Kapitel 31
Als ich aufwache fühle ich mich endlich wieder wie ein funktionierender Mensch. Gut, mein Hals ist noch rau und meine Nase läuft, aber diese verfluchten Kopfschmerzen sind endlich weg und erlauben mir Ruhe und Frieden.
Zumindest bis ich mich zur Seite drehe und gegen einen warmen Körper rolle. Erschrocken reiße ich die Augen auf und starre auf eine Brust direkt vor mir. Eine nackte Brust. Mein Herzschlag ist innerhalb von einer Sekunde durch die Decke geschossen. Ich bin mir nicht sicher, ob es es besser oder schlimmer macht, dass ich so langsam wach genug bin, um zu erkennen, dass es Gray ist, der vor mir liegt. Und dass ich nun schon zum zweiten Mal einfach in seinem Bett eingeschlafen bin.
Oh mein Gott, und das obwohl ich ihm versprochen habe nochmal runter zu kommen. Wie unhöflich kann man eigentlich sein? Aber alles was ich noch weiß, ist wie mir beim Durchlesen von Elisabeths Notizen immer wieder die Augen zugefallen sind, bis ich sie nach dem letzten Satz nicht mehr aufbekommen habe. Mir muss es schlechter gegangen sein, als ich gedacht habe, wenn ich trotz meines Mittagsschlafes einfach so erneut eingeschlafen bin.
Die Brust vor mir fängt an sich zu bewegen, als Gray sich mit einem leisen Grummeln streckt. Also beeile ich mich wieder zurückzurollen, bevor er richtig aufwacht. Doch selbst mit den zwanzig Zentimeter mehr Abstand zwischen uns fühle ich mich immernoch... Eingehüllt. Wie in einem sicheren Kokon aus Grays Duft, seiner Stärke und Zuversicht. Er liegt halbmondförmig um mich herum und auch wenn ich mich jetzt nicht mehr direkt vor ihm liege, kann ich noch immer die Wärme seines Körpers spüren. Es ist ein schönes Gefühl, dass in meiner Brust ein Ziehen aufkommen lässt, welches verlangt sich wieder näher an ihn zu kuscheln. Aber bevor ich dem Instinkt nachgeben kann schlägt Gray seine Augen auf und tackert mich mit einem verschlafenen Lächeln an Ort und Stelle fest.
"Morgen."
Bei seiner rauen tiefen Stimme bekomme ich eine leichte Gänsehaut und kann nur stumm dabei zusehen wie Gray ausgiebig gähnt und sich streckt. Oh mein Gott, weshalb hat er kein Shirt an?
Ich kann gar nicht anders als seine muskulösen Schultern oder seine Brust anzustarren, zu Mal sie genau auf einer Höhe mit meinem Kopf sind. Unter seiner noch immer von der Sonne goldenen Haut kann man nur zu genau sehen, wie sich die Muskeln bei jeder seiner Bewegungen spannen. Hat der Kerl überhaupt Körperfett?
Ich wusste bisher nicht, dass ich zu so mädchenhaften Reaktionen neige, wie anzufangen zu sabbern, sobald ein attraktiver Kerl vor mir steht, aber Gray lehrt mich Tag für Tag etwas neues.
Zum Beispiel auch, dass mein Gehirn völlig aussetzt wenn er sein Grübchenlächeln mit leichtem Bartschatten und vom Schlafen noch dunklen Augen kombiniert. Andernfalls hätte ich nämlich wohl kaum die Kühnheit besessen die Lücke zwischen uns beiden zu schließen und meinen Mund auf seinen zu drücken, während meine Hände sich auf seine Brust legen.
Irgendwie reißt Gray all meine Mauern ein. Lässt mich Dinge wollen, über die ich davor noch nie nachgedacht habe. Mir war es nie wichtig einen festen Freund zu haben. Klar, wie jedes Mädchen habe ich geschwärmt oder war mal verknallt als Teenager. Aber etwas Ernstes, Nähe und Vertrauen zu jemand anderem aufbauen... wie soll man sich das vorstellen können, wenn man nicht einmal einen richtigen Freundeskreis hat? Doch mit Gray... Mit ihm ist alles so leicht. Ich weiß selbst nicht, wie ich hier gelandet bin und doch fühlt sich alles so richtig und natürlich an.
