Kapitel 14

Als ich nach Hause komme werde ich von dem Geruch von Popcorn und geschmolzener Butter begrüßt und bleibe genießerisch in der Diele stehen.

"Ohh, ich rieche einen Filmabend mit den zwei besten Mitbewohnerinnen der Welt."

"Row! Da bist du ja endlich!"

Grinsend öffne ich die Augen und erblicke Cass und Mary, die sich über die Sofalehne gebeugt zu mir gedreht haben. Mary trägt immer noch einen Schal um den Hals geschlungen, aber ihre Rudolph-Nase ist endlich im Abklingen und sie versprüht wieder ihre übliche Lebensfreude.
Oh und Popcorn so wie es scheint, denn sie hält mir die Schale auffordernd entgegen und wackelt mit den Augenbrauen.

"Wir haben mit dem Film extra auf dich gewartet, aber das Popcorn musste einfach schon sein."

Hinter mir die Tür zuschlagend komme ich in die Wohnung rein und schlüpfe aus den Schuhen. Eigentlich habe ich nicht damit gerechnet, die beiden heute hier zu haben. Im Normalfall nutzen sie, wie wohl jeder andere Student auf diesem Campus auch, den Freitagabend, um mit ihren Freunden wegzugehen. Aber es ist eine schöne Überraschung und ich bin sowieso viel zu gut gelaunt, um mich an meinen Schreibtisch zu verziehen. Also schmeiße ich nur meine Tasche neben die Couch, springe zu meinen Mitbewohnerinnen auf die weichen Polster und greife gleich einmal tief in die Schüssel.

"Na dann gehört der Rest einfach mir!"

"He, von wegen, das ist noch die halbe Schüssel!"

Als müsse sie das Popcorn vor mir beschützen, umarmt Mary die Schüssel und dreht sich mit ihr von mir weg. Cass auf meiner anderen Seite stößt nur ein dramatisches Seufzen aus und tätschelt die um einiges kleinere Schüssel in ihren Händen.

"Und deswegen habe ich immer mein eigenes Popcorn. Ihr beiden seid echt mies im Teilen."

"Nein Cass, du hast dein eigenes Popcorn wegen deinem abartigen Geschmack!"

Als Bestrafung für ihren aufmüpfigen Kommentar, wird Mary sogleich mit dem "abartigen" Popcorn beschlossen, und ich inmitten der Kriegszone muss mir ein Kichern verkneifen.

"Salziges Popcorn ist nicht abartig, du hast nur keinen Geschmack!"

Bevor das ganze ausarten kann, denn ich sehe bereits, wie auch Mary wurfbereit die Hand in ihre Popcornschüssel wandern lässt, hebe ich schlichtend die Hände.

"Okay, aufhören Leute! Wir sind arme Studenten. Essen auf diese Weise zu verschwenden können wir uns nicht leisten! Also Cass, mach einen Film an und sei froh, dass sowohl Mary als auch ich deinen Geschmack nicht teilen und deswegen dein Popcorn nicht gefährden werden."

Murrend folgt Cass meiner Aufforderung und greift nach der Fernbedienung.

"Ihr beiden seid schrecklich. Ihr wisst einfach nicht, was gut ist."

Uns ein Lachen verkneifend werfen Mary und ich uns einen wissenden Blick zu. Aber um den Streit nicht erneut entflammen zu lassen, halten wir beide brav unsere Klappe, bis eine halbe Minute später das Intro eines Films über den Fernseher zu flackern beginnt.

"Mit was beehrst du uns heute, Cass?"

Anzüglich mit den Augenbrauen wackelnd, lehnt sich meine Mitbewohnerin in die Polster zurück und legt die Füße auf den Couchtisch hoch.

"Oh, mit meinem Baby in seiner Bestform."

Während ich noch verwirrt die Stirn runzle, ruft Mary neben mir bereits begeistert aus: "Oh mein Gott, King Arthur! Ich sterbe! Charlie Hunnam bringt mich noch komplett um den Verstand."

