Kapitel 4
Man könnte meinen, ich bin eine Kriegsheldin.
Kurz vor einem Nervenzusammenbruch kralle ich mich an die breiten Schultern irgendeiner der Eishockeyspieler, die mich gefühlt seit Stunden durch die Gegend tragen, wie eine Trophäe. Ich vermisse die feste Erde unter meinen Füßen. Aber ich traue mich nicht etwas zu sagen.
Seitdem ich den Ball auch in den letzten Becher perfekt versenkt habe, ist mein Hals wie zugeschnürt. Ich stehe absolut nicht auf die ganze Aufmerksamkeit. Jeder scheint jede meiner Bewegungen zu beobachten und ich bin zu nichts anderem in der Lage als wie erstarrt mich an allem festzuklammern, dass verhindert, dass ich von den breiten Schultern des Kerls falle, der mich dort einfach abgesetzt hat als wäre er ein menschlicher Stuhl.
Alexis suche ich vergeblich in der Menge um mich und das obwohl ich durch meine erhöhte Position eigentlich den perfekten Aussichtspunkt habe. Aber alles was ich sehe ist eine Horde Eishockeyspieler die johlend auf und ab springen und dabei Gray immer wieder spaßhaft hin und her schubsen. Ich hätte erwartet, dass dieser nicht sonderlich gut gelaunt ist nach seiner Niederlage. Aber als ich sein Antlitz kurz in dem spärlichen Licht der Lichterketten um uns herum aufblitzen sehe, überrascht er mich tatsächlich mit einem Grinsen, während er eine Hand seiner Teamkollegen wegschlägt. Das nimmt mich für einen Moment so ein, dass ich gar nicht bemerke, wie Lee an meinen Stuhl und mich herantritt, bis ein Becher direkt vor meiner Nase schwebt und ich aus Reflex ihn entgegennehme.
Schwerer Fehler, wie ich eine Sekunde später bemerke, als der Kerl sich unter mir bewegt und ich nur noch eine Hand habe, um mich festzuhalten.
"Row, du bist eine Legende!"
Lee strahlt über das ganze Gesicht, aber ich bringe nur ein wackliges Lächeln zu Stande. Irgendwie komisch zu ihm hinunter schauen zu müssen. Mit meinen eins fünfundsechzig, passiert mir das nicht oft.
"Du weißt ja nicht wie lange wir schon versuchen Gray von seinem eisernen Thron zu stürzen. Also Leute!" Lee wendet sich an die anderen. "Ein Hoch auf Row, die Bezwingerin des Bierpong-Titans!"
Um mich herum erklingt zustimmendes Gegröle, was vielleicht sogar schmeichelhaft gewesen wäre, wenn nicht der Kerl, der mich hielt, ebenso in das Gebrüll eingestimmt hätte und damit mich hier oben ziemlich durchschüttelt. Oh Gott, ich glaube mir wird gleich schwarz vor Augen.
"Jaja Leute, sie hat mich vernichtend geschlagen. Ich gebe meine Krone hier mit ab."
Die schwarzen Pünktchen in meiner Sicht wegblinzelnd, versuche ich zu fokussieren, was vor mir passiert. Gray hat sich durch die Menge durchgeschlagen bis zu mir in der Mitte dieses ganzen Chaos. Aber tatsächlich redet er gar nicht zu seinen Teamkollegen, sondern steht mir zugewandt da und betrachtet mich aus funkelnden Augen.
"Aber jetzt, Bas, lässt du eure kleine Heldin lieber Mal runter. Sie ist schon ganz grün um die Nase."
Ich war noch nie jemanden so dankbar, wie Gray, als dieser mir einen Arm um die Taille schlingt und mich von dem Muskelberg, auf dem ich gesessen habe, herunterhebt. Sobald es mir sicher erscheint, meinen Klammergriff kurz zu lösen, kralle ich mich nicht mehr an Bas fest, sondern wechsle zu Gray, der mich sicher zu Boden gleiten lässt. Ich muss mich allerdings noch einen Moment länger an ihm festhalten, denn meine Knie zittern so sehr, dass ich andernfalls Angst gehabt hätte, einfach umzuknicken.
"Hm, Getränke scheinst du ja gerne über mich zu schütteln."
Irritiert richte ich meinen Blick auf Grays blaue Augen, die mich anzulachen scheinen und brauche kurz, um zu verstehen was er meint. Denn während er mich gerettet hat, habe ich den vollen Becher, den Lee mir gereicht hatte, nicht sonderlich achtsam gehalten, sodass Grays Trikot an der Schulter nun total durchnässt ist und nach Bier stinkt.