Da ist zwar in jeder Sekunde diese Angst davor, wie lange das Ganze hält, wie lange Gray mich in seiner Nähe haben will. Doch anstatt mich deswegen von ihm fernzuhalten und mich vor dem Schmerz zu schützen Mal wieder zurückgewiesen zu werden, möchte ich nur noch mehr jeden Augenblick auskosten. Denn ich will mir gar nicht vorstellen dieses Privileg wieder zu verlieren. Zu verlieren, dass Gray sich um mich sorgt oder mir einen Gray-Spezial-Kaffee mitbringt. Mit mir redet und tatsächlich daran interessiert ist, was in meinem Leben passiert. Denn er ist ein Teil davon geworden. Er ist ein Teil meines Lebens, meiner Welt und der Gedanke ihn zu verlieren lässt Verzweiflung in mir aufkommen.
Und weil ich das Gefühl habe, dass es das einzige ist, was die Panik in mir etwas abmildern kann setze ich mich rittlings auf Gray, um ihm so nah wie möglich zu sein, während ich unseren Kuss noch vertiefe. Er scheint etwas überrumpelt von mir, der Arme ist immerhin noch keine Minute wach und wird von mir überfallen als gäbe es kein Morgen mehr. Aber wer kann mir auch schon versprechen, dass es noch ein Morgen gibt?
Ich lasse Menschen kaum an mich heran. Erst recht nicht körperlich. Selbst wenn ein Kerl mich bei den wenigen Gelegenheiten, wenn ich mit Alexis ausgegangen bin, angemacht hat bin ich immer auf Distanz geblieben. Der Gedanke... Intim zu werden hat mich bisher nur abgeschreckt. Es macht mir Angst mich auf diese Weise zu offenbaren, mich bloßzustellen und jemanden diese Macht über mich einzugestehen. Aber bei Gray habe ich so noch kein einziges Mal gedacht.
Anstatt davor zurückzuschrecken, als Gray mit einem kleinen belustigten Laut die Hände auf meine Oberschenkel legt, lässt die Berührung ein Prickeln durch meinen Körper fahren.
Ich kann es immer noch nicht fassen, dass er mich wirklich auf diese Art und Weise mag. Das ist das letzte mit dem ich vor einer Woche noch gerechnet hätte. Selbst jetzt erwarte ich eigentlich immer noch, dass er mich von sich schiebt und fragt was bei mir eigentlich schiefläuft zu glauben, dass er von mir geküsst werden will. Aber so ist Gray nicht. Er ist so liebevoll, scheint all meine Macken entweder nicht zu sehen oder gekonnt zu ignorieren. Wer sonst hätte die Verrückte aus der Badewanne mit hoch in sein Zimmer genommen? Meine Güte, ich hätte mich selbst vor die Tür gesetzt.
Als Grays Finger sachte über mein Bein zu wandern beginnen entkommt mir ein kleines Keuchen, dass er mit seinen Lippen auffängt. Ich kann spüren, dass er lächelt und würde ihm für diese Selbstzufriedenheit gerne einen kleinen Schlag verpassen. Aber meine Muskeln haben beschlossen, dass sie für nichts anderes mehr in der Lage sind, als sich an diesen unfassbaren Kerl zu klammern.
Ich habe nicht viel Erfahrung damit neben einem Mann aufzuwachen. Na gut, sind wir ehrlich ich habe gar keine. Aber ich beschließe es gibt schlimmeres.
Von Grays Berührungen ermutigt lasse auch ich meine Finger wandern. Über seine Brustmuskeln, hoch zu seinem Schlüsselbein und von dort weiter über die Schultern zu seinem Bizeps. Und die Angst in mir wird nach und nach von einem anderen Brennen abgelöst.
