42 Wie Vibration mein Leben rettete
"Nein. Oh mein Gott! Lou? Hast du das gehört? Hast. Du. Das. Gehört?" fragte ich aufgelöst.
"So wie jeder hier" grinste der Hottie von Kentucky, "und jetzt beweg' deinen süßen Hintern auf die Bühne! Du hast gewonnen!"
Und das tat ich. Irgendein Talentscout überreichte die Urkunde und einen Pokal, der etwas größer als mein Unterarm war. Im Prinzip war fast alles größer als ich. Aber hey, ich hatte tatsächlich gewonnen. Ich war glücklich, ohne jede Frage, aber irgendwie war es nicht dasselbe. Versteht mich nicht falsch! Ich liebte Turnen und wer liebt es nicht, zu gewinnen? Mein süßer Po wollte gerne woanders sein.
Ich wurde von allen Seiten beglückwünscht. Ehemalige Lehrer und Schüler des Internates, darunter allen voran Pau und Chris, Herr Schliemann, meine Eltern, die extra gekommen waren und natürlich von meinem Superfan #1. aka Louis.
"Schatz, das war so gut. Die anderen hatten keine Chance, nicht mal, wenn sie die Kinder der Preisrichter gewesen wären" sagte meine Mama lächelnd. Abgesehen vom Gewichtsverlust, sah sie nicht wirklich krank aus. Sie war hübsch gekleidet wie immer, ihre Haare saßen wirklich gut und ihren Humor hatte sie auch nicht verloren.
Auch Chris und Pau hatten ordentlich abgesahnt. Chris hatte zweimal den ersten und einmal den zweiten Platz gemacht während Pau in ganzen fünf Kategorien aufs Träppchen gekommen ist.
"Das feiern wir" quietschte Chris.
"Und ich weiß auch genau wo!" Grinste Louis.
Louis hatte die brillante Idee auf den Weihnachtsmarkt zu fahren. Es war ein dämmender Samstagnachmittag, perfekt für einen Ausflug zum Alex und ins französische Viertel. Denn nirgends ist es weihnachtlicher als in der Innenstadt Berlin.
Nachdem wir uns von meinen Eltern verabschiedetet hatten, fuhren wir mit Louis Auto (er war alleine mit seinem P.A. (meine Abkürzung fürs Protz-Auto) zum Turnier gekommen) in Richtung Stadtmitte.
Wart ihr schon Mal auf einem Berliner Weihnachtsmarkt? Nein? Nun, im Prinzip ist es wie jeder anderer Weihnachtsmarkt nur eben mit mehr betrunkenen Assis, bettelnden Obdachlosen und Gaunern, die es auf deine Brieftasche abgesehen haben. Man könnte jetzt zurecht denken, warum tut man sich das freiwillig an?
Nun, der Geruch von gebrannten Mandeln, Zuckerwatte und ja, auch Stinkekäse und Fisch liegt in der Luft, Weihnachtsmusik ertönt monoton aus den Lautsprechern und möglicherweise löst das Gedränge auf dem Weihnachtsmarkt eine Klaustrophobie-attacke aus, aber all das verfliegt irgendwie, denn eine Art Zauber liegt in der Luft. Weihnachtsmärkte sind magisch. Und romantisch. Vor allem romantisch.
Natürlich haben wir dort Haufenweise (Gut, eher Lasterweise) zuckerhaltige Leckereien in uns reingefuttert.
„Sind das da Braumstriezel?" kreiste Louis. Jap, der hatte mittlerweile einen deftigen Zuckerschock.
Louis drängelte sich zwischen dem Berliner Volke hindurch zum Stand mit der Aufschrift ,tschechische Braumstriezel'. „Die habe ich als Kind immer gegessen!"
„Am besten schmecken die in Prag" sagte Chris dessen Augen schon der neuen Kalorienbombe entgegenfunkelten.
„Im Czech Hostel Franz Kafka?"
„Ja!" kreischte Chris begeistert.
„Beste" stimmte Louis zu und dann knabberten wir alle die tschechische Leckerei. Kafka war einfach der Coolste Guy.
"Wir können auch noch in einen Club gehen" schlug Louis nachdem wir vollgestopft wieder das Ende des Marktes erreichten.
"Du weißt aber schon, mein Großer, dass wir noch nicht alle volljährig sind." Neckte Pau.
"Hab ich auch schon früher geschafft" sagte Louis, „Ich muss nur Ravi anrufen, der bekommt uns da alle rein." Und als Louis Ravi sagte, war Chris sowas von mit dabei. Aber sowas von.
Mit dem Auto brauchten wir nicht lange bis zum Club, mit dessen Werbung halb Berlin plakatiert war und nur eine viertel Stunde später lief der schwarzhaarige Inder den Bürgersteig zu uns hinab.
