Kapitel 35
Sonntag Mittag müssen meine Eltern leider bereits wieder abreisen. Immerhin haben sie noch einige Stunden Autofahrt vor sich und müssen morgen wieder arbeiten. Meine Mom umarmt mich bestimmt fünf Mal zum Abschied in meiner Wohnung, auch als mein Vater schon vor ins Auto gegangen ist, und nutzt die Gelegenheit um einer ihrer mütterlichen Rate zu geben.
"Dieser Gray scheint mir ein Lieber zu sein, also gib ihm eine Chance dir nahe zu kommen."
Seufzend klopfe ich meiner Mom auf den Rücken. Eigentlich habe ich ziemlich Glück gehabt, dass meine Eltern mich nicht über Gray ausgequetscht haben. Darauf habe ich den ganzen gestrigen Abend gewartet, aber sie waren ganz brav und haben sich nur über das Übliche erkundigt. Was er studiert, woher er kommt. Nichts persönliches, das mich verlegen gemacht hätte.
"Ich gebe mein bestes. Aber Gray lässt eh nichts anderes zu."
Kichernd löst sich meine Mom von mir und greift nach meinen Händen.
"Guter Mann. Da hast du dir ja ein richtiges Prachtexemplar gefangen. Sportler mit Manieren und diesem Gesicht."
Als meine Mom genüsslich die Augen verdreht kann ich nur grinsend den Kopf schütteln. Manchmal frage ich mich wer von uns beiden eigentlich das Kind ist und wer die Erwachsene. Aber meine Mom kann auch anders, wie sie keine Sekunde später beweist, als sie mich liebevoll aber ernst anschaut und mir eine Haarsträhne zurückstreicht.
"Nein, aber wirklich, er scheint ein gutes Herz zu haben. Das ist alles was zählt und es freut mich zu sehen, dass du so jemanden gefunden hast."
Ihre Augen schimmern gefährlich und ich kann gar nicht anders als gerührt eine Hand über ihre zu legen, die meine Wange umfasst.
"Mom, es ist doch alles gut. Mach dir nicht immer so viele Gedanken über mich."
Mit einem kleinen Schniefen löst sie sich von mir und fährt sich einmal über die Augen, bevor sie mir ein kleines Lächeln schenkt.
"Ich weiß, ich weiß. Aber du bist doch mein kleines Baby. Da kann ich nun Mal nicht anders."
Grinsend beuge ich mich vor und drücke ihr einen Kuss auf die Wange.
"Dein kleines Baby ist inzwischen volljährig und ausgezogen. Damit hast du offiziell die Erlaubnis dich wieder deinem Leben zu zuwenden und etwas für dich zu tun, anstatt dich um mich zu sorgen. Und jetzt solltest du endlich runter zum Auto gehen, bevor Dad wütend wird."
Meine Mutter gibt ein Schnauben von sich, wendet sich schlussendlich aber wirklich der Tür zu.
"Okay, okay, ich verstehe. Zu viel mütterliche Liebe. Dann verschwinde ich halt."
Mir ein Zwinkern über die Schulter zuwerfend, entschärft sie ihre Worte, trotzdem bin ich nun diejenige, die sie nochmal zurückhält, indem ich nach ihrer Hand greife und sie einmal drücke.
"Du weißt, das gibt es nicht. Wir telefonieren und dann komme ich bald einmal nach Hause."
Wieder mit leicht feuchten Augen wirft mir meine Mom nur noch einen letzten Handkuss zu und schafft es dann endlich durch die Tür. So ist es jedes Mal, auch wenn mein Bruder zu Besuch ist und wieder verschwindet. Mom wäre es wahrscheinlich am liebsten, wenn wir immer noch alle zusammen unter einem Dach leben würden. Ihre Kinder erwachsen werden zu sehen scheint ihr schwer zu fallen.