Irgendwann löst Gray sich von meinen Lippen nur um hauchzarte Küsse entlang meines Halses zu verteilen. Als er an einer Stelle länger verweilt und etwas stärker saugt entschlüpft mit der nächste kleine Laut und wieder spüre ich Grays Lächeln an meiner Haut. Doch anstatt einen Macho-Kommentar von sich zu geben wandern seine Finger zum Saum meines Oberteils, wo sie innehalten.
"Darf ich?"
Unfähig zu sprechen nicke ich nur und helfe ihm dabei mir das T-Shirt abzustreifen. Ausgleichende Gerechtigkeit, oder? Er ist immerhin auch oberkörperfrei. So versuche ich zumindest rational zu argumentieren. Die Wahrheit ist jedoch schlicht und ergreifend, dass mich der Gedanke seine warmen Hände auf meiner Haut zu fühlen ganz kribbelig macht. Erwartungsvoll halte ich die Luft an und seufze, als seine Finger meine Taille entlang zum unteren Rand meines BHs fahren.
Es macht mich nervös so weit zu gehen. Wenn ich meine Augen schließe fühle ich mich nackt, enthüllt. Aber es reicht Gray ins Gesicht zu sehen, um zu wissen, dass ich in sicheren Händen bin. Und zu wissen, dass ich das hier will. Erfürchtig und bewundernd betrachte ich ihn dabei wie er mit einer ganz ähnlichen Miene meinen Körper betrachtet, bevor er sich vorlehnt und auf meinen Brustansatz Küsse platziert. Ich bin hypersensibel. Das leichte Kratzen seiner Bartstoppeln macht mich fast verrückt und ich weiß nicht, ob ich will dass er aufhört oder mehr davon brauche. Als seine Finger meinen Bauch entlang streichen entscheide ich mich für zweiteres. Ich brauche mehr.
Ich ziehe seinen Kopf wieder zu mir hoch, weil ich seine Lippen einfach wieder auf meinen spüren will und während der Kuss immer wilder wird ahme ich seine Berührungen nach. Das scheint mir die sicherste Taktik zu sein nichts falsch zu machen.
Mir ist allerdings nicht klar, dass ich ebenso angefangen habe mich auf ihm zu bewegen, bis Gray ein gequältes Stöhnen von sich gibt und seine Hände auf meine Hüften legt.
Unsicher ob ich etwas falsch mache halte ich inne, doch werde sogleich von dem leichten Druck seiner Finger dazu angetrieben weiter zu machen.
"Bloß nicht, Bunny. Du quälst mich vielleicht, aber verdammt das ist die beste Folter der Welt."
Mit flatternden Herzen spüre ich wie er unsere Position korrigiert und sich etwas hartes zwischen meine Beine legt. Doch als ich mich das nächste Mal bewege... Hätte Gray nicht genau im richtigen Moment meine Lippen verschlossen hätte mein Stöhnen uns wohl verraten, mit dem was wir hier machen. Für eine Sekunde blitzt in meinem Kopf der Gedanke auf, wie schalldicht die Wände hier eigentlich sind, doch dann schält Gray mit seinen Fingern vollends meinen Verstand aus.
Ich weiß auf was das ganze hier hinauslaufen wird, wenn ich dem nicht Einhalt gebiete. Und ich bin mir nicht sicher, ob ich tatsächlich schon so weit bin. Ich genieße jede Berührung von Gray, was mir allein schon fast wie ein Wunder vorkommt. Aber wir kennen uns vielleicht einen Monat. Meine Güte, es ist nichtmal eine Woche her, dass wir uns das erste Mal geküsst haben und ich sitze hier ohne Oberteil auf ihm. Für Alexis wäre das wahrscheinlich noch völlig harmlos, aber für mich ist das ziemlich abgefahren. Und ich will es nicht übereilen.
Also ziehe ich die Notbremse, als Gray uns umdreht, sodass er nun am längeren Hebel sitzt, indem ich leicht gegen seine Brust drücke. Ich rechne es ihm hoch an, dass er sofort innehält und unsere - nennen wir es so wie es ist - wilde Knutscherei unterbricht, um mir in die Augen zu schauen.
