Kapitel 24
Ich bewege mich unruhig im Schlaf, als ein nerviger Ton mich aus meinem Traum reißt. Was zum...? Mein Wecker hört sich doch anders an.
Mit einem leisen Grummeln öffne ich die Augen und starre auf das Netflixmenü, das den fremden Raum um mich erleuchtet, und für einen Moment fängt mein Herz panisch zu flattern an. Dann erklingt allerdings wieder das nervige Klingeln und langsam werde ich wach genug, um zu bemerken, dass ich allem Anschein nach angerufen werde - und dass ich nicht die einzige bin, die eingeschlafen ist.
Auch Gray neben mir rührt sich grummelnd und öffnet die Augen auf Halbmast, während ich anfange im Bett um mich herum nach meinem Handy zu suchen. Aber in dem Deckenknäul, in das ich eingewickelt bin, ist das verdammte Ding nirgendwo zu finden und mein Gehirn ist noch nicht wach genug, um sich zu erinnern, wo ich es das letzte Mal gesehen habe.
"Verdammt, wo ist mein Handy?"
Ich reibe mir über die Augen in der Hoffnung etwas wacher zu werden, aber viel helfen tut es nicht. Dafür scheint Gray so langsam die Dinge um sich herum wahrzunehmen, zumindest drückt er sich mit den Armen nach oben und gähnt ausgiebig, während er sich durch die verstrubbelten Haare fährt. Und das lässt mich für einen kurzen Moment meine Suche wieder vergessen. Gray ist genauso wie ich in seinen Klamotten eingeschlafen, aber sein Shirt ist im Schlaf verrutscht und offenbart nun neben seinem beeindruckenden Bizeps auch einen Teil seines Bauches, und der Anblick lässt ein mir fremdes Prickeln in mir aufkommen. Zusammen mit der allvertrauten Röte, die mir ins Gesicht schießt und mich schnell den Blick zurück auf die Matratze lenken lässt... Zu unseren Händen, die keine zwei Zentimeter voneinander getrennt daliegen.
Wir sind wirklich nebeneinander eingeschlafen. Mein Herz klopft mir bis zum Hals, bei dem Gedanken wie nah beieinander wir dagelegen haben müssen. Und wie wohl ich mich gefühlt haben muss, um einschlafen zu können. Ich habe noch nie mit jemand anderem in einem Bett geschlafen, außer mit Alexis. Und hier sitze ich, im Bett einer der heißesten Sportler des ganzen Colleges und reibe mir den Schlaf aus den Augen. Ich weiß nicht ob es Panik oder Freude ist, die mir die Brust zuschnürt, aber atmen fällt mir mit einem Mal ziemlich schwer.
"In deiner Tasche."
Grays Worte lenken meine Aufmerksamkeit wieder auf sein Muskelspiel, während er sich mit einem leisen Stöhnen streckt und auf die Kante des Bettes rutscht.
"Was?"
Mit einem amüsierten Schmunzeln blickt Gray zu mir zurück, bevor er aufsteht. "Dein Handy ist in deiner Handtasche."
Und wie zum Beweis bückt er sich und hebt im nächsten Moment mein leuchtendes Handy in die Luft, das gerade wieder zu klingeln anfängt. Bevor ich mich versehe wirft er es mir in einem grazilen Bogen zu und mehr schlecht als recht schaffe ich es, es aufzufangen, auch wenn mein Gehirn immer noch nicht ganz am Laufen ist. Deswegen dauert es auch ein bisschen, bis ich verstehe, dass Mary mich anruft und noch ein bisschen länger, bis ich tatsächlich auch auf den grünen Hörer drücke und mir das Handy ans Ohr halte.
"Hallo?"
"Hey Row! Oh Mann sorry, irgendwie habe ich den Abend über völlig vergessen mal aufs Handy zu schauen. Bei dir alles okay? Wo bist du?"
Ich schaue zu Gray, als sich die Matratze unter dessen Gewicht senkt und beiße mir für einen Moment auf die Unterlippe. "Alles gut. Ich bin bei einem... Freund untergekommen."
