Kapitel 39

Ich bin am nächsten Morgen vor Gray wach und komme nicht umhin ihm beim Schlafen zu beobachten. Es ist so friedlich und lässt in mir ein warmes wohliges Gefühl aufsteigen. Als wäre ich genau hier richtig.

Nach letzter Nacht fühle ich mich schon... Anders. Aber auf eine positive Art. Gray war der Richtige, genauso wie gestern der richtige Zeitpunkt gewesen ist. Ich habe mich ihm voll und ganz hingegeben, auf jede erdenkliche Art und Weise, und ich fühle mich gut damit.

Mit einem Lächeln auf den Lippen beobachte ich, wie der Wecker auf Grays Nachtisch von 7:59 auf 8:00 Uhr umspringt und gleichzeitig zu klingeln anfängt. Gray gibt ein Stöhnen von sich und dreht sich mehr im Schlaf als im Wachen um, um auf den Ausknopf zu drücken, bevor er sich über das Gesicht reibt.

"Guten Morgen."

Ich begrüße Gray mit einem Lächeln, als er den Kopf verschlafen blinzelnd  zu mir wendet und sich durch die Haare fährt.

"Morgen, Bunny."

Ich weiß, eigentlich sollte ich es nicht, aber inzwischen freue ich mich sogar über diesen dämlichen Spitznamen. Auch wenn es meine feministische Seite gequält aufschreien lässt. Doch ich kann mir kaum noch vorstellen von ihm anderes genannt zu werden. Und auch wenn der Ursprung des Namens... Fragwürdig ist, klingt in Grays Stimme etwas so liebevolles mit, wenn er mich Bunny nennt, dass ich es gar nicht beleidigend auffassen kann.
Gray legt eine Hand um meinen Hinterkopf, um mich zu sich heranzuziehen und einen Kuss auf meine Stirn zu platzieren.

"Wie fühlst du dich? Tut dir etwas weh?"

Über seine Direktheit errötend schüttle ich den Kopf, während ich mich an ihn kuschle.

"Etwas... Ungewohnt, aber alles gut."

Ich spüre an meiner Stirn, wie er zu grinsen beginnt und erwarte seinen Spruch bereits mit einem Augenverdrehen.

"Daran können wir etwas ändern."

Lachend aber entschieden schlage ich seine Hände weg, als diese auf Wanderschaft gehen wollen und ziehe die Decke mit mir hoch, als ich mich aufsetze, mir nur zu bewusst, dass ich nicht mehr als BH und Höschen trage. Trotzdem versuche ich den Umständen entsprechend so entschlossen wie möglich rüberzukommen als ich sage: "Oh nein, ich will pünktlich zu meiner Vorlesung kommen."

Mit einem schiefen Grinsen zupft Gray an meinen Haarspitzen.

"Ach komm schon, Bunny. Manchmal muss man auch einfach Mal etwas Ungezogenes machen."

Oh, was er da im Kopf für hat ist mir nur zu klar. Aber da hat er mit mir die falsche Rechnung gemacht.
Mit einem spielerischen Lächeln beuge ich mich zu ihm herunter und stoppe keinen Zentimeter vor seinen Lippen.

"Hast du mir gestern etwa nicht zugehört? Ich bin immer die artige Schülerin."

Mit einem Kuss auf seine Wange ziehe ich mich kichernd gerade schnell genug zurück, um seinen Händen zu entkommen. Eigentlich hatte ich vor mit der Decke aus dem Bett zu fliehen, aber leider bekommt Gray die Decke noch zu fassen, sodass wir um sie ringen, bis Gray sie mir mit einem Ruck aus den Händen zieht und ich mit einem Quicken die Arme um mich schlinge. Nicht, dass das wirklich etwas bringen würde, aber die Reaktion ist genauso automatisch, wie dass mir das Blut in den Kopf schießt.

"Du Idiot, schau weg!"

Lachend setzt sich auch Gray im Bett auf und lässt dabei völlig ohne Scham die Decke bis zur Hüfte rutschen. Wieso fühlt er sich halb nackt nur so wohl?!

"Süße, daran solltest du dich lieber gewöhnen."

