. Als sie den letzten Karton holt, schnauft sie erleichtert, denn der Weg vom Auto bis zum Stand und immer wieder zurück ist nicht gerade kurz.
„Hier sind alle Ladungen", sagt sie erschöpft und lässt sich auf einen der beiden Stühle fallen, die sie mitgebracht haben.
„Das hättest du wohl gern", lacht ihre Mutter. „Ich habe noch viele weitere Kisten Zuhause. Und Papa wird, wenn er von der Arbeit kommt, Zuhause noch mehr warme Plätzchen vorbereiten. Würdest du mein Auto nehmen und noch einmal nach Hause fahren, um weitere Kisten zu holen? Papa und Luz müssen inzwischen schon Zuhause sein und werden dir sicherlich helfen", sagt sie und schaut Astraia mit einem Dackelblick an.
„Okay. Ich mach's", sagt sie widerwillig. Sie hatte sich doch einen schönen Nachmittag mit ihren Freunden ausgemalt und zum Dank musste sie nun Kisten schleppen, bis sie zerbrechen würde.
Ihre Mutter wirft ihr den Autoschlüssel zu und Astraia macht sich auf den Weg zum Auto. Sie ist völlig verträumt und sieht den Jungen nicht kommen, der ebenfalls, wie sie vorhin, tausende Kartons übereinander gestapelt hat, um weniger laufen zu müssen. Sie rennt natürlich voll in ihn hinein, wobei alle Kartons hinunter fallen und der Inhalt über den ganzen Boden rollt. Zu seinem und ihrem Glück sind darin keine Kekse.
„Spinnst du? Kannst du nicht aufpassen? Siehst du nicht, wo du hinläufst?", macht er sie sofort wütend an. Sie stammelt bloß vor sich hin, überfordert mit der Situation. Es ist definitiv ihre Schuld gewesen. Das wissen sie beide. Trotzdem muss er sie doch nicht gleich so anmachen.
„Tut..Tut mir Leid", stottert sie vor sich hin.
„Nächstes Mal vielleicht deine Augen einschalten", sagt er, als die beiden die Sachen wieder vom Boden aufheben und in den Karton tun. Es sind kleine, gestrickte Mützen.
„Wegen dir ist jetzt alles nass", beschwert er sich.
„Es tut mir wirklich leid", sagt sie noch einmal.
„Ach, lass mich einfach in Ruhe", sagt er und sammelt den Rest alleine auf, um daraufhin im Trubel zu verschwinden. Astraia muss sich davon erst einmal erholen und hebt nun auch den Autoschlüssel ihrer Mutter auf, der bei dem Zusammensturz ebenfalls auf den Boden gefallen war, den sie bis jetzt aber völlig außer Acht gelassen hatte. Dann äfft sie den Jungen nach und macht sich auf den Weg zu dem Auto, um noch eine Ladung Plätzchen zu besorgen. Hoffentlich würde der Junge ihr nicht noch einmal begegnen. Auf dem nach Weg nach Hause klappt zum Glück alles und Zuhause trifft sie tatsächlich ihren Vater und ihre kleine Schwester an, die ihr dabei helfen, die restlichen Kisten zu transportieren.
„Bitte sag mir, dass das die letzte Kiste für heute ist und ich gehen darf", bettelt Astraia ihren Vater an.
„Du wolltest heute deine Freunde treffen, oder?", fragt er nachsichtig.
„Ja", bestätigt sie.
„Na, hau schon ab. Ich mache das hier fertig und werde die Kisten zu Mama bringen. Aber in den nächsten Wochen brauchen wir deine volle Konzentration, deine ganze Unterstützung, okay?", fragt ihr Vater sie. Als sie schon aus der Tür ist, kommt sie noch einmal zurück und drückt ihrem Vater einen Kuss auf die Wange.
„Danke, Papa. Und versprochen", sagt sie überglücklich und läuft dann zu dem Café, in dem ihre Freunde sie schon sehnsüchtig erwarten.
„Doch noch geschafft, Postbote?", fragt Lumi sie neckend.
„Tut mir wirklich leid, aber es ging heute nicht anders", entschuldigt sie sich bei den beiden. Die haben ihr jedoch schon wieder verziehen und Sirius bestellt schon eine heiße Schokolade für seine Freundin. Dann berichtet Astraia von der Begegnung mit dem Jungen, den sie umgelaufen hatte.
„Das klingt wirklich total stressig. Man, bin ich froh, dass meine Eltern nie bei so etwas mitmachen", erwidert Lumi.
„Same here", antwortet Sirius.
„Wir brauchen das Geschäft. Das läuft am besten. Das ist die ganze Arbeit und den Stress in der Weihnachtszeit wert", verteidigt Astraia sich.