Mein kurzes Zögern anscheinend wahrgenommen, lehnt sich Gray mit einem Grinsen ans Kopfteil seines Bettes und verschränkt seine Arme vor der Brust. Ich weiß nicht, was diese Haltung an sich hat, aber mit einem Mal scheint Gray den ganzen Raum einzunehmen. Oder meine Sinne sind nur extrem empfindlich für ihn geworden, jedenfalls kommt es mir geradezu vor, als wolle er sagen: "Ja und zwar bei mir."
Und anscheinend ist er nicht der einzige, der die Besonderheit meiner Worte nochmals hervorheben will.
"Ein Freund? Also... Männlich? Bist du nicht bei Alexis?"
Etwas angespannt wegen Marys direkten Fragen und Grays intensiven Blick ziehe ich leicht die Schultern hoch und fahre aus Gewohnheit über meinen Piercing.
"Nein, Alexis war leider selbst unterwegs, also war Gray so lieb und hat mich aufgesammelt."
Für einen Moment bleibt es still am anderen Ende der Leitung und aus unerfindlichen Gründen traue ich mich nicht den Kopf zu heben, um Gray ins Gesicht zu schauen. Ich fühle mich als hätte er mich gerade dabei erwischt, wie ich mit einer Freundin über ihn schwärmen würde. Dabei habe ich doch nur die Fakten ausgesprochen. Mit einem Seufzen versuche ich mich wieder zu entspannen.
"Du meinst Gray, wie in Jonah Grayham, der Eishockeystar mit dem süßesten Grübchen der Welt, der ein Mädchenhöschen nach dem anderen schmelzen lässt?"
Okay, das wars mit Entspannung. Bitte ist mein Handy nicht so laut, dass Gray diese Worte gehört hat. Andernfalls muss er mich nicht mehr nach Hause fahren, ich vergrabe mich einfach gleich hier im Vorgarten.
Da ich diese Aussage aber, egal ob Gray es gehört hat oder nicht, so nicht stehen lassen kann, wenn ich jemals wieder zu einer normalen Gesichtsfarbe zurückkehren will, beeile ich mich schnell die Dinge klar zu stellen.
"Nein, ich meine Gray, meinen Lernbuddy, der zufälliger Weise auch noch ganz gut Eishockey spielt."
Ein kurzer Blick zu besagtem Eishockeyspieler verrät mir, dass dieser sich theatralisch eine Hand ans Herz legt und mit den Lippen ein "Autsch" formt. Und weil ich sehen kann, dass hinter dem gespielt verletzten Gesichtsausdruck seine Augen belustigt funkeln, kann ich nicht anders als zu schmunzeln. Gut vielleicht habe ich etwas untertrieben.
"Du nimmst mich ja wohl auf den Arm! 'ganz gut Eishockey spielen'. Die Saison ist vielleicht nicht so gut gelaufen, aber dieser Junge ist ein Gott auf dem Eis! Und du sitzt gerade wirklich bei ihm zu Hause? Oh mein Gott, kann ich vorbeikommen?"
Ein hysterisches Quietschen ist von Mary zu hören und ich muss den Hörer ein Stück von meinem Ohr weghalten, um nicht taub zu werden. Irgendetwas sagt mir, dass meine Mitbewohnerin etwas getrunken hat.
"Mary, du hast einen Freund."
"Ja, und Jackson würde mich vergöttern, wenn ich ihm Autogramme vom Eishockeyteam besorge."
Ich muss ein Lachen unterdrücken und blicke zu Gray, dessen Gesicht ein fettes Grinsen ziert. "Also mir kommt sie sympathisch rüber, sie kann gerne vorbeikommen."
Das klärt dann wohl die Frage, ob mein Handy etwas zu laut eingestellt ist. Ich hätte am liebsten laut stöhnend das Gesicht in den Händen vergraben, aber am effektivsten diese Anreihung peinlicher Momente beenden kann ich wohl, indem ich das Telefonat zu einem Ende bringe.
"Ich bin mir sicher Jackson vergöttert dich auch so schon. Bist du denn jetzt zu Hause?"
"Ja gerade die Haustür rein. Von Cass ist noch keine Spur zu sehen, aber du weißt ja, sie hat die bessere Ausdauer von uns, wenn es ums Feiern geht. Kommst du denn her oder hast du es dir jetzt schon bei Gray zu gemütlich gemacht?"
Selbst über das Telefon bin ich mir absolut sicher, dass Mary gerade anzüglich mit den Augenbrauen wackelt. Und ich bin mir auch bewusst, dass meine Antwort wie aus der Pistole geschossen kommt.