Mit einem wütenden Schnauben schnappe ich mir ein Kissen und schlage nach diesem selbstverliebten Idioten, der meinen Angriff nicht kommen sieht und das Kissen voll ins Gesicht bekommt. Sein Lachen wird zu einem Prusten, was wiederum mich in grimmiger Zufriedenheit grinsen lässt.

"Tja, und du dich lieber daran, mit einer so großen Klappe, mein Lieber."

Ich nutze die Gelegenheit und schnappe mir die Decke, um mich darin einzuwickeln, während Gray das Kissen von seinem Gesicht nimmt und mich böse anfunkelt. Doch wirklich lange kann er den ernsten Gesichtsausdruck nicht halten, da schüttelt er mit einem Seufzen den Kopf und grinst mich im nächsten Moment an.

"Tut mir Leid, aber du siehst viel zu niedlich aus, um dir böse zu werden."

Entrüstet klappt mir der Mund auf und ich will schon wieder nach dem Kissen greifen, um diesen Idioten etwas Respekt zu lehren. Doch dieses Mal ist Gray schneller und bringt das Kissen vor mir in Sicherheit, indem er sich lachend darauf rollt.

"Oh nein, Bunny. Zweimal kannst du mich damit nicht überraschen!"

Frustriert stampfe ich mit dem Fuß auf und weiß nicht so Recht, was ich sonst machen kann. Also verschränke ich einfach die Arme, um zu gewährleisten, dass meine Decken-Tunika an Ort und Stelle bleibt.

"Du bist echt einfach... Einfach unmöglich!"

Mit einem breiten Grinsen schaut Gray zu mir auf und hält mir auffordernd eine Hand hin.

"Und du bist süß, wenn du wütend bist. Schön, dass wir das jetzt geklärt haben. Darf ich jetzt bitte noch eine Minute meine Freundin in den Arm nehmen, bevor ich sie wieder den ganzen Tag nicht sehe?"

Ich hasse ihn dafür, dass er mit diesen Worten meine Verteidigung zu Fall bringen kann, einfach nur weil mein dämliches Herz sofort in seine Arme hüpft und mein Körper es ihm nachtut. Ich kann also nur ein beleidigtes Schnauben von mir geben, um nochmal meinen Standpunkt klar zu machen, bevor ich meine Hand in seine lege und mich von ihm an sich ziehen lasse. Als Entschädigung erhalte ich einen Kuss auf den Hals.

"Danke."

Grays Atem kitzelt an meinem Ohr, als er spricht und ich schiebe es ganz feige einmal darauf, dass ich gar nicht anders kann als zu lächeln.

"Du bist trotzdem ein Idiot."

Lachend verschränkt Gray seine Hände vor meinem Bauch.

"Damit kann ich leben, solange dieser Idiot in deiner Nähe sein darf."

Ich würde ihn gar nicht wo anders haben wollen. Aber anstatt das auszusprechen zeige ich es ihm lieber, indem ich mich umdrehe und ihn sanft küsse. Allerdings bleibt es nicht lange romantisch, da unterbricht Gray unseren Kuss, indem er wieder zu kichern anfängt.

"Gott, du bist echt unglaublich niedlich wütend. Ich glaube allein deswegen muss ich dich öfter auf die Palme bringen."

"Unterstehe dich!"

Der Schlag, den ich ihm auf die Brust versetze, scheint Gray nicht sonderlich zu stören. Er hält nur grinsend meine Hände fest und meint: "Mich würde es nur zu sehr interessieren, wie du als Kind aussahst. Wahrscheinlich konnten deine Eltern dir keinen Wunsch ausschlagen."

Ich habe nicht sonderlich viele Wünsche geäußert, aber ja die meisten habe ich wohl erfüllt bekommen. Unsicher beiße ich mir auf die Lippe und betrachte Grays Gesicht für einen Moment. Seine Augen funkeln, als würde er sich mich als Kind gerade nur zu lebhaft ausmalen.

"Also wenn du willst... Ich habe ein Bild."

Fragend zieht Gray eine Augenbraue hoch und meine Wangen erwärmen sich.

"Ein Bild von Alexis und mir Anfang sechste Klasse. Ich habe es im Geldbeutel, wenn du es sehen willst."

