Kapitel 23

Gray

Ich merke genau, wie Row zögerlich vor der Hausschwelle stehen bleibt, nachdem ich aufgeschlossen habe und eingetreten bin, und muss grinsend die Augen verdrehen. Dieses Mädchen ist viel zu schüchtern und höflich. "Bunny, wenn du nicht gleich reinkommst, trage ich dich über die Türschwelle. Und das sollte eigentlich nur meiner zukünftigen Ehefrau vorbehalten sein."

Ich sage die Worte ohne mich zu ihr umzudrehen, aber ich weiß auch so, dass sie rot anläuft und das bringt mich nur noch mehr zum Grinsen. Vor allem als ich ihre schnellen Schritte, um mir nachzukommen, höre.

"Gray? Bist du das?"

Lee brüllt mir aus dem Wohnzimmer zu und seine Worte werden von Schüssen und Flüchen begleitet, die mich erahnen lassen, dass die Jungs am Zocken sind. Ich war vorhin zu sehr in Eile, um Bescheid zu geben wo ich hin gehe, aber allzu besorgt scheinen meine Mitbewohner wohl nicht gewesen zu sein.

"Ja, und ich habe jemanden mitgebracht!"

Ich drehe mich zu Row um, die eindeutig unbehaglich sich im Hausflur umschaut. Sie hat die Hände fest ineinander verschränkt und ich bin mir sicher, wenn ich sie lösen würde, würde ich kleine halbmondförmige Male dort finden, wo ihre Fingernägel in ihre Haut drücken. Jetzt sind wir wohl wieder an dem Punkt, dass sie lieber über glühende Kohlen laufen würde, als hier zu sein. Mir ist schon auf der Fahrt aufgefallen, dass sie immer stiller geworden ist, je näher wir meinem zu Hause gekommen sind. Aber das einzige was mir einfällt, um ihr dabei zu helfen sich etwas zu entspannen ist Konfrontation. Also schnappe ich mir wieder ihre Hand und ziehe sie mit mir ins Wohnzimmer, bevor sie überhaupt weiß, was mit ihr geschieht.

"Bitte sag Stripperinnen... Und Pizza! Mein Gott, du wärst mein Held wenn... Oh, hi Row."

Lee, der sich auf der Couch umgedreht hat, um zu sehen, wen ich da mitbringe, grinst verschmitzt, ganz ohne eine Spur der Scham, während Rows Griff um meine Hand fester wird.
Super, das war jetzt genau das 'Herzlich Willkommen, fühle dich wie zu Hause', dass ich mir vorgestellt habe. Ich werfe meinem besten Freund einen finsteren Blick zu, aber er zuckt nur die Schultern, als wolle er sagen 'woher hätte ich das denn wissen sollen?' und dreht sich wieder um, um sich auf das Ego-Shoter Spiel auf dem Fernseher zu konzentrieren. Das wäre aber gar nicht nötig gewesen, denn sobald die anderen Mitspieler Rows Namen gehört haben, wird das Spiel pausiert und drei Köpfe - einschließlich erneut Lees - drehen sich zu dem unerwarteten Besuch um.

"Gray, wieso hast du nicht gesagt, dass du unsere Teamheldin mitbringst? Dann hätte ich etwas gekocht oder zumindest euer Chaos aufgeräumt."

Bas, Mal wieder voll in seiner Mutterrolle, schenkt mir einen tadelnden Blick. Mein Augenrollen darauf bekommt er allerdings gar nicht mehr mit, weil der Muskelberg sich von der Couch erhebt und mit zwei langen Schritten zu Row geht, um sie in eine feste Umarmung zu ziehen. Sie erwidert die Geste etwas unbeholfen und ich bin mir nicht sicher, ob ich mich freue, dass sie so langsam meine Freunde zu akzeptieren scheint, oder es mich stört, dass sie sich nicht nur bei mir entspannt. Ich entscheide mich für eine Mischung aus beiden und beobachte so mit Argusaugen, aber einem Lächeln auf den Lippen, wie auch Lee und Caleb Row begrüßen.
Caleb, der eine kleine Show wohl nicht lassen kann, hebt Row mitten in der Umarmung einmal kurz vom Boden, was diese aufquietschen lässt und mich dazu veranlasst sie etwas näher zu mir zu ziehen, sobald sie wieder sicher auf den Füßen steht. Und weil diese Geste einfach nicht unauffällig sein kann, gestatten sich meine drei Teamkollegen daraufhin ein selbstgefälliges Lächeln. Ich kneife herausfordernd die Augen zusammen.