Als wäre sie von einer mittelschweren Herzattacke betroffen, sinkt Mary gegen mich und stößt einen tiefen Seufzer aus und Cass scheint ebenso begeistert von dem Film zu sein.

"Ich war im Kino. Und das ganze dreimal und trotzdem kann ich nicht genug von dem Film bekommen!"

"Hast du auch Pacific Rim geschaut? Alles, in dem mein Charlie mitspielt, wird zum Meisterwerk."

"Natürlich! Und Sons of Anarchy erst! Ich habe mich eine Woche krank gestellt, damit meine Eltern mich nicht in die Schule schickten, um die Serie durchzusuchten."

Lachend schüttle ich über die beiden den Kopf.

"Scheint mir ganz so, als hättet ihr doch den gleichen Geschmack."

Cass schenkt mir einen ernsten Blick.

"Row, das hat nichts mehr mit Geschmack zu tun, sondern mit normal funktionierenden Augen. Hunnam ist ein Gott!"

"Na dann, halt die Klappe und lass mich mich davon selbst überzeugen. Der Film fängt an!"

Und als dürfe man keine einzige Sekunde verpassen, sind meine Mitbewohnerinnen ab diesen Moment mucksmäuschen still. Mary kuschelt sich noch etwas enger an mich und stellt die Popcornschüssel so zwischen uns, sodass wir beide bequem hineingreifen können. Und während die ersten Szenen über den Bildschirm flimmern, wird mir Mal wieder klar, wie viel Glück ich mit diesen beiden Verrückten habe.

Als ich hier her gezogen bin, hatte ich mich mental schon darauf eingestellt, mit meinen Mitbewohnern nicht mehr zu tun zu haben, als die Klopapierrollen hin und wieder auszutauschen. Mein Misstrauen gegenüber fremden Personen war so kurz nach Ende der Schule noch um ein Vielfaches schlimmer, als es heute ist, und die beiden hatten für mich auf den ersten Blick wie meine Mobberinnen aus der Schule gewirkt. Hübsch, selbstbewusst und aufeinander eingespielt. Soweit ich weiß, habe ich in der ersten Wochen kaum mehr als zwei Sätze mit den beiden gewechselt und hätte das vielleicht auch nie, wenn Cass nicht irgendwann heulend auf der Couch gesessen hätte, nachdem ihr damaliger Freund mit ihr Schluss gemacht hat, und von Mary zum Trösten weit und breit keine Spur gewesen war. Also hatte ich das Eis aus dem Tiefkühlfach ausgepackt und mich von meinem Mitgefühl leiten lassen. Und kaum hatte Cass mir ihr halbes Herz ausgeschüttet, tat es mir auch schon aus tiefster Seele leid, sie zuvor mit Joyce gleichgesetzt zu haben.

Joyce, die an unserem Abschlussball nichts anderes zu mir zu sagen gehabt hatte, als: "Wenn du nicht manchmal so nützlich gewesen wärst, Kleine, hättest du dich meinetwegen die gesamte Schulzeit mit deiner fetten Freundin in der Mädchentoilette verstecken können. Da wart ihr wirklich gut aufgehoben."

Ich kann gar nicht anders, als bei dem Gedanken an sie, die Stirn finster zu runzeln. Ich verstehe bis heute nicht, wie jemand nach außen hin so brav und engelsgleich scheinen kann und auf der anderen Seite eine Mitschülerin bis an den Rand der Verzweiflung mobben kann. Ich kann nicht mehr abzählen, wie oft sie Alexis Beleidigungen hinterhergeworfen hat. Wie oft sie mir in Seitensätzen vermittelt hat, dass sich niemand mit mir unterhalten oder etwas mit mir zu tun haben will, wenn es nicht gerade um eine Gruppenarbeit ging. Und ich weiß nicht, wie oft die anderen ihrem Ruf gefolgt sind und Alexis und mich ausgegrenzt haben, als wären wir Abschaum.