Ich gebe einen überraschten Laut von mir, als Gray uns innerhalb eines Wimpernschlages hochzieht und mich auf die Beine stellt.

"Wo ist deine Handtasche?"

Lachend halte ich mich an seinen Schultern fest, um das Gleichgewicht zu halten, während Gray sich suchend im Raum umschaut. Ich kann gar nicht anders, als ihn zu küssen, so begeistert sieht er aus. An meinen Lippen grinsend murmelt Gray: "Das ist unfair. Du lenkst mich ab."

Trotzdem ist er derjenige, der zu einem zweiten Kuss ansetzt.
Kichernd wende ich den Kopf ab, sodass er meine Wange statt meiner Lippen trifft und deute ans Fußende des Bettes.

"Da ist meine Tasche. Und jetzt lass mich los, dann kann ich auch das Bild holen."

Aber Gray wäre nicht Gray, wenn er nicht einen eigenen Kopf hätte. Anstatt mich also loszulassen hebt er mich samt der Decke, in die ich noch immer eingepackt bin, hoch macht einen Schritt, um sich die Tasche zu packen und setzt sich dann aufs Bett, sodass ich auf seinem Schoß sitze. Das ganze geht so schnell, dass ich mich nur überrascht an ihn klammern kann und dann auch schon die Tasche in die Hand gedrückt bekomme.

"Zeig!"

Belustigt schüttle ich den Kopf, gehorche aber, auch wenn Gray sich mehr nach einem kleinen Jungen als einem ausgewachsenen Mann anhört.
Aber eigentlich bin ich ganz froh über diese ablenkenden Gedanken, denn kaum dass ich mein Geldbeutel aus der Tasche fische beginnt mein Herz nervös zu klopfen. Dieses Bild habe ich noch nie jemanden gezeigt. Ich habe es immer bei mir als eine Erinnerung daran woher ich komme und wieso ich heute diejenige bin, die ich bin. Es ist eine Mahnung und gleichzeitig eine Ermutigung und hätte ich in den letzten 24 Stunden mich nicht sowieso in jeder Hinsicht vor Gray enthüllt, hätte ich mich nicht getraut, das Bild aus dem kleinen Fach zu nehmen und es Gray zu geben.

Das hier kommt mir privater vor als mein erstes Mal. Vielleicht weil das Mädchen auf dem Foto noch so unschuldig ist. Sich noch keine dicke Haut angelegt hat und ich sie hier gerade entblöße. Der Gutherzigkeit von Gray ausliefere. Ich komme damit zurecht, wenn man mich verurteilt. Vielleicht habe ich das mit meinem Verhalten das letzte Jahr sogar verdient, es selbst herausgefordert. Aber dieses Mädchen hat niemandem etwas böses getan und auf das Foto zu schauen und zu wissen, was sie und ihre beste Freundin noch alles durchzustehen haben, lässt mein Herz bluten. Und ich kann nichts dagegen tun. Kann nichts tun, um den beiden Mädchen das glückliche Lächeln auf den Gesicht zu erhalten. Ich weiß, dass ein Jahr später, als meine Eltern aus Tradition genau das gleiche Bild noch einmal aufgenommen haben, wir schon anders blicken. Das Strahlen fehlt in unseren Augen, das Lächeln ist nicht mehr so ehrlich. Wir wirken stumpf, als hätte man uns einen Teil der Lebensfreude entzogen.

Deswegen habe ich dieses Foto gewählt. Es ist wie ein vorher-nachher Vergleich mit meinem Spiegelbild und manchmal habe ich das Gefühl absolut gar nichts mit diesem Mädchen gemeinsam zu haben. Sie wollte damals am liebsten jedem helfen, war schüchtern aber offen gegenüber Personen und hat überall nur das Gute gesehen. Sie war tatsächlich unschuldig.