"Alsoo, was verschafft uns die Ehre, Row?" Uns zur Couch winkend lächelt Bas Row freundlich an, als wüsste auch er, dass man bei ihr vorsichtig sein muss. Aber auch wenn mein Bunny die Schultern leicht hochgezogen hat, scheint bisher noch alles im grünen Bereich zu sein. Sie lächelt ehrlich und spielt nur nervös mit einer Hand am Reißverschluss ihrer Jacke, während sie der Aufforderung nachkommt und sich hinsetzt. "Ähm, ich habe meine Hausschlüssel vergessen und meine beiden Mitbewohnerinnen sind ausgegangen, da war Gray so nett und hat mich aufgelesen, damit ich nicht draußen warten muss."

Der Erziehung meiner Mutter gerecht werdend bedeute ich Row mir ihre Jacke zu geben, die sie süß errötend auszieht und mir mit einem leisen "Danke" überreicht.

"Na, da ist heute ja jemand ein richtiger Gentleman." Ich werfe Lee einen scharfen Blick zu, aber dieser wackelt nur bedeutungsvoll mit den Augenbrauen, während Bas ihm einen Ellenbogenstoß gibt. Diese kleine Ermahnung wäre ja nett gewesen, würde mein Kumpel nicht genauso idiotisch grinsen wie Lee. Aber welche Reaktion habe ich auch schon erwartet? Die Art und Weise, wie ich mich gegenüber Row verhalte muss für meine Freunde ziemlich eindeutig sein. Auch wenn es das nicht unbedingt ist. Ich bin mir ja selbst nicht sicher, was ich von Row will oder was das zwischen uns ist. Aber ich genieße es, mit ihr zusammen Zeit zu verbringen und ich sorge mich um sie, wie meine kleine Aktion heute Abend nur allzu offensichtlich gezeigt hat. Und ich will nicht mit ihr ins Bett. Naja, zumindest nicht nur. Mit einem Seufzen auf den Lippen wende ich mich ab, um die Jacken raus an die Garderobe zu bringen. Ich kann allerdings trotzdem hören, was im Wohnzimmer gesprochen wird.

"Du bist hier auf jeden Fall herzlichst willkommen. Mi Casa es tu Casa. Und wenn Gray dir zu nervig wird, kannst du gerne in mein Zimmer rüberkommen."

Ich kann aus Calebs Tonfall heraushören, dass er es nur als Spaß meint, aber gefallen tut es mir trotzdem nicht. Wieso bin ich eigentlich nur mit notorischen Frauenhelden befreundet? Die Augen für einen beruhigenden Atemzug geschlossen, warte ich einen Moment an der Garderobe, um mir nicht ansehen zu lassen, wie aufgewühlt ich tatsächlich bin. Normaler Weise reagiere ich nicht so darauf, wenn einer meiner Teamkollegen mit meiner Begleitung flirten. Klar, toll finden tut man es nicht, aber das sind meine Brüder, wenn vielleicht auch nicht durch Blut, dann durch Schweiß und harte Arbeit. Und ich hatte bisher noch nie das Bedürfnis ihnen klar und deutlich zu sagen, sie sollen sich sonst wohin scheren oder aber die Klappe halten. Müde fahre ich mir über das Gesicht und stoße einen gedämpften Seufzer aus. Das Training heute hat mich ziemlich gerädert, wahrscheinlich reagiere ich deswegen so empfindlich. Ich brauche einfach etwas Ruhe.

„Falle erst gar nicht auf dieses scheinheilige Angebot rein! Wenn Gray irgendetwas krummes abzieht..."

