III

Sie sitzen auf der Treppe vor der großen, schweren Eingangstür. Sie ist aus Messing und trägt einen unbeweglichen, unförmigen, riesigen Türklopfer in Form eines Löwen. Dabei hätte eine schöne, schlanke Frau viel besser an diesen Ort gepasst.

Sie stehen dort in der Kälte, um mögliche Kunden anzulocken. So wie jeden Tag. Wind, Regen, Schneestürme. All das kümmert sie nicht. Ihr geht es ums Geld, das haben sie schon früh verstanden. Aber natürlich liebt sie sie auch.

Jane hockt neben Annie im Schnee. Auf der schmalen Treppe ist nie genug Platz für alle fünf Mädchen, morgens geht es immer darum, die schnellste zu sein und den besten Platz zu ergattern. Nah am Haus ist es nämlich noch wärmer. Und auf den Stufen liegt nicht so viel Eis und Schneematsch.

Annie zittert unter ihrem viel zu dünnen Mantel. Er hat eine schöne Form, passt sich ihrem Körper an, und auch seine schwarzen und weißen Streifen lassen sie hübscher erscheinen. Betrachtet man ihn aus der Ferne, vermischen sich die dünnen, feinen Striche zu einem fahlen grau. So passt er viel besser in Janes Weltbild, in ihre Gefühlswelt, die keine einzige Regung mehr zeigt.

Sie hat gesagt, wenn sie sich anstrengen, dürfen sie sich irgendwann ein eigenes Leben aufbauen. Mit richtigem Namen, ohne Umzüge und natürlich mit einem Mann. Für Jane wäre es letzten Sommer soweit gewesen; ein Kunde hatte vor allen anderen um ihre Hand angehalten. Und sie – dumm, wie sie gewesen war – hatte ihm ins Gesicht gespuckt und ihn von sich weg geschubst. Beschimpft hatte sie den armen Kerl.

Die Narben von der Gürtelschnalle sind noch heute als blasse Stellen auf ihren Armen zu sehen.

Jane legt einen Arm schützend um ihre zitternde Freundin und wärmt sie. Ihr selbst ist auch kalt, wie sollte es auch anders sein. Dennoch schafft sie es, ihre erfrorenen Lippen zu öffnen und Annie gut zuzureden.

"Danke", flüstert diese zurück. Dann schweigen sie und blicken starr die Straße entlang, auf dessen Kopfsteinpflaster schlitternd Menschen umher eilen.

In Janes Kopf spulen sich indes die Regeln ab.

Nicht zu viel sprechen, wenn doch, dann nur einsilbig.

Mysteriös erscheinen.

Schön aussehen für die Kundschaft.

Wortkarg. So ist sie seit Wochen, Monaten. Ihr kommt es beinahe so vor, als sei es schon immer so gewesen. Aber sie weiß, dass ihr Leben mal schön war. Das muss es gewesen sein. Es gibt doch niemanden, der nur Schlechtes erlebt, oder doch?

Unverständlich, unheimlich. Nicht so, wie sie sein soll. Sie soll magisch sein, anlocken. Wie ein besonderer Schmetterling, eine Fee. Sie hingegen: dunkel gekleidet, grimmig, seltsam. Rätselhaft. Aber ein Rätsel, dass niemand lösen will.

Abstoßend, erschreckend, furchtbar. Gemein zu Freunden, Unfreundlich zu Kunden. Nicht attraktiv, nein. Schon von Weitem betrachten die Herren sie argwöhnisch, als schwebe eine dunkle Wolke über ihr.

Und so ist es auch. Fast. Aber die Wolke schwebt längst nicht mehr über ihr. In Jane selbst brodelt momentan das Gewitter.

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