Kapitel 6
Ich bin verdammt wütend.
Als eine der wenigen letzten Gäste, die noch hier sind, sitze ich auf einem Barhocker in der Küche und starre finster in die Luft. Im Wohnzimmer tanzen nur noch vereinzelt Leute und um ehrlich zu sein weiß ich nicht, ob die sich überhaupt noch dessen klar sind, wo sie hier sind oder was sie hier machen. Sie stolpern nur hin und her und scheinen nicht mehr so ganz mit der Erde verankert zu sein. Hier ist definitiv mehr als nur Alkohol herumgegangen. Aber das ist nicht der Grund, weshalb ich so angepisst bin.
Es sind Jeremiah, Elisa und Heather, diese illoyalen Schlangen, die sich Alexis Freunde schimpfen. Super Freunde, die einfach allein nach Hause fahren, ohne auch nur zu wissen wo Alexis genau ist.
Ich habe die drei geradeso noch am Auto erwischt, nachdem ich einen langen Spaziergang gemacht habe, um meine Nerven wieder zu beruhigen.
Grays Worte haben mich unerwartet hart erwischt. Ich weiß, dass er sie nicht so gemeint hat, aber für mich waren sie eine Erinnerung daran, wie ich meine ganze Schulzeit über behandelt wurde: Man hat mich ins Licht gezerrt, mir Freundschaft vorgeheuchelt und mich wie etwas besonderes behandelt, bis ich meinen Zweck erfüllt hatte und man mich wieder getrost in meinen Schatten hatte verschwinden lassen können. Wie einen Pulli, den man achtlos in die Ecke schmeißt, sobald der Winter vorbei ist.
Und ich bin einfach jedes Mal wieder darauf hineingefallen. Habe den Leuten bei den Hausaufgaben geholfen, ihnen meine Aufsätze gegeben und sie in den Arbeiten bei mir abschreiben lassen, nur damit sie mich an einem Tag wie ihre beste Freundin behandeln, bevor ich es nicht einmal mehr wert war, gegrüßt zu werden.
Ich nehme einen tiefen Atemzug.
Aber darum geht es hier ja gar nicht. Das liegt in der Vergangenheit und ich brauche auch keine anderen Leute, um mich bestätigt zu fühlen. Nicht mehr.
Um was es hier eigentlich geht, ist die Tatsache, dass Elisa, als ich sie fragte, wo denn Alexis sei und ob sie etwa ohne sie gehen wollten, nichts weiter antwortete, als dass die kleine Aufreißerin schon ein warmes Bettchen gefunden haben würde und sie jetzt definitiv nicht die ganze Nacht warten würde, bis sie daraus wieder hervorkroch.
Wirklich, in meinem Kopf erfolgte darauf ein Kurzschluss. So oft wie Heather und Elisa mit Alexis ausgingen, müssten sie doch eigentlich inzwischen bemerkt haben, wie sich Alexis selbstzerstört. Aber anstatt sicher zu stellen, dass es ihrer Freundin gut ging, haben sich die drei einfach ins Auto gesetzt und sind weggefahren. Wahrscheinlich war es schon überaus freundlich von Jeremiah zu fragen, ob er mich mitnehmen solle.
Aber ich würde Alexis definitiv nicht im Stichlassen. Nicht solange ich nicht weiß, ob heute Nacht einer der guten oder einer der schlechten ist.
Also sitze ich hier, bekomme langsam aber sicher Rückenschmerzen, weil der Barhocker keine Lehne hat und mein Körper so müde ist, dass ich mich am liebsten auf die Kücheninsel gelegt hätte, wenn diese nicht völlig verklebt von umgekippten Bechern wäre. Eine kleine digitale Uhr in der Küche verrät mir, wie die Zeit immer weiter vorankriecht.