„Könnt ihr vielleicht mal aufhören so zu reden, als wäre ich der schlechteste Mensch der Welt?"

Bas, mit einem flunkernden Lächeln auf dem Gesicht, dreht sich zu mir um und wird sofort ernst. Anscheinend ist mir anzusehen, dass ich ausnahmsweise nicht zu Scherzen aufgelegt bin. Aber was denken die Jungs sich auch? Mir reicht ein Blick auf Row und mir ist sofort klar, wie unangenehm ihr die Kommentare sind. Und normaler Weise habe ich nichts gegen Scherze, die auf meine Kosten gehen, aber im Bezug auf dieses Thema reicht es einfach. 
„Ach Gray, jetzt...", Lee bringt Caleb mit einem Schlag auf den Oberarm zum Schweigen, aber ich blende die Chaoten schon längst aus und deute mit einem Nicken Richtung Treppe, während ich Row fixiere.

„Kommst du mit, Bunny?" 

Anscheinend nicht undankbar der Situation zu entkommen, nickt Row fast augenblicklich und huscht auf mich zu. Aber bevor sie nah genug ist, damit ich ihr eine Hand auf den Rücken legen kann, dreht sie sich noch mal um und schenkt meinen Freunden ein kleines Lächeln. 

„Danke dass ihr mich aufnehmt, Jungs."

Meine Freunde winken nur lässig ab und das lässt meine Stimmung sich wieder etwas aufhellen. Aber ich bin trotzdem froh, als Row sich mir wieder zu wendet und ich ihr bedeute vor zu laufen.

„Tut mir Leid, die Jungs sind manchmal etwas..."

Row unterbricht mich, indem sie mir den Kopf zu wendet und ihn kurz schüttelt. „Du musst sie doch nicht rechtfertigen oder sonst etwas. Ist doch alles... gut. Ich war nur etwas überfordert." 

Ich verstehe es nicht, wie sie es schafft zur gleichen Zeit selbstsicher und zurückhaltend zu wirken, aber es entlockt mir ein Schmunzeln. „Wem würde es nicht so gehen, wenn er zuerst als Stripperin verwechselt und dann auf ein fremdes Zimmer eingeladen wird?"

Ich kann es nicht genau sehen, weil Row vor mir die Treppen hochläuft, aber ich meine sie kichern zu hören und das zaubert auch mir wieder ein Lächeln auf die Lippen. Irgendetwas sagt mir, dass mich zu entspannen und Row um mich zu haben sich nicht gegenseitig ausschließen. „Die zweite Tür links."

Oben an der Treppe angekommen deute ich auf die Tür zu meinem Zimmer, aber Row ist viel zu höflich, um vorzugehen. Also überhole ich sie und greife präventiv schon mal nach ihrer Hand. Wenn sie sich schon schwer getan hat das Haus zu betreten, wie soll das dann erst bei meinem Zimmer werden?

Ich bin nicht gerade der ordentlichste Mensch auf dieser Welt, vielleicht fällt mir deswegen ein kleiner Stein vom Herzen, als ich den Raum betrete und bemerke, dass es gar nicht so schlimm aussieht. Zumindest keine Unterhosen auf dem Boden. Und das ist auch ganz gut so, denn Row schaut sich um, als wäre sie noch nie in dem Zimmer eines männlichen Wesens gewesen. Sie hat die Unterlippe zwischen die Zähne gezogen und hält sich mit einer Hand an ihrer Tasche fest, während ihre andere noch immer in meiner liegt. Sie scheint sich inzwischen daran gewöhnt zu haben, sich von mir durch die Gegend führen zu lassen. Ich grinse.

„Und? Ist es so wie du es dir vorgestellt hast?"

Leicht erschrocken fährt Row zu mir um und schaut mich aus großen Augen an. „Wieso hätte ich mir dein Zimmer vorstellen sollen?"

Ihre Frage ist so unschuldig, dass ich gar nicht anders kann, als zu lachen. „Keine Ahnung, Bunny. Komm, mach es dir bequem, du weißt schon: Mi casa es su casa."