Zugegebenermaßen fällt es mir aber auch nicht leicht hinter ihr die Tür zu schließen. Wenn ich hier in meinem Alltagstrott bin ist es leicht zu vergessen, dass ich meine Eltern so selten sehe. Aber wenn ich sie besuche oder sie mich fällt mir wieder ein, wie lieb ich sie habe und das telefonieren nun Mal doch nicht das gleiche ist.
Mit einem Seufzen schüttle ich das schwere Gefühl bei diesen Gedanken ab und gehe in Richtung meines Zimmers. Mary ist bei ihrem Freund und aus Cass Zimmer sind Stimmen zu hören, was ich darauf zurückführe, dass sie sich YouTube Videos anschaut. Eigentlich habe ich noch genug für die Uni zu tun, trotzdem führt mich mein Weg nicht zu meinem Schreibtisch, sondern zu meinem Bett, wo mein Handy halb versteckt unter der Decke liegt. Das ist teils bestimmt dem geschuldet, dass ich wissen will ob Gray mir geschrieben hat. Aber vordergründig liegt es daran, dass Alexis mich gebeten hat sie anzurufen, sobald meine Eltern gegangen sind. Die Nachricht hat ziemlich ernst geklungen, also gehe ich auf ihren Kontakt noch bevor ich die Nachricht von Gray öffne, auch wenn mich die Neugier, was er geschrieben hat, fast umbringt.
„Hallo?"
„Hey Lex. Was ist passiert, dass ich dich so dringend anrufen soll?"
Ein Rascheln ist zu hören, als sich Alexis mit ihrem Handy in der Hand bewegt.
„Sind deine Eltern schon weg? Ich will wirklich nicht stören."
Ich kenne Alexis inzwischen schon lang genug um selbst am Telefon zu hören, wenn etwas nicht in Ordnung ist. Und das hier hört sich verdammt stark danach an.
„Keine Sorge, sind gerade weggefahren. Und jetzt sag schon, was ist passiert?"
Mit besorgt gerunzelter Stirn setze ich mich auf die Kante meines Bettes und höre wie meine beste Freundin am anderen Ende der Leitung zittrig Luft holt. Das lässt mich die freie Hand zur Faust ballen und mich auf das Schlimmste gefasst machen.
„Tja, anscheinend hat es Carly nicht gereicht mir nur Getränke ins Gesicht zu schütten."
Alexis Stimme klingt gepresst und sie beendet ihren Satz mit einem aufgesetzten Lachen, dem anzuhören ist, dass sich dahinter etwas völlig anderes verbirgt.
„Soll ich vorbei kommen?"
Der Satz ist kurz und knapp, klingt vielleicht sogar etwas ruppig, aber nur deswegen, weil ich weiß, dass was auch immer Alexis erzählen wird in mir den Wunsch aufkommen lassen wird, dass diese Carly sich zum Teufel schert.
„Ach was, nein! Du hast doch bestimmt noch viel zu tun nach dem Wochenende und... naja, ich brauche nur kurz jemandem zum Reden."
„Du kannst auch gerne lange reden Lex. Was hat dieses Mädchen gemacht?"
Ein Seufzen erklingt und wieder ein Rascheln, bevor meine beste Freundin endlich mit der Sprache rausrückt.
„Wir waren gestern in einer Bar. Noch nicht einmal hier in der Gegend, sondern in der Nachbarstadt. Ich kann mir gar nicht erklären, wie es sein kann, dass Carly schon wieder genau am gleichen Ort war wie wir. Es ergibt keinen Sinn, außer sie ist uns gefolgt."
Ich ziehe überrascht die Augenbrauen nach oben und versuche mir das Mädchen aus dem Café in den Kopf zu rufen. Sie schien eigentlich ganz nett zu sein und trotzdem muss ich Alexis recht geben: Wie groß wäre der Zufall schon, wenn Carly genau am gleichen Abend auf die Idee kommen würde einen Ausflug in die Nachbarstadt zu machen?
„Glaubst du wirklich sie würde dich... stalken?"
Ein bitteres Auflachen von Alexis beantwortet mir meine Frage schon bevor sie spricht.