"Gray, ich.. ich...", unsicher was ich eigentlich genau sagen will beiße ich mir auf die Lippe, doch anscheinend muss ich auch gar nicht mehr sagen.
"Ich weiß, Bunny."
Mit einem Seufzen drückt sich Gray von mir hoch und lässt sich schwer auf die Matratze neben mir fallen.
"Tut mir Leid, so weit wollte ich gar nicht gehen. Irgendwie... Habe ich mich vom Moment mitreißen lassen."
Sichtlich gequält reibt sich Gray über das Gesicht und mein Herz schmerzt, so viel bedeutet er mir in diesem Moment.
"Naja, da kannst du glaube ich herzlich wenig für. Da war diese Verrückte, die sich einfach auf dich geschmissen hat."
Mit glühenden Wangen gebe ich mir Mühe nicht peinlich berührt den Blick abzuwenden. Aber Gray macht es einem leicht, sich mit der ganzen Situation wohl zu fühlen, indem er einfach lacht und einladend einen Arm ausstreckt.
"Von dieser einen Verrückten werde ich nur zu gerne angefallen. Aber bitte, lass uns noch ein paar Minuten liegen bleiben. Die Kommentare der Jungs zu der riesen Latte in meiner Hose kann ich mir wirklich ersparen."
Auf eine komische Art und Weise zum einen beschämt als auch auf der anderen Seite glücklich kuschle ich mich an Gray und vergrabe mein Gesicht an seinem Hals. Ich wusste nicht, dass man sich bei einer anderen Person so zu Hause fühlen kann.
*************
Der Donnerstag und Freitag vergehen wie im Flug. Nachdem sowohl Gray als auch ich etwas abkühlen konnten, ist mir auch Mal in den Sinn gekommen, dass ich Vorlesungen habe und schlecht in meinen verknitterten Kleidern dafür aber ohne Materialen dort aufschlagen kann. Viel zu gut für diese Welt hat sich Gray jedoch dazu bereiterklärt meinen Fahrer zu spielen und mich sowohl nach Hause als auch auf den Campus gefahren, damit ich noch pünktlich komme.
Die Zusammenarbeit mit Lizzy war dann tatsächlich letztendlich sogar sehr angenehm. Vielleicht lag es daran, dass ich mich durch den Morgen wie in eine andere Welt katapultiert gefühlt habe, aber sobald ich mich etwas offener verhalten habe, waren wir ein richtig gutes Team. Zu Anfang war ich trotzdem lieber etwas zurückhaltender, aber spätestens als sie erwähnt hat, dass sie Riverdale schaut haben wir uns schnell in einer hitzigen Unterhaltung befunden. Und erstaunlicher Weise hat sie schlussendlich gefragt, ob wir uns die nächste Woche nicht Mal in einem Café treffen wollen - sowohl um über das Projekt als auch die neusten Entwicklungen zu Archie und Co. zu besprechen. Und ich habe zugesagt.
Freitag Morgen habe ich eine Nachricht von meinen Eltern erhalten, dass sie gegen Abend hier sein werden und ich schon Mal ein Restaurant in der Nähe heraussuchen soll und da glücklicher Weise nicht all zu viel in der Bibliothek los ist lässt mich Karla auch etwas früher gehen.
Mein Lieblingsstudent auf dem Campus schlägt aber zuvor natürlich auch wieder auf, mit einem Gray-Spezial-Kaffee in der Hand und einem breiten Grinsen auf den Lippen.
Dieses Mal küsst er mich völlig unabhängig davon, dass wir wohlmöglich Zuschauer haben und das ist auch gut so. Denn andernfalls hätte er Ärger mit mir bekommen.
Aber weil ich noch immer einen Funken Vernunft besitze gibt es ansonsten keinerlei unüblichen Kontakt zwischen uns beiden. Ich bin bei der Arbeit und er ist hier zum Lernen. Nur zum Abschied erlaube ich es mir erneut unprofessionell zu werden, aber ich bin nun Mal süchtig und Gray ist Sünde pur.