Ich verspüre einen solchen Hass auf dieses Mädchen, dass ich schwer an mich halten muss, sobald ich an sie denke.
Und das schlimme ist, dass meine Eltern genauso wie alle anderen in meiner Heimatstadt auch, Joyce als das Vorzeigemädchen sehen. Jedes Mal, wenn Mom wieder etwas von der 'unglaublichen Joyce' erzählt und was sie schon wieder erreicht und geschafft hat, muss ich die Zähne so fest aufeinanderpressen, dass ich am nächsten Tag Kieferschmerzen habe.

Aber die Wut reicht nicht, um meiner Mom die Wahrheit anzutun. Ihr zu sagen, dass die 'fantastische Joyce' dafür verantwortlich ist, dass ihre Tochter Nächte lang durchgeweint, geblutet und sich selbst verachtet hat, weil sie geglaubt hat, was man zu ihr gesagt hat. Weil sie geglaubt hat, dass sie wertlos, unbedeutend und abnormal ist und das mehrere Jahre lang.
Bis ich abgestumpft bin. Bis ich mich dazu entschlossen habe, mich einfach aus allem raus zu halten, anstatt zu versuchen dazuzugehören. Bevor ich mich bewusst gegen den Schmerz entschieden habe.

So weit zu kommen, dass ich mich und meine Art akzeptiert habe, dass ich mich selbst nicht mehr nur auf meine Noten reduziert habe, war ein langer Weg. Und vielleicht mögen viele nicht verstehen, weshalb ich nicht auf jeden mit offenen Armen zu gehe, aber das ist die einzige Art, die ich kenne, die jemals funktioniert hat, um nicht mehr jeden Tag von anderen das Gefühl zu bekommen, dass ich sowieso nicht dazu gehöre.

Ich weiß, dass nicht jeder so ist wie Joyce. Und dass ich auch viel verpasse, indem ich mich verschließe. Mary und Cass haben mir das bewiesen. Und auch Grays Anwesenheit lässt mich mich fragen, ob ich den Menschen nicht eine Chance geben sollte. Aber alte Abwehrmechanismen lassen sich nur schwer ablegen.

Doch ich will heute Abend nicht solch finsteren Gedanken nachhängen, also greife ich noch einmal in die Popcornschüssel und überlasse mich dem Film und den Liebesbekundungen, die meine Mitbewohnerinnen dem Fernseher zuwerfen.

**********

Den Samstag verbringe ich damit, meine to-do-Liste abzuarbeiten und verbringe damit eigentlich den ganzen Tag am Schreibtisch. Als ich am späten Nachmittag mich erschöpft auf mein Bett fallen lasse und nach Ewigkeiten mal wieder auf mein Handy schaue, entdecke ich einen verpassten Anruf von meiner Mutter und eine Textnachricht von Alexis, die ich zuerst öffne.
Allerdings hätte ich es am liebsten nicht getan, denn was ich darin lese, lässt meine Stimmung sofort sinken.

Alexis: Hast du Lust mit Elisa, Heather und mir eine neue Bar auszuprobieren? Ich würde dir auch mein Auto zum Fahren leihen ;*

Ich bin nicht sauer, weil sie mich indirekt gefragt hat, ob ich den Chauffeur spielen will. Dagegen hätte ich nicht mal unbedingt was, denn ich mag Autofahren und da ich kein eigenes besitze, freue ich mich meistens darüber, wenn mich Alexis mit ihrem fahren lässt.

Was mich stört ist, dass sie keine zwei Wochen nachdem sie einen kompletten Break-down hatte, schon wieder bei ihren alten Gewohnheiten angekommen ist. ‚Neue Bar' ist nämlich ein Synonym für ‚Neue Kerle' und ‚viel Alkohol'.

