5 - Ein Korb voller Friendzone
„Äh Ausschlussprinzip?", stotterte ich verdutzt. „Wenn du keine Frauen liebst, bleiben doch nur noch Männer übrig oder bist du asexuell?"
Also wenn er selbst der Männerwelt nicht zur Verfügung stand, war sein Aussehen wirklich reinste Verschwendung. Ja, das war vielleicht sexistisch, aber die Wahrheit war es auch.
„Oh Gott, Helvi, was redest du? Ich dachte du wüsstest es! Ich dachte, so etwas spricht sich schnell rum."
Was sollte ich wissen?
Zu mir hatte sich gar nichts rumgesprochen. Ich war aber auch erst eine Woche hier. Die stille Post schien hier ein wenig hinterherzuhinken.
Gab es denn noch etwas anderes als hetero-, homo- und asexuell? Da ich ihm Sodomie nicht unterstellen wollte, war ich mit meinem Latein am Ende. Obwohl es ja auch Leute geben sollte, die sich in Gegenstände verliebten. Hatte nicht mal eine Frau den Eifelturm geheiratet?
„Meine Liebe gilt Gott."
Jetzt dröhnte der Alkohol richtig und offensichtlich fing ich schon an zu halluzinieren.
„Hmm?", kam ein verdutztes Geräusch über meine Lippen.
„Meine Liebe gilt Gott", wählte er erneut exakt den gleichen Wortlaut.
Ich schaute ihn skeptisch an. Er schien das wirklich ernst zu meinen. Da kam kein schallendes Lachen und der dazugehörige Ausruf: „Haha Scherz!" und es kaum auch kein Kamerateam aus dem Busch gesprungen, das rief „Willkommen bei der versteckten Kamera!". Nein, er sah mich wirklich todernst an.
Ich fühlte mich schlagartig nüchtern.
Hatte er wirklich Gott gesagt? Er liebte Gott? War das vielleicht ein altdeutscher Name oder der Spitzname von jemanden?
Ich starrte ihn gefühlt eine Ewigkeit an und wusste nicht, was ich sagen sollte. Zugebenermaßen wusste ich nicht einmal genau, was das bedeutete.
„Gott?", fragte ich und zeigte in Richtung Himmel.
„Ja."
Liebte er Gott so, wie ich meine Mutter liebte oder eher so wie ich meinen Ex geliebt hatte? Immerhin schien seine Liebe zu Gott ja eine Liebesbeziehung zu Menschen auszuschließen.
„Der Gott da oben, ja?", stammelte ich irgendwann und erhoffte mir mehr Informationen.
„Ja! Der Gott da oben. Deshalb möchte ich auch Pfarrer werden."
Ich war im atheistischen Osten von Berlin aufgewachsen und hatte nie so etwas wie Religionsunterricht genossen, doch waren Pfarrer nicht diejenigen, die enthaltsam leben mussten? Die keinen Sex haben dürften? Die keine Frau haben dürften? Die keine Kinder haben dürften? Die eigentlich gar nichts dürften? Warum tat er sich das an?
„Nun tu nicht so, als hätte ich dir gerade offenbart, dass ich ein Alien bin!", sprach er ein wenig genervt.
Ich zog meine Augenbrauen hoch. So groß war der Unterschied in meinen Augen nicht. Ich hatte noch nie zuvor jemand kennengelernt, der freiwillig auf jede körperliche Liebe verzichtete.
„Du wirst nie eine Beziehung haben! Nie eine Freundin! Nie eine Familie! So ist das doch, wenn man Pfarrer ist, oder?"
„Ich habe eine Beziehung zu Gott", erwiderte er.
Wow.
„Ach komm schon! Das kannst du doch nicht vergleichen. Wann hattet ihr euer erstes Date? Wie war der erste Kuss? Wie war das erste Mal?", fragte ich ihn herausfordernd und konnte seine Aussage noch immer nicht so richtig ernst nehmen.