Dementsprechend berauscht und mit einem lächerlich breiten Grinsen auf den Lippen warte ich schlussendlich gegen sechs Uhr abends an der Straße zum Campus auf meine Eltern, die mich hier einsammeln wollen. Ich freue mich die beiden wiederzusehen. Zu telefonieren oder skypen ist einfach etwas anderes als wirklich bei ihnen zu sitzen und mit ihnen zu reden.
Ich bin froh von zu Hause weg zu sein. Die ganze Stadt erinnert mich an Dinge, die ich endlich hinter mir lassen will. Aber abends mit meinen Eltern zusammen zu essen oder vor dem Fernseher zu sitzen... Das vermisse ich einfach.
Ich erkenne das Auto meiner Eltern schon aus der Ferne und kann kaum still halten, bis der Wagen vor mir parkt. Und meiner Mom geht es wohl nicht besser, denn noch während der Wagen langsam rollt reißt sie bereits die Tür auf und springt zu mir auf den Bürgersteig, um mich in eine Bären Umarmung zu ziehen.
"Oh Schätzchen! Bist du nochmal gewachsen? Du kommst mir so groß und erwachsen vor. Wo ist nur mein kleines Mädchen hin?"
Lachend schlinge ich ebenfalls die Arme um sie und inhaliere tief ihren vertrauten Geruch. Ihre Haare kitzeln mich an der Nase, wie sie es schon immer getan haben und egal wie erwachsen ich vielleicht aussehen mag, in diesem Moment fühle ich mich wieder wie Moms kleines Mädchen.
Wir lösen uns von einander, als ein Türzuschlagen ankündigt, dass auch mein Vater ausgestiegen ist. Er sieht aus wie immer: Seine Haare etwas verstrubbelt, die Brille auf dem Kopf sitzend, anstatt auf der Nase wo sie hingehört und ein breites Grinsen auf dem Gesicht, als er für mich die Arme ausbreitet und mich ebenso herzlich umarmt wie zuvor meine Mutter.
"Lass dich von deiner Mutter nicht irritieren. Wir sind stolz eine so hübsche junge Frau unsere Tochter nennen zu dürfen."
"Du Schleimer."
Mit einem Grinsen löse ich mich von meinem Vater und trete einen Schritt zurück, um meine Eltern nebeneinander zu betrachten. Es tut so gut die beiden zu sehen. Es wäre zwar noch schöner auch meinen Bruder mit hier zu haben, aber uns vier an einen Ort zu kriegen kann manchmal schon an Weihnachten schwierig sein. Wer weiß wo in der Weltgeschichte mein Bruder gerade schon wieder herumreist.
"Also wer hat Lust auf Italienisch? Ich bin halb am verhungern!"
Während mein Vater lachend wieder den Wagen umrundet, um hinter dem Lenkrad Platz zu nehmen, nimmt meine Mom meine Worte wie immer etwas zu ernst und betrachtet mich kritisch.
"Du siehst wirklich zu dünn aus, Spätzchen. Isst du denn genug? Ist dir dein Geld zu knapp?"
Augenverdrehend schiebe ich meine Mom Richtung Beifahrertür und kann mir gleichzeitig ein Grinsen nicht verkneifen, so typisch ist das für sie.
"Nein Mom, ich bin weder am Aushungern noch habe ich Probleme was mein Geld angeht. Das ist nur dein übertriebener Mutterinstinkt."
Mit einem Seufzen gibt meine Mutter nach und öffnet die Tür. Doch bevor sie sich reinsetzt dreht sie sich noch einmal zu mir um und streicht mir über die Wange.
"Bekomm du erst Mal zwei Kinder und sieh dabei zu wie sie flügge werden. Dann reden wir noch Mal über übertriebene Mutterinstinkte."
Oh, ich zweifle keine Sekunde daran, dass ich ganz genauso werde wie meine Mutter. Aber solange es um meine Selbstständigkeit geht muss sie das ja nicht unbedingt wissen.