„Als sie dort plötzlich vor mir stand habe ich das nicht geglaubt. Als sie dann aber dem Kerl, mit dem ich gerade geflirtet habe, zu erzählen begonnen hat, was für eine Hure ich bin und was für Geschlechtskrankheiten ich alles mit mir herumschleppe, ja da bin ich dann irgendwann auf den Gedanken gekommen, dass das nicht nur ein dummer Schicksalsschlag ist."
Ungläubig starre ich mich im Spiegel an und schüttle entsetzt den Kopf.
„Sie hat bitte was gemacht?"
„Sie hat mir ordentlich die Tour versaut. Was ja an sich noch nicht so schlimm gewesen wäre, hätte sie es sich danach nicht zur Aufgabe gemacht, jeden in dieser Bar gegen mich aufzubringen, bis mich selbst der Barkeeper angeschaut hat, als wäre ich ein rüder Straßenköter. Row, es war...", Alexis Stimme bricht, bevor sie tränenerstickt weiterspricht, was mein Herz gleich mitbrechen lässt. „... es war so schlimm. Wie sie mich alle angestarrt haben. Was sie hinter meinem Rücken gesagt haben. Es war wie damals."
Ich kann es nicht verstehen. Von mir aus ist man sauer auf das Mädchen, mit dem der Freund einen betrogen hat. Von mir aus kippt man dem Mädchen auch einen Drink über und stachelt die eigenen Freundinnen gegen sie auf. Aber das? Das ist heftig. Und völlig maßlos, immerhin hatte Alexis nicht einmal gewusst, dass Justin eine Freundin hat. Zumal es doch er war, der untreu gewesen ist. Auf ihn sollte Carly wütend sein.
„Lex, lass dir nicht die Taten einer Druchgeknallten so nah ans Herz gehen. Dieses Mädchen hat sie nicht mehr alle, wenn sie nicht bemerkt, dass sie ihren Frust an der Falschen auslässt. Und nein, es ist nicht das gleiche wie früher, denn dieses Mal lässt du dir sowas nicht gefallen. Ich komme zu dir, keine Widerrede."
Ich lasse mir von Alexis versprechen, dass sie wegen dieser Verrückten nicht weinen wird, dann legen wir beide auf, damit ich so schnell wie möglich meine Sachen zusammenpacken und zu ihr losgehen kann. Das sind die Momente, in denen ich es hasse kein eigenes Auto zu haben. Ich wäre innerhalb von ein paar Minuten bei ihr, wenn ich nicht zu Fuß gehen müsste. Aber so setze ich meine Lunge auf einen Härtetest, indem ich die Treppen runterjogge und so schnell wie möglich Richtung Wohnheim laufe. Nebenbei versuche ich Grays Nachricht zu lesen und schäme mich ein bisschen dafür, dass mein Herz einen freudigen Hüpfer macht, während es meiner besten Freundin so schlecht geht. Aber zumindest reicht meine Loyalität weit genug, um Gray, der gefragt hat ob ich heute noch Zeit und Lust habe etwas zusammen zu machen, absage.
Verliebt in den süßesten Kerl der Welt hin oder her, Alexis hat jetzt Vorrang.
*************
Alexis geht es wirklich schlecht. Ich bleibe den ganzen Sonntag als auch die Nacht über bei ihr und versuche sie mit unseren absoluten Lieblingsfilmen aufzuheitern. Aber die meiste Zeit erwische ich sie dabei wie sie nur ausdruckslos den Fernseher anstarrt, ohne wirklich zu sehen was da läuft.
Ich kann sie verstehen. Auch ohne es selbst erlebt zu haben liegt mir ihre Erzählung wie ein schwerer Stein im Magen. Und ich weiß nicht was ich sagen kann, damit es ihr besser geht.