"T... Tut mir Leid."
Aus meiner Kehle will kaum ein Laut kommen, aber anscheinend nimmt Gray mir es erstaunlicher Weise nicht krumm. Stattdessen nickt er nur in Richtung der Terrasse, wobei sein Kinn meine Schläfe streift. Ich erschaudere
"Komm, bringen wir dich in Sicherheit, bevor dich diese Idioten noch zur Gottheit erklären."
Solange er mich nur aus diesem Mob bringt, würde ich ihm in diesem Moment überall hin folgen. Mit sanftem Druck schiebt Gray mich vor sich her durch seine Freunde hindurch, die mir von allen Seiten zuprosten. Ich gebe mein bestes zumindest ansatzweise freundlich zu lächeln, aber wahrscheinlich sehe ich eher aus als würde ich mir gleich in die Hosen pinkeln. Aber dafür, dass ich mich am wohlsten mit einem Buch auf der Couch fühle, ist das alles hier auch einfach etwas zu viel.
Ich fühle mich immer noch nicht sicher auf den Beinen, deshalb bin ich über die Hand, die mich am Unterarm stützt, froh, als mir Gray die Treppenstufen hochhilft. Aber wenigstens ist es hier etwas ruhiger, sodass ich so langsam das Gefühl bekomme zumindest meine eigenen Gedanken wieder hören zu können. Ganz bei klarem Verstand bin ich aber immer noch nicht. Sonst hätte ich niemals voller Vertrauen Gray eine Hand auf meinen unteren Rücken legen lassen, um mich durch die Leute zu dirigieren.
"Alexis steht da drüben und hatte dich die ganze Zeit im Blick. Pass heute Abend lieber auf dich auf, Roween, du hast eine Horde Eishockeyspieler auf dich aufmerksam gemacht."
Mir stehen sofort alle Haare zu Berge, aber bevor ich mich umdrehen und fragen kann, was er damit meint, ist Gray auch schon in der Menge verschwunden. Ich sehe nur noch seinen dunklen Haarschopf, als er die Treppen hinunter zurück in den Garten läuft. Für einen Moment stehe ich unschlüssig da, so unvermittelt ist er gegangen, doch dann reißt mich eine Berührung an der Schulter wieder ins hier und jetzt.
"Geht es dir gut?"
Besorgt mustert mich Alexis, doch ich bin nur in der Lage sie stumm anzustarren. So ganz sicher bin ich mir nicht, ob alles gut ist.
Das scheint mir Alexis auch anzusehen, denn sie drückt mir einen neuen gefüllten Becher in die Hand und nimmt mir den anderen ab.
"Trink. Das brauchst du jetzt."
Ich gehorche einfach, während sie an dem Bier schnuppert, das Gesicht verzieht und es dem nächst bestem Kerl in die Hand drückt, der an und vorbei kommt.
Was auch immer sie mir da gegeben hat, es ist stärker als die Mischung vorhin. Ich spüre den Alkohol in der Kehle brennen. Aber Alexis hat Recht. Das ist genau das was ich jetzt brauche, damit meine Gedanken nicht in die Vergangenheit abschweifen. Mein Herz klopft selbst jetzt noch so schnell, als würde es meiner Brust entfliehen wollen und alles was ich machen kann, um all die Male zu verdrängen, als es meinem Herzen ganz ähnlich erging, ist den Becher mit einem Mal zu exen, Alexis anzublicken und genau ein Wort zu sagen:
„Mehr."
Sie hinterfragt die Forderung nicht, sondern verschränkt einfach unsere Finger miteinander, wie wir es schon so oft getan haben, um allem anderen auf der Welt zu entkommen, und zieht mich in Richtung des Getränketischs. Mein Becher ist innerhalb von Sekunden wieder gefüllt, genauso wie Alexis. Ich lehne mich an die Tischkante, um mein Gleichgewicht zu behalten, nicht sicher ob es das nachlassende Adrenalin oder der Alkohol ist, der mich so unsicher auf den Beinen stehen lässt. Wahrscheinlich eine Mischung aus beidem.
Ich nehme mir meinen Becher und stoße diesen an den von Alexis, als sie ihn auffordernd hochhält.
„Darauf, dass die Leute nur noch mit uns lachen werden und nie wieder über uns."
