22 - Erwachen

Als man mich ins Krankenhaus transportiert hatte, war ich nicht mehr bei Bewusstsein gewesen.

Als ich wieder aufwachte, hatte ich das Gefühl, dass sekündlich eine Bombe in meinem Schädel explodierte. Zudem spürte ich, dass sowohl mein Bein als auch mein Arm bandagiert waren.

Und trotzdem ging mein erster Gedanke nicht an Schmerzmittel sondern an Theo.

„Wo ist er?", war das erste, was ich mit rauer Stimme hervorbrachte.

Ich sah mich im Zimmer um und erblickte meine Mutter und daneben mein Vater.

„Schätzchen", sagte meine Mutter sofort und setzte sich zu mir auf die Bettkante, als sie sah, dass ich erwacht war. Sie streichelte über meine Wange. „Wie geht es dir?"

Offensichtlich war ich am Leben! Ob das auf Theo auch zutraf, wusste ich nicht!

„Theo, wo ist Theo?"

Sie seufzte und ich interpretierte es als kein gutes Zeichen.

Bitte nicht!

„Er ist in einem anderen Krankenhaus."

„Er lebt?"

Ihr Blick war sorgenvoll.
„Ja, aber es geht ihm gar nicht gut." Sie hielt meine Hand fest. "Sie haben ihn leblos aus der Kirche geholt. Er musste reanimiert werden. Die nächsten Tage werden erst zeigen, ob er Schäden davon getragen hat oder naja, du weißt schon, ob er es überhaupt schafft."

Oh Gott!

Nein!

„Ich will zu ihm!"

Mama streichelte mit ihrem Daumen meinen Handrücken.
„Das geht nicht. Er ist in einer Spezialklinik in einer anderen Stadt. Außerdem musst du dich auch erst mal erholen. Du hast eine sehr starke Rauchvergiftung, die du auskurieren musst."

„Er hat mir das Leben gerettet!"

Ich wollte zu ihm! Und zwar sofort!

„Ich weiß!", sagte Mama. „Und dafür bin ich ihm unendlich dankbar!"

„Er darf nicht sterben", schluchzte ich nun und Tränen schossen aus meinen Augen. „Er darf nicht sterben! WIr hatten doch endlich zueinandern gefunden. Er darf nicht sterben!"

Mama nahm mich in den Arm und drückte mich fest.

„Das wird er nicht! Er ist ein starker Junge! Er packt das schon!", flüsterte sie mir tröstende Worte ins Ohr. „Onkel Gert ist bei ihm. Er ruft uns an, sobald es etwas Neues gibt."

„Ich habe Angst um ihn. Was ist, wenn er nicht mehr als er selber aufwacht? Wenn er zu einem Pflegefall wird? Er hat niemanden."

„Wir müssen auf das Gute hoffen", sagte Mama sanft. „Versuch positiv zu bleiben und an diese Szenarien gar nicht erst zu denken. Er packt das!"

Das war leichter gesagt als getan.

Theo hatte mir versprochen, dass wir uns gleich wiedersehen! Er hatte es versprochen! Aber er hatte mich angelogen. Er hatte gewusst, dass es für ihn kein Ausweg gab.

Mama legte sich neben mich ins Bett und kuschelte sich an mich.
„Ich bin so froh, dass du daraus gekommen bist. Es war auch für dich sehr knapp. Hättest du noch ein paar Sekunden lang mehr Rauch eingeatmete, wäre auch dein Zustand sehr kritisch gewesen."

„Was genau ist denn eigentlich passiert? Warum hat es gebrannt?"

Ich bemerkte, wie kratzig und heißer meine Stimme war. Jedes Wort fühlte sich wie ein Schnitt in meine Stimmenbänder an.

„Idioten! Es waren Idioten", sagte nun mein Papa zum ersten Mal etwas. Er sah gar nicht gut aus und ich könnte schwören, dass er mehr graue Haare hatte als beim letzten Mal, als ich ihn gesehen hatte. „Es haben irgfendwelche Irren die Kirche angezündet. Es gab wohl vor einiger Zeit einen Missbrauchsskandal und das sollte wohl die Rache sein."
„Was für ein Skandal?"

„Der Pfarrer hat sich vor Jahrzehnten an Kindern vergangen."

Sofort dachte ich an mein Gespräch mit dem Pfarrer.

„Moment, der Pfarrer, der jetzt die Kirche betreut?"

„Nein, nein", beschwichtigte mich Papa sofort. „Der Alte, der schon vor Jahren gestorben ist. Die Geschichte kam nur vor ein paar Monaten raus und manche Leute gaben der Kirche im Allgemeinen die Schuld."

Ich erinnerte mich daran, wie ich mit Theo die Beschmierungen an der Kirchenwand gesehen hatte. Deshalb also!

„Und deshalb wollte man uns töten?"

Ich hätte nie geglaubt, dass ich mich mal in einer Situation wiederfinden würde, in der ich so eine Frage stellte.

„Man geht davon aus, dass die Täter nicht wussten, dass ihr in der Kirche wart, weshalb sie wahrscheinlich mit einer geringen Strafe davonkommen!"

Wir waren also Zufallsopfer gewesen. Das Leben war so ungerecht. So verdammt ungerecht!

Theo könnte das vielleicht mit seinem Leben bezahlen.

„Aber haben sie denn die Täter schon gefasst?"

„Sie haben drei Tatverdächtige festgenommen und verhören sie gerade. Mehr wissen wir leider auch nicht."

Sollte Theo wirklich bleibende Schäden haben oder sogar sterben, dann wollte ich, dass die Typen in der Hölle schmorrten, nur Rosenkohl zu essen bekamen und 24 Stunden am Tag mit Schlager von den Wildecker Herzbuben zu hören bekamen. Sie sollten nie wieder lachen dürfen, nie wieder Liebe oder Zuneigung spüren dürfen! Sie sollten gar nichts Positives mehr fühlen dürfen! Nie wieder!

Die Angst war noch so präsent. Der ganze Rauch, die Hitze, die Dunkelheit. Und vor allem Theos Gesichtsausdruck. Er war so entschlossen gewesen mich zu retten und hatte sich selbst dafür aufgeopfert. Falls es wirklich einen Gott gab, dann war er besser dran, wenn er Theo nicht sterben lassen würde. Er war eine gute Seele, die einen so frühen Tod nicht verdient hatte. Die Welt brauchte ihn. Ich brauchte ihn. Und Theo sollte endlich erfahren, was es bedeutete geliebt zu werden.

Wir hatten nicht einmal mehr die Zeit gehabt uns zu küssen.

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