"Nein, ich komme heim."
Mit hochroten Wangen kneife ich die Augen zusammen und Versuche Mary zu ignorieren, als sie belustigt zu lachen anfängt. "Gut, ich bliebe wach, bis du da bist. Und lass dir ruhig Zeit, ich bin zwar müde, aber verdammt wir sprechen über..."
"Ja, danke Mary. Du musst nicht weitersprechen. Wir sehen uns dann gleich."
Und bevor meine Mitbewohnerin über mein eindeutig peinlich berührtes Verhalten wieder zu lachen anfangen kann, lege ich auf und nehme einen tiefen Atemzug.
"Okay, keine Zweifel mehr, ich muss deine Mitbewohnerinnen kennenlernen."
Mit einem Stöhnen schlage ich die Augen auf und schaffe es trotz meiner brennenden Wangen Grays Blick zu begegnen.
"Da bin ich mir inzwischen nicht mehr so sicher. Ich weiß nicht, ob mein Schamgefühl dieses Treffen aushalten würde."
Gray fängt an zu lachen und steht erneut vom Bett auf. "Also meinem Selbstwertgefühl würde es auf jeden Fall guttun."
Ich versuche mein Lächeln mit einem Schnaufen zu tarnen, während ich beginne mich aus der Decke zu schälen, um Grays Beispiel zu folgen. Wie kommt es überhaupt, dass ich zugedeckt bin? Oh Gott, hoffentlich habe ich mich im Schlaf nicht wie selbstverständlich daran bedient. Immerhin bin ich nur Gast hier.
"Dein Ego ist groß genug, keine Sorge."
Mit ein paar wenigen Schritten das Bett umrundend, hält mir Gray hilfsbereit die Hand hin, gerade als ich meine Beine aus der Decke befreit habe.
"Bunny, seitdem ich dich kenne bin ich mir da nicht mehr so sicher."
Mit einem kurzen Zögern lege ich meine Hand in seine und lasse mich von ihm aus dem Bett ziehen, sodass wir direkt voreinander stehen. Es ist ein bizarrer Gedanke und ich schiebe es meiner Müdigkeit zu, dass er mir überhaupt kommt, aber ich müsste mich nur ein paar Zentimeter vorlehnen, um mich an Grays Brust zu kuscheln. Ich schlucke hart und versuche das warme, geborgene Gefühl, dass mich bei dem Gedanken daran überkommt, einzudämmen.
"Lass es dir von jemandem sagen, der es wissen muss: Dein Ego würde noch immer für dein ganzes Team reichen. Dass ich dir hin und wieder einen Dämpfer verpasse, ist nur zu deinem besten."
Mein Lächeln gerät etwas zittrig, aber das schon lange nicht mehr, weil es mir so unvertraut ist in Gegenwart von Gray einfach einmal loszulassen, sondern weil ich das Gefühl habe gerade zu fallen. In eine mir neue Ungewissheit, die bei Grays blauen Augen anfängt, die mich so... Liebevoll anschauen und bei seinem warmen Atem aufhört, der über meine Schläfen streift, als er sich ein Stück weiter zu mir beugt.
Ich stehe wie erstarrt da, während in meinem Kopf das reinste Chaos herrscht. Ich bin unerfahren, was solche Dinge angeht, aber ich glaube Gray ist kurz davor mich zu küssen. Und das lässt meinen ganzen Körper kribbeln. Von den Zehenspitzen bis zum Haaransatz bin ich gefüllt mit einer Energie, die meine Gliedmaßen taub werden lässt. Ich taumle zwischen Freude und Panik und kann nicht mehr tun, als Gray in die Augen zu schauen, während er Stück für Stück auf mich zu kommt. Mein Herz flattert nervös und ich spüre diesen Druck auf meiner Brust... Okay vielleicht hat sich mein Körper doch für die Panik entschieden.
Gray sieht mich als eine Freundin. Das ist etwas, von dem ich nie zu träumen gewagt hätte, dass mir nicht mal in den Sinn gekommen wäre, so abwegig erscheint es mir. Aber wenn er das macht, wenn wir diesen Schritt gehen, kann das nicht auch alles wieder zerstören? Verdammt, ich tauge ja kaum als normale Freundin, wie soll das erst bei mehr werden? Und weshalb in Gottes Namen sollte Gray in dieser Art an mir interessiert sein? Er kann so gut wie jede auf diesen Campus haben. Hübschere, normalere Mädchen, die nicht einen Knacks haben wie ich.