Ich schaue ihr in die Augen und sehe darin die gleichen Bilder, mit denen ich auch zu kämpfen habe.
„Auf uns."
Wir beide trinken in großen Schlucken. Mein Blick gleitet über die Leute um uns. Auf der Rasenfläche kann ich immer noch das ganze Eishockeyteam auf einem Fleck erkennen. Sie haben eine seltsame Dynamik an sich. Als würden sie auch hier als ein Team fungieren. Ich schüttle den Kopf. Ich brauche noch mehr Abstand zu dieser Horde Verrückter.
„Sollen wir mal reingehen? Ich will... tanzen."
Keine Ahnung ob ich wirklich tanzen will, aber zumindest will ich nicht mehr hier herumstehen mit diesem beklemmenden Gefühl in der Brust.
Klar beim Tanzen bin ich immer dabei. Aber Getränke stören dabei nur."
Alexis legt den Kopf in den Nacken und leert ihren Becher und ich tue es ihr nach. Oh Mann, in spätestens einer halben Stunde werde ich das bereuen. Aber im Moment ist es mir egal, also lasse ich meinen Becher dem von Alexis in einen Müllsack folgen, der an der Tischkante befestigt ist, und taumle dann mit ihr auf die Terassentür zu. Sie ist zu, aber das warum klärt sich, sobald Alexis sie aufzieht und wir in das Innere des Hauses treten.
Die Musik haut einen fast um. Lauter Bass vibriert unter meinen Füßen und für einen Moment befürchte ich nie wieder richtig zu hören. Aber dann greift Alexis zum wohl hundertsten Mal an diesem Abend meine Hand und schleift mich weiter hinein.
Nur am Rande bemerke ich, dass wir uns in einer Küche befinden. Überall an den Wänden und Schränken lehnen Pärchen oder kleine Freundesgruppen und versuchen ihr Bestes sich etwas über die Musik zu zurufen. Viele der Pärchen scheinen das allerdings schon aufgegeben zu haben und lassen lieber andere Dinge als Worte sprechen.
Aber wir verweilen hier nicht. Unser Weg führt uns einmal quer durch die Küche, wobei wir eine echt schicke Kücheninsel umrunden müssen, zu einem großen Türbogen, der in einen Raum führt, von dem ich nicht mehr erkennen kann, was er eigentlich darstellen soll, denn alles was man sieht sind Menschen, die sich als eine große Masse zur Musik bewegen. Irgendwo in meinem Hinterkopf schrillen Alarmglocken, aber der Nebel in meinem Kopf ist inzwischen dicht genug, als dass ich sie ignorieren kann.
Alexis bleibt nicht am Rand der Menge stehen, sondern drängt sich durch die Menschen hindurch. Dass wir dabei an zig andere stoßen, scheint hier niemanden mehr etwas auszumachen. Und nachdem mir für einen Moment die Luft wegbleibt, so... beengend ist es zwischen all den Leuten, entscheide ich mich, einfach loszulassen und mich von der Rhythmik um mich herum treiben zu lassen.
So kommt es, dass ich diejenige bin, die Alexis an der Hand zurückzieht und sie damit zwinge stehen zu bleiben. Passender Weise setzt zur gleichen Zeit ein neues Lied ein und ich bin sofort hin und weg von der düsteren Energie, die es verströmt. Ich bemerke noch Alexis fragenden Blick, dann schließe ich die Augen und lasse alle Gedanken los. Die Musik übernimmt die Führung zusammen mit dem Alkohol, sodass ich kaum spüre, wie sich mein Körper bewegt. Es ist mir auch egal, wie untypisch es eigentlich für mich ist, als ich erotisch die Hüfte schwinge und an dem Ausschnitt meines Oberteils entlangfahre.
Irgendwann spüre ich zwei Hände auf meinen Hüften und öffne blinzelnd die Augen, nur um Alexis zu erblicken, die ihrerseits den Kopf in den Nacken gelegt hat und sich von der pulsierenden Energie in der Menge wegtragen lässt. Ich schlinge ihr ebenfalls die Arme um den Hals und zusammen verfallen wir in einen anrüchigen Tanz. Aber ich mache mir kaum noch Gedanken darüber, was die Leute um uns denken könnten. Die meisten scheinen sowieso ebenfalls den Kopf einfach ausgeschalten zu haben.