"Na Kiddies. Muss euch jemand die Hintertür öffnen?" Da dachte jemand, er sei witzig. Jungs.
"Dir auch Hallo" Louis klatschte ihn ab. Ravis Blick huschte immer wieder zu Chris, sodass man die beiden man liebsten zusammengeschubst hätte. Schlimmer als bei Bernard und Bianca.
"Gut, gut, ich geh schon rein und schau, wo Jess ist. Wenn alles glatt läuft, mach ich dir das Fenster in spätestens 10 Minuten auf, wenn nicht ruf ich an. Und falls ich nicht anrufe, vögel' ich gerade Jess auf dem Mitarbeiterklo, also ruft nicht an."
"Ja und jetzt schieb' deinen perversen Arsch da rein" kommandierte Louis.
Erstaunlicherweise funktionierte das wirklich. Wir liefen durch eine enge Gasse, kletterten über einen Müllcontainer, um schließlich ein kleines Fenster erreichten, durch das wir in das Angestellten-WC in den Club kamen. Dort war es laut. Laut. Laut. Und laut.
Aber die Musik war gut. Oder so.
***
Sung Kang zog den Kragen seines Mantels hoch. Nachdem Essen mit seinen Freunden im Steakhouse wollte er noch einen Spaziergang an der frischen New Yorker Stadtluft machen. Und weil es eben zu weit bis zu seiner Wohnung in der Upper East Side ist, lief er vom Restaurant Bembe, das nahe am East River in Brooklyn liegt, über die Williamsburgh-Bridge bis nach Manhattan. Von dort, waren die Taxifahrer auch freundlicher, so kam es Sung vor.
Es nieselte und er war kurz davor es zu bereuen zumal er nicht mal diese verdammten Glimmstängel dabei hatte, da er sich vor kurzen den Krebsmachen entsagt hatte. Sung überlegte in einen Spätkauf vielleicht doch eine Packung zu kaufen, als er schon von der Ferne einen Springer sehen konnte. Springer waren die depressive Bevölkerungsgruppe New Yorks, die ihren Selbstmord durch einen Sprung von einem Gebäude oder eben wie hier von einer Brücke arrangierten.
Er lief mit schnelleren Schritten auf die Gestalt zu. „Hey, du!" rief er.
Er konnte nicht erkennen, was die Person tat, er oder sie hatte einen langen Hoodie an, die Kapuze über den Kopf gezogen. Für eine Sekunde dachte Sung, das sei eine Masche einer Bande, um ahnungslose Bürger auszurauben, doch als er nah genug war, um das Gesicht der Person zu erkennen, schmerzte es ihn bis ins Mark.
Ein junges Mädchen, verschmierte Wimpertusche, gerötete Augen und blutrote Lippe, hatte schreckliche Probleme ihre Atmung unter Kontrolle zu kriegen und zitterte am ganzen Leib. Ohne jede Frage, das Mädchen war gebrochen, gequält von dunklen Geistern und sehnte sich zu sterben. Und dass er das Mädchen kannte, machte das Ganze nicht leichter.
***
„Wir wollen gehen Louis!"
„Aber Sooofi! Das ist unser Lied! You're the one that I want! Oh auw oh honey! Sing mit!"
"The one that I want" sang ich die Augen verdrehend.
„Oh auw oh!" flötete Louis.
Dann nahm Louis mich hoch und wirbelte uns im Kreis, sodass ich mir wie das Kettenkarussel auf dem Weihnachtsmarkt vorkam.
Und natürlich bemerkten wir erst Mitten in der Nacht, dass Pau und Chris vor Stunden zurück im Hotel gewesen seien sollten. Frau Bucheltaleruseckibus rief schon zum 13. Mal an. Oops.
Nach einem erstaunlich kurzen Gespräch erklärte Chris, dass „die Party weiter gehen kann, Motherf*krs".
Ich muss jetzt wohl nicht erwähnen, dass wir uns darauf hin nach Hause begaben. Wir liefen an einem Spielwarengeschäft vorbei, wo eine süße Barbie mit blauen Harren und einem Surfersunnyboy im Schaufenster stand. Der hatte einen Vollyball in der Hand. Sie sah sportlich aus, hatte aber keine Sportfigur. (Anhang: Originalzitat Tea)
„Hey kennst ihr schon den Witz mit der Barbie?" fragte Pau in die Runde, die aus dem müden Louis, dem betrunkenen Chris in Ravis Arm, mir, der süßesten Mash-potatoe der Welt und ihr bestand.
„Ken sagt zu Barbie: „Ich liebe dich", worauf hin sie nichts erwidert. Kenn fragt verletzt: „Liebst du mich nicht mehr?", woraufhin Barbie erwidert: „Verdammt, hast du noch nicht die neuen One Direction Puppen gesehen? Ich meine... yummy". "
„Oh mein Gott, liebst du auch One Direction so sehr wie ich?" kreischte Louis euphorisch.