Inzwischen ist es halb drei, eine Zeit, um die ich eigentlich friedlich in meinem Bett liegen sollte. Aber die Wut hat etwas Gutes an sich: Ich bleibe wach. Zumindest für den Moment.
Kurzzeitig habe ich mich damit beschäftigt Candy Crash auf meinem Handy zu spielen, aber inzwischen spare ich mir lieber den Akku. Wer weiß was noch alles passiert und wie lange ich hier noch sitze. Das macht mein Warten allerdings ziemlich langweilig. Das spannendste das passiert ist, dass einer der vollgedröhnten Kerle auf der Tanzfläche einfach umkippt und im liegen weiterzappelt. Finger weg von Drogen, meine Lieben.
Gott, hätte ich mir zumindest ein Buch eingepackt oder meine Notizen, aber so bin ich verdammt einfach nichts zu tun, während die Zeit weiter voranschleicht.
Vielleicht bin ich sogar weggedöst, denn das nächste woran ich mich erinnere, ist plötzliche Stille. Ich weiß gar nicht, weshalb mich das hochschrecken lässt, bis mir klar wird, dass wohl jemand die Musik ausgeschaltet haben muss.
„Also Leute, die Party ist vorbei, Zeit zu gehen."
Ich blinzle verschlafen und versuche meine Sicht scharf zu stellen. Jemand hilft dem armen Trottel auf, der umgekippt ist und auch die anderen Übriggebliebenen, scheinen genug aus ihrer Trance gerissen, um schlurfend Richtung Haustür abzuziehen.
Ich brauche kurz, um zu erkennen, dass es Gray ist, der den Rausschmeißer spielt. Er stützt gerade den zugedröhnten Typ und schleppt ihn aus dem Zimmer raus. Mich hier hinten in der Ecke scheint er noch nicht entdeckt zu haben.
Zögerlich rutsche ich von dem Barhocker. Es entspricht nicht meinem Naturell aus der Reihe zu schlagen, aber keine Armee würde mich aus diesem Haus kriegen ohne Alexis, also werde ich wohl oder übel Gray davon überzeugen müssen, dass ich hierbleibe, komme was wolle.
Bisher allerdings schleiche ich den Leuten einfach nur unauffällig nach. Jetzt wo ich so darüber nachdenke, kenne ich von dem Haus bisher noch nichts außer der Küche und dem Wohnzimmer. Tatsächlich aber liegt das Wohnzimmer an einem Gang an, von dem nochmals vier Türen abgehen und zudem noch eine Treppe ein Stockwerk höher führt. Das Haus muss ziemlich groß sein.
Gray treibt die letzten Partygäste aber logischer Weise nicht weiter hinein ins Innere des Hauses, sondern aus der vorderen Tür hinaus, die Elisa, Heather und Alexis als wir vorhin hier ankamen, nicht benutzen wollten.
„Schön, dass ihr alle hier wart. Ich wünsche euch einen guten Nachhauseweg, verlauft euch nicht..."
Nach und nach hilft Gray den Leuten mit einem kleinen Stoß aus der Haustür zu stolpern, bis nur noch ein hübsches Mädchen mit einer dunklen Lockenmähne übrigbleibt.
Oh, und natürlich ich. Aber halb versteckt hinter dem Türrahmen zum Wohnzimmer hin, weiß wohl keiner der beiden, dass ich auch noch hier bin.
„Baby, danke für die schöne Nacht."
Gray zieht das Mädchen näher zu sich und verwickelt sie in einen unverschämt tiefen Kuss, bei dem ich naserümpfend den Blick senke, bis ein Kichern mir signalisiert, dass die kleine Show wohl vorbei ist.
„Immer wieder gerne. Meine Nummer hast du ja."