Die Übergänge zwischen den Liedern werden immer flüssiger. So kommt es mir zumindest vor. Schon bald weiß ich nicht mehr, wie lange wir schon hier sind. Als ein fremdes Mädchen meine Hand ergreift und Alexis und mich in eine größere Runde zieht, bin ich nicht mal ansatzweise so zurückhaltend, wie ich es sonst immer bin. Stattdessen lege ich den Kopf in den Nacken und lache herzhaft, während ich die Arme in die Luft strecke. Danach scheinen wir uns immer weiter durch den Raum zu bewegen. Mal wird Alexis von einigen Typen zu ihnen gezogen und ich folge ihr, denn das einzige worauf ich noch achte, ist sie nicht zu verlieren und keine Hände an Stellen wandern zu lassen, an denen ich sie nicht haben will.
Die Gesichter um mich herum sind so verschwommen, dass ich sogar Cass beinahe nicht erkannt habe, als sie vor mir steht.
Aber meine Mitbewohnerin scheint sich in ähnlichen Sphären wie ich zu bewegen. Ihren Freudenschrei kann ich über die Musik nicht hören, aber im nächsten Moment liegen wir uns in den Armen und ich grinse dümmlich in ihre Haare, die ihr in einem Afro vom Kopf stehen.
„Oh mein Gott, du bist wirklich hier!"
Selbst dicht an meinem Ohr muss sie noch schreien, damit ich sie verstehen kann.
„Klaro. Hast du noch nicht von meiner rühmlichen Tat gehört? Ich habe Gray im Bierpong besiegt."
Cass schiebt mich an den Schultern zurück und starrt mich geschockt an. „Du veraschst mich! Jonah Grayham wurde im Bierpong besiegt?"
Jonah Grayham?
Ich brauche einen Moment, um zu verstehen, dass Gray anscheinend ein Spitzname sein muss, aber dann grinse ich wieder und nicke eifrig, obwohl ich noch nicht mal weiß, weshalb ich auf einmal stolz darauf bin. Aber Cass scheint im nächsten Moment eh wieder vergessen zu haben, über was wir es hatten, denn ein neues Lied beginnt und sie fängt an wie ein Kleinkind auf und ab zu springen.
„Oh mein Gott, das ist mein Song! Tanz mit mir, Row!"
Und das tue ich. Der Beat ist schnell und ich merke, wie ein dünner Schweißfilm mich überzieht, aber es tut so gut mit Cass wie eine Verrückte herumzuhüpfen und all die Energie herauszulassen, dass es mir nichts ausmacht, danach total außer Atem zu sein.
Wir bleiben noch für ein paar Lieder zusammen, bis Cass von einer ihrer Freundinnen angetippt wird und sich von mir verabschiedet. „Wir sehen uns zu Hause!"
Ich winke ihr zu, als sie durch die Menge verschwindet und bleibe einen Moment stehen. Meine Ohren rauschen und ich muss überrascht feststellen, dass still stehen gar nicht so einfach ist. Ich muss einige Ausfallschritte machen, um das Gleichgewicht zu halten und obwohl ich mich nicht mehr bewege, scheint sich der Raum um mich herum zu drehen. Aber anstatt besorgt zu sein, muss ich in mich hineinkichern.
Verdammt, ich bin betrunken. Ich versuche mich zu fassen, aber die Augen schließen ist eine schlechte Idee, wie ich schnell bemerke. Also öffne ich sie wieder und versuche einige tiefe Atemzüge zu nehmen. Aber unter all den Leuten ist die Luft so schlecht, dass das eh kaum etwas bringt. Vielleicht ist es an der Zeit mal wieder raus zu gehen.
Suchend blicke ich mich nach Alexis um, kann sie aber nirgendwo in der Nähe sehen. Ich habe ganz vergessen, darauf zu achten wo sie hingeht, während ich mit Cass getanzt habe. Unsicher beiße ich mir auf die Lippen und bin mir nicht sicher, was ich tun soll. Ich könnte sie suchen, aber das erscheint mir nicht die beste Idee, in Anbetracht der Menge an Leuten hier. Aber einfach stehen bleiben wird wohl auch nichts bringen.
Die Entscheidung wird mir glücklicher Weise abgenommen, als ich ein vertrautes Gesicht sehe und bevor ich mir überhaupt sicher bin, ob das eine gute Idee ist, haben sich meine Beine auch schon in Bewegung gesetzt.
„Huch, Entschuldigung." Ich tätschle die Schulter des Kerls, gegen den ich gestoßen bin und wanke weiter auf mein Ziel zu.
„Hey Jeremiah!"