Ich habe insgeheim die Hoffnung gehabt, die Erfahrung auf der Party hätte etwas Heilsames gehabt. Dass sie verstanden hat, dass Männer ihr nicht die Selbstbestätigung geben, die sie braucht. Aber da habe ich mich wohl geirrt. Ich kann nur hoffen, dass sie dieses Mal die Nacht emotional übersteht und nicht wieder in ihr Loch abrutscht. Denn ich bin heute definitiv nicht in Stimmung, ihr bei ihren selbstdestruktiven Tendenzen zuzusehen. Ich drehe das Silberarmband an meinem Handgelenk und nehme einen tiefen Atemzug, bevor ich antworte.

Ich: Nein tut mir Leid, heute Abend nicht. Pass auf dich auf!

Mehr kann ich nicht tun. Das weiß ich aus Erfahrung. Wenn Alexis in Partystimmung ist, lässt sie sich davon auch nicht mehr abbringen und die ewige Diskussion kann ich mir auch gleich ersparen. Also versuche ich mein schlechtes Gefühl von mir zu schieben und suche stattdessen die Nummer meiner Mutter in meinen Kontakten heraus.
Mit ihr zu reden wird meine Stimmung bestimmt wieder aufhellen.

"Ja hallo?"

"Hey Mom, entschuldige, dass ich vorhin nicht dran gegangen bin."

"Row! Wie schön, dass du dich zurückmeldest! Ach Spätzchen, so wie ich dich kenne, warst du Mal wieder völlig vertieft in ein Buch oder ähnliches, da kann sich eine Mutter doch nicht beschweren. Wie läuft es so? Gibt es was Neues bei dir?"

Grinsend lehne ich mich in meine Kissen zurück.

"Nein, alles beim Alten. Was soll denn schon passiert sein? Die Prüfungen sind noch weit weg."

Aus dem Hörer erklingt ein Seufzen und ich kann mir nur zu gut vorstellen, wie Mom eine Hand in die Hüfte stützt, wie immer, wenn sie ihre mütterliche Autorität auspackt.

"Row, auf dem College geht es nicht nur um Noten. Das soll eine Zeit sein, in der du dich ausprobierst, Erfahrungen sammelst und Freundschaften schließt. Geh vor die Tür, unternehme was, nutze deine Jugend aus!"

Kichernd unterbreche ich meine Mutter, bevor sie so richtig in Fahrt kommt.

"Mom, das hört sich ja fast so an, als willst du, dass ich Dummheiten mache."

"Na was bleibt mir anderes übrig, wenn meine Tochter viel zu verantwortungsbewusst ist!"

"Einfach dankbar sein?"

"Spätzchen, du weißt doch wie Stolz dein Vater und ich auf dich sind! Natürlich bin ich froh, dich nicht auf Kaution aus dem Gefängnis holen zu müssen oder Angst zu haben, bald Großmutter zu werden."

"Mom!"

"Jaja, keine Sorge, du musst nicht mit mir über dein Sexualleben reden. Ich will nur nicht, dass du später einmal auf dein Leben zurückblickst und das Gefühl hast, etwas verpasst zu haben. Wir leben nur einmal, Row."

Ich winde mich unwohl unter den Worten meiner Mutter. Wieso versucht man mir momentan von allen Seiten einzureden, dass ich etwas an meinem Leben ändern muss? Ich bin zufrieden, es ist nicht so, als hätte ich das Gefühl, etwas würde fehlen. Also weshalb versucht jeder mir einzureden, dass etwas fehlt? Aber letztendlich meint es meine Mom nur lieb, also seufze ich nur ergeben und sage ihr das, was sie hören will.

"Keine Sorge, ich genieße dieses Leben in vollen Zügen. Du weißt doch, alles andere würde Alexis gar nicht zulassen."

"Oh! Wie geht es Alexis denn? Ich bewundere sie ja immer noch für die Wandlung, die sie durchgemacht hat."

Oh, da war Mom nicht die einzige. Jedes Mal wenn ich sehe, was Alexis erreicht hat, bin ich wieder davon verblüfft, wie sie das geschafft hat. Deswegen verliere ich auch nicht die Hoffnung, dass sie ihre seelischen Verletzungen auch noch überwindet. Sie ist stark und verdammt verbissen. Wenn es jemand schafft, aus all dem Mist schöner und stärker hervorzugehen, dann ist es Alexis.