„Ich weiß", sagen die beiden anderen gleichzeitig. Nur so können Astraia und ihre Familie sich das Haus leisten, indem sie wohnen. Es ist ein kleines Reihenendhaus und sie sind oft wirklich knapp bei Kasse oder überziehen ihr Konto sogar. Sie brauchen jeden einzelnen Cent und dafür, dass die beiden Töchter überhaupt Weihnachtgeschenke bekommen, müssen sie eben diesen Weihnachtsstand haben. Ihre beiden Freunde kannten solche Probleme nicht. Sie waren beide in reichen oder zumindest wohlhabenden Gegenden und Familien aufgewachsen und mussten sich noch nie Gedanken über Geld machen. Oft luden die beiden Astraia einfach ein, was ihr zumindest manchmal total unangenehm war. Trotzdem war sie wirklich dankbar für ihre beiden Freunde und freute sich meist einfach nur. Sie hatten sich eigentlich nicht viel zu erzählen, da sie sich so gut wie jeden Tag sehen. Trotzdem schaffen sie es die fünf Stunden ohne eine einzelne Minute Stille zu füllen. Sirius und Lumi sind wirklich die besten Freunde, die man sich vorstellen kann. Nachdem sie schließlich ausgetrunken haben und es schon dämmert, was in dieser Jahreszeit früh der Fall ist, beschließen sie sich zu trennen und alle nach Hause zu gehen. Bei Astraia Zuhause ist bestimmt jede Hilfe zu gebrauchen und die anderen beiden wollen sie nicht davon abhalten.
Als sie Zuhause ankommt, scheint dort ein fröhliches Treiben stattzufinden. Ihr Vater steht am Backofen und passt auf die Kekse auf, während Luz am Tisch sitzt und die Kekse verziert. Der ein oder andere Keks verschwindet dabei auch in ihrem Bauch, was ihre Mutter nicht dulden würde. Ihr Vater kann allerdings darüber hinwegsehen.
„Gut, dass du kommst. Wir haben schon wieder zwei volle Umzugskartons voller Kekse. Könntest du die zu Mama fahren?", fragt ihr Vater und sie nickt. Natürlich würde sie den beiden Arbeit abnehmen, immerhin durfte sie vorhin für ein paar Stunden abschalten, obwohl der ganze Stress noch nicht einmal richtig begonnen hatte. In ein paar Tagen, wenn der Dezember anfing, würde das Ganze erst richtig stressig werden. Er wirft ihr den Autoschlüssel entgegen und zeigt auf die beiden Kartons, die im Flur stehen.
„Sollen wir den Karton nicht auch noch füllen, dann kann ich gleich drei Ladungen mitnehmen? Weniger Benzinverbrauch. Immerhin kostet das auch Geld", lächelt sie.
„Gute Idee. Hilfst du Luz beim Verzieren?", fragt er und sie nickt. Sie setzt sich zu ihrer kleinen Schwester und die beiden haben den Spaß ihres Lebens. Für ihre kleine Schwester, die gerade einmal fünf Jahre alt ist, ist dies immer ein Spektakel. Die beiden blödeln herum und langsam werden die Kekse auch verziert.
„Fertig", sagt Astraia nach einer Weile und die beiden verpacken die Kekse in den dritten Karton.
„Kannst du Mama fragen, wie viele Ladungen sie für heute noch braucht, wenn du da bist und mich dann anrufen?", fragt ihr Vater, erschöpft von der Arbeit. Dieser Mann opferte sich jedes Jahr erneut für seine Familie auf. Anders kann man es nicht sagen.
Diese Methodik würde ihrer Mutter und ihrem Vater eine Menge Stress ersparen. Sie nickt einfach nur und macht sich dann mit den drei riesigen Kartons auf den Weg. Als sie aussteigt, ist ihr bewusst, dass sie nicht alle drei großen Kartons auf einmal tragen kann. Aber die Kunden liebten es, wenn die Plätzchen noch warm waren. Ihre Mutter sollte sich lieber ein anderes Geschäft überlegen, wobei sie mehr Ruhe hatte und nicht am selben Tag so viel Ware nachproduzieren musste. Immerhin kamen die Produkte gut an und sie verdienten gut. Sie sollte sich lieber so etwas überlegen, wie der Junge, den sie umgelaufen hatte, machte. Immerhin konnte er die Klamotten das ganze Jahr über stricken und es an Weihnachten verkaufen. Er musste sich nicht Stunden lang abhetzen und Ware durch die Gegend fahren. Wobei auch er die Ware gestern durch die Gegend getragen hatte. Bald würde sie ihrer Mutter so einen Vorschlag machen, obwohl man das Gute Geschäft eigentlich nicht riskieren könnte. Astraia würde sogar darum wetten, dass das Geschäft ihrer Mutter hier auf dem Markt am besten läuft. Sie schweift schon wieder in ihren Gedanken, als sie noch einmal gegen jemanden prallt. Diesmal fällt ihr einer, der obere der Kartons, herunter und sie schreit vor Schreck auf.