Gray hält das Bild voller Ehrfurcht in der Hand und ich lehne den Kopf an seine Schulter, um es mir mit ihm anschauen zu können, auch wenn ich jedes Detail auswendig aufmalen könnte.
Alexis und ich stehen nebeneinander, unsere Schulrucksäcke auf dem Rücken und einen Arm um die Schultern des jeweils anderen gelegt. Alexis strahlt in die Kamera. Sie hat das Kinn leicht nach oben gestreckt und in ihren Haaren ist eine rosa Strähne, die sie sich schon den ganzen Sommer über gewünscht hat. Dazu passend trägt sie eine rosa Leggings, die sie in nächster Zeit sehr oft tragen sollte, weil all ihre anderen Hosen ihr zu eng geworden sind. Aber im Gegensatz zu einem Jahr später hat sich die Alexis auf diesem Foto noch kein einziges Mal Gedanken über ihre Figur gemacht. Sie ist einfach ein Kind, dass wie alle anderen auch Eis und Süßkram liebt.
Daneben stehe ich. Ein Kontrast zu Alexis, die selbst auf dem Foto hibbelig und voller Energie wirkt. Ich lächle nur schüchtern in die Kamera, halte den Kopf leicht gesenkt. Meine Haare sind zu einem Pferdeschwanz zusammengebunden und weil ich zu der Zeit gerade meinen Pony habe rauswachsen lassen habe ich ein halbes Dutzend lila Haarklammern auf dem Kopf. Ich habe keine Klischee-Brille oder Zahnspange, aber das Buch in meiner freien Hand verrät mich trotzdem.

"Wow. Ich habe noch nie ein schöneres Bild gesehen."

Gray drückt mir einen Kuss auf die Schläfe, aber ich kann noch immer nicht den Blick von dem Foto abwenden, während meine Augen verräterisch brennen. Ich wünschte diese beiden Mädchen hätten für immer in ihrer heilen Welt bleiben können.

"Ach was, lüg doch nicht."

Als würde Gray spüren, dass ich Halt brauche, drückt er mich noch etwas fester an sich und legt sein Kinn auf meinen Scheitel.

"Ich lüge nie. Dieses Bild ist ehrlich. Das sind zwei Kinder, die noch nicht lernen mussten, der Welt etwas vorzuspielen. Sie sind einfach wie sie sind und es gibt nichts schöneres als das."

Ich versuche so leise wie möglich zu schniefen, unsicher ob ich aus Rührung oder Trauer kurz vor den Tränen stehe.

"Tja, sie werden es bald genug lernen."

"Ja, und so schlimm das auch ist, kann ich aus persönlicher Erfahrung sagen, dass daraus zwei bewundernswerte, starke Frauen hervorgegangen sind. Ich liebe dieses Bild. Und ich liebe die Frau, zu der dieses kleine unschuldige Mädchen geworden ist. Ich kann nur hoffen, dass meine Tochter später einmal genauso wird."

Mein Herz zerbricht und heilt gleichzeitig an diesen Worten. Mit einem Schluchzen drehe ich mich so weit, dass ich Gray die Arme um den Hals schlingen kann und berge das Gesicht an der Kuhle zwischen Schulter und Hals. Auch er legt die Arme um mich und ich liebe ihn dafür, dass er mich einfach hält, während Risse in mir heilen, von denen ich gedacht habe für immer mit ihnen Leben zu müssen. Ich vertraue diesem Mann mehr als jedem anderen und die Gefühlslawine, die das in mir auslöst, droht mich zu überrollen. Also versuche ich so viel wie möglich davon in den Kuss zu legen, den ich Gray gebe, bevor ich von ihm herunterrutsche und mit gesenktem Kopf Richtung Bad husche.

"Ich geh mich fertig machen."

Bevor ich in den Nachbarraum verschwinde, um meinen Nerven eine Chance zu geben sich zu beruhigen, werfe ich einen letzten Blick zu Gray, nur um zu sehen wie er vertieft in die Betrachtung meines jüngeren Ich's erfürchtig mit dem Daumen über das Bild reibt. Er geht mit einem Foto sanfter um, als es die meisten mit mir als realer Person umgegangen sind. Und das treibt mir wieder die Tränen in die Augen.