Durch all die Gedanken abgelenkt, ist mir nicht aufgefallen, wie Gray in seiner Bewegung innegehalten hat und sich ein kleines Lächeln auf sein Gesicht geschlichen hat. "Atmen Bunny."
Ich spüre seine Lippen sanft auf meiner Stirn und als ich wieder Luft in meine Lungen saugen kann, bin ich Gray dafür, dass er das Ganze auf diese harmlose Weise beendet, ein Stück mehr verfallen.
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Es ist der reine Wahnsinn. Überall wohin ich blicke sind Menschen um Menschen in Trikots und wenn ich nicht Kaylas Hand in meiner spüren würde, wäre ich wahrscheinlich schreiend weggerannt.
Meine Güte, ich wusste nicht, dass so viele sich für Eishockey interessieren.
Es ist Samstagnachmittag und seitdem wir vor zehn Minuten die Eishockeyarena betreten haben, komme ich nicht mehr aus dem Staunen raus. Kayla hat mich wie verabredet bei mir zu Hause abgeholt und seitdem ich mich während der Autofahrt an ihre quirlige Art gewöhnt habe, kann ich mir niemand besseren vorstellen, um mich in diese fremde Welt einzuführen.
Sie hat mich gleich zu Anfang in ein Trikot gesteckt - natürlich nicht ohne mich explizit darauf hinzuweisen, dass es Grays Nummer ist, die hinten auf meinen Rücken prangt - sodass ich unter all den Leuten gar nicht Mal als Neuling auffalle. Und für meine Verhältnisse... Fühle ich mich erstaunlich wohl. Das Trikot ist so riesig, dass es mir bis zu den Kniekehlen reicht und weshalb auch immer fühle ich mich darin irgendwie sicher. Als würde ich genauso wie die Eishockeyspieler darunter eine ganze Schutzausrüstung tragen - oder aber als wäre Grays Name auf dem Rücken wie ein sicherer Bannzauber. Meine Nervosität hält sich auf jeden Fall in Grenzen, während ich mit großen Augen um mich schaue und mich von Kayla durch die Menge führen lasse.
"Wir müssen da vorne rein."
Sie deutet auf einen Eingang, den ich durch all die Leute hindurch nur erahnen kann. "Willst du vorher noch etwas zu essen holen?"
Zu erstaunt von dem Ganzen schüttle ich nur den Kopf, als Kayla über die Schulter zu mir blickt, aber meine wortlose Art scheint ihr nichts auszumachen.
"Gute Entscheidung. Ich begehe viel zu oft den Fehler vorher noch eine riesen Portion Pommes zu essen, die mir dann die ganze Zeit schwer im Magen liegt, wenn ich aufspringe."
Aufspringen? Ich verstehe nicht, was Kayla damit meint, aber sie hat sich bereits wieder umgewandt, bevor ich fragen kann und über den Geräuschpegel hier draußen, wäre sich zu unterhalten sowieso zu anstrengend. Also laufe ich ihr einfach hinterher, weiche hier und da Getränkebechern, Armen und ganzen Personen aus, als wir durch einen Durchgang treten und plötzlich die ganze Halle sich vor uns erstreckt.
Es ist atemberaubend. Rang um Rang türmt sich die Tribüne auf der gegenüberliegenden Seite auf genauso wie links, rechts, unter und über mir. Und von überall strömen die Fans auf die Sitzplätze im dunklen Blauton der Trikots unserer Jungs. Selbst jetzt herrscht bereits eine erwartungsvolle Stimmung in der ganzen Arena, die mir die Haare zu Berge stehen lässt.
"Komm, wir haben die besten Plätze von allen."
Mit einem Zwinkern zieht mich Kayla an der Hand weiter und führt mich auf einen mittleren Rang an der Längsseite des Spielfeldes. Wir sitzen nur ein paar Meter über den Plexiglasscheiben, die uns vor zu hoch gespielten Pucks schützen sollen, aber hochgenug, dass man sowohl links als auch rechts das ganze Eisfeld im Blick hat. Wenn sich kein zwei Meter Mensch vor mich setzt, sind das wirklich ziemlich ideale Plätze.