Mit einem Zwinkern wiederhole ich Calebs Worte und bringe damit Row mal wieder zum Erröten. Aber wenigstens macht sie tatsächlich Anstalten sich in dem Raum hinein zu bewegen, auch wenn das heißt, dass sie meine Hand loslässt. Ich drehe mich kurz um, um die Tür hinter uns zu schließen, und gehe dann auf mein Bett zu, um mich mit einem Stöhnen daraufzuwerfen. Mit dem Gesicht ins Kissen vergraben bleibe ich eine Sekunde liegen, bevor ich mich umdrehe, sodass ich Row sehen kann, die unschlüssig vor meinem Schreibtischstuhl steht. „Darf ich?"

Schmunzelnd betrachte ich Row und setze mich aufrecht hin. „Wenn du dich auf das alte unbequeme Teil setzen willst, natürlich. Du darfst dich aber auch gerne zu mir auf das viel gemütlichere Bett setzen."

Ich weiß, dass Row was manche zwischenmenschlichen Dinge angeht nicht die erfahrenste ist, aber die Aufforderung in meinen Worten scheint sie verstanden zu haben. Zumindest sprechen ihre roten Wangen dafür, als sie sich zögerlich auf die Bettkante sitzt.

„Tja Bunny, jetzt habe ich dich doch in mein Bett bekommen." Ich ziehe grinsend die Augenbrauen in die Höhe und kann gerade zu sehen, wie Row sich windet. Aber schlussendlich überrascht sie mich mal wieder, indem sie mit funkelnden Augen kontert: „Ich kann auch ganz schnell wieder gehen, Gray."

Gespielt entsetzt lege ich mir eine Hand an die Brust. "Oh Gott, du brichst mir noch das Herz. Und da habe ich gedacht meine heldengleiche Tat hätte dich nun letztendlich doch mir verfallen lassen." 

Grinsend verdreht Row die Augen und schlüpft aus ihren Schuhen, um die Füße hoch auf die Matratze zu ziehen. Sie rennt also doch nicht gleich wieder weg.

"Also, was willst du machen Bunny?" 

Ich mache mir keine Sorgen, dass Row meine Worte falsch verstehen könnte. So schmutzig denkt sie nicht und irgendwie ist das eine angenehme Abwechslung zu den anderen weiblichen Wesen, die sonst mit mir hier oben waren. 

"Das solltest du nicht mich fragen. Ich habe dich doch bestimmt bei etwas gestört, also bitte mach einfach das, was du auch sonst getan hättest. Du wirst mich gar nicht bemerken."

Ich beobachte Row dabei wie sie schüchtern an dem Bettbezug herumzupft und hätte sie gerne einmal durchgeschüttelt. Was lässt sie nur denken, dass ihre Anwesenheit andere stören würde? Aber da ich mir sicher bin, dass Worte sie nicht weiter überzeugen werden, lasse ich mich einfach darauf ein und zucke mit den Schultern. "Okay. Dann wirst du jetzt 'Triple Frontier' ertragen müssen. Wenn noch einer aus dem Team zu mir kommt, um mir den Film zu empfehlen, erschieß ich mich nämlich."

Row schaut mit einem Schmunzeln zu mir und ich greife nach der Fernbedienung für den Fernseher, der gegenüber von meinem Bett auf einer kleinen Kommode steht. 

"Ich habe Cass und Mary, also meinen Mitbewohnerinnen, gesagt, dass sie mich anschreiben sollen, wenn sie nach Hause gehen."

Während Netflix lädt mache ich es mir bequem und widerstehe dem Bedürfnis, Row zu sagen, dass sie nicht wie ein Eindringling auf der Bettkante sitzen muss. Sie zu etwas drängen wird sowieso nichts bringen. "Okay, ich fahre dich dann wieder zurück."

"Danke Gray."

 Ich erwidere Rows Lächeln und werfe ihr dann spaßhaft einen bösen Blick zu. "Und jetzt psst. Ich habe gedacht, ich würde dich gar nicht bemerken?"