„Fuck, Scheiße. Die ganzen Kekse" , sagt sie, bis sie bemerkt, wer sie angrinst.
„Du Arschloch. Das hast du doch mit Absicht gemacht", ruft sie, denn vor ihr steht der Junge, den sie vorhin umgerannt hatte. Dieses Mal ohne Kartons.
„Ich habe hinten keine Augen", erwidert er.
„Und ich soll durch diese Kartons gucken können, oder was?", fragt sie, als sie sich dem umgefallenen Karton widmet. Zum Glück sind nur ein paar Kekse hinaus gefallen, denn sie hatte den Karton oben zugeklebt. Die anderen sammelt sie nun trotzdem auch noch ein und tut sie in eine abgetrennte Tüte.
„Willst du die etwa auch noch verkaufen?", fragt er angewidert.
„Nein, aber dir das Maul damit stopfen", erwidert sie wütend. Er hatte einen nicht allzu großen Schaden angerichtet. In diesem Moment lobt sie ihre Intelligenz. Dass sie die Kartons zugeklebt hatte, war ein Meisterstreich. Sie hatte nur grob zehn bis zwanzig Kekse verloren. Aber sie hatte Ware verloren, im Gegensatz zu dem Arschloch dieses Jungen, der inzwischen schon wieder über alle Berge war. Sie stapft nun auch wütend zum Stand und gibt die Ware bei ihrer Mutter ab. Diese verkaufte immer noch fleißig und Astraia berichtet ihrem Vater, dass sie, zumindest für heute, keine weitere Ware mehr brauchten. In einer halben Stunde würde der Markt schließen. Morgen würde das Spektakel schließlich von vorne losgehen. Astraia hilft ihrer Mutter die letzte halbe Stunde noch großzügig, dafür dass sie heute doch noch zu ihren Freunden durfte. Zwar mit Erlaubnis ihres Vaters, aber sie durfte. Wenn es nach ihrer Mutter gegangen wäre, wäre sie bei ihr geblieben und hätte sich nicht mit ihren beiden Freunden getroffen. Nach der halben Stunde ist vor allem ihre Mutter völlig fertig und schließt die Bude ab, sodass sie morgen früh wieder kommen kann. Astraia fährt den Wagen und ihre Mutter erzählt von ihrem Tag, der ziemlich anstrengend gewesen sein muss. Schon im November wurde der Markt sehr gut besucht. Astraia wollte sich gar nicht ausmalen, wie dies schließlich im Dezember sein würde.
Als sie abends im Bett liegt, wählt sie noch einmal die Nummer ihrer besten Freundin, die auch sofort abnimmt und etwas Grünes im Gesicht hat. Astraia muss sofort anfangen zu lachen.
„Wie siehst du denn aus?", fragt sie, immer noch prustend.
„Das ist eine Maske", erwidert Lumi völlig ernst.
„Ich muss dir noch etwas erzählen", sagt Astraia und beginnt von dem Vorfall zu erzählen.
„Da scheinst es ein Arschloch ja echt auf dich abgesehen zu haben", erwidert sie ermüdet.
„Und ich darf wohl den nächsten kompletten Monat mit ihm verbringen. Ich habe aber noch nicht gesehen, wo sein Stand ist. Hoffentlich nicht in meiner Nähe", sagt Astraia und nach einer halben Stunde beenden die beiden das Gespräch, um ausgeschlafen für den nächsten Tag zu sein, denn sie würden eine Arbeit schreiben. Die Lehrer hauten schön vor den Weihnachtsferien noch einmal alle Klausuren in den Plan geschrieben. Doch Astraia ging der Junge, der bisher noch keinen Namen für sie hatte, nicht mehr aus dem Kopf. Er hatte braune Haare gehabt, die unter einer Mütze hervorgeschaut haben und seine Augen waren stechend. Es hat sich angefühlt, als würde das blau seiner Augen in ihr Gehirn eindringen wollen, um ihre Gedanken zu lesen. Besonders hervor kam allerdings seine Akne, die er im Gesicht verteilt hatte. Doch gerade diese machte ihn irgendwie schön. Mehr hatte sie bisher noch nicht von seinem Aussehen erhaschen können.
Als sie gerade am Einschlafen ist, kommt ihre kleine Schwester noch einmal herein.
„Astraia, ich kann nicht schlafen. Kannst du mir etwas vorlesen?", fragt sie mit dünner Stimme und setzt sich auf ihr Bett. Sie hat ein kleines Buch in den winzigen Händen.
„Klar, Süße. Komm her", sagt sie und nimmt Luz das Buch aus den Händen, während sie neben sich klopft. Luz legt sich in das Bett hinein und innerhalb von fünf Sekunden ist sie eingeschlafen. Nun liegt Astraia wieder wach und kann erneut nicht einschlafen. Doch sie würde niemals sauer auf dieses kleine Bündel sein. Dafür liebt sie Luz viel zu sehr.
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