Kapitel 49
Mein Kopf fliegt nach hinten von der Wucht des Schlages und mein Kiefer beginnt augenblicklich heftig zu pochen im Gleichtakt mit meinem Herzen, dass mir fast aus der Brust hüpfen will.
Ich bin so geschockt, dass die Welt für einen Moment wie in Zeitlupe wirkt.
Ich sehe aus dem Augenwinkel, wie Alexis sich die Hände vor dem Mund zusammenschlägt, die Augen schockiert aufgerissen. Ich höre wie ein Raunen durch die Menge um uns geht und werde mir erst jetzt dessen bewusst, dass sich bereits eine ganze Menschentraube um uns gebildet hat und das Wortgefecht beobachtet hat.
Ich weiß nicht, was mich dazu bringt den Blick weiter über die Gesichter streifen zu lassen. Vielleicht ist es ein Instinkt oder einfach die Anziehung, die er schon die ganze Zeit auf mich ausübt, aber es ist als würde mein Körper wissen, dass er hier ist. Ihn spüren. Und noch bevor meine Augen ihn richtig erfasst haben, ist mir klar, dass Gray gerade den Raum betreten hat. Und mit einem Mal ist er da in meinem Sichtfeld.
Er trägt einen Mantel und will sich gerade den Schal ausziehen. Anscheinend ist er wirklich erst gerade eben von der Kälte draußen eingetreten und selbst so, mit leicht geröteten Wangen, sieht er einfach unglaublich aus. Er schaut nicht zu mir her, obwohl ein Teil von mir stumm schreit, er solle es tun. Ich will seine Augen sehen, mich in seinem Blick verlieren. Doch er hat sich Kayla zugewendet, die wie eine Verrückte auf ihn einstürmt und mit den Händen herumfuchtelt. Mir ist gar nicht klar, weshalb sie so aufgeregt ist, bis Gray sie zu verstehen scheint und sein Kopf zu mir herumschnellt. Und wie magnetisch angezogen verhaken sich unsere Blicke sofort ineinander.
Mein Atem steht still. Alles steht still, während ich selbst aus der Entfernung dieses wunderschöne Blau seiner Augen zu erkennen meine und nicht anders kann, als ein weiteres Mal festzustellen, wie sehr ich ihn liebe. Wie sehr ich ihn nach all dem noch immer liebe und wie sehr es weh tut, ihn verloren zu haben. Und das alles nur wegen einer Person.
Wie ein Funke löst der Gedanke in mir ein Feuer aus und dieses Mal kenne ich keine Zurückhaltung mehr, als ich erneut zu Carly herumwirble. Ich höre jemanden besorgt meinen Namen rufen. Eigentlich sind es sogar mehrere Stimmen, aber das ist mir inzwischen völlig egal. Mir ist selbst egal, dass ich für das hier von der Polizei verhaftet werden könnte. Alles woran ich denken kann ist der ganze Scheiß durch den die Personen, die ich am meisten liebe, und ich wegen dieser Verrückten durch mussten. Und ich sehe rot.
Mein Vater wäre stolz auf mich, wenn er wüsste wie sehr mir die Stunden Football schauen mit ihm gerade zu gunsten kommen. Oder vielleicht wäre er doch nicht ganz so stolz. Aber ich kann nicht abstreiten, dass es mich mit einer grimmigen Zufriedenheit erfüllt, als ich Carly mit voller Kraft ramme und zusammen mit ihr über den Barhocker hinter ihr fliege. Der Aufprall presst mir die Luft aus den Lungen und Carlys Keuchen nach ergeht es ihr nicht besser. Aber ich habe den entscheidenden Vorteil, dass ich auf ihr liege und mache ihn mir zu nutze, indem ich sie mit meinem ganzen Gewicht weiter nach unten drücke.