„Nicht so sehr wie ich" schrie ich dazwischen. Niemand mochte Lewis, Lima, Nigel, Zac und Horton mehr als ich. NIEEEMANDDDD. (Anhang: Originalzitat Sophie)
Rückblickend hätten wir wohl besser auf unsere Drinks achten sollen.
***
„Anne?" fragte Sung.
Sie schniefte, wischte mit ihren Fäusten ihre Tränen aus dem Gesicht.
„Was tust du denn hier?"
„S-springen" stotterte diese.
„Es ist wegen John, stimmt's?" kaum hatte Sung den Namen ausgesprochen kullerten die Bäche aus den Augen der Brünetten. Nur der Name reichte, um ungeheuren Schmerz in ihr auszulösen.
„I-ich will n-nicht mehr" weinte sie. Sung überlegte Fieberhaft, wie er sie von der anderen Seite des Geländers holen sollten bevor sich seine Angebetete das Leben nahm.
Er legte seinen Arm um ihre Brust, griff fest an das Geländer, sodass sie dazwischen gefangen war und nicht springen konnte. Jene bekam davon nichts mit, ihr Blick war durch Tränen verschleiert und in ihren Kopf drehte es sich wie immer alles um John. John, John, JOHN.
„Was kann ich nur tun" flüsterte Sung verzweifelt, auch wenn das weinende Klappergestell nicht gerade schwer oder stark war, aber man versuchte ja nicht jeden Tag jemand von Selbstmord abzuhalten. Es sei dann man war Mathelehrer, dann war das Berufsrisiko.
„Schau nach Louis. Ja? Versprichst du mir, nach meinem kleinen Bruder zu sehen?" fragte besagtes Klappergestell.
„Nein. Wir werden das machen. Hörst du? Du springst hier nicht von der Brücke!"
Das Mädchen erbebte a ihren Schluchzen und verlagerte ihr Gewicht nach vorne, wodurch sie direkt in Sungs Arm gepresst wurde.
„Du vibrierst" sagte sie irgendwann.
Mit seiner linken, freien, Hand ertastete er sein Handy, was nicht vibrierte. Es war in seiner Jackeninnentasche und es schien unmöglich es rauszuholen ohne die Brünette fallen zu lassen. Aber wenn das nicht seins war, dann musste es ihres sein! Warum war er nicht vorher auf die Idee gekommen Hilfe zu holen?
„Wo ist dein Handy" fragte Sung energisch.
„H-hintere H-hosent-t-tasche"
Ohne Umstände gelangte er an dieses, während er seinen rechten Arm mehr anspannte und das zerbrechliche Wesen zu halten.
„Anne! Dein Bruder ruft an. Hörst du mich? Das ist Louis!" sagte Sung freudig.
Bis auf ein Wimmer gab sie nichts von sich, sodass Sung kurzerhand das Gespräch annahm.
„Hey Prissy, ich bin so froh das ich dich erreiche!" freute sich die männliche Stimme vom anderen Ende des Telefons.
„Hallo, hier ist Sung Kang, ein Freund von Anne. Sie hat mich gebeten ranzugehen" sagte er Asiate schwer atmend.
„Oh ähm... kann ich sie sprechen?"
Precilla unterbrach ihren Versuch sich in die eisigen Fluten des East Rivers zu werfen und sah Sung panisch den Kopf schüttelnd an.
„Du bist auf Lautsprecher" sagte er „sie hört dich."
„Hey Pris... ich hab solange nichts mehr von dir gehört und ich hatte schon angst dir ist was passiert. Alles okay bei dir?"
Louis entgingen die winselnden und schniefenden Laute seiner Schwester nicht.
„Im Moment nicht ganz so" grummelte Sung, der nun beide Arme um die brünette Schönheit geschlossen hatte und das Handy an ihr Ohr hielt.
„Ruf Mama an" Precilla betonte jedes Wort einzeln und schlug dann das Handy aus Sungs Hand. Ihr Bruder sollte den Streit endlich begraben und sie betete, dass es Louis gut geht. Auch ohne sie. Precilla begann wild um sich zu schlagen, biss den Mann der sie am Leben hielt und versuchte mit aller Willenskraft sich aus dessen Arme zu lösen und in den Tot zu fallen. Ertrinken war für sie ok, nahm sie an. John war auch gefallen.
Sie nahm nichts um sich war, bis sich auf einmal die Arme von ihr lösten und ihr Kreislaufsystem erschöpf zusammenbrach.
Und dann tat Louis etwas, was er sich im letzten Jahr nicht mal in seinen kühnsten High-Phasen getraut hätte. Er rief seine Mutter an.
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