Das Mädchen fährt ihm noch einmal verführerisch über die Brust, was Gray dazu veranlasst an ihrem Hals zu knabbern, bis die beiden wieder so eng umschlungen dastehen, dass ich glaube sie verschwinden gleich für eine zweite Runde noch mal nach oben. Aber kurz bevor ich beschließe, dass mir das ganze hier zu privat wird und ich mich wieder in die Küche verziehen sollte, löst sich Gray mit einem schweren Seufzer und hält die Tür für seine Begleitung auf.
„Geh besser, bevor ich dich nicht mehr gehen lasse."
Mir stößt es sauer auf, bei den Worten. Was für ein Heuchler! Wahrscheinlich ruft er nachher noch eine andere an, damit sie vorbeikommt. Aber das Mädel scheint ihm die Nummer voll abzunehmen, kichert wieder und lässt sich dann von ihm rausschieben. Wohlbemerkt nicht ohne, dass seine Hand etwas zu tief auf ihren Rücken rutscht.
Sobald die Tür hinter ihr ins Schloss fällt, stößt Gray einen weiteren Seufzer aus, der um einiges weniger gespielt wirkt und zudem sich auch viel genervter anhört. Aha, es waren also wirklich nichts anderes als schmierige Worte. Arschloch.
Aber ich unterdrücke meine Empörung, die ich im Namen der ganzen Frauenschaft empfinde, und gehe einen Schritt nach vorne. Ich hätte zwar behauptet, dass ich mich nicht wirklich laut bewegt habe, aber in der Stille des Hauses reicht es trotzdem, um Gray auf mich aufmerksam zu machen.
Erschrocken fährt er in einer unglaublichen Geschwindigkeit herum und hebt die Arme, als würde er mich gleich k.o. schlagen. "Scheiße verdammt!"
Verdattert starrt er mich an und braucht anscheinend einen Moment, um zu registrieren, dass ich keine Gefahr bin. Ich im Gegensatz bin wortwörtlich wie das Reh im Scheinwerferlicht erstarrt und bekomme keine weiter Reaktion hin, als meinen Puls ins unendliche zu erhöhen. Hätte Gray wirklich zugeschlagen, hätte ich mich keinen Zentimeter bewegt, um auszuweichen.
So stehen wir einige Sekunden da, bevor er sich mit einem Schnaufen entspannt und sich dann aufgewühlt durch die Haare fährt.
"Ist dir eigentlich klar, wie kurz ich davor war dir eine reinzuhauen? Weshalb schleichst du dich so von hinten an? Was machst du überhaupt noch hier?"
Selbst etwas überrumpelt von der Situation bleibe ich stumm wie ein Fisch, während mein Herz versucht sich wieder zu beruhigen. Gray scheint der Schreck auch noch in den Knochen zu sitzen, denn er schließt kurz die Augen und nimmt noch einige tiefe Atemzüge, bevor er sich wieder an mich wendet.
"Erde an Row?"
Mit einem Kopfschütteln löse ich mich aus meiner Starre und lockere meine Hände, die sich schmerzhaft ineinander verkrampft hatten.
"Ich... Ich warte auf Alexis."
Gray runzelt die Stirn.
"Alexis? Die ist doch..."
Sein Blick huscht bedeutungsvoll zu den Treppen nach oben, wo sich anscheinend die Zimmer der Jungs befinden. Ja Alexis ist dort oben. Mit Lee. Und macht wahrscheinlich unanständige Dinge. Genau das gleiche geht Gray wohl auch im Kopf herum, mit dem Zusatz wie erbärmlich es bitte sein muss, dass ich hier unten auf sie warten will. Aber ich stehe zu meinem Punkt, auch wenn meine Wangen verräterisch glühen.
"Süße, ich glaube nicht, dass Alexis damit rechnet, dass hier unten jemand auf sie... Wartet."
Ich fahre mir mit der Zunge über die Lippen und wie automatisch wandern meine Finger zu meinem Augenbrauenpiercing. Das Metall zu fühlen gibt mir meine Gelassenheit zurück.
„Tja, umso mehr wird sie sich wohl freuen, wenn es doch einer tut."