"Du Psychopathin wirst dich jetzt sofort bei meiner besten Freundin entschuldigen und danach dein erbärmliches durchgeknalltes Ego einpacken und dich nie wieder in unserer Nähe blicken lassen!"
Ist es komisch, dass mir bisher nicht aufgefallen ist, dass meine Lippen aufgeplatzt sind? Erst als es sich irgendwie seltsam anfühlt zu sprechen fällt mir auch der metallische Geschmack in meinem Mund auf und ich spucke angewidert auf den Boden aus. Ein Fehler wie sich herausstellt, da das Ablenkung genug ist, damit sich Carly mit einem wilden Schrei aufbäumen und mich abschütteln kann, sodass ich erneut gegen den Hocker knalle, der mit uns zu Boden gekippt ist. Doch bevor diese Wahnsinnige sich auf mich schmeißen kann reagiere ich ganz instinktiv und trete nach ihr. Mein Fuß trifft sie perfekt in den Magen und lässt sie mit einem 'Uff' nach hinten fallen, aber das Mädchen wäre nicht durchgeknallt, wenn sie sich von so etwas abbringen lassen würde.
Meinen Fuß packend krallt sie die Fingernägel in mein Unterschenkel und reißt daran, bis ich mit einem zornes Laut dem Schmerz nachgebe und nach ihren Haaren greife, in der Hoffnung, dass sie mich daraufhin loslässt.
Vielleicht sollte ich mir selbst um meine psychische Stabilität Sorgen machen, denn erschreckender Weise stelle ich fest, dass es mich auf eine bizzare Weise befriedigt in einem kratzenden und schlagenden Knäuel mit Carly über den Boden zu rollen, bis die Leute um uns den richtigen Angriffspunkt finden, um uns voneinander zu lösen. Es hat etwas befreiendes all die aufgestaute Wut, die Trauer und den Frust rauszulassen. Mein Kopf ist völlig leer ohne Gedanken und Sorgen und alles was zählt ist dieses Biest von mir fernzuhalten und gleichzeitig selbst ein paar gute Schläge auszuteilen. Ich habe es so satt mich herumschubsen zu lassen. Ich habe es so satt, Joyce!
Dem letzten Funken gesunden Menschenverstand in mir ist klar, dass das alles hier nur ein guter Grund ist Dinge rauszulassen, die schon weit in der Vergangenheit liegen. Nicht dass Carly eine ordentliche Abreibung nicht verdient hätte. Und immerhin hat sie angefangen. Aber im Geiste kämpfe ich nicht mit ihr, sondern mit dem blonden Unschuldsengel meiner Heimat. Und jeder Schlag lässt mich siegreich aufheulen.
Zumindest bis sich ein weiteres Paar Hände einmischt, mich packt und versucht von Carly wegzuzerren, deren Haare ich immer noch fest im Griff habe. Unwillig diese verrückte Kuh davonkommen zu lassen, knurre ich und will mich schon aus dem fremden Griff befreien, da erreicht mich ein ganz und gar nicht fremder Geruch und lässt über die blinde Wut hinaus andere Emotionen in mir aufsteigen. Fast augenblicklich lasse ich los und werde hochgehoben.
Mein Herz schlägt mir bis zum Hals. Wegen dem Adrenalin oder weil ich seit gefühlten Ewigkeiten Grays Arme wieder um mich spüre, kann ich nicht sagen. Aber die ganze Welt um mich herum erscheint mit einem Mal unbedeutend. Nur wie am Rande bekomme ich mit, dass auch Carly von zwei Kerlen festgehalten wird, während sie weiter um sich schlägt, wie eine Wildkatze, die in ihrem Käfig den Verstand verloren hat. Ich bin im Gegensatz dazu ganz ruhig geworden. Ich traue mich nicht mich zu bewegen, als könnte sich Gray dann einfach verflüchtigen. Auch wenn das absolut irrsinnig ist, denn die Schulter, über die ich geworfen werde, fühlt sich viel zu massiv an, um sich einfach in Luft aufzulösen. Aber nur um ganz sicher zu sein kralle ich mich an ihm fest, als würde er mit seinen Armen nicht bereits dafür sorgen, dass ich nicht herunterrutsche.