***********

Ich bin den ganzen Tag etwas neben der Spur. Vielleicht liegt es daran, dass ich das erste Mal das Gefühl habe, dass es in meinem Leben etwas wichtigeres als die Schule oder das College gibt. Jedenfalls kommt mir alles etwas... Leichter vor, sobald sich meine Gefühle mit Abstand zu Gray etwas beruhigen konnten. So als hätte alles nur noch halb so viel Gewicht und erst dadurch fällt mir auf, dass ich schon seit Ewigkeiten nicht mehr richtig durchatmen konnte.

Als ich am Abend an meinem Schreibtisch sitze, lasse ich den letzten Tag nochmal reveu passieren und kann teilweise noch immer nicht so richtig glauben, dass das alles wirklich passiert ist. Und dass es mir Gray näher gebracht hat, anstatt ihn von mir weg zu treiben. Ich weiß, dass ich mich eigentlich lieber auf das Nacharbeiten meiner Vorlesung konzentrieren sollte, aber das ist gar nicht so leicht, wenn man andauernd aus unerfindlichen Gründen grinsen muss oder aufs Handy schaut, in der Hoffnung, dass der Freund bald mit dem Training fertig ist.

Ja, mein Freund. Und schon wieder ist da dieses sämtliche Grinsen.

Allerdings hat es den Vorteil, dass ich es dieses Mal mitbekomme, als Alexis mir schreibt, dass sie gleich vorbeikommt und ich damit vorgewarnt bin, als es an der Haustür klingelt. Da ich mich sowieso bereits mit meinen eigenen Gedanken vom Nachbereiten unterbrochen habe, macht es mir auch nicht sonderlich viel aus aufzustehen und zur Tür zu laufen, um Alexis zu empfangen.

"Hi, komm rein."

Überrascht so schnell die Tür geöffnet bekommen zu haben - normaler Weise dauert das in dieser WG nämlich immer ein bisschen - blickt Alexis von ihrem Handy auf, dass sie zuvor konzentriert angestarrt hat. Neugierig ziehe ich eine Augenbraue hoch.

"Was gibt es denn so Interessantes?"

Alexis seufzt erschöpft und ich mache ihr Platz, damit sie in die Wohnung kommen kann, während sie mir ihr Handy in die Hand drückt.

"Darauf wurde ich von einer gewissen car_ly97 markiert."

Mit einer bösen Vorahnung betrachte ich das Bild, dass den Handybildschirm ausfüllt, und werde nicht enttäuscht. Es zeigt eine leicht bekleidete Frau in einer obszönen Pose und nebendran eine Nacktschnecke, die verdächtig ähnlich dasitzt. Über das ganze Bild ist ein Text gezogen, der sagt: 'Regt euch nicht über die B*tches auf. Karma wird sie einholen.'

"Dazu hat sie geschrieben 'Herzlichen Dank, dafür dass ich wieder Single bin'. Scheint also so, als wäre ich jetzt Schlampe und Beziehungszerstörerin."

Alexis hat einen stählernen Gesichtsausdruck aufgesetzt, der andere vielleicht getäuscht hätte. Aber ich weiß, dass sie sich nur dann so verschließt, wenn ihr in Wahrheit etwas wirklich Nahe geht. Also mache ich das erste was mir einfällt und ziehe sie in eine feste Umarmung. Denn was auch immer passiert, sie ist nicht allein.

"Das ist absolut ungerechtfertigt. Die Beziehung hat schon lange gebröckelt, wenn der Kerl sich beim Feiern auf jemanden einlässt. Und erst Recht, wenn er sich danach sogar gleich nochmal an dich ranschmeißt, während er mit seiner Freundin unterwegs ist. Das war nur der letzte Tropfen, der das Fass zum Überlaufen gebracht hat. Die wahre Ursache sollte Carly bei sich selbst suchen, denn wenn sie auch nur halb so verrückt während der Beziehung gewesen ist, kann ich absolut verstehen, weshalb der Kerl reißaus nehmen wollte."

Alexis schnieft an meiner Schulter und drückt mich einmal fest an sich, bevor sie sich löst, um sich über die Augen zu reiben.

"Danke. Das ist genau das, was ich zu hören gebraucht habe. Dieses Mädchen macht mich noch ganz verrückt!"

Aufgeregt wirft meine beste Freundin die Hände in die Luft und schenkt mir dann ein schiefes Lächeln, dass eher halbherzig wirkt.