***************
Ich gehe nicht allzu oft auswärts essen, aber der kleine Italiener, bei dem ich mit meinen Eltern sitze, ist mit einer der ernsten Anlaufstellen, sollte es doch einmal dazu kommen. Die Pizza ist so wie ich sie liebe - mit dünnem Boden dann aber einem schönen dicken Rand - und die Nudelspezialitäten sind zum Niederknien.
Meine Eltern klären mich innerhalb einer Stunde über jede Kleinigkeit auf, die zu Hause passiert ist. Von dem tropfenden Duschhahn, den sie endlich ersetzt haben, bis hin zu der neuen Arbeitskollegin meiner Mutter. Dabei kappeln sich die beiden auf ihre übliche Art und Weise und ich merke wie ein Teil von mir trotz all den neuen Entwicklungen in letzter Zeit sich wieder wie früher fühlt. Sicher und geborgen bei meinen Eltern, die mich genau so akzeptieren wie ich bin. Sie lassen sich sogar von mir mehrere Minuten das Ohr darüber abkauen, was ich in den letzten Wochen am College gelernt habe, obwohl ich ihren Gesichtern ansehen kann, dass sie kein Wort verstehen.
Doch irgendwann im Verlaufe des Gesprächs fällt mir auf, dass dieses Gefühl gar nicht so unvertraut ist, wie sonst wenn ich meine Eltern über längere Zeit nicht gesehen habe. Denn bei Gray fühle ich mich ganz ähnlich. Nun ja, plus das Flattern, dass inzwischen jedes Mal in meinem Bauch entsteht, wenn ich an ihn denke.
Aber ansonsten gibt er mir die gleiche Geborgenheit. Die Sicherheit, dass er zu mir steht und diese Erkenntnis lässt in mir das Bedürfnis aufkommen, ihm etwas Ähnliches zurückzugeben. Nur dass ich nicht weiß wie. Immerhin kann ja nicht jeder von uns ein verkorkster Einsiedler ohne Vertrauen in andere Menschen sein. Für Gray bedeutet das Ganze wahrscheinlich nicht halb so viel wie für mich.
Aber vielleicht kann ich ihm zumindest zeigen, wie viel er mir gibt.
Völlig in Gedanken versunken fällt mir gar nicht auf, dass meine Mutter dazu übergegangen ist mir Fragen zu stellen, anstatt selbst zu erzählen. Erst als zwei Finger vor meiner Nase zu schnipsen anfangen kehre ich wieder ins hier und jetzt zurück und starre in die belustigten Gesichter meiner Eltern.
"Melissa, ich befürchte unsere Tochter sieht uns immer noch zu oft. Anscheinend ist unsere Anwesenheit ihr nicht genug wert, um mit ihren Gedanken hier zu bleiben."
Ich verdrehe die Augen über die Anschuldigung meines Vaters und schiebe mir den letzten Bissen meiner Pizza in den Mund.
"Du weißt genau, dass das nicht stimmt. Ich war nur... kurz abgelenkt."
Meine Mom tüpfelt sich mit ihrer Servierte den Mund ab und lässt ihre Locken springen, als sie den Kopf schüttelt. Oberflächlich betrachtet würde man wohl kaum davon ausgehen, dass wir Mutter und Tochter sind. Während meine Haare ziemlich langweilig in ein paar Wellen über die Schultern fallen, hat meine Mutter einen Lockenkopf, der mit dem von Lee mithalten kann. Mein Bruder hat diese ebenfalls geerbt, nur dass er sie sich so kurz schneiden lässt, dass es gar nicht zu sehen ist.
Dazu färbt sich meine Mutter nun schon seit mehreren Jahren die Haare kupferrot, anstatt bei dem normalen hellbraun zu bleiben, dass auch ich habe. Aber Dad meint immer, wir hätten die gleiche Nase und allem voran im Sommer die gleichen Sommersprossen.
Keine Chance, dass ich im Krankenhaus verwechselt wurde, auch wenn sie sich meine Intelligenz nicht erklären können.