Row schaut mich überrascht an, bis ein Zwinkern von mir sie sich wieder entspannen lässt und sie sich schlussendlich sogar mit einem Schmunzeln auf den Bauch rollt. "Ich werde Schweigen wie ein Grab."

"Na das hoffe ich doch Mal nicht." Zusammen mit meinen Worten schmeiße ich Row ein Kissen zu, dass sie sich mit einem dankbaren Lächeln unter den Kopf schiebt, bevor wir uns beide dem Film zu wenden.

Row ist eine angenehme Filmpartnerin. Sie redet nicht wie ein Wasserfall, aber nach einer halben Stunde wird sie locker genug, um hin und wieder einen Kommentar einzuwerfen. Angefangen mit einem Stöhnen, als ein blonder Hauptdarsteller in Nahaufnahme zu sehen ist. "Dieser Typ verfolgt mich!"

Belustigt schaue ich zu Row. "Bunny, du bist vielleicht etwas Besonderes, aber ich bin mir sicher ein Hollywoodstar hat besseres zu tun, als einer Studentin hinterherzulaufen." 

Sie wirft mir einen kurzen scharfen Blick zu, genau in dem Wissen, dass ich ihre Worte mit Absicht verdreht habe, bevor sie sich erklärt.

"Er verfolgt mich ja auch im Fernsehen, nicht in der realen Welt. Weißt du etwa nicht wer das ist?" 

Sie grinst mich herausfordernd an, aber was Schauspielernamen angeht muss ich passen. Mich hat es schon verwundert, dass ich Ben Affleck in dem Film erkannt habe. "Nein, erleuchte mich Bunny."

"Das ist Charlie Hunnam, Gottheit auf der Leinwand, wie mir erklärt wurde, und Inhalt der feuchten Träume von Cass und Mary."

Ich grinse bei dem ironischen Tonfall, den Row angeschlagen hat und vergesse für den Moment sogar den Film, obwohl es gerade spannend wird. "Deine Mitbewohnerinnen, richtig?"

Row, die kopfüber auf den Fernseher geschaut hat, stützt sich auf die Ellenbogen auf und nickt mir zu. "Ja, die beiden sind kurz davor ihren eigenen Fanclub zu gründen." 

Sie schmunzelt und an dieser kleinen Geste kann man bereits erkennen, dass ihr die beiden wichtig sind. Mir ist zwar davor nicht aufgefallen, dass ich beunruhigt war, aber die Erkenntnis, dass es also doch ein paar Personen gibt, die Row an sich herangelassen hat, öffnet mir das Herz. Ich könnte mir nicht vorstellen, ohne meine Freunde zu leben. Ich bin, seitdem ich auf Schlittschuhen laufen kann, immer Teil von einem Team gewesen. Allein sein ist quasi ein Fremdwort für mich. Und Row wirkt so oft... Einsam. Selbst wenn sie in mitten von Leuten steht, schafft sie es irgendwie nur allzu deutlich zu machen, dass sie nicht Teil des Ganzen ist. Und auf der anderen Seite meine ich manchmal in ihr diese Sehnsucht zu sehen. Als wäre es insgeheim ihr größter Wunsch und sie hätte zugleich zu große Angst davor.

"Die beiden hören sich nett an. Wann willst du sie mir denn Mal vorstellen, jetzt wo du meine engsten Freunde schon alle kennst?"

Row lächelt und wirkt für einen Moment mit den Gedanken ganz wo anders, bevor sie mir mit schiefgelegenem Kopf antwortet. "Willst du sie denn kennenlernen?"

Die Frage überrumpelt mich. Was ziemlich dumm ist, immerhin habe ich das Thema angeschnitten. Aber es trifft mich deswegen so unerwartet, weil ich es tatsächlich will. Ich will sehen was für Menschen es sind, die Row an sich lässt. Wie tiefgehend diese Erkenntnis für mich ist, versuche ich mir allerdings nicht anmerken zu lassen, als ich mit den Schultern zucke. 

"Klar. Ich muss doch wissen, wem ich es zu verdanken habe, dich heute hier zu haben."