Grays Augenbrauen wandern nach oben, aber er verkneift sich einen Kommentar. Für ihn muss das hier ziemlich komisch wirken, aber ich kann ihm ja wohl kaum sagen, dass ich befürchte, dass Alexis nach dem Sex mit seinem Freund einen Nervenzusammenbruch epischen Ausmaßes haben wird und ich sie in diesem Zustand keinen Falls allein hierlassen will. Ich glaube, das würde noch mehr Fragen aufwerfen, als mich einfach nur als das kleine naive Mädchen ohne Freunde abstempeln zu lassen. Letztlich kann es mir ja auch egal sein, was Gray von mir denkt. Hauptsache ich kann hierbleiben.
„Naja, dir dann mal eine gute Nacht. Ich... warte weiter in der Küche."
Damit will ich mich abwenden und uns beide von dieser unangenehmen Situation befreien. Aber Gray scheint andere Pläne zu haben. Denn ich bin noch keine fünf Meter vorangekommen, da höre ich hinter mir ein Seufzen und keine drei Sekunden später hat er mich auch schon eingeholt.
Als er meinen verwirrten Blick auffängt, verzieht er nur seinen Mund zu einem spöttischen Lächeln.
„Denkst du ich kann mich einfach schlafen legen, wenn ich weiß, dass eine Quasifremde allein in meinem Haus unterwegs ist? Du hast dich zwar vielleicht vor allen anderen für mich verpflichtet für diese Saison, aber woher soll ich wissen, dass du nicht eigentlich eine kleine Diebin bist?"
Ich weiß nicht, was meine Wangen mehr zum Brennen bringt: Die Tatsache, dass mir gerade unterstellt wurde, ich könne eine Diebin sein, oder die Erwähnung dieses bescheuerten, sexistischen Rituals, in das mich Alexis katapultiert hat. Sie hat echt Glück, dass ich mich so sehr um sie sorge, denn ansonsten würde ich nur hier warten, um ihr den Kopf abzureißen. Aber eins nach dem anderen. Erst Mal muss ich irgendwie mit diesem Eishockeyspieler zurechtkommen, sonst könnte das Warten hier noch unerträglicher werden.
„Du... willst mir also Gesellschaft leisten?"
Mit gerunzelter Stirn bleibe ich im Türrahmen zur Küche stehen, während Gray ganz entspannt weiter zu einem der Schränke läuft.
„Klaro. Dann weiß ich wenigstens, dass du keinen Unsinn treibst. Und außerdem...", er wirft mir ein freches Grinsen zu, „... habe ich noch einen Titel zurückzugewinnen."
Ich verstehe nicht was er meint, bis er einen Stapel Plastikbecher aus dem Schrank holt, zusammen mit einem Pingpongball, den ich gerade so noch fangen kann, als er ihn zu mir herüberwirft.
„Ich kann es nicht auf mir beruhen lassen von jemandem geschlagen worden zu sein. Ich verlange eine Revenge, Roween. Und dieses Mal unterschätze ich dich nicht."
Verdattert beobachte ich ihn dabei, wie er den Müll von der Kücheninsel räumt und mit einem nassen Lappen darüberwischt, um zumindest den gröbsten Dreck wegzubekommen. Dann stellt er mit geübten Handgriffen die Becher in einer Pyramide zu jeder Seite auf, während ich mich immer noch nicht vom Fleck gerührt habe. Es ist zu spät in der Nacht, als dass man von meinem Gehirn noch Reaktionen auf so spontane Dinge erwarten darf.
Meine absolute Regungslosigkeit handelt mir aber natürlich mal wieder einen spöttischen Blick ein, als Gray fertig mit dem Aufbauen ist.
„Diebin und auch noch Drückeberger? Du enttäuschst mich, Row."