Ich sehe nicht wirklich viel, aber Grays Bewegungen verraten mir, dass er mich wegträgt und den eiligen Schritten nach, die erklingen, beeilen sich alle ihm Platz zu machen. Und mit jedem seiner Schritte hallen mir abwechselnd zwei Sätze durch den Kopf: Ich habe dich so vermisst. Ich liebe dich so sehr.
Eine Tür wird geöffnet und im nächsten Moment trifft mich die kalte Nachtluft und lässt mich die Augen zusammenkneifen, während ich mein Gesicht eine letzte Sekunde an ihm vergrabe, bevor das unweigerliche folgt. Er setzt mich ab. Aber wir passen nicht zueinander.
Meine Augen brennen hinter den geschlossenen Lidern und ich fühle mich nicht bereit dazu, sie zu öffnen. Gray steht dicht bei mir. Ich spüre seine Wärme direkt vor mir und sie lässt in mir den verzweifelten Wunsch aufkommen, mich einfach an ihn zu lehnen. Aber ich weiß nicht, ob ich noch das Recht dazu habe. Mit einen Schluchzen zucke ich zusammen, als warme Finger mein geschundenes Gesicht berühren.
"Verdammt Bunny, was hast du dir dabei gedacht."
Dieser Spitzname. Ich weiß nicht ob ich lachen oder weinen soll. Also mache ich nichts von beidem. Stattdessen balle ich nur die Fäuste und genieße den bittersüßen Schmerz seiner hauchzarten Berührungen.
"Das sieht übel aus."
Gray spricht mehr zu sich selbst als zu mir, aber sein warmer Atem, der mein Gesicht streift, lässt eine Gänsehaut auf meinem Körper entstehen und mit einem Mal halte ich es nicht länger aus, die Augen geschlossen zu halten. Und wenn das bedeutet, dass ich gleich aus diesem verrückten Traum aufwache, sein Gesicht noch einmal aus der Nähe zu sehen wäre das vollkommen wert.
Ich brauche einen Moment, um ihn zu fixieren und das lässt mich verzweifelt nach seinen Armen greifen. Erst als seine besorgt zusammengezogen Augenbrauen über diesen viel zu blauen Augen in meiner Sicht scharf werden, fällt mir auf, dass ich die Luft angehalten habe und lasse sie in einem erleichterten Keuchen raus. Er ist es wirklich. Er ist wirklich hier.
"Hey, da bist du ja."
Die Kombi aus seinem Daumen, der zärtlich über meinen Wangenknochen streift und dem schiefen Lächeln, dass an seinen Lippen zupft, bringt meine Augen fast zum überlaufen und ich gebe mein bestes, die Tränen, die sich in meinen Wimpern verfangen haben, wegzublinzeln. Aber das lässt Grays Gesicht vor mir wieder unscharf werden und ein Teil von mir hat Angst, dass auch er damit tatsächlich wieder verschwimmt. Also kralle ich mich noch mehr an seinen Mantel und versuche mich mit tiefen Atemzügen zu beruhigen. Aber das Blut rauscht mir noch viel zu sehr in den Ohren, genauso wie das Adrenalin in meinen Adern. Ein entferntes Klappern lässt mich schreckhaft zusammenzucken und ich spüre wie sich auch Gray anspannt, als wäre er genauso wachsam wie ich. Und dann zieht er mich an sich und legt schützend die Arme um mich. Erneut traue ich mich nicht zu atmen.
"Ganz ruhig, ich bin da. Keine Verrückten mehr, die sich auf dich stürzen, versprochen. Im Notfall hole ich meinen Eishockeyschläger und halte sie auf Sicherheitsabstand."