Grinsend schüttelt Row den Kopf. "Das hast du wohl in erster Linie meiner Dusseligkeit zu verdanken. Ich kann's immer noch nicht glauben, dass ich diesen verdammten Schlüssel vergessen habe. Und... Dass du mich hier so herzlich aufnimmst."

Sie wirft mir einen schüchternen Blick unter ihren Wimpern hervor zu, aber zumindest scheint sie sich an den Gedanken so langsam gewöhnt zu haben.

"Du bist hier immer willkommen. Und sollte so etwas oder etwas ähnliches noch einmal vorkommen, erwarte ich direkt eine Nachricht von dir." 

Gespielt streng ziehe ich eine Augenbraue hoch, aber die Worte meine ich tatsächlich ernst. Und das ist Row allem Anschein nach auch klar, denn sie errötet süß und dreht sich auf die Seite, bevor sie sagt: "Dito. Ich habe zwar kein Auto, um dich irgendwo einzusammeln, aber solltest du Mal Fachwissen brauchen, um aus der Patsche zu kommen, bin ich nur einen Anruf entfernt."

Ich grinse über das Angebot und bin mir sicher, dass ich es noch in Anspruch nehmen werde. Und wenn es nur als Vorwand ist, um Row noch einmal mit in eine Bar zu nehmen.

"Du hast kein eigenes Auto?"

Ehrlich interessiert schaue ich zu Row, die mit einem kleinen Lächeln den Kopf schüttelt. "Nein, leider nicht. Dabei mag ich Autofahren wirklich. Hat irgendwie etwas beruhigendes." 

Da kann ich ihr nur zustimmen. Ich liebe es zu meinen Eltern nach Hause zu fahren. Die Strecke ist zwar nicht sonderlich weit, nur eine knappe Stunde, aber es hilft dabei einfach einmal alles hinter sich zu lassen.
"Ich weiß was du meinst. Aber wie kommst du denn sonst nach Hause?"

Da ich mir ziemlich sicher bin, dass ich dem Film allzu schnell keine Aufmerksamkeit mehr schenken werde, tue ich es Row gleich und lege mich parallel zu ihr. Es sind zwar noch mehr als fünfzig Zentimeter zwischen uns, aber trotzdem hat diese Position irgendwie den Effekt, als würden nur noch wir zwei in einer kleinen Blase existieren.

Row zuckt die Schultern. "Meine Eltern wohnen sowieso recht weit weg, ich gehe nicht sonderlich oft nach Hause."

Für einen Moment scheinen Rows Augen sich zu trüben, aber der Moment ist zu kurz, als dass ich nachhaken könnte, was los ist. "Aber nächstes Wochenende kommen meine Eltern hier her. Sie haben Urlaub und gehen meine Tante, die auch hier in der Gegend wohnt, besuchen."

Rows Lächeln ist anzusehen, wie sehr sie sich darüber freut und das bringt auch mich zum Lächeln. Ich habe auch eine ziemlich gute Beziehung zu meinen Eltern und obwohl ich sie wahrscheinlich um einiges öfter sehe als Row ihre, weiß ich wie sie sich fühlen muss. Manchmal würde ich meinem undankbaren Teenager-Ich gerne in den Arsch treten, dafür dass ich sie früher für so selbstverständlich genommen habe.

"Und du? Wo kommst du her, Jonah Grayham?"

Rows Gesichtsausdruck sieht so vertrauensvoll aus, wie ich es nur selten bei ihr erlebe. Und es bedeutet mir viel, dass sie diesen Moment mit mir teilt.

"Meine Eltern wohnen hier in der Nähe, seitdem wir aus New York hergezogen sind. In einer Kleinstadt knapp eine Stunde entfernt."

"Dann gehst du sie oft besuchen?" Row streicht sich eine Haarsträhne aus dem Gesicht und klemmt dann ihre Hände unter die Wange.