Alexis Verhalten finde ich selbst nicht gut. Das weiß sie auch und ich glaube, dass sie sich auch selbst oft genug Vorwürfe deswegen macht. Aber es ist eine ganz andere Nummer einen wütenden Mob auf einen gehetzt zu bekommen. Und irgendwas sagt mir, dass Carly trotzdem noch nicht mit Alexis fertig ist. Dieses Mädchen hat das perfektes Ventil für ihren Frust gefunden und lässt alles an meiner besten Freundin aus. Ein Teil von mir würde deswegen am liebsten auf der Stelle losmaschieren und dieser Verrückten ordentlich die Leviten lesen. Aber der feige Teil von mir denkt sich, es ist das beste den Sturm einfach auszuharren. Für mich hat die Taktik sich aus solchen Dingen rauszuhalten bisher immer ganz gut funktioniert. Aber Alexis hat auch früher schon alles abbekommen. Und die Schäden davon sind noch viel zu groß, um das hier einfach einmal durchzustehen.
Bis Montag morgen habe ich sie aber zumindest genug aufgepeppelt, dass sie in ihre Vorlesungen geht. Ich begleite sie überall hin und hole sie auch überall wieder ab, was Alexis zwar mit einem Augenverdrehen quittiert, aber dass sie sich nicht laut stark dagegen wehrt von mir derart bemuttert zu werden, verrät mir, dass es gar nicht so falsch ist an ihrer Seite zu bleiben. Allein schon um sie auf andere Gedanken zu bringen.
Dabei kreisen meine eigenen Gedanken selbst andauernd darum.
Als mir Alexis gestern Abend den ganzen Vorfall nochmals detaillierter erzählt hat, hat mein Gehirn von ganz automatisch die Worte mit Bildern von früher unterlegt.
Besonders einer der ersten Male, dass Alexis für ihr Gewicht angegriffen wurde, ist mir die ganze Zeit im Kopf herumgeschwirrt.
Wir waren damals in der sechsten Klasse und Alexis und ich haben unsere Pausen meist zu zweit auf dem Schulhof verbracht. Ich weiß noch, dass ich ein Himmel und Hölle Spiel mit Kreide auf den Boden gemalt habe, während Alexis sich mit einem Cupcake aus der Cafeteria auf eine kleine Mauer im Schatten gesetzt hat. Sie hat sich damals in jeder Pause zu ihrem Mittagsessen noch etwas dazu geholt. Donuts, Kuchen, Milchshake... Doch die Cupcakes waren in der ganzen Schule am beliebtesten und Alexis hat mir voller Stolz erzählt, dass sie sich gerade so noch den letzten hatte schnappen können.
Nicht ganz so glücklich darüber war aber allem Anschein nach Joyce, die sich mit einem Mal vor Alexis aufgebaut hatte und sie wütend anfauchte, sie hätte ihr den Cupcake weggenommen. Zu dem Zeitpunkt hatte keiner von uns beiden bisher ein Problem mit Joyce gehabt. Alexis war sogar einmal auf eine Poolparty von ihr eingeladen gewesen, bevor sie über den Winter ein paar Kilo zugelegt hatte. Ich jedoch... naja ich war schon immer nicht Teil des Ganzen gewesen.
Auf jeden Fall war Alexis dementsprechend überrascht von Joyce Vorwurf und hat ihr gesagt, sie habe nicht gesehen, dass auch sie nach den Cupcake gegriffen hätte. Sie hat Joyce sogar den Rest angeboten, aber anscheinend hat ihr das nicht gereicht. Ich habe immer noch genau vor Augen, wie Joyce daraufhin Alexis den Cupcake aus der Hand geschmettert hat, ihr Gefolge brav hinter sich und ich ein, zwei Meter entfernt auf dem Boden kauernd.
"Mich nicht gesehen? Von wegen! Mit deiner fetten Wampe hast du mich weggestoßen und dich wie ein Geier auf den Cupcake gestürzt! Dabei solltest du vielleicht lieber einmal aufhören so viel zu fressen. Kannst du denn überhaupt noch deine Füße sehen?"
Ich schäme mich bis heute, dass ich einfach still sitzen geblieben bin, während sich auf Alexis Gesicht rote Flecken gebildet haben, bevor sie stotternd herausbrachte, Joyce solle das zurücknehmen. Aber wenn Joyce eins nicht macht, dann ist das einen Schritt zurück gehen. Und damit war unser Schicksal besiegelt.