Wie kann es sein, dass Gray es selbst jetzt noch schafft mich zum Lachen zu bringen. In einer Mischung aus Lachen und Schluchzen schnappe ich nach Luft, während mein Körper ein Zittern durchläuft, das Gray veranlasst sicherheitspendend eine Hand in meinen Nacken zu legen. Und weil Gray diesen Effekt auf mich hat verlässt mich Sekunde für Sekunde in dieser Position all meine Anspannung, bis ich vertrauensvoll an ihn geschmiegt liege und eine angenehme Leere sich in meinem Kopf und Körper ausbreitet. Nur zittern tue ich noch immer, ob wegen des nachlassenden Adrenalins oder der Kälte, die langsam durch meine dünne Kleidung kriecht, kann ich nicht sagen.
Doch als auch das sanfte Reiben von Grays Händen nichts bringt, während er mich einfach stumm hält, drückt er mich mit einem Mal von sich.
In stummer Panik will ich wieder nach seinem Mantel greifen. Er darf nicht gehen, er darf mich nicht verlassen. Mein Atem beschleunigt sich, doch Gray schüttelt nur mit einem beruhigenden Lächeln den Kopf und löst sanft meine Finger.
"Alles gut, ich gehe nicht. Niemand wird mich von dir wegbringen können."
Meine Angst ist stärker als mein Vertrauen in seine Worte, also beobachte ich jede seiner Bewegungen, als könne ich ihn mit meinem Blick an Ort und Stelle festhalten. Aber Gray macht gar keine Anstalten wegzugehen. Er zieht sich nur seinen Mantel aus und hüllt mich im nächsten Moment in seine Wärme und seinen Geruch, die sich in dem Stoff festgesetzt haben, ein. Ganz automatisch kuschle ich mich tiefer hinein. Genauso wie sich meine Wange sofort in seine Handfläche schmiegt, als Gray seine Hände um mein Gesicht legt, ganz zärtlich und vorsichtig, um mir und meinem lädierten Kiefer nicht weh zu tun.
"Oh Gott, Row bitte tue mir das nicht noch Mal an. Bitte."
Mein Herz macht einen sehnsüchtigen Hüpfer, während mein Kopf nicht sicher ist was er meint. Soll ich mich nicht nochmal mit anderen Mädchen schlagen? Oder soll ich ihn nicht noch Mal von mir stoßen...? Aber irgendwann in diesen verrückten letzten Minuten habe ich meine Stimme verloren, also lehne ich nur wortlos meine Stirn an seine und sauge die Vertrautheit von Grays Nähe in mich auf. Ich spüre, wie er schwer schluckt, fühle seine Finger die sich in meinen Haaren verfangen und fühle mich zerrissen von meinen eigenen Gefühlen. Will er das hier wirklich? Oder ist das nur eine Art Pflichtgefühl seinerseits? Will er nur dem kleinen verlorenen Mädchen von dem Bild helfen oder geht es um mich als Person? Und was bedeutet es für Alexis und mich, falls auch Gray diese Nähe wie Luft zum Atmen braucht? Zerstört es die Verbindung, die ich gerade wieder zwischen uns gefühlt habe? Und wie kann ich wissen was von beidem mir wichtiger ist, wenn beide einen Teil meines Herzens besitzen?
Auch unter dem Mantel fange ich an zu zittern und spüre wie Gray als Reaktion darauf mir noch ein Stück näher kommt.
"Komm mit mir heim, bitte Bunny."
Anscheinend spürt auch er, wie die Kälte trotz allem wieder zwischen uns schneidet. so sehr der verliebte Teil von mir all seine Worte auf die eine Weise verstehen will, um ihm wieder blind vertrauen zu können, kann es der über Jahre immer wieder verletzte Teil von mir nicht. Und das ist schrecklich: Etwas so sehr zu wollen und es trotzdem nicht haben zu können. Mir kommt es vor als wäre Gray zum Greifen nah, aber ich nicht im Stande die Hand zu heben. Ich kann nichts machen, auch nicht als seine Lippen sich flehend auf meine pressen und mir stumm eine Träne über die Wange läuft.