Das reißt mich aus meiner Starre, auch wenn ich mir immer noch nicht sicher bin, was ich von dem Eishockeyspieler in tiefsitzender Jogginghose und dünnem Shirt vor mir halten soll. Trotzdem trete ich unsicher auf ihn zu.
„Du willst jetzt noch Bierpong spielen? Tut mir ja leid, aber ich finde es etwas zu spät, um noch Alkohol zu trinken."
„Na dann ist es ja umso besser...", Gray geht auf den Kühlschrank zu und holt etwas heraus, bevor er sich mit einem breiten Grinsen zu mir dreht. „..., dass wir mit Wasser spielen werden. Ich bin total dehydriert und dir schadet es bestimmt auch nicht, noch ein bisschen Flüssigkeit zu dir zu nehmen nach diesem Abend."
Da kann ich ihm nicht widersprechen. Tatsächlich fühlt sich mein Hals jetzt wo ich die Wasserflasche vor mir habe, wie ausgedörrt an.
„Also, darf ich dich zu einer Partie Wasserpong herausfordern?"
Die Frage ist wohl nur platonisch gemeint, denn Gray füllt die Becher bereits je zu einem Viertel auf, bevor ich antworten kann. Aber innerlich habe ich mich eh schon geschlagen gegeben. Vielleicht ist das hier ja sogar besser, als allein die Zeit totzuschlagen.
„Na gut, ich fange an."
Gray lächelt mich an und das Grübchen erscheint auf seiner Wange, als hätte er nie daran gezweifelt, dass ich einwillige und positioniert sich auf einer Seite des Tresens. Der Typ ist einfach viel zu selbstüberzeugt. Vielleicht kann ich ihm ja dabei helfen sein Ego zu bewältigen, wenn ich ihn noch mal besiege.
Es ist wirklich schon spät und ich bin müde. Die Becher zu fixieren ist gar nicht mehr so leicht. Aber das kenne ich nur zu gut von den langen Nächten, in denen ich an meinem Schreibtisch gesessen und noch gelernt habe, weil ich nicht zufrieden damit gewesen bin, wie weit ich am Tag gekommen bin. Der Ball segelt daher vielleicht nicht ganz so sicher durch die Luft, aber landet trotzdem im Ziel.
„Wieso kannst du das so gut? Du scheinst mir nicht der Typ Mädchen zu sein, den man oft auf Partys trifft."
Gray schaut mich nachdenklich an, während er den Pingpongball aus dem Becher holt und dann das Wasser in einem Zug runterstürzt. Meine Güte, die Nummer mit dem Mädchen muss ja wirklich anstrengend gewesen sein.
Desinteressiert zucke ich mit den Schultern, gebe ihm aber die gewünschte Antwort.
„Mein Mülleimer steht nicht direkt neben meinem Schreibtisch und ich bin meistens zu faul aufzustehen. Also habe ich irgendwann angefangen zu werfen."
Das scheint Gray nun aber doch zu überraschen.
Er betrachtet mich für einen Moment verwundert und bricht dann in ein herzhaftes Lachen aus, bei dem mein Herz einen kleinen Hüpfer macht. Erstaunlicher Weise ist mir aber sofort klar, dass er nicht über mich lacht. Vielleicht liegt es daran, dass die ganze Situation sowieso schon derart surreal ist.
Ich meine, vor heute Abend kannte kein einziger Sportler aus diesem College meinen Namen und jetzt stehe ich hier mit einem der berühmtberüchtigten Eishockeyspieler in dessen Küche und spiele Wasserpong, als gäbe es nichts Normaleres. Aber vielleicht liegt es auch nur daran, dass ich genug Erfahrung mit gefaktem oder gehässigem Gelächter habe, um es von einem echten Lachen unterscheiden zu können. Gray scheint das hier auf jeden Fall wirklich amüsant zu finden.
„Okay, das passt besser als meine Theorie über ein Doppelleben."