"Wieso zurücknehmen? Ist doch die Wahrheit! Du frisst wie ein Scheunendrescher! Kitty, hat sie dir nicht erst neulich die halbe Gummibärchenpackung weggegessen? Und Emma..."
So ging es weiter, bis Joyce nach für nach jeden auf ihre Seite gezogen hatte und Alexis nur hilflos dabei zusehen konnte, wie Mädchen, die sie teilweise als Freunde bezeichnet hat, mitmachten sie fett zu schimpfen.
Ich bin vielleicht nicht eingestiegen, so wie ich mich auch später nie gegen Alexis gestellt habe, aber ich habe auch nie für sie gekämpft. Ich bin nicht aufgesprungen und habe Joyce gesagt sie soll sich zum Teufel scheren. Ich habe nichts gemacht, außer mein bestes gegeben unsichtbar zu bleiben und mich aus allem rauszuhalten bis die Mädchen abgezogen sind und ich die zitternde Alexis in den Arm genommen habe.
Während ich Alexis also auf Schritt und Tritt verfolge, als würde ich befürchten dass jeden Augenblick Carly aus dem nächsten Gebüsch springt wie ein verrückter Serienkiller, ist meine wahre Angst eigentlich, dass selbst wenn so etwas passiert ich Alexis gar keine große Hilfe bin. Und das lässt in mir das Gefühl aufkommen, dass ich die mieseste beste Freundin des Planeten bin.
Deswegen sage ich Gray auch am Montagabend ab, um stattdessen Alexis ins Kino einzuladen, was mein schlechtes Gewissen gegenüber ihr etwas beruhigt, dafür aber es gegenüber Gray wachsen lässt. Wow, kaum ist die Anzahl meiner engen Freunde auf 2 angewachsen bin ich auch schon damit überfordert. Das muss wohl Talent sein.
Als ich allerdings sehe, dass Alexis nach dem Film das erste Mal wieder einigermaßen entspannt aussieht, weiß ich, dass es so herum die richtige Entscheidung gewesen ist. Gray bedeutet mir viel, vielleicht sogar noch mehr als ich mir selbst jetzt eingestehe, aber Alexis ist meine Seelenverwandte. Wir haben uns einst geschworen immer für einander da zu sein und es mit den Silberkettchen um unsere Handgelenke besiegelt. Dieses Versprechen werde ich niemals brechen, auch nicht für diesen unglaublich süßen Eishockeyspieler, der kaum dass ich zu Hause bin mich anruft.
Mich erschöpft auf mein Bett fallen lassend muss ich mein Handy irgendwie erst Mal aus meiner Hosentasche rausbekommen, als es zu klingeln anfängt. Und obwohl ich bis zu dieser Sekunde nichts anderes mehr machen wollte, als mich zu duschen und mit ein paar Unterlagen für meine Kurse morgen ins Bett zu kuscheln, schleicht sich ein freudiges Lächeln auf mein Gesicht, als ich Grays Namen auf dem Display sehe.
"Hey."
"Ahh, wie sehr ich deine Stimme vermisst habe, Bunny. Momentan bist du aber schwer erreichbar."
Erneut von einem schlechten Gewissen geplagt, dass ich ihm über den Tag auch kaum geschrieben habe, beiße ich mir auf die Lippen.
"Es tut mir wirklich Leid, aber Alexis hat mich gebraucht und da war ich irgendwie kaum an meinem Handy..."
Ein Lachen unterbricht mich und lässt mein Herz höher schlagen, als ich mir Gray dabei vorstelle. Ich kenne niemanden der ein so ansteckendes Lachen wie er hat.
"Du musst dich nicht rechtfertigen. Ich finde es bewundernswert wie sehr du für deine Freundin da bist. Das würde nicht jeder machen."