"Lass mich dich mit nach Hause nehmen und deine Verletzungen versorgen. Lass mich für dich da sein."
So habe ich Gray noch nie gehört. Seine Stimme klingt heißer und als sein Blick meinen trifft scheint er fast verzweifelt etwas in meinen Augen zu suchen. Aber das Bild von ihm mit dem anderen Mädchen schiebt sich über meine Sicht. Ich weiß, dass sie objektiv nichts schlimmes gemacht haben. Er hat ihr aus der Jacke geholfen, aber höflich zu sein ist noch lange kein Staatsverbrechen. Das schlimme für mich war sein Lächeln. Nicht nur, dass er es jemand anderem geschenkt hat, nein es war so unbesorgt, während bei mir alles den Bach unter gegangen ist. Wieso war er da nicht für mich da?
Mein Mund fühlt sich trocken und fremd an, genauso wie die Worte, die nur stockend über meine Lippen kommen.
"I...ich kann nicht. Ich muss... Ich muss nach Alexis schauen."
Und das stimmt. Ich muss für meine beste Freundin da sein. Erst Recht nachdem ich anscheinend in der Vergangenheit so oft versagt habe.
Doch gerade als ich die Kraft gefunden habe mich von Gray zu lösen geht die Tür des Molly's auf und Alexis stolpert hinaus dicht gefolgt von Bas, Lee und einem anderen Eishockeyspieler, der mir bekannt vor kommt, doch dessen Name mir nicht einfallen will.
Allerdings schenke ich ihm auch nicht sonderlich lange Aufmerksamkeit, sondern konzentriere mich auf Alexis, die sich eine Lederjacke übergezogen hat und ihre Handtasche fest ansich drückt. Mir reicht auch ein Blick, um zu erkennen, wie sie zu den Jungs einen Sicherheitsabstand hält und bin dankbar für die Ausrede Abstand zwischen Gray und mich zu bringen, um zu ihr hinüber zu eilen und sie in die Arme zu ziehen.
Aber wirklich etwas bringen tut es trotzdem nicht. Grays Anwesenheit ist mir nur zu deutlich bewusst, genauso wie der Zwiespalt meines Herzens.
"Geht es dir gut?"
Ich wispere nur, aber so dicht an Alexis Ohr hat sie keine Probleme mich zu verstehen und ich spüre mehr als dass ich es sehe, wie sie nickt.
"Ja... Danke."
In den abgehackten Worten liegt noch so viel mehr drin, dass ich Alexis nur in stummer Unterstützung noch etwas fester umarme. Das lässt sie zittrig ausatmen, während sie sich genauso verzweifelt wie auch ich zuvor an Grays Mantel festklammert.
"Es tut mir leid. Es tut mir alles so leid. Ich war dumm und blind und stur und... Einfach die schlechteste Freundin auf diesem ganzen Planeten. Hab wie ein verletztes Tier um mich geschlagen, anstatt mir helfen zu lassen. Und dabei... Dabei ging es dir wahrscheinlich genauso mies und ich habe es nur noch schlimmer gemacht. Ich habe alles an dir ausgelassen, obwohl du doch die einzige bist die immer..."
Als Alexis Stimme bricht schnürt es auch mir den Hals zu. Vielleicht sollte ich sauer sein, verletzt davon wie sie sich verhalten hat. Aber ich glaube wir haben beide Fehler gemacht und ich bin viel zu froh sie wieder zu haben, um noch nachtragend zu sein. Also gebe ich einfach beruhigende Laute von mir und halte sie, während sie stumm schluchzt.
"Wir waren beide dumm und wir müssen beide wohl noch einiges lernen... Aber das wichtigste ist doch, dass wir es zusammen machen?"
