II

Jane. So heißt sie. Kein Nachname. Keine Erlaubnis, sich einen Spitznamen geben zu lassen. Lieber gehorchen und nicht zu viele Schläge kassieren.

Das sind die Regeln. Schon immer gewesen. Zusätzlich noch: nicht zu viel sprechen. Eher einsilbiges. Das zu erreichende Ziel: mysteriös erscheinen. Und natürlich schön aussehen, um Kundschaft zu erhalten.

Kundschaft. Jane wird schlecht, wenn sie daran denkt. Zu lange konnte sie nachts nicht mehr gut schlafen; entweder, weil eben genannte Kundschaft sie besucht hatte, oder weil sie sich vor Furcht nicht getraut hat, die Augen zu schließen. Denn sie gehörte doch ihr. Und auch nur ihr.

Kopfschüttelnd, wie auch die letzten tage, streift sie durch das Haus, in Gedanken versunken und ohne einen Laut. Sie darf bloß niemanden wecken! Und beim Denken erwischt zu werden, bringt auch nur Unglück mit sich.

Sie seufzt. Vielleicht sollte sie doch mit zu Annie ins Bett kriechen. Ihre Freundin hat es ihr angeboten, als sie bemerkt hat, wie müde und ausgezehrt Jane seit Wochen ist. Sie schläft nicht, isst kaum und redet viel weniger als sonst. Innerhalb der schützenden Mauern dürfen sie nämlich genau das: Reden. Und Jane war eigentlich schon immer ein sehr gesprächiger Mensch. Eigentlich.

Grau. Eine ganze Farbpalette von verschiedenen Farbtönen, dunkel und hell, bis fast schwarz und beinahe weiß. Aber dennoch grau. Grauer Nebel, graue Mauern, graues Leben.

Bis vor kurzem sah alles noch ganz anders aus. Bunt. Blumen, die vor Farbe überquollen, der knallblaue Himmel, passend zu ihren dunkelroten Lippen...

Gefärbte Kakaobutter, gebracht von einem Kunden, der sie so schöner findet. Besser. Heißer. Angenehmer.

Jetzt hingegen ist alles farblos. Fahl und traurig.

Regen, Nässe, Kälte.

Der eisige Wind pfeift durch die Türspalten und undichten Fenster.

Nistet sich in den Körpern der Mädchen ein und kühlt sie aus.

Dringt bis ins Herz vor und lässt sie gefühllos werden.

Keine Kundschaft, die sie wärmt. Bei der Kälte ist dann doch die eigene Frau auch gut genug...

Sie klopft leise an die Annies Tür an. So klein und unscheinbar ist Jane geworden, dass sogar ihr Klopfen kaum zu hören ist. Annie hört sie trotzdem. Wie auch die anderen Mädchen schreckt sie bei den kleinsten Geräuschen hoch, immer in Angst, Kundschaft könnte kommen. Oder sie.

Sie mögen sie. Sie lieben sie. Natürlich  tun sie das. Sie hat sie gerettet, wie sie sagt.

Sie kennen sie schon immer, sie ist wie ihre Mutter. Eine gute Mutter. Und doch fürchten sie sie. Weil es wehtut. Weil sie sie straft, dafür, dass sie nicht schön genug sind.

Und weil sie ihnen ihr Leben entreißt.

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