"Ich sollte mir einfach keine Gedanken machen. Carly kann mir nichts und irgendwann muss auch sie ihre Hirngespinste Mal loslassen."

Alexis nimmt einen tiefen Atemzug, als müsse sie diese Worte in sich aufsaugen, bevor sie mich mit einem weitaus ehrlicheren Lächeln betrachtet.

"Genug von mir. Wie war es mit Gray bei seinen Eltern?"

Sie hat die Frage noch nicht ganz ausgesprochen, da fühlen sich meine Wangen auch schon ganz warm an und ich lasse den Blick um Worte verlegen durch den Raum gleiten.

"Lass lieber in mein Zimmer gehen, dann kann ich dir alles erzählen."

Natürlich lässt meine Reaktion Alexis aufmerken. Ich sehe das Blitzen in ihren Augen, bevor sie mir mit einem richtigen Grinsen folgt.

"Hört sich ja so an als gäbe es so richtig was zu erzählen. Was habe ich verpasst?"

Oh so einiges, aber das sage ich nicht, bis ich sicher hinter uns die Zimmertür verschlossen habe. Mary ist zwar eh nicht da und Cass hat sich mit Musik in ihrem Zimmer verbarrikadiert, aber sicher ist sicher.

"Naja also...", unsicher wie ich es ausdrücken soll beiße ich mir auf die Lippen und werde dafür sogleich von Alexis durchgeschüttelt.

"Na komm, spuck es schon aus!"

"Ich habe mit Gray geschlafen!"

Ich kann gerade zu sehen, wie Alexis Kiefer auf den Fußboden aufschlägt, so ungläubig starrt sie mich an. Mit einem Stöhnen schließe ich die Augen und versuche zu ignorieren, dass mein Gesicht in Flammen steht. Das hatte ich eigentlich nicht vorgehabt als erstes zu sagen.

"Naja, also das viel wichtiger ist eigentlich, dass ich ihm alles erzählt habe. Alles über mich und die Schulzeit. Und er war fantastisch, Lex. Er hat einfach zugehört und ist für mich da gewesen."

Noch immer eindeutig im Schockzustand schüttelt Alexis den Kopf.

"Und dann... Hast du mit ihm geschlafen?"

Inzwischen muss ich einer Tomate Konkurrenz machen, aber ich komme gegen meine Verlegenheit einfach nicht an. Das hört sich irgendwie so... Falsch an, wenn man es so formuliert.

"Ja."

Kleinlaut richte ich den Blick auf meine Hände und lasse ihn sogleich wieder überrascht nach oben schnellen, als Alexis vor mir freudig zu Quietschen beginnt.

"Oh mein Gott!"

Perplex schaue ich ihr dabei zu, wie sie meine Hände packt und aufgeregt auf und ab hüpft, als hätte ich ihr gerade gesagt, ich habe im Lotte gewonnen.

"Das ist ja wunderbar! Wie war es? War Gray vorsichtig? Wann seht ihr euch wieder?"

Auch wenn ich mir noch nicht ganz sicher bin, was ich von dieser Reaktion halten soll, komme ich doch nicht darum mich von Alexis Stimmung anstecken zu lassen und das Grinsen, welches sich schon den ganzen Tag immer wieder einfach so auf meine Lippen schleicht, breitet sich auf meinem Gesicht aus.

"Es war gut, ja war er und ich weiß es noch nicht. Aber du hast den anderen Teil schon auch mitbekommen, oder?"

Ein kurzer Schatten huscht über Alexis Gesicht, bevor sie weiter um die Wette strahlt.

"Ja habe ich, aber bevor wir uns so ernsten Themen zu wenden möchte ich noch kurz feiern, dass du einen super heißen Eishockeyspieler deinen Freund nennen darfst. Und dass du jemanden gefunden hast, der sieht wie wunderschön du bist und es zu schätzen weiß."

Die Art wie Alexis das sagt, so aufrichtig und voller Verständnis dafür, wie bedeutend das für mich ist, treibt mir die Tränen in die Augen. Und so ist es sie dieses Mal, die mich in ihre Arme zieht.

"Süße, ich freu mich so für dich."