Die Unsicherheit schlägt sich in meiner Stimme nieder und lässt das, was eigentlich als Feststellung gemeint war, wie eine Frage klingen. Doch bevor wirkliche Zweifel in mir aufkommen können nickt Alexis so heftig, dass ein riesiger Stein von meinem Herzen fällt. Mich eine Armlänge von sich schiebend schaut mich Alexis aus geröteten Augen an.
"Wir beide gegen den Rest der Welt. Daran besteht nie wieder Zweifel. Versprochen."
Als mein Blick auf unsere verschränkten Hände fallen, entdecke ich an ihrem Arm, halb versteckt unter den goldenen Armreifen, unser Armband und schlage mir eine Hand vor den Mund. Vollkommen davon eingenommen spiele ich an dem zarten Silberkettchen herum und bringe mit erstickter Stimme hervor: "Ich habe gedacht du hast es abgenommen."
Alexis verschränkt unsere Finger auf altvertraute Weise miteinander, sodass die identischen Kettchen aneinander liegen, und schüttelt vehement den Kopf.
"Ich war vielleicht nicht ganz bei mir, aber das könnte ich niemals."
Ich wische mir zugegebenermaßen ziemlich undamenhaft über die Nase, aber wen interessiert das schon, wenn sich endlich alles wieder zurecht rückt? Oder zumindest fast alles...
Als hätte Alexis meine Gedanken gelesen oder vielleicht auch einfach nur bemerkt, wie mein Blick zu Gray gehuscht ist, schiebt sie mich in seine Richtung.
"Geh zu ihm."
Ich klammere mich an ihren Händen fest, halb hoffnungsvoll halb verängstigt, weil ich zu Gray will und gleichzeitig nicht weiß wie es weitergehen soll. Und ich weiß nicht, ob ich mich damit auseinander setzen kann, während mein Gesicht sich wie ein einziger blauer Fleck anfühlt und mein Herz seine emotionale Achterbahnfahrt noch lange nicht verkraftet hat. Sich an Alexis zu halten, bis ich endlich wirklich glauben kann, dass dieser Albtraum doch noch ein Ende gefunden hat, hört sich besser an... Leichter an.
"Sollen wir nicht lieber zu dir oder mir? Popcorn und ein Gruselfilm, wie in alten Zeiten?"
Hoffnungsvoll schaue ich Alexis an und bin mir gar nicht sicher worauf ich eigentlich genau hoffe: Von ihr die Bestätigung zu bekommen, dass alles wieder wie in alten Zeiten ist, oder eine Ausrede zu haben sich nicht mit dem Mann auseinandersetzen zu müssen, dem mein Herz gehört.
Doch Alexis schüttelt entschieden den Kopf, auch wenn ihr Blick liebevoll bleibt.
"Dafür haben wir wann anders noch genug Zeit, wenn du endlich wieder das Glück zurück hast, dass du dir so verdient hast. Es tut mir Leid, ich weiß es ist meine Schuld, dass es zwischen euch beiden so kompliziert geworden ist. Aber ich habe die Dinge nicht gemeint, die ich gesagt habe. Ich wollte nur...", hilflos zuckt sie mit den Schultern, während ich sie nur sprachlos anstarre. "Ich denke, ich wollte nur etwas haben, auf das ich wütend sein kann. Vielleicht war ich auch neidisch darauf, dass du jemanden gefunden hast, der perfekt zu dir passt und alles für dich tun würde. Aber das ist absolut keine Rechtfertigung dafür seiner besten Freundin ihr Glück nicht zu gönnen. Er gehört zu den Guten und ich bin so unglaublich stolz auf dich, dass du den Mut gefunden hast jemandem zu vertrauen. Und ich will nicht, dass du auch nur eine Sekunde denkst, das wäre etwas schlechtes oder es hätte zu dem ganzen Mist hier geführt. Das was ihr beiden habt ist das schönste und beste was ich jemals gesehen habe. Und ich könnte es mir nie verzeihen, wenn es wegen mir zerstört wäre."