Ohne genau darauf zu achten, mit wem er da gerade getanzt hat, klammere ich mich an seinem Unterarm fest, um das Gleichgewicht zu halten, was mir einen bösen Blick beschert. Zumindest bis der Idiot mich zu erkennen scheint, und die Wut in Überraschung und dann Belustigung umschlägt.
„Row, Row, Row, bist du etwa betrunken?"
Irgendwie klingt das abwertend. Ich runzle die Stirn, aber schüttle dann den Kopf. Auch egal.
„Hast du Alexis gesehen? Ich suche Alexis."
Neben mir erklingt ein aufgebrachtes Schnaufen und ich werfe dem Mädchen, das wohl gerade noch in Jeremiahs Armen gelegen hat, einen kurzen Blick zu. Sie hat die Arme verschränkt und scheint nicht sonderlich angetan von der Unterbrechung.
„Nein, ich habe sie nicht gesehen, aber wenn du willst kannst du gerne hier bei mir bleiben."
Ich weiß nicht was von beiden es ist, dass mir wieder etwas Vernunft einhaucht. Entweder sein schleimiges Lächeln oder seine Hand, die mit einem Mal gefährlich tief auf meiner Hüfte liegt. Auf jeden Fall erinnert sich ein Teil von mir wieder daran, dass er ein ekliger Schleimbeutel ist und ich von ihm keine Hilfe zu erwarten habe. Also stolpere ich nach hinten, um außer Reichweite seiner Hände zu kommen und winke ab.
„Ne danke, ich such sie dann mal weiter!"
Ohne auf eine Erwiderung zu warten drehe ich um und schlage mich wieder durch die Menge. Hauptsache weg von ihm. Erst nach einigen Metern versuche ich mich wieder zu orientieren und steuere die Richtung an, von der ich glaube, dass dort die Küche liegt. Tatsächlich komme ich auch irgendwann an dem großen Türbogen an, allerdings kann ich nicht ganz ausschließen, dass ich vielleicht auch einige Male im Kreis gelaufen bin.
In der Küche scheint sich die Anzahl der knutschenden Pärchen im Vergleich zu vorhin noch mal verdoppelt zu haben und ich halte den Blick aus gleich zwei Gründen gesenkt: Erstens weil es mir hilft gerade zu laufen und zweitens um nicht unabsichtlich nicht jugendfreie Dinge zu sehen.
Als ich die Terrassentür endlich erreicht habe, stoße ich sie erleichtert auf und nehme als aller erstes einmal einen tiefen Atemzug. Frische Luft ist herrlich. Erst danach fällt mir auf, dass sich hier draußen etwas verändert hat. Zum einen ist die Musik aus, aber das auffälligere ist, dass die Leute nicht mehr in Gruppen verteilt über der Terrasse stehen. Stattdessen hat sich ein Rang am Rande der Terrasse gebildet und alle scheinen wie gebannt in den Garten hinunter zu schauen.
Neugierig stolpere ich nach vorne und suche mir eine kleine Lücke, durch die ich einen Blick auf was auch immer da geschieht erhaschen kann. Auch dort haben sich alle in einem Kreis aufgestellt, in dessen Mitte ein kleiner freier Platz entstanden ist. Eigentlich sollte es mich nicht wundern das genau da, umgeben von allen anderen, das Eishockeyteam in seinen Trikots steht. Inzwischen sind sie sogar zusätzlich noch mit Schlägern ausgerüstet und... ist das Farbe in ihren Gesichtern?
Ich beuge mich vor in dem Versuch etwas mehr zu erkennen, aber es hilft nicht viel. Dafür aber entdecke ich ein anderes Gesicht in der Menge. „Lex!"
Natürlich kann sie mich über die Entfernung nicht hören, denn sie steht ein gutes Stück entfernt von der Terrasse in der ersten Reihe und macht Lee mal wieder schöne Augen. Also präge ich mir ihre Position ein, drehe mich um und dränge mich durch die Leute auf die Treppe zu. Von einigen bekomme ich forsche Worte zugeworfen, als ich rücksichtslos mich an ihnen vorbeidrücke, aber ich blende es einfach aus und kämpfe mich weiter voran. Ich habe es gerade runter auf die Rasenfläche geschafft, als sich über die ungewöhnliche Stille eine tiefe Stimme erhebt.