Ich bin so voller nervöser Energie, dass ich mich am liebsten noch gar nicht gesetzt hätte. Und dabei hat dieses Kribbeln in meinem ganzen Körper gar nichts mit den ungewohnt vielen Menschen um mich herum zutun. Ich fiebere auf das Spiel hin. Seitdem ich den ersten Blick auf die Eisfläche erhascht habe, versuche ich mir vorzustellen wie die lachenden Jungs aus dem Pub nun in voller Montur über das Spielfeld rasen, wie ich es in den Videos gesehen habe, die ich mir heute Mittag extra noch angeschaut habe. Und ich will Gray sehen. Ihn dabei beobachten, wie er völlig in seinem Element ist.
Eine Hand legt sich auf mein Bein, das hibbelig auf und ab wippt und Kayla stößt mich lachend mit der Schulter an.
"Freust du dich auf dein erstes Spiel?"
Mein Lächeln hätte nicht ehrlicher sein können, als ich begeistert nicke. "Und wie. Hätte ich nicht gedacht, normaler Weise bin ich nicht so der Sportfanatiker."
"Meine Liebe, ich kann dich nur zu gut verstehen."
Kaylas Augen funkeln, als sie sich verschwörerisch zu mir beugt. "Vor Elijah hat man mich allein mit dem Wort 'Eishockey' in Tiefschlaf versetzen können. Aber glaub mir... Nach heute verändert sich deine Welt. Die Atmosphäre, die Spannung, es ist als stände man mit auf dem Feld."
Mit einem Seufzen stützt Kayla die Ellenbogen auf ihre Beine ab. "Ich bin süchtig geworden. Und glaube mir, langweilig wird dir keines Falls werden, nicht beim Eishockey. Das Spiel ist derart schnell und immer passiert irgendetwas."
Das ist mir bei meiner Recherche bereits selbst aufgefallen, aber in dem Tonfall, wie Kayla spricht, glaube ich Grays Worte nur noch mehr: Nichts kann mich darauf vorbereiten, was noch kommen wird.
Und so ist es auch, als fünf Minuten später mit einem Mal die Lichter in der Halle ausgehen. Ich will mich schon an Kayla wenden, ob das normal ist, als aus den Lautsprechern Musik zu schallen beginnt und die Menge... Ausrastet. Lautes Gejubel ertönt und Blitzlichter erfüllen sporadisch das Spielfeld. Mit wildklopfendem Herzen und offenstehenden Mund versuche ich zu verstehen, was hier los ist, als ich den ersten Spieler über das Eis jagen sehe. Kayla neben mir springt auf und fällt in das Jubeln mit ein. Aber ich bin zu erstaunt, um mich zu rühren, während nach und nach die Spieler auf die Fläche hinauskommen und von ihren tosenden Fans empfangen werden.
Ich kann mir nicht einmal ansatzweise vorstellen, was für ein Gefühl es sein muss da unten zu sein. Wenn du weißt, dass all die Leute für dich jubeln. Kein Wunder, dass Grays Ego größer als der ganze Kontinent ist. Das muss einfach... Berauschend sein. Sobald das normale Licht wieder angeschaltet wird, beginne ich die Fläche nach der einen Nummer abzusuchen, die auch auf meinem Rücken zu lesen ist. Darüber hinaus bemerke ich nicht einmal wie auch die gegnerische Mannschaft das Eis betritt, aber das erscheint mir auch ziemlich unwichtig, als ich endlich die Nummer 32 entdecke und meine Lippen sich ganz von selbst zu einem Lächeln verzieht.
Gray dreht seine Kreise auf dem Spielfeld, führt elegante Bewegungen mit seinem Schläger aus, als würde er den Puck führen, und schlägt hier und da seine Kumpels ab, die es ihm gleichtun und über das Eis gleiten. Dann finden sich mit einem Mal alle Spieler in einer Reihe ein, ein Stadionsprecher kündigt nochmals die beiden Teams an und dann beginnt das Spiel. Gray gehört zu den sechs Spielern, die zum ersten Bully auf dem Spielfeld bleiben und kaum ist der Puck das erste Mal geschlagen, kommen meine Augen kaum noch hinterher. Das Spiel ist unglaublich rasant und die Menge um mich scheint bei jeder Aktion des Teams mit dabei zu sein. Sie feuern an, halten die Luft an und brüllen wieder darauf los.