Alexis Worte rühren etwas ganz tief in meinem Herzen. Doch ich werde das Gefühl einfach nicht los, dass so viel passiert ist, so viel darüber liegt, dass es sich einfach nicht zur Seite räumen lässt. Ich würde ihr so gerne Glauben schenken, aber ich habe unsere Freundschaft vernachlässigt wegen Gray. Was ist wenn ich einfach nicht beides kann? Eine gute beste Freundin sein und gleichzeitig eine Beziehung führen? Ich will Alexis nicht nochmal so enttäuschen, nicht nochmal der Grund sein, dass sie verletzt wird.
"Sicher? Ich will dich nicht im Stich lassen."
Meine Stimme ist brüchig und es ist unglaublich schwer überhaupt Worte herauszubekommen, weil mein Hals von den Tränen zugeschnürt ist, die mich bei den Gedanken daran überkommen, wie allein Alexis sich gefühlt haben muss. Und das jedes Mal, wenn sie gequält wurde und ich mich nur feige versteckt habe.
"Gott, das hast du nie! Ich weiß nicht was mich geritten hat das zu sagen, ich weiß generell nicht, was die letzten Tage los war und wie ich so... Dumm sein konnte!"
Als würde sie die Worte am liebsten direkt in meine Seele brennen packt mich Alexis an den Schultern und schaut mich eindringlich an.
"Du bist die loyalste Person, die ich kenne. Es gibt keine einzige Situation, in der du mich jemals im Stich gelassen hast. Du warst jedes Mal für mich da. Vielleicht nicht immer mit einer Wrestlingeinlage wie heute, aber das war auch gar nicht nötig. Ich wusste, dass wann auch immer ich mich umdrehe du da bist und mir den Rücken stärkst. Nur deswegen habe ich das Ganze durchgestanden. Nur wegen dir."
Ich hasse es momentan so nah am Wasser gebaut zu sein, doch dieses Mal bin ich mir gar nicht darüber bewusst, dass ich weine, bis Alexis eine Träne auffängt und mich so zärtlich anlächeln, dass ich gar nicht anders kann, als sie wieder fest zu umarmen.
"Ich hab dich so vermisst."
"Und ich dich erst."
Es dauert bestimmt eine Minute, bis wir uns wieder voneinander lösen können, aber aus dem vertrauten Gefühl schöpfe ich die Kraft, um mit einem tiefen Atemzug von ihr wegzutreten und einen unsicheren Blick zu Gray zu werfen.
Sein Anblick lässt mein Herz sofort höher schlagen. Jetzt wo sich alles etwas beruhigt hat kann ich mir endlich die Zeit nehmen ihn richtig anzuschauen. Er steckt nachlässig in einem Paar Jogginghosen und das Langarmshirt spannt über seinen Schultern, weil er die Arme vor der Brust verschränkt hat, um sich vor der Kälte zu schützen. Seine Haare sind einen Tick zu sehr verstrubbelt, als dass es noch gewollt sein kann und erinnert mich wieder daran, dass ich ihn die ganze Zeit nicht auf der Party gesehen habe. Er wirkt fast so, als wäre er einfach aus dem Bett gestolpert und hier her gefahren. Und mein Herz legt noch einen Zahn zu, als mir der Gedanke kommt, dass er vielleicht nur für mich hergekommen ist.
Gray streckt fast augenblicklich eine Hand für mich aus und auch wenn ich nicht weiß was das zwischen uns beiden noch ist, besitze ich nach der ganzen Aufregung nicht die Kraft dem Bedürfnis, danach zu greifen, zu widerstehen.