"Alexis geht es prima. Sie ist heute Abend mit Freunden unterwegs. Du wärst begeistert, wie sehr sie das Collegeleben ausnutzt."

Der Schalk ist meiner Stimme anzuhören und lässt meine Mutter mit der Zunge schnalzen.

"Junge Dame, zeihst du gerade deine Mutter auf? So habe ich dich aber nicht erzogen."

Natürlich meint meine Mom das nur als Spaß, weshalb ich auch nichts darauf erwidern muss.

"Und wieso bist du nicht mit Alexis unterwegs?"

Ich seufze lautlos, denn natürlich habe ich mit der Frage gerechnet. Mom wäre nicht Mom, wenn sie nicht nachgehakt hätte.

"Ich komme mit Alexis Mädels nicht so gut zu Recht und wollte mir das heute ersparen. Außerdem musste ich doch mit der Welt besten Mutter telefoniert!"

"Ahh Spätzchen, nutze mich nicht als Ausrede! Du weißt, das hätte Zeit gehabt. Aber wahrscheinlich sollte ich mich wohl wirklich einfach freuen, dass meine Tochter nicht betrunken durch die Nacht fällt."

Der Seufzer, den sie ausstößt, hört sich nicht gerade nach Freude an, trotzdem bringt mich ihre Aussage zum Grinsen.

"Jetzt hast du es endlich verstanden, Mom."

Ihr Lachen ertönt durch den Hörer und ich meine im Hintergrund die Stimme meines Vaters zu hören.

"Ich soll dir von Dad ausrichten, dass du alles richtig machst und er sehr stolz auf dich ist, dass er noch nicht anreisen und ein ernstes Wörtchen mit einem Kerl wechseln musste."

Ich verdrehe die Augen, so typisch war das für meine Eltern. Was der eine gut fand, sah der andere völlig verschieden. Aber um ehrlich zu sein, ist es einfach nur schön das Geplänkel der beiden durch das Telefon zu hören.

"Oh Spätzchen! Beinahe hätte ich vergessen dir zu sagen, dass wir dich besuchen kommen!"

Erstaunt setze ich mich im Bett auf.

"Wirklich? Wann?!"

"In zwei Wochen über das Wochenende. Wir haben Urlaub und wollten eh Tante Mandy besuchen, da haben wir uns gedacht fahren wir danach einfach bis zu dir hoch. Hotel ist bereits gebucht, also wehe du hast schon etwas anderes vor."

Als ob ich das hätte.

"Und wehe du schiebst vor, etwas für das College machen zu müssen. Ich will die Zeit mit meiner Tochter voll und ganz ausnutzen!"

Lachend schüttle ich den Kopf, auch wenn diese Befürchtung wohl schon viel angebrachter ist.

"Ich glaube du hast das Prinzip des Mutterdaseins noch nicht so ganz verstanden: Du sollst mich dazu ermutigen Gewissenhaft und Fleißig zu sein, damit ich irgendwann einen guten Job finde und mir nie Sorgen um Geld machen muss."

Dieses Mal bin ich mir ganz sicher meinen Vater zu hören und anscheinend ist er mit Absicht näher an den Hörer gerückt, denn ich kann sogar seine Worte verstehen.

"Ganz genau Row! Und wenn du dann einmal Millionärin bist, wirst du an deinen alten Herren denken, der dich immer unterstützt hat, und ihm seinen größten Wunsch nach einem Ferrari erfüllen!"

Während ich über den Running Gag zwischen meinem Vater und mir breit grinse, höre ich meine Mom leise mit ihm Schimpfen. Wahrscheinlich hat sie eine Hand über den Hörer gelegt und denkt, dass ich dadurch nichts mehr verstehen kann.

"Joseph, ermutige deine Tochter doch Mal, auch außerhalb ihrer Bücher zu leben! Den Ferrari bekommst du so oder so nur über meine Leiche. Noch mehr PS und ich steige nicht mehr zusammen mit dir in ein Auto."