Auch Alexis Stimme klingt belegt und während wir uns umarmen wird mir Mal wieder klar, wie froh ich bin sie schon so lange als meine Freundin zu haben. Momentan könnte ich mich nicht glücklicher schätzen mit den Leuten, die ich um mich habe.
Mit einem kleinen Lachen, dass überspielen soll wie tief berührt ich gerade wirklich bin, löse ich mich wieder von meiner besten Freundin und lasse mich synchron mit ihr auf mein Bett fallen. Auch Alexis versucht es mit einem Lächeln, aber ich sehe das Schimmern in ihren Augen.

"Also, du konntest mit ihm also... Über unsere Hölle reden?"

Wie immer bei dem Thema scheint sich über Alexis Gesicht ein trüber Schleier zu legen, als wäre sie mit einem Mal um Jahre gealtert. Ich weiß wie schwer es mir fällt über dieses Thema zu reden. Aber ich kann nur erahnen, wie schlimm es für sie ist.
Vorsichtig nicke ich und spiele am Bettbezug meiner Decke herum.

"Ja ich... Ich hatte es schon länger vor. Spätestens nach meinem Zusammenbruch am Samstag."

Wir tauschen einen ernsten Blick. Natürlich habe ich Alexis von dem erzählt was meine Mom gesagt hat und in welches Loch ich dadurch gefallen bin.

"Das war ich ihm irgendwie schuldig. Aber ich wollte es auch."

Die steile Falte, die sich zwischen meinen Augenbrauen gebildet hat, löst sich wieder, als ich an das befreiende Gefühl denke, nachdem ich mit Gray endlich all den Mist aus meiner Jugend teilen konnte.

"Ich vertraue ihm, aber das zu sagen hat sich immer nur halbherzig angefühlt, solange ich ihm diesen großen Teil dessen, was mich ausmacht, verschwiegen habe. Also habe ich meinen Mut zusammengenommen und es einfach erzählt. Ich habe ihm sogar das Bild von uns aus der sechsten Klasse geziegt. Und... Naja, ich weiß nicht, wie er besser hätte reagieren können."

Zögerlich grinse ich Alexis an und auch wenn ich die dunklen Wolken sehen kann, die durch ihre Augen ziehen, versucht sie es mir nachzumachen. Ich weiß, dass sie nicht begeistert davon ist, dass ich Gray das Bild gezeigt habe. Umso dankbarer bin ich ihr jedoch, dass sie nichts dagegen sagt, weil sie weiß, wie viel es mir bedeutet.

"Er hat mich einfach in den Arm genommen und ist für mich da gewesen. Und mehr habe ich auch gar nicht gebraucht."

Nicht sicher wie ich anders beschreiben kann, wie Gray nur durch kleine, für andere Leute vielleicht unbedeutsam erscheinende Gesten für mich die Welt zurecht gerückt hat, zucke ich mit den Schultern. Aber Alexis ist nicht ohne Grund meine beste Freundin. Das Verständnis darüber, was ich auszudrücken versucht habe, ist ihr ins Gesicht geschrieben, als sie nach meiner Hand greift und sie einmal kurz drückt.

"Er hat dir genau das gegeben, was wir damals gebraucht hätten. Jemanden, der einen unterstützt und für einen einsteht. Der da ist, egal wie unschön es wird, und nicht nur vorne herum auf nett macht. Ich wünschte du hättest Gray schon viel früher getroffen. Das hätte dir einiges an Schmerz erspart."

Mein Herz bricht bei dem trüben Ausdruck in Alexis Augen. Eigentlich sind wir nicht so die wir-umarmen-uns-wegen-allem-Freunde. Aber heute scheint es einfach richtig zu sein, als ich Alexis zum dritten Mal in eine Umarmung ziehe.

"Ich wünschte du hättest deinen Gray gefunden."

Denn ich weiß nun wie es ist ganz zu leben und ich kann nur beten, dass auch Alexis die eine Person finden wird, die ihr den Teil von ihrem Leben zurückgeben kann, den man ihr damals genommen hat.

Und Kapitel 2... Hoffe damit konnte ich zumindest für heute die Gray und Row Bedürfnisse stillen😁

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