Nachdem auch das letzte Adrenalin solangsam abgeklungen ist, fühlt sich mein Kiefer auf das zweifache angeschwollen an und ein pochender Kopfschmerz will sich einnisten. Mal ganz von meinen Muskeln, die eine solche Beanspruchung nicht gewohnt sind, und sich über die kleine Kampfeinlage beschweren wollen. Doch allein mich an Gray zu kuscheln lässt alles nur noch halb so schlimm erscheinen und zumindest für den Moment, will ich das einfach nur genießen. Ich spüre wie er mir einen Kuss auf den Scheitel drückt.
Alexis, die schützend die Arme um sich schlingt, verlagert nervös das Gewicht von einem auf den anderen Fuß, aber bevor ich Anstalten machen kann wieder zu ihr zu gehen, schüttelt sie leicht den Kopf und schenkt mir ein Lächeln, dass mir sagt dass alles gut ist.
"Also, ich denke ich rufe mir dann ein Taxi. Der Abend ist wohl gelaufen."
Für ihre Verhältnisse unsicher streicht Alexis sich eine Haarsträhne aus dem Gesicht und wirft ein verhaltenes Lächeln in die Runde. Ich frage mich wie diese Seite von ihr auf die Jungs wirken muss, die sie nur als das selbstbewusste Partygirl kennen. Aber ich kann in den Gesichtern der anderen nichts als Freundlichkeit erkennen und das lässt mich mich erleichtert entspannen. Unter Grays Freunden ist es nicht nötig eine Scharade zu spielen. Vielleicht ist es sogar besser sein wahres Ich zu zeigen, auch mit den verletzlichen Seiten.
"Nicht nötig, ich kann dich heim fahren. Und wir Jungs können noch ein bisschen bei mir zocken."
Der mir Unbekannte, stößt Bas und Lee an der Schulter an und erhält von ihnen verdächtig schnell ein bestätigendes Nicken, nachdem sie, einschließlich Gray, bedeutungsvolle Blicke getauscht haben. Ich bin zwar in diese stillschweigende Kommunikation nicht miteingebunden, aber es ist auch so offensichtlich was hier passiert: sie lassen uns beiden Freiraum, um alles nötige zu klären. Und das lässt mich nervös die Hände ballen und wieder öffnen.
Aber anscheinend bin ich nicht die einzige, die sich nicht sicher ist, ob ihr der Plan gefällt, denn auch Alexis sieht jetzt unbehaglich berührt aus, während sie nachdenklich den Jungen betrachtet, indessen Auto sie einsteigen soll. Das lässt auch mich Grays Teamkollegen nochmal genauer betrachten, während die Zahnrädchen in meinem Gehirn rattern. Wir haben uns unterhalten... Ich glaube sogar auch hier im Molly's. Seth... Sean... Irgendetwas in der Art. Aber ich weiß noch, dass er genauso wie heute einen beruhigenden Eindruck gemacht hat. Als würde er sich von nichts aus der Ruhe bringen lassen und alles mit einem kühlen Kopf betrachten.
"Das ist doch bestimmt total der Umweg. Ein Taxi von hier aus ist wirklich nicht teuer..."
"Eine Frau sollte um die Uhrzeit nicht mehr alleine fahren. Und es gab doch wohl schon genug Aufregung für einen Abend."
Die beiden starren sich für einen Moment an und ich kann gerade zu hören, wie zwei Sturköpfe aufeinanderprallen. Aber Alexis hat in einem entscheidend Nachteil: nicht nur hat sie eine Runde Zickenterror hinter sich, sondern will zudem wahrscheinlich wirklich nur schnellst möglich Heim. Und wer weiß, wann an Halloween das nächste Taxi hier sein kann. Also ergibt sie sich schlussendlich mit einem Seufzen und gibt mit einem Nicken ihr Einverständnis. Und zugegebenermaßen bin ich froh darüber. Denn ich weiß, dass sie bei den Eishockeyspielern gut aufgehoben ist.
Genauso wie ich mich hier in Grays Armen zum ersten Mal seit einer Woche wieder sicher fühle.
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