"Ach Melissa, wenn schon wäre das eh mein Freizeitauto..."

Ich höre die Belustigung aus der Stimme meines Vaters heraus, aber ich weiß auch, dass das hier nur zu leicht in eine ihrer Diskussionen ausarten kann, also schreite ich ein, bevor es so weit kommen kann.

"Mom? Könnt ihr das weiter besprechen, wenn ich aufgelegt habe?"

Ein Rascheln ist zu hören und danach die betrübte Stimme meiner Mutter.

"Oh Spätzchen tut mir Leid, natürlich."

Ich grinse und bin ihr natürlich nicht böse.

"Also, ich verspreche dir auf jeden Fall mir das Wochenende für euch Zeit zu nehmen. Ich freue mich, dass ihr euch die Mühe macht herzukommen. Und jetzt erzähl Mal, was gibt es Neues bei euch?"

Die nächste Viertelstunde verbringe ich damit, meiner Mutter zu lauschen, während sie von neuen Gartenzäunen, der Renovierung ihres Lieblingseiscafés und dem Klatsch aus ihrem Freundeskreis erzählt.
Ja, um ehrlich zu sein, ist die Hälfte von allem für mich ziemlich uninteressant, aber ich liebe es meiner Mom einfach nur so zu zuhören. Das erinnert mich an die Nächte, als sie sich neben mein Bett gesetzt hat und genau das gleiche getan hat, bis ich endlich einschlafen konnte.
Damals hatte ich oft Albträume. Davon komplett allein zu sein, von den anderen verspottet zu werden. Und auch wenn Mom nicht genau wusste, was los war, hatte sie doch genau den richtigen mütterlichen Instinkt gehabt und mir das gegeben, was ich gebraucht habe: Jemanden der bei mir ist, egal was passiert.

Als wir uns dann irgendwann verabschieden ist es schon halb sieben und ich habe einen Bärenhunger. Doch bevor ich mit einem lautlosen Seufzen mein Handy weglegen kann, stelle ich überrascht fest, dass ich eine weitere Nachricht habe.

Komisch, ich hätte nicht erwartet von Alexis heute Abend noch etwas zu hören.
Doch als ich auf die Nachricht gehe, ist es gar nicht Alexis' Chat, der sich öffnet.

Erstaunt starre ich auf Grays Name.
Unter seiner Nachricht von Dienstag bezüglich des Kaffees steht nun eine zweite. Und ja, ich habe ihm damals nicht geantwortet. Ich weiß, das ist unhöflich, aber per Handy bin ich noch unkommunikativer, als in Persona. Doch jetzt auch noch seine zweite Nachricht zu ignorieren, ist dann selbst für mich zu viel der Dreistigkeit.

Gray: Kaum sitzt du nicht mehr neben mir ist wieder alles interessanter als meine Aufzeichnungen... Die weiße Wand vor meiner Nase, die Schatten die mein Licht wirft, selbst der Kleiderstapel, den ich seit einer Woche aufräumen will :(

Ich schmunzle und kann mir nur zu gut vorstellen, wie Gray in seinem Zimmer sitzt und anfängt mit den Fingern ein Schattenspiel zu kreieren. Wundert mich nicht, dass der Kerl Sportler geworden ist. Er braucht ein klares Ziel vor Augen, um konzentriert zu bleiben. Und vor allem kann er nicht gut stillsitzen.

Ich: Böse! Augen aufs Buch und Konzentration!

Ich schicke die Nachricht ab und erhebe mich nun doch endlich von meinem Bett, um in die Küche zu dackeln. Allerdings behalte ich mein Handy in der Hand und tatsächlich blinkt es auf, noch bevor ich den Kühlschrank öffnen kann.