Diesen Satz habe ich von den beiden im Laufe meiner Jugend so oft gehört, dass er mich selbst jetzt unwillkürlich zum Lächeln bringt. Ich habe die beiden unglaublich lieb.
"Soso, und was könnte unsere sonst so fokussierte Tochter abgelenkt haben?"
Neugierig zieht meine Mutter die Augenbrauen in die Höhe und auch wenn ich mein bestes gebe es zu verhindern, kann ich meine Wangen doch nicht davon abhalten rot anzulaufen. Jetzt bloß nicht an den heutigen Morgen und Gray denken.
In der Hoffnung mich selbst schnell genug ablenken zu können, bevor zu offensichtlich wird, was mich oder besser gesagt wer mich momentan so oft ablenkt, krame ich in meiner Tasche und zaubere die drei Tickets für das Eishockeyspiel, die Gray mir vorhin noch mitgegeben hat, daraus hervor.
"Das hier. Ein Besuch hier kann nicht vergehen, ohne dass ihr unsere unglaubliche, unvergleichliche Eishockeymannschaft zu Gesicht bekommt."
Auch wenn mein Respekt vor Eishockey die letzten Wochen enorm gestiegen ist, kann ich den Satz nicht ganz ohne Sarkasmus von mir geben. Aber ich hoffe Mal wenn Gray mir verziehen kann, dass ich mich zum Lernen in seine Badewanne verkrieche, dann wird er mir auch das hier nicht allzu krumm nehmen. Außerdem kann ich meinen Eltern ja wohl kaum einfach um die Ohren hauen, dass ich seit neustem Eishockeyfan bin, weil ich mit einem der Spieler etwas am Laufen habe. Am besten erwähne ich dann noch, dass mein Spitzname "Bunny" ist und meine Mutter muss sich nie wieder Sorgen machen, dass ich meine Jugend nicht genug auslebe. Allerdings würde ich vor Scham wahrscheinlich auch im Erdboden versinken.
Aber um eine Erklärung weshalb ich Karten für ein Eishockeysiel habe, komme ich trotzdem nicht herum. So viel ist mir schon klar gewesen.
"Nicht dass ich mich beschweren will von meiner Tochter genötigt zu werden zu einer Sportveranstaltung zu gehen, aber entweder haben wir es hier mit einem Wechselbalg zu tun oder du hast vergessen etwas zu erzählen, Roween."
Ich verziehe das Gesicht bei meinem vollständigen Namen, auch wenn ich weiß, dass mein Vater ihn vor allem deswegen benutzt, um mich etwas zu ärgern. Trotzdem komme ich mir dann wieder wie ein fünfjähriges Mädchen vor, dass gerade das Marmeladenglas hat fallen lassen.
"Oh Spätzchen, hast du dir etwa einen Sportler geangelt? Denn glaube mir ich kann aus eigener Erfahrung sagen..."
"Nein stopp!"
Mit einem Stöhnen reibe ich mir über das Gesicht und halte meine Mutter davon ab Dinge zu sagen, die ich nie wieder vergessen kann. Wenn es um Jungs geht könnte sie ruhig hin und wieder etwas weniger... offen sein. Aber wenn ich die Fantasien meiner Mutter nicht noch weiter beflügeln will, ist jetzt der Zeitpunkt für etwas Flunkerei.
"Ich habe ein paar Freunde", den Plural deutlich hervorhebend schaue ich meinen Eltern so überzeugend wie möglich in die Augen, "die in dem Team sind und mir freundlicher Weise Karten für uns besorgt haben, nachdem ich erzählt habe, dass meine Eltern zu Besuch kommen.Und da wir noch nichts geplant hatten und das sowas wie... wie ein Pflichtprogrammpunkt hier ist, habe ich mir gedacht, wieso nicht."
So weit von der Wahrheit ist das doch gar nicht entfernt. Trotzdem wechseln meine Eltern diesen wissenden Blick, den auch Alexis die ganze Zeit zur Schau trägt, bevor meine Mutter mit einem breiten Grinsen antwortet: "Oh Spätzchen wir freuen uns! Vor allem darauf deine Freunde kennen zu lernen."
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