„Zwei gewonnene Meisterschaften im letzten Jahrzehnt, sechs Mal im Finale und jedes Mal im Halbfinale. Wir blicken auf eine lange Tradition erfolgreicher Eishockeyspieler zurück. Auf Legenden des Sportes, auf Kampfgeist und harte Arbeit. Wir kämpfen für unseren Erfolg, opfern Schweiß und Blut und kein Tropfen ist verschwendet!"
In unheimlichem Einklang erklingt die Antwort im Chor: „Kein Tropfen ist verschwendet!"
Mich überzieht eine Gänsehaut und jetzt schlängele ich mich viel vorsichtiger durch die Leute, als könne eine falsche Bewegung die seltsame Stimmung, die sich plötzlich über alle gelegt hat, stören.
„Wir sind mehr als Spieler. Wir sind mehr als ein Team. Wir sind eine Familie mit einem Ziel: Die Meisterschaften! Wir schwören, uns diesem Ziel zu verpflichten. Die Opfer zu erbringen, die es erfordern wird, und unseren Brüdern in allem beizustehen, sie an erste Stelle zu setzen und nichts und niemanden zwischen uns kommen zu lassen!"
Ich kann inzwischen Alexis von hinten sehen. Noch durch diese winzige Lücke durch und ich habe es geschafft...
„Wir schwören!"
Die Worte nehmen mich in Bann, als ich den letzten Meter an Alexis Seite stolpere und sich das Spektakel mit einem Mal vor mir ausbreitet. Auch Alexis scheint viel zu gefesselt, um mich wirklich wahrzunehmen.
Ich kann über die breiten Schultern der Spieler kaum sehen, aber auch sie haben sich zentrisch aufgestellt und halten alle ihre Schläger verkehrtherum in der Hand. Das kommt mir komisch vor bis einer von ihnen beginnt rhythmisch mit dem Schlägerende auf die Erde zu klopfen. Es ist unheimlich, wie sich dieses leise Geräusch über alles auszubreiten scheint, denn es kommt mir vor als würden die Leute nicht einmal mehr Atmen, so still ist es geworden.
„Wir siegen und fallen zusammen."
Die Worte sind voller Ernst gesagt. Ein Versprechen.
Der nächste Spieler steigt in den Rhythmus mit ein und schafft es wenn möglich meine Gänsehaut noch zu verstärken.
„Wir siegen und fallen zusammen."
Und so verbreiten sich die dumpfen Schläge und Worte den Kreis entlang, beginnen einen Sog zu bilden, der einen wie automatisch im gleichen Rhythmus mit dem Fuß aufstampfen lässt, bis der ganze Garten von einem Herzschlag erfüllt ist. Mir ist gar nicht richtig klar, dass ich selbst mitmache, bis nach einem finalen Schlag auf einmal alles still wird. Dieses Mal bin ich mir sicher, jeder hält die Luft an und beobachtet, was als nächstes passiert.
Die Spieler drehen sich alle zu gleich um. Ich hatte vorhin recht, sie haben sich wirklich mit blauer Farbe eine Art Kriegsbemalung ins Gesicht geschmiert. Aber in diesem Moment wirkt es gar nicht mehr so lächerlich, sondern verleiht den scharfen Blicken der Jungs den letzten Schliff, um einen zittrig nach Luft schnappen zu lassen. Als das nächste Mal jemand spricht, ist es ein dunkelhäutiger Riese, den ich vorhin nur am Rande der Gruppe wahrgenommen habe. Er lässt seinen Schläger locker von einer in die andere Hand gleiten und als er die Stimme erhebt, wird mir klar, dass er schon die ganze Zeit derjenige gewesen ist, der gesprochen hat.
„Wir haben gelobt alles uns nur Erdenkliche zu opfern, für eine Saison, die niemand so schnell vergisst. Aber was seid ihr bereit zu opfern? Wer von euch verpflichtet sich mit uns einen Teil von sich zu geben? Tretet vor!"
Ich weiß nicht was im nächsten Moment genau passiert. Alles was ich weiß ist, dass der letzte Tag angebrochen sein muss, denn um mich herum bricht das Chaos aus, als über ein Dutzend Mädchen sich mit einem Mal vordrängen. Die Art und Weise, wie dafür sogar Ellenbogen in Einsatz kommen, macht mir klar, dass ich hier auf jeden Fall schleunigst Platz machen sollte.
In der Hoffnung Alexis und mich schnell genug aus der Schussbahn zu bekommen greife ich nach ihr. Allerdings kommt sie mir zuvor... nur dass sie mich ins Innere dieses ganzen Chaos schubst.
Bạn đang đọc truyện trên: AzTruyen.Top