Ich bin froh über meine Recherche, denn sonst hätte ich wahrscheinlich gar nichts verstanden, auch wenn sich Kayla immer wieder die Mühe macht sich zu mir zu beugen, um mir die Entscheidungen der Schienzrichter zu erklären. Aber natürlich bewahrheiten sich Grays Worte: auf das hier konnte ich mich nicht vorbereiten. Allein schon die technischen Dinge, die mir das Internet verraten hat, sind in Echt etwas völlig anderes. Fliegender Wechsel? Den Namen hat das Spieleraustauschen tatsächlich verdient. Manchmal bemerke ich gar nicht, wie ein Spieler das Eis verlässt und ein neuer dafür eingewechselt wird, so schnell geht das Ganze. Das ganze Spiel ist immer am Laufen, selbst als Zuschauer darf man kaum eine Sekunde unaufmerksam sein. Und die kleine schwarze Scheibe? Ist manchmal so schnell vom einem Ende der Spielfläche am anderen, dass ich sie komplett aus den Augen verliere. Aber die Spieler scheinen immer genau zu wissen, wo der Puck und ihre Mitspieler sind. Mir ist durchaus klar, dass Sport auf diesem Niveau anspruchsvoll ist, aber wie viel mehr noch hinter Eishockey steckt, außer Schlittschuhfahren und körperlich trainiert zu sein, wird mir erst jetzt bewusst. Und ich bin völlig hin und weg.
Als ein gegnerischer Spieler freie Schusslinie hat, ziehe ich scharf die Luft ein und juble im nächsten Moment mit der ganzen Halle mit, als unser Torwart den heranrasenden Puck hält. Der Gegenangriff wird von unseren Jungs gestartet und die Nummer 44 - Elijah wie ich inzwischen weiß - ist innerhalb von Sekunden am Tor unserer Gegner, schlägt und...
Kayla ist eine Millisekunde bevor alle um uns herum aufspringen schon auf den Beinen und jubelt ihrem Freund zu.
Inzwischen habe ich auch verstanden, welches Problem sie meinte mit einem vollen Magen. So oft, wie sie sich setzt, nur um eine Sekunde später wieder zu stehen, betreibt sie ebenfalls Hochleistungssport. Und es ist ansteckend. Alles hier ist ansteckend. Die Stimmung als unser Team in Führung geht, die kurzen Hymnen, die immer wieder eingestimmt werden und das aufregende Prickeln, dass einen von oben bis unten erfüllt.
Das erste Drittel endet eins zu null für uns und ich kann die Füße kaum ruhig halten. Aber Kayla wirkt nicht ganz so optimistisch wie ich, so wie sie nervös auf der Unterlippe kaut.
"Hey, wir liegen in Führung, das ist doch gut, oder?"
Ich stoße sie leicht mit der Schulter an, aber Kayla zuckt nur mit einem kleinen gequälten Lächeln die Schultern.
"Klar, das ist nicht schlecht, aber ich habe schon Spiele gesehen, da lagen wir vier Tore in Führung und haben letztendlich doch verloren. Das Spiel ist noch lange nicht entschieden."
Überrascht schaue ich Kayla an, aber sie ist diejenige mit Erfahrung. Und rechtbehalten sollte sie ebenfalls.
Die ersten fünf Minuten des zweiten Drittels verbringe ich einfach nur damit Gray dabei zu bewundern, wie er über das Eis gleitet. Und wie er anscheinend völlig ohne Angst auf einen Gegenspieler zu rast und beide mit der Bande kollidieren. Ich verziehe an seiner statt schmerzerfüllt das Gesicht, wie eigentlich jedes Mal, wenn es in dem Spiel etwas rauer zu geht. Natürlich habe ich auch darüber etwas gelesen, aber die Jungs zu kennen, die dort unten immer wieder unsanft aufeinanderstoßen, hilft mir nicht gerade dabei, distanziert zu bleiben. Schutzausrüstung hin oder her, der Check, den Lee da gerade abbekommt sieht schmerzhaft aus.