Gray: Übers Handy hast du einfach nicht dieselbe Autorität, wie wenn du mich als Boxsack nutzen kannst ;) aber ich muss gestehen... Für heute habe ich aufgegeben. Der Duft von Pizza hat meine Selbstbeherrschung eingerissen

Oh Gott, in diesem Moment kann ich ihn nur zu gut nachvollziehen. Allein das Wort Pizza lässt mein Magen verlangend knurren.

Ich: Pizza ist eine Ausnahme, dafür darf man eine Pause machen. Ich würde dafür töten selbst jetzt eine da zu haben

Danach lege ich das Handy zur Seite und öffne endlich den Kühlschrank. Glücklicher Weise sind Cass und Mary genauso darauf bedacht ihn immer gefüllt zu halten, wie ich, sodass ich nicht vor einer gähnenden Leere stehe. Ich habe zwar eigentlich vor, etwas gescheites zu Kochen, aber ich kann nicht anders als mir eine Milchschnitte aus dem Kühlregal zu nehmen, um den ersten Hunger zu stillen. Wirklich, mein Magen steht kurz davor sich selbst zu verdauen.
Sobald ich den ersten Bissen genommen habe, fokussiere ich aber wieder und räume alles raus, was ich für ein Tomatenrisotto mit Zucchini benötige.
Als ich mein Handy das nächste Mal aus dem Augenwinkel blinken sehe, schließe ich den Kühlschrank bereits wieder und lehne mich mit dem Rest meiner Milchschnitte an die Küchenschränke.

Gray: Aha, dann weiß ich ja, mit was ich dich im schlimmsten Fall ablenken kann ;) Komm doch vorbei, wir bestellen eh immer viel zu viel

Vor Erstaunen verschlucke ich mich und muss von heftigem Husten geschüttet das Handy wieder aus der Hand legen, um keinen Erstickungstod zu sterben. Als ich röchelnd wieder Luft bekomme, eile ich erst einmal zum Wasserhahn und fülle mir ein Glas mit Wasser, um das raue Gefühl in meinem Hals zu beruhigen.

Ich habe mich verlesen. Ausgeschlossen, dass Gray mich gerade zum Pizzaessen eingeladen hat.
Aber als ich eine Minute später zögernd erneut die Nachricht öffne, steht noch immer das gleiche da. Ungläubig starre ich auf das Display. Mir ist flau im Magen und das hat nichts mit der Milchschnitte zu tun, da bin ich mir sicher.
Wurde ich von jemand anderem als Alexis je Mals schon so spontan eingeladen? Nein, nicht das ich wüsste. War ich verlockt das Angebot anzunehmen? Nein, nicht Mal für Pizza.
Wenn mir jetzt schon übel wurde, konnte es unter all den Eishockeyspielern ja nur zu einer Katastrophe kommen. Außerdem, was soll ich dort? Über Sport kann ich mich nicht mitunterhalten und wenn Gray nicht zufällig über den Stoff reden will, den er noch nacharbeiten muss, weiß ich auch nicht, was ich zu einem Gespräch beitragen sollte.
Mal ganz davon abgesehen, dass ich ohne Auto auch nicht einfach Mal kurz zu ihm fahren kann.

Nein. Ich bleibe zu Hause. Mein Abend soll gemütlich werden und nicht durch peinlich berührtes Schweigen und dem Gefühl nicht hineinzupassen bestimmt sein. Außerdem würden sich Grays Mitbewohner doch niemals darüber freuen, von einer Fremden gestört zu werden. Zu Mal ich mir nicht mal sicher bin, dass Gray sich über meine Anwesenheit freuen würde. Keine Ahnung, was ihn dazu bewogen hat, diese Nachricht zu schreiben.
Meine Antwort steht auf jeden Fall fest.

Ich: Nein danke. Euch einen guten Appetit

Dann lege ich das Handy weg, dieses Mal mit dem Bildschirm nach unten, und beginne zu kochen.

Tut mir leid, dass das Kapitel so spät kommt, aber besser spät als nie ;)
Eine Pizza mit Gray... das hätte ich glaube ich nicht ausschlagen können :D Aber Row hat nun mal mit ihren Dämonen zu kämpfen...

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