Diese Worte sind wie Balsam für meine Seele, nachdem ich den ganzen Tag daran gezweifelt habe, ob ich denn wirklich eine gute Freundin bin. Und vor allem glaube ich Gray. Normaler Weise nehme ich Leuten solche Worte nur schwerlich ab. Die meisten sagen doch nur das, was man hören will, um sich einzuschleimen. Aber bei Gray weiß ich, dass das was er sagt er auch so meint. Und das ist für mich unendlich viel wert.
"Danke."
Das Wort ist nur ein leises Hauchen, weil meine Stimmbänder für den Moment mit nicht so richtig gehorchen wollen, aber Gray scheint mich trotzdem zu verstehen und erwidert mit einem Tonfall, der keine Zweifel lässt, dass er es ernst meint: "Nur die Wahrheit, Bunny."
Ich nehme einen tiefen Atemzug um mich wieder zusammenzureißen und setze ein Lächeln auf, obwohl das natürlich niemand sehen kann. Die Stimmung ist schon wieder viel zu ernst geworden.
"Also Gray, was macht ein Eishockeygott so an einem Montag?"
Wieder erklingt Grays Lachen und lässt mein Lächeln zu einem echten werden, während ich mich bequemer auf mein Bett lege.
"Nicht sonderlich viel. Bin in meine Kurse gegangen, habe versucht zu lernen, aber ohne dich will das irgendwie nicht so richtig klappen und... Oh stimmt, Mrs. Forelle, meine Professorin in Architekturgeschichte hat angekündigt, dass sie nächste Woche eine Prüfung schreiben wird."
Schmunzelnd spiele ich an meinem Piercing herum, aber ausnahmsweise einmal nicht weil ich mich unwohl fühle. Ganz im Gegenteil, allein Grays Stimme zu hören, lässt einen Teil von mir zur Ruhe kommen.
"Das hört sich ja nicht sehr begeistert an."
"Ich bin ja auch nicht begeistert, Bunny. Ich glaube ich brauche Extrastunden mit dir, damit ich das schaffe."
Der scheinheilige Unterton in Grays Stimme entgeht mir nicht und bringt mich zum Lachen.
"Wieso habe ich das Gefühl, dass diese Extrastunden nicht fürs Lernen gebraucht werden würden?"
"Naja, zwischen dem Lernen muss man ja auch hin und wieder etwas... Auspannen."
Der Tiefe Bariton, den Gray angeschlagen hat, jagt mir einen Schauer über den Körper und lässt mich, auch wenn er gar nicht anwesend ist, vorsichtshalber die Beine übereinanderschlagen. Der Kerl weiß wie man einem falsche Gedanken in den Kopf setzt.
"Stimmt, meditieren hilft, das habe ich schon ausprobiert."
Ich versuche so unschuldig wie möglich zu klingen, um den Anschein zu erwecken, dass ich Grays Anspielung nicht ganz genau verstanden habe, aber so leicht lässt der sich nicht hinters Licht führen.
"Oh wir wissen beide, dass ich da nicht ans meditieren denke. Du weißt doch, ich bin eher der... Körperliche Typ."
Und wie ich das weiß, immerhin vergöttere ich diesen Kerl, kaum dass er das Eis betritt. Und genau dieses Bild vor Augen lässt mich hart Schlucken, als ich an gewisse andere körperliche Beschäftigungen denke.
"Okay, ich glaube das ist der Punkt an dem ich in diesem Gespräch aussteige."
Es wundert mich nicht wirklich Gray lachen zu hören, so erstickt wie meine Stimme klingt. Aber ich bin noch nicht wirklich an mein neu erwachtes Libido gewöhnt und ohne Grays beruhigende Selbstsicherheit steigt mir das hier entschieden über den Kopf. Also ist es Zeit das Thema zu wechseln.
"Also, nachdem ich dich jetzt schon zwei Mal abgewiegelt habe, hättest du denn... Morgen Abend Zeit?"