Aber die Spieler scheint das nicht sonderlich zu stören, nach jedem Gerangel stöbern sie wieder auseinander, als wäre nichts gewesen. Hauptsache einer ist im Besitz des Pucks. Und genau nach so einer Situation fällt das zweite Tor für uns und lässt die Zuschauer wieder in lautes Gejubel ausbrechen. Ich stehe neben Kayla und wiederhole den Namen des Torschützens zusammen mit der Menge um mir. Tobias Gravis. Ich erkenne das Gesicht des Spielers nicht, als er groß auf den Stadionbildschirmen gezeigt wird, die hoch an der Decke über den Eis hängen, aber das ist auch egal. Das Tor war grandios.
Doch so groß die Euphorie auch ist, so schnell fällt sie wieder in sich zusammen, als in den nächsten Minuten zwei Tore nacheinander fallen - für die gegnerische Mannschaft. Die Atmosphäre verändert sich zu einer grimmigen Entschlossenheit hin und als es fast so aussieht, als würden die Gegner auch noch in Führung gehen, greift Kayla nach Unterstützung suchend meine Hand und ich kralle mich genauso fest an ihr, wie sie sich an mich.
Das Drittel geht im Gleichstand aus. Man merkt, dass die Nerven bei den Zuschauern angespannt sind, als sie zu der Pause wieder von der Tribüne strömen, um sich draußen etwas zu essen oder trinken zu kaufen. Aber Kayla und ich bleiben wie zuvor auch sitzen, als müsse man die Gefahr eliminieren eventuell etwas zu verpassen. Ich muss nicht nachfragen, um zu wissen, dass es wichtig ist heute zu gewinnen. Sowohl für die Moral des Teams als auch den Stand in der Tabelle. Also lassen Kayla und ich auch in dem dritten Drittel nicht unsere Hände los.
Man merkt bei den Spielern beider Seiten, dass mehr Druck hinter den Schlägen liegt. Die Angriffe werden aggressiver, genauso wie die Bodychecks, die ausgeteilt werden. Allein Gray kracht noch zwei Mal heftig gegen die Bande und lässt mich damit zusammenzucken. Aber er ist definitiv noch nicht einmal der, dem es am schlimmsten ergeht.
Auch die Zuschauer geben noch einmal alles. Wann auch immer unser Team nach vorne stürmt werden sie angefeuert und jeder gehaltene Puck durch unseren Torwart wird mit lautem Gejubel belohnt. Ich bin wie hypnotisiert von dem Spiel. Gray ist gerade wieder eingewechselt worden. Es sind die letzten fünf Minuten und die Nerven liegen blank. Er stürmt in einem Passspiel mit Lee nach vorne, bis sie von den Gegnern abgefangen werden. Gray spielt zu Lee rüber, bevor ihm einer aus der gegnerischen Mannschaft in die Quere kommt und versucht sich wieder freizulaufen. Lee passt weiter an die Nummer 17, dessen Name mir nichts sagt, und der Kampf um den Puck verlagert sich hinter das Tor. Auch Gray kommt seinem Spielkameraden zur Hilfe und ein heftiges Gerangel entsteht, bei dem ich den Überblick verliere, wo der Puck ist, oder welcher Schläger zu wem gehört.
Alles was ich weiß, ist das mit einem Mal einer der Schläger über das Eis schlittert und während Nummer 17 es irgendwie aus dem Gemenge schafft, noch immer in Puckbesitz, dafür aber mit den gegnerischen Spielern im Nacken läuft Gray seinem Schläger hinterher, der am rechten Rand des Spielfelds liegen bleibt. Ich bin zu konzentriert darauf Gray dabei zu beobachten, wie er sich selbst fallen lässt, um schnellst möglich wieder seinen Schläger in die Hand zu bekommen, dass ich gar nicht mitbekomme, wie es Nummer 17 weiter ergeht. Deswegen kommt für mich der Puck auch wie aus dem Off, als er mit einem Mal auf Gray zu schlittert, der genau in diesem Moment die Finger um seinen Schläger legt, noch immer mitten in der Bewegung herumwirbelt und den Puck perfekt durch die Verteidigung hindurch ins Tor schlägt.
Ich stehe bereits und schreie mir die Seele aus dem Leib, da ist mir noch nicht bewusst klar, was da unten gerade passiert ist.
Jonah Grayham ist ein Eishockeygott.
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