Immer noch grinsend stellt sich Gray zu seinem Wurf auf und trifft natürlich perfekt. Ich setze den Becher an und stürze ihn ähnlich schnell wie Gray hinunter. Dann positioniere ich mich für meinen zweiten Wurf. So geht es einige Male hin und her, bis Gray irgendwann innehält, nachdem er seinen Becher ausgetrunken hat, und mich mit schiefgelegtem Kopf betrachtet. Verwirrt ziehe ich eine Augenbraue hoch.
"Was?"
Einer seiner Mundwinkel zuckt. Der Kerl scheint auch echt immer zu Grinsen.
"Naja, ich warte nun schon seit geraumer Zeit, dass du nachfragst woher ich dieses erstaunliche Talent herhabe. Du bist ziemlich unhöflich, Roween."
Mir schießt das Blut in den Kopf. "Hör auf, mich so zu nennen."
Das Grinsen, was sich bereits angekündigt hatte, breitet sich auf Grays Gesicht aus.
"Wie denn? Roween? Aber so heißt du doch."
Ja vielleicht ist das der Name, der auf meiner Geburtsurkunde steht, aber außer meiner Mom, wenn sie sauer auf mich ist, nennt mich niemand so.
"Einfach nur Row, okay?"
"Oh, wenn du darauf bestehst, dass wir uns bereits bei Spitznamen rufen, nenne ich dich lieber Bunny."
"Bunny?"
"Ja du weißt schon", als wäre unser Gespräch nur ganz nebensächlich betrachtet Gray den Pingpongball, den er zwischen seinen Fingern dreht. "Wie Puck Bunny. Nachdem du dich vorhin so bereitwillig in den Ring geworfen hast, um unserem Team beizustehen."
Inzwischen muss mein Gesicht eine gefährliche Färbung angenommen haben. Ich fühle mich zumindest so, als würde ich gleich platzen.
"Du..?! wie...?! Von wegen bereitwillig! Alexis hat mich geschubst!"
Gray betrachtet mich kritisch unter hochgezogenen Augenbrauen.
"So sah das für mich aber nicht aus, als du dich an meinem Trikot festgeklemmt hast."
Wutentbrannt stütze ich die Hände in die Hüfte.
"Ach, du meinst nachdem ich dich getreten habe? Oder bevor ich keine Sekunde verschwendet habe, um von dir wegzukommen?"
Jetzt breitet sich wieder ein Grinsen auf seinen Lippen aus und wenn möglich macht mich das noch verrückter, als der herabwürdigende Gesichtsausdruck von zuvor.
"Touché. Aber gut zu wissen, dass du deine Zunge doch noch nicht verschluckt hast."
Mit einem frustrierten Stöhnen werfe ich die Hände in die Luft und hätte sie am liebsten um seinen Hals gelegt. "Was meinst du jetzt schon wieder damit?"
Gray beginnt wieder zu lachen und aus unerfindlichen Gründen, muss ich meine Zähne in meine Unterlippe vergraben, um bei dem Geräusch nicht ebenfalls zu lächeln.
"Naja, dass wir uns gerade mehrere Minuten total unbehaglich angeschwiegen haben und du noch nicht Mal den Eindruck erweckt hast, als würdest du dich lieber unterhalten. Du bist nicht sonderlich gesprächig, was?"
Er betrachtet mich mit einem schiefen Grinsen und ich muss den Blick abwenden, weil ich nicht will, dass er sieht, wie dieses kleine Geständnis von ihm gereicht hat, um meine Wut verpuffen zu lassen.
"Im Normalfall sehe ich keinen Nährwert darin mich mit anderen auseinanderzusetzen."
"Autsch."
Gespielt verletzt fasst sich Gray an die Brust. Ich verdrehe die Augen und fahre mir zögerlich mit der Zunge über die Lippen. Normaler Weise wäre das jetzt der Punkt, an dem ich einfach wieder die Klappe halte. Aber mir entgeht nicht, wie Gray ganz genau meine Reaktion abwartet, also nehme ich einen tiefen Atemzug und überwinde meinen innerlichen Schweinehund. Die Nacht war ja sowieso schon vollkommen verrückt.