"Wahrscheinlich nicht so oft wie ich sollte, aber dadurch, dass wir eigentlich jedes Wochenende ein Spiel haben, fehlt mir einfach die Zeit. Aber dafür kommen sie oft auf unsere Heimspiele."
Ich grinse bei dem Gedanken daran wie stolz mein Vater immer im Publikum sitzt oder der entsetzte Ausdruck meiner Mutter, wenn ich gegen die Bande getacklet werde. Ihr wäre es bestimmt lieber, wenn ich einen weniger aggressiven Sport spielen würde, aber trotzdem unterstützt sie mich überall wo sie kann.

"Das hört sich schön an. Sie müssen wirklich stolz auf dich sein."

"Sagt die Richtige. Wenn ich ein so schlaues Kind hätte, würde ich eigens für sie einen Fanclub gründen." Ich zwinkere ihr zu und Row schmunzelt. Allerdings kann ich ihr ansehen, dass sie mir nicht glaubt. Wann auch immer es um ihre Intelligenz geht, scheint sie irgendwie mit sich zu hadern. "Glaub mir, ein schlaues Kind macht es nicht immer leicht." 

Rows Stimme klingt gepresst und ihr Blick schweift auf einen Punkt hinter mich, was mir um ehrlich zu sein gar nicht gefällt. Denn ich habe Angst, dass das der erste Schritt ist, um sich wieder vor mir zu verschließen und das werde ich ganz sicher nicht zulassen.

"Willst du mir etwa damit sagen, dass die kleine Roween ein anstrengendes Kind war?" Neckisch stupse ich sie an, aber hinter den Worten liegt mehr. Ich weiß, dass es hier um genau das gleiche geht, was auch der Grund dafür ist, dass Row so verschlossen rüberkommt. So empfindlich auf gewisse Themen reagiert und oft gar nicht zu wissen scheint, wie bemerkenswert sie ist. Und mir ist klar, dass sie darüber nicht gerne redet. Das muss sie auch gar nicht, ich will sie zu nichts zwingen. Heißt aber nicht, dass es mir nicht unter den Nägeln brennt es zu erfahren.

"Anstrengend ist vielleicht das falsche Wort, aber sagen wir einfach, dass nie alles... Normal war."

Ich runzle die Stirn. "Aber das ist doch nicht schlimm. Wünscht sich nicht jeder besonders zu sein?"

Row blinzelt und richtet ihren Blick wieder auf mich. Ich habe erwartet in ihren Augen Schmerz zu sehen oder aber Verschlossenheit. Aber stattdessen wirkt sie ganz entspannt. Losgelöst, als hätte sie eine Wahrheit erkannt und diese schon vor langer Zeit akzeptiert.

"Kommt darauf an wie man das Wort auslegt. Wenn es impliziert, dass du in erster Linie anders bist, dann definitiv nicht. Ja klar, wir wollen uns alle irgendwie von den anderen abheben, aber nur in einer Eigenschaft, die uns einzigartig macht. Aber ohne Gemeinsamkeiten mit anderen ist es schwer eine Basis für Freundschaften aufzubauen."

Ihre Worte lassen meinen Atem stocken und für einen Moment weiß ich nicht, was ich sagen soll. Ob ich weiter nachfragen soll, mit dem Risiko, dass ich sie einen Schritt zu weit dränge. Aber auch wenn Row noch immer entspannt wirkt, trübt sich die Klarheit in ihren Augen langsam mit Trauer und das letzte was ich will, ist ihr weh zu tun, nur um meine Neugierde zu stillen.

"Unsere Basis ist auf jeden Fall festverankert."

Rows Blick, der sich in der Ferne verloren zu haben scheint, schießt zu mir zurück und ich spüre geradezu, wie sie die Luft in einem lautlosen Seufzer ausstößt. "Und das obwohl ich dich doch von deinem entspannten Filmabend abgebracht habe."

Sie grinst mich schüchtern an und mir fällt ein Stein vom Herzen, als ich mich lachend aufrichte, um nach der Fernbedienung zu greifen.

"Der ist immer noch zu retten. Wir müssen nur etwas zurückspulen."

Guten Morgen ihr Lieben :) Ich habe mal eine neue Formatierung ausprobiert, findet ihr es so besser oder lieber wieder ein großer Abschnitt? ;)

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