„Helvi!", sagte er ernst und ich hatte diese Tonlage bis jetzt bei ihm noch nie zuvor gehört. „Es ist mein Leben. Ich entscheide wie ich es führe und du hast nicht das Recht auf diese Art und Weise über mein Leben zu urteilen. Ich habe für mich eine Entscheidung getroffen, mit der ich glücklich bin. Akzeptiere das! Und wenn du das nicht akzeptieren willst, dann lass mich bitte einfach in Ruhe!"
Das hatte gesessen. Nun stand ich eingeschüchtert und mit gesenktem Kopf vor ihm.
Weill noch immer Alkohol durch meine Adern floss und dieser meine Emotionalität ins Unermessliche steigerte, füllten sich meine Augen plötzlich mit Tränen.
„Tut mir leid!", murmelte ich. „Ich bin einfach betrunken und dann rede ich immer schneller als ich denken kann!"
Er atmete einmal tief ein und wieder aus. Seine starke Brust hob und senkte sich einmal.
„Ist okay", brachte er hervor. „Es ist nur einfach nicht leicht für mich über dieses Thema zu reden, weil niemand dafür Verständnis hat. Ich werde immer gleich als Freak abgestempelt, nur weil ich mich für einen bestimmten Lebensstil entschieden habe."
Das Schlimme war, dass die Tatsache, dass er Gott liebte, ihn in gewisser Weise noch begehrenswerter machte. Wäre er schwul gewesen, dann hätte ich ihn wohl aufgeben müssen, denn an seiner Homosexualität konnte man nichts ändern. Aber wie war das mit Lieber zu Gott? Vielleicht war das nur eine Phase? Vielleicht musste er erst körperliche Liebe erleben, um zu merken, dass Gott es nicht Wert war darauf zu verzichten.
Zu gern würde ich ihn davon überzeugen, dass auch eine Beziehung mit einer Frau bzw. mit mir auch eine Erfüllung sein konnte. Doch ich musste zugeben, dass ich hier einen harten Konkurrenten hatte. Wer konnte schon behaupten, dass er Gott als Nebenbuhler hatte?
Ich nahm Theo in die Arme.
„Du bist kein Freak", ließ ich ihn wissen.
Naja, ein bisschen schon, dachte ich. Schließlich liebte er jemanden, den er noch nie gesehen hatte und dessen Sohn man überall an einem Kreuz aufgespießt sah. Das war dann wohl mal eine andere Form von Patchwork Familie.
Trotzdem konnte ich mir vorstellen mit welchen Reaktionen er immer konfrontiert sein musste. Zu Zeiten, in der jeder kostenlos Pornos rund um die Uhr konsumieren konnte und einem von jedem Werbeplakat halbnackte Brüste entgegensprangen, war der Wunsch nach dem Pfarrerdasein mehr als nur ein bisschen anders sein.
„Theo?"
„Ja."
„Weißt du eigentlich, wie attraktiv du bist?"
Ich hatte diese Frage stellen müssen. Jetzt, wo der Alkohol mit gerade den Mut gab solche Informationen einzubringen. War ihm überhaupt bewusst, dass er jede haben könnte?
Er presste seine Lippen zusammen.
„So etwas ist mir nicht wichtig", antwortete er sehr knapp.
„Ich finde dich attraktiv", gestand ich ihm. „Hast du das nicht gemerkt?"
Er vermied den Blickkontakt.
„Doch", gab er kleinlaut zu. „Ich finde dich ja auch nett, aber wie gesagt: Meine Liebe gilt jemand anderem. Ich find es toll, dass wir Zeit miteinander verbringen können und ich schätze die Freundschaft, die wir in so kurzer Zeit aufbauen konnten sehr. Aber wie gesagt: Ich habe keinerlei Interesse an Liebesbeziehungen."
Das war dann wohl ein Korb und die Friendzone gab es gratis noch dazu.
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