"Ich halte nicht viel von Smalltalk. Ist doch eh alles nur geheuchelt. Und ich muss mich auch nicht über irgendwelchen Unsinn unterhalten, nur um das Gefühl zu haben dazuzugehören. Ernsthafte Gespräche kann man mit den meisten eh nicht führen und wenn ich jedem meine Meinung zu dem Quatsch, den sie hier am College abziehen, sagen würde, hätte ich vielleicht ein paar ungewollte Schwangerschaften verhindert, aber dafür wohl auch nie wieder meine Ruhe. Und mir geht nichts über meine Ruhe. Zufrieden?"
Herausfordernd ziehe ich eine Augenbraue hoch. Soll er mir doch widersprechen oder mich als Einsiedlerin abstempeln.
Aber Gray sagt gar nichts. Stattdessen betrachtet er mich noch einen Moment nachdenklich und wirft dann so unvermittelt den Pingpongball, dass ich erschrocken zusammenzucke. Ich hatte schon völlig vergessen, dass wir uns immer noch mitten in einem Spiel befinden.
Natürlich trifft er. Froh über die Ablenkung komme ich meiner Pflicht nach und trinke das Wasser.
Dann werfe ich.
"Hat es jetzt dir die Sprache verschlagen? Du bist ziemlich unhöflich, Gray."
Ich betrachte ihn kühl, um mir nicht anmerken zu lassen, wie nervös ich bin, weil er auf meine Worte nichts erwidert. Gerade noch hat er sich unterhalten wollen und jetzt schweigt er selbst wie ein Grab. Ich verstehe diesen Kerl einfach nicht.
„Oh, ich suche nur nach einem intellektuellen Thema, mit dem ich nicht dein Unwillen hervorrufe. Ich will deine Meinung über uns normale Menschen ja nicht noch verschlechtern."
„Ich meine das nicht als Beleidigung. Es ist einfach eine Erfahrung, die ich gemacht habe."
Ich zucke mit den Schultern und blicke ihm fest in die Augen, um zu zeigen, dass ich zu meinen Worten stehe. Ich weiß, dass ich nicht ganz normal ticke und wahrscheinlich liegt es eher an mir als an den anderen, dass ich die meisten Gespräche als unangenehm empfinde. Aber ich habe mich schon als Kind nicht für die gleichen Dinge wie die anderen interessiert. Ich habe kein Problem damit mich für Tage in meinem Zimmer zu vergraben, in Büchern zu stöbern oder zu lernen. Das normalste Thema, das ich anzubieten habe, sind Serien oder fachliche Themen. Aber ich kenne wenige Menschen, die sich nach einer Vorlesung noch über die weiterführende Lektüre unterhalten wollen, die nicht mal mehr prüfungsrelevant ist. Eigentlich kenne ich nicht einmal viele, die sie überhaupt lesen.
Vielleicht kann man mir auch einfach vorwerfen, dass ich zu wenig Interesse am Leben von anderen zeige. Aber nachdem ich meine ganze Jungend über erfahren musste, dass wann auch immer ich Kontakt zu meinen Mitschülern aufbauen wollte, es davon gefolgt war, dass ich lachend links liegen gelassen wurde, ist das für mich kein Argument mehr. Ich habe vielleicht nur einen kleinen Vertrautenkreis, aber Alexis, Cass, Mary und meine Familie reichen mir. Bei ihnen weiß ich, dass sie sich wirklich für das interessieren, was ich zu sagen habe und nicht nur Interesse heucheln, damit ich ihnen bei etwas helfe. Und als Gegenleistung würde ich alles für sie geben.
„Ich habe es gar nicht als Beleidigung aufgefasst."