Es hilft, dass mein Gesicht sowieso schon brennt, um die Worte rauszubekommen. Ich habe schon vorhin während des Filmes überlegt, wie ich es am besten anstelle Gray danach zu fragen. Vielleicht mache ich ja auch eine Mücke zum Elefanten, aber so richtig offiziell haben wir uns immerhin noch nie verabredet. Klar, wir waren mit seinen Freunden unterwegs, ich habe bereits bei ihm übernachtet, absichtlich oder nicht. Aber das hier kommt mir irgendwie anders vor. Irgendwie... Ernsthafter.
Und gerade deswegen droht mein Herz mir fast aus der Brust zu springen, als es am anderen Ende der Leitung erstmal ein Moment still bleibt. Dann stößt Gray ein Seufzen aus, das meine Hoffnungen sinken lässt.
"Ich würde liebend gern ja sagen, Bunny. Aber ich habe meinen Eltern versprochen nach Hause zu kommen, um den Abend über auf Lea aufzupassen."
Für einen Augenblick bin ich verwirrt, wen Gray mit Lea meint. Aber dann fällt mir wieder die Geschichte von seinem ersten Kuss ein und seine Hündin, die darin den Stargast gespielt hat. Bei der Erinnerung kann ich mir kaum ein Grinsen verkneifen, auch wenn es schnell von der Scham abgelöst wird, dass ich innerlich einfach davon ausgegangen bin, dass Gray für mich Zeit haben wird.
"Achso, nein klar, kein Problem. Ich meine das geht natürlich vor. Und, ähm, liebe Grüße an Lea.... Äh, ich meine deine Eltern."
Mit einem unterdrückten Stöhnen schließe ich die Augen. Liebe Grüße an einen Hund? Meine Güte ich sollte lieber schlafen gehen.
Grays herzhaftes Lachen ist durch den Hörer zu hören und ich weiß nicht, ob es das noch peinlicher oder aber erträglicher macht. Also entscheide ich mich dafür, einfach weiterhin das Gesicht im Kissen zu vergraben und mich für meine Inkompetenz zu schelten.
"Wie wäre es damit Bunny, du grüßt Lea einfach selbst. Von mir aus kannst du gerne mitkommen. Ein bisschen Gesellschaft beim Hundesitten kann nur gut tun."
Wie erstarrt wage ich es für eine Sekunde nicht zu atmen, bevor ich zögerlich frage: "Du willst das ich mitkomme? Also zu dir nach Hause?"
Ist es komisch, dass ich Grays Stimme sein Schmunzeln anhören kann? Wenn ja bedeutet das wohl, dass ich offiziell alle Anforderungen erfülle, um dem Gray-Fanclub beizutreten.
"Natürlich will ich das, außer du hast zu viel zu tun. Immerhin müssen wir fast eine Stunde hin und zurück fahren und ich weiß nicht wie lange meine Eltern den Abend über wegbleiben wollen..."
"Nein, ich bin dabei."
Mit klopfenden Herzen habe ich mich im Bett aufgesetzt und spiele nervös an meinem Piercing. Ich weiß selbst nicht genau, weshalb ich so fest entschlossen zugestimmt habe, immerhin explodiert mein Herz fast allein bei dem Gedanken das Haus zu betreten, in dem Gray aufgewachsen ist. Aber auf der anderen Seite bin ich derart neugierig diesen Teil von ihm kennenzulernen, dass ich am liebsten sofort losgefahren wäre.
"Super. Ein Hundesitting-Date hatte ich bisher auch noch nie. Passt es dir wenn wir gleich nach deiner Schicht in der Bibliothek losfahren?"
Ich bin im ersten Moment viel zu sehr zwischen meiner Nervosität und Freude gefangen, um zu bemerken, dass ich nur nicke. Aber ich war bisher noch nie bei einem Jungen zu Hause. Also richtig bei ihm zu Hause, wo seine Eltern wohnen und er aufgewachsen ist. Und bei Gray bedeutet mir alles noch einmal viel mehr.
"Ja perfekt."
Sorry das letzte Woche schon wieder kein zweites Kapitel gekommen ist 😅 Aber auf den Dienstag ist Verlass ;)
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