Man merkt es Grays Tonfall an, dass er über etwas nachzudenken scheint. Aber bevor er weiterspricht, wirft er wieder den Ball in einen meiner Becher.
„Ich glaube nur, dass man Menschen eine faire Chance geben sollte, bevor man sie beurteilt."
Ach ja, so oft wie man mir eine faire Chance gegeben hat? Oder Alexis?
Allein die Erinnerungen lassen heiße Wut in mir aufkochen. Ich versuche sie mit dem Wasser hinunterzuspülen, aber es will mir nicht so recht gelingen. Eigentlich rede ich nicht über unsere Vergangenheit. Es ist schmerzhaft und unnötig, denn es ist vergangen. Irrelevant für heute. Doch in diesem Moment hätte ich Gray gerne entgegengespien, dass er das mal den Monstern hätte sagen sollen, die zwei Mädchen dafür ausgeschlossen, gehänselt und gequält haben, dass sie nicht in das Normbild passten, unabhängig von der Persönlichkeit, die sich hinter dem ersten Eindruck verborgen haben mag. Aber ich beiße mir auf die Zunge, denn ich weiß Alexis würde mich dafür umbringen, dass ich das Thema gegenüber jemand anderem habe aufkommen lassen.
Stattdessen werfe ich einfach nur den Ball, wenn auch viel zu hart und gradlinig, als dass er in einem Becher hätte landen können. Er prallt an Grays Brust ab, der mich mit gerunzelter Stirn betrachtet, und dopst ein, zweimal vor ihm auf dem Tisch auf, bevor er hinunterrollt.
„Bitte, du hast gewonnen. Ist jetzt deine Ehre wiederhergestellt?"
Ich bin Stolz auf mich, dass sich meine Stimme so gefasst anhört, obwohl ich verborgen hinter der Kücheninsel meine Fäuste balle. Aber äußerlich ersichtlich bleibe ich vollkommen kühl. So wie gegenüber jedem.
Gray zuckt die Schultern, schnappt sich seine restlich verbliebenen vollen Becher und trinkt sie aus.
„Nein, das waren unfaire Bedingungen. Ich befürchte, du wirst nochmal gegen mich antreten müssen."
Ich schnaufe. „Von müssen kann nicht die Rede sein. Keine Sorge, ich werde so bald nicht nochmal auf einer eurer Partys auftauchen. Dein Ruf ist also in Sicherheit."
Wie nebenbei wirft er mir ein Lächeln zu, während er die Becher aufräumt. „Schade. Du hast die Party ganz amüsant gemacht."
Tja, ich bin aber nun mal kein Comedyprogramm. Die Zähne festaufeinander gepresst, erwidere ich nichts.
„Trinkst du das noch?"
Gray deutet auf die fünf Becher vor mir und macht Anstalten zu mir hinüber zu kommen. Da ich das aber nicht will, nicke ich schnell, stürze einer der Becher hinunter und kippe dann den Inhalt der restlichen vier zusammen, was allerdings nur mit zwei großen Schlucken abtrinken funktioniert.
Natürlich kommt Gray trotzdem herüber, um die leeren Becher einzusammeln, aber bis dahin habe ich die Zeit unauffällig einen Schritt zurückzutreten. Trotzdem ist mir seine Gesellschaft in diesem Moment einfach zu viel. Mein erster Instinkt war doch richtig gewesen: Gesellschaft macht das Warten nur anstrengender. Also mache ich das einzige, was mir einfällt, um zumindest kurz meine Ruhe zu haben.
„Wo sind bei euch die Toiletten?"
Und hier kommt das nächste Kapitel :) Wahrscheinlich werden sie immer dienstags kommen, aber Ausnahmen bestätigen die Regel, also wundert euch nicht, falls es mal etwas früher oder später wird ;)
Vielen Dank an alle die schon fleißig geliket